Berlin bleibt eisern: Keine „letalen Waffen“ für die Ukraine

Die britischen Lieferungen von Panzerabwehrwaffen an die Ukraine in den vergangenen Tagen heizen auch in Deutschland die Diskussion wieder an: Sollte Deutschland angesichts des russischen Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze der Regierung in Kiew Waffen, vorrangig solche, die als Defensivwaffen gelten, zur Verfügung stellen? Die Bundesregierung bleibt bei einem harten Nein – allerdings gibt es auch in der Ampel-Koalition Gegenstimmen.

Das klare Nein zu letalen, also tödlichen Waffen erneuerte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am (heutigen) Mittwoch vor der Bundespressekonferenz und bekräftigte damit frühere Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne):

Das Transkript dazu (in Auszügen), mit Aussagen von Regierungssprecher Steffen Hebestreit, Christian Thiels vom Verteidigungsministerium, Andrea Sasse vom Auswärtigen Amt und Robert Säverin vom Bundeswirtschaftsministerium:

Frage: Zu dem Komplex Ukraine und Bundeswehr: Gibt es in irgendeiner Form seitens der Bundeswehr Vorbereitungen oder Überlegungen, ob deutsche Militärkräfte im Rahmen von Nato oder anderer Weise bei einem möglichen Konflikt eingebunden werden könnten?

Thiels: Herr Kollege, das ist eine extrem hypothetische Frage. Jetzt kann ich natürlich sagen: Auf hypothetische Fragen antworten wir hier nicht. Das tun wir auch nicht. Es gibt überhaupt keinen Anlass, jetzt über solche Szenarien nachzudenken. Wir unterstützen die Ukraine mit humanitären Mitteln, beispielsweise auch über die Bereitstellung eines Feldhospitals. Wir haben, wie Sie wissen, im Rahmen der humanitären Hilfe auch schon schwerstverletzte ukrainische Soldaten in deutschen Militärkrankenhäusern behandelt. Wir haben der Ukraine Sanitätsmaterial zur Verfügung gestellt. Das ist die aktuelle Unterstützung. Das Auswärtige Amt kann sicherlich auch noch etwas zur weiteren Unterstützung der Ukraine sagen. Aber militärische Pläne gibt es nicht.

Zusatzfrage: Hintergrund meiner Frage ist, wenn ich das noch nachtragen darf, dass die Ukraine nun sozusagen die Wünsche an Deutschland, was die Lieferung von Rüstungsgütern angeht, konkretisiert hat. Sind bestimmte Luftabwehrsysteme und bestimmte Marineschiffe von der Ukraine angefordert? Die Überlegung war, ob das die Diskussion auf deutscher Seite dann verändert.

Hebestreit: Ich darf Sie darauf verweisen, dass sowohl der Bundeskanzler als auch die Außenministerin in den vergangenen 48 Stunden relativ klar die Position dieser Bundesregierung deutlich gemacht haben. Die heißt, dass keine letalen Waffen geliefert werden. Das war in der Vergangenheit so; das war in vorherigen Administrationen so; das ist auch in dieser Regierung so. (…)

Frage: Frau Sasse, gibt es eine Reaktion auf den ukrainischen Botschafter, der sich ob der deutschen Begründung irritiert gezeigt, von deutscher Seite keine letalen Waffen, wie Herr Hebestreit gesagt hat, zu liefern? Gerade in Bezug auf das Argument der historischen Verantwortung hat er gesagt, dies sei erstaunlich und diese Verantwortung sollte gerade dem ukrainischen Volk gelten, das mindestens acht Millionen Menschenleben während der deutschen Naziokkupation der Ukraine verloren hat. Er meinte, es sei schade, dass die deutsche Gesellschaft in dieser Frage immer noch kein Fingerspitzengefühl habe.

Sasse: Herr Kollege, was die Äußerungen von Botschafter Melnyk angeht, kann ich Ihnen sagen, dass wir diese wie immer zur Kenntnis genommen haben. Die Außenministerin war ja vorgestern noch in Kiew und hat sich dort ausführlich Fragen und Antworten gestellt und hat unter anderem auch zum Thema Waffenlieferungen sehr deutlich Haltung in dem Sinne bezogen, wie es Herr Hebestreit bereits dargestellt hat.

Darüber hinaus werden wir die Äußerungen von Herrn Melnyk an dieser Stelle nicht kommentieren. Ich kann Ihnen allerdings versichern, dass der Austausch mit der Ukraine zu allen Themen sehr vertraulich und vertrauensvoll ist und Herr Melnyk das auch weiß. (…)

Frage an Herrn Hebestreit: Bedeutet „keine letalen Waffen“ – da zitiert sie Sie – auch keine Defensivwaffen?

Außerdem fragt sie das Wirtschaftsministerium, ob Minister Habeck die Regierungshaltung mitträgt.

Hebestreit: Ich glaube, Defensivwaffen fallen, wenn sie nicht letal sind, nicht unter die Definition. Wenn man aber damit tötet, dann schon. Insofern würde ich sagen: Auch eine Defensivwaffe kann letal sein und fällt dann unter die von mir geäußerten Bedenken.

Säverin: Selbstverständlich trägt Herr Habeck die Regierungsmeinung mit.

Die bislang prominenteste Stimme für Waffenlieferungen kam vom Koalitionspartner FDP: Deren Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die neue Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, forderte unter anderem in einem Interview mit T-Online:

Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass keine Waffen in Krisengebiete geliefert werden sollen. Angesichts der aktuellen Lage und Betroffenheit unseres Kontinents sollten wir das im konkreten Fall überdenken: Die Lieferung von Defensivwaffen könnte eine Möglichkeit zur Unterstützung der Ukraine sein. Die gilt es dann aber zu definieren.

Widerspruch bekam Strack-Zimmermann allerdings schon aus der eigenen Fraktion. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff betonte, solche Waffenlieferungen wären unzulässig und nicht Erfolg versprechend. Dagegen spreche nicht nur der Koalitionsvertrag mit seinem Bekenntnis zur restriktiven Rüstungsexportpolitik, sondern auch das geltende Recht. Eine Parallele zur deutschen Lieferung von Panzerabwehrwaffen an kurdische Peshmerga-Kämpfer im Jahr 2014 und den folgenden Jahren zur Abwehr des Islamischen Staates wollte Lambsdorff nicht gelten lassen: Damals sei es darum gegangen, einen ganz klaren Genozid zu verhindern, also eine ganz andere Situation.

Der stellvertretende FDP-Fraktionschef zeigte sich dagegen offen für die Lieferung von Ausrüstung, die nicht Waffen zuzuordnen sei, wie medizinischen Gerät, aber auch Schutzwesten oder Nachtsichtbrillen. (Lambsdorff erwähnte auch militärische Schutzhelme – daran dürfte die Ukraine allerdings nur begrenzt Bedarf haben, da sie sie selber herstellt und auch in die EU verkauft.)

Unklar ist, ob die deutsche Debatte damit erst einmal beendet ist oder erst richtig losgeht.

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace hatte am vergangenen Montag die britischen Lieferungen der Panzerabwehrraketen an die Ukraine im Parlament offiziell angekündigt und dabei betont, es handele sich um rein defensive Waffensysteme:

It is important that Ukraine has the capability to defend itself. After Ukraine lost large parts of its navy to Russia’s illegal occupation of Crimea, it became important to help Ukraine build up and sustain a naval capability.
We should not forget, Mr Speaker, the thousands of Ukrainians who have lost their lives defending their country, and who every day are murdered by snipers from across the divide.
That is why in 2019 I expanded Operation ORBITAL to include naval cooperation. And that is why last year we agreed a range of measures including supplying Ukraine with two mine counter-measure vessels as well as agreeing the joint production of eight new ships – equipped with modern weapons systems. Defensive weapon systems.
As I said in this House last week, the Framework Agreement presented to Parliament in November 2021 affirmed the principle that the UK will provide both training and defensive capabilities to Ukraine – to help them better defend themselves.
Within that same principle, I can today confirm to the House that, in light of the increasingly threatening behaviour from Russia, and in addition to our current support, the UK is providing a new security assistance package to increase Ukraine’s defensive capabilities.
We have taken the decision to supply Ukraine with light, anti-armour, defensive weapon systems. A small number of UK personnel will also provide early-stage training for a short period of time, within the framework of Operation ORBITAL, before then returning to the United Kingdom.
This security assistance package complements the training and capabilities that Ukraine already has, and those that are also being provided by the UK and other Allies in Europe and the United States. Ukraine has every right to defend its borders, and this new package of aid further enhances its ability to do so.
Let me be clear: this support is for short-range, and clearly defensive weapons capabilities; they are not strategic weapons and pose no threat to Russia. They are to use in self-defence and the UK personnel providing the early-stage training will return to the United Kingdom after completing it.

Die Lieferung mit C-17-Flugzeugen hatte noch am Montagabend begonnen.

(Archivbild März 2021: Anti-tank platoons fire their NLAW fire-and-forget anti-missile system during a mass fire exercise, Salisbury Plain Training Area, Wiltshire – Corporal Rob Kane/Crown copyright 2021/MOD News Licence)