Ampel-Koalition: Ein SPD-IBUK, Ja zu bewaffneten Drohnen, und manches interpretationsabhängig (Zusammenfassung)

Die künftige deutsche Regierungskoalition hat ihren Vertrag für die nächsten Jahre vorgestellt, und – nicht so ganz überraschend – standen dabei Außen- und Sicherheitspolitik nicht im Mittelpunkt. In ihrem Koalitionsvertrag sagt die Ampel aus SPD, Grünen und FDP ja zu bewaffneten Drohnen, deutet eine Fortsetzung der nuklearen Teilhabe an und bekennt sich zur NATO als Grundlage auch der deutschen Sicherheit. Und: die Sozialdemokraten übernehmen das Verteidigungsministerium.

Der Vertrag, den die Spitzen der drei Parteien am (heutigen) Mittwoch in Berlin präsentierten, muss von den Parteien selbst noch gebilligt werden – bei SPD und FDP von Delegierten, bei den Grünen in einer Mitgliederabstimmung. Unter diesem Vorbehalt steht das ganze Papier (hier nachzulesen) also noch, aber die wesentlichen Ziele der Ampelkoalition dürften festgelegt sein.

Dazu gehört, um diese immer wieder gestellte Frage gleich zu beantworten, die Verteilung der Ministerien auf die drei Partner. Die ist im Vertrag fest vereinbart, wenn auch – wie in Koalitionspapieren üblich – dort nicht mit Namen hinterlegt: Die SPD übernimmt das Verteidigungsministerium. Die Grünen haben Zugriff auf das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium – das, im Zusammenhang mit Außen- und Sicherheitspolitik bedeutsam, für Rüstungsexporte zuständig ist.

Wer Ministerin oder Minister wird, ist zwar für Außenamt und Wirtschaftsministerium absehbar (dafür werden die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck gehandelt, wenn auch noch nicht offiziell bestätigt), für das Wehrressort ist das allerdings noch offen: Darauf will sich die SPD erst Anfang Dezember bei der Partei-Billigung des Koalitionsvertrages festlegen. Und da die Sozialdemokraten neben dem Bundeskanzer und dem Chef des Kanzleramtes insgesamt sechs Ressorts besetzen, wird für diese Entscheidung längst nicht nur eine vorherige Affinität zur Verteidigungspolitik eine Rolle spielen: Geschlechterparität und regionaler Proporz werden genauso einbezogen werden – aus dem Grund rate ich dringend dazu, die Spekulationen über die oder den neue/n Verteidigungsminister:in erstmal zurückzustellen.

Vorerst ist deshalb vor allem interessant, welche Aussagen zur Verteidigungspolitik die Ampel-Koalitionäre auf den 178 Seiten ihrer Vereinbarung treffen. Als konkreteste Aussage ist darin die Zustimmung zu bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr enthalten – wogegen sich vor allem die SPD über Jahre gewandt hatte:

Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen. Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen. Bei ihrem Einsatz gelten die Regeln des Völkerrechts, extralegale Tötungen – auch durch Drohnen – lehnen wir ab.

Der letzte Satz stand so oder so ähnlich auch bereits in den Koalitionsverträgen der beiden vorangegangenen Regierungsbündnisse von Union und SPD. Aber die recht eindeutige Aussage werden wir … ermöglichen ist  mehr als das, was bisher von Sozialdemokraten und Grünen zu hören war.

Die anderen und überwiegend weit bedeutsameren Aussagen zur Verteidigungspolitik sind dagegen weniger konkret – und damit eine Frage an die Interpretation im tatsächlichen Regierungshandeln. Zum Beispiel die Formulierung

Die NATO bleibt unverzichtbare Grundlage unserer Sicherheit. Wir bekennen uns zur Stärkung des transatlantischen Bündnisses und zur fairen Lastenteilung. Wir bringen uns aktiv in den Prozess zur Entwicklung eines neuen Strategischen Konzepts ein, um die neuen Herausforderungen der NATO anzugehen. Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen
und entsprechend investieren. Wir setzen uns dafür ein, die politische Dimension der NATO zu stärken, auch um im Bündnis bestehende Spannungen zu adressieren. Solange Kernwaffen im Strategischen
Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.

Ist das nun ein Bekenntnis zur nuklearen Teilhabe Deutschlands – ein Konzept, das in der SPD durchaus umstritten ist? Eindeutig scheint die Formulierung nicht – auch wenn an anderer Stelle das für diese nukleare Teilhabe bedeutsame Waffensystem der Bundeswehr, der betagte Kampfjet Tornado, einen Nachfolger bekommen soll:

Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe
Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten.

Das lässt ebenfalls Interpretationsspielräume offen – eine eindeutige Aussage, der Tornado-Nachfolger werde auch für den Einsatz von US-Atomwaffen vorgesehen, ist das nicht unbedingt. Und im Vertrag ist ja auch diese Forderung enthalten: Deutschland soll Beobachter, nicht aber Mitglied des Atomwaffenverbotsvertrages werden – ob und wie weit das mit der NATO und ihrer Nuklearstrategie vereinbar sein wird, wird eine interessante Frage.

Die Aussagen zur Zukunft der Bundeswehr dagegen klingen recht eindeutig:

Die Bundeswehr leistet einen wesentlichen Beitrag zum Schutz und zur Verteidigung unseres Landes sowie unserer Partner und Verbündeten. Als Parlamentsarmee unterliegt sie der parlamentarischen Kontrolle. Neben den Auslandseinsätzen im Rahmen des Internationalen Krisen- und Konfliktmanagements, die auf dem Völkerrecht insbesondere der Beschlüsse der VN basieren, hat die Landes- und Bündnisverteidigung an Bedeutung gewonnen. Beide Aufgaben sind durch die Bundeswehr gleichermaßen zu erfüllen. Auftrag und Aufgabe der Bundeswehr müssen sich an den
strategischen Herausforderungen und Sicherheitsbedrohungen unserer Zeit orientieren. Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr muss sich daraus ableiten. Die Bundeswehr muss entsprechend ihres
Auftrages und ihrer Aufgaben bestmöglich personell, materiell sowie finanziell verlässlich ausgestattet werden.

Da stehen gleich mehrere interessante Festlegungen drin, die so nicht unbedingt zu erwarten waren: Die unveränderte Bereitschaft zu Auslandseinsätzen zum Krisen- und Konfliktmanagement, die gleichrangig neben der Landes- und Bündnisverteidigung stehen. Eine Orientierung an Sicherheitsbedrohungen für das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr. Und eine finanziell verlässliche personelle Besetzung und Ausstattung der Truppe.

Natürlich wird auch der/die künftige Verteidigungsminister:in sich dabei an den verfügbaren Finanzen orientieren müssen. Dennoch ist diese recht eindeutige Aussage bemerkenswert und es wird interessant, wie sich das in der Realität auswirken wird.

Dazu passt auch:

Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Internationalen Sicherheit. Wir verbessern ihre Ausrüstung wie auch die der Bundeswehr. Wir beschleunigen die Modernisierung der Infrastruktur. Wir richten die Schwerpunkte bei der Beschaffung der Bundeswehr strategisch aus und modernisieren das Beschaffungswesen und seine Strukturen. Dies betrifft auch Materialverantwortung und Nutzung. Besondere Bedeutung kommen bei der Beschaffung der Digitalisierung, der Führungsfähigkeit und der Interoperabilität zu.

Eine Aussage, die vermutlich quer durch die meisten politischen Parteien zustimmungsfähig ist – aber was wird das konkret bedeuten? An der Neuordnung des Beschaffungswesens der Bundeswehr haben sich schon die Vorgängerregierungen versucht, eigentlich seit mindestens 20 Jahren, ohne dass sich grundsätzlich viel bewegt hätte.

Wenig überraschend ist die Festlegung

Als verlässlicher Partner in Systemen kollektiver Sicherheit werden wir an unserem außen- und sicherheitspolitischen Engagement festhalten. Gleichwohl muss jedem Einsatz der Bundeswehr eine kritisch-inhaltliche Auseinandersetzung und eine Überprüfung der Voraussetzungen vorausgehen sowie die Erarbeitung möglicher Exit-Strategien. … Eine regelmäßige Evaluierung von laufenden Auslandseinsätzen werden wir sicherstellen.

Da wird dann interessant, wie sich eine laufende Bewertung auf die aktuellen Missionen auswirkt – an erster Stelle die beiden Einsätze (bei der UN-Mission MINUSMA und der EU-Trainingsmission) in Mali. Dazu der Blick rüber in die Aussagen zu den bilateralen außenpolitischen Planungen:

Wir werden uns weiterhin in der Sahelregion engagieren, um eine Ausbreitung der Instabilität zu verhindern. Unsere Unterstützungsleistungen im Bereich der zivilen Stabilisierungsmaßnahmen im Rahmen der Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität als Teil der Koalition für den Sahel werden wir verstetigen und entsprechend neuen Bedarfen und orientiert an der politischen Verfasstheit der einzelnen Staaten anpassen. Von der malischen Übergangsregierung erwarten wir die Einhaltung des vereinbarten Übergangsfahrplan.

Ist das nun ein Ja auch zum weiteren militärischen Engagement? Das scheint mir nicht so klar.

Es wären noch einige Punkte zu nennen – zum Beispiel das Bekenntnis zur rüstungstechnischen Zusammenarbeit in Europa (allerdings ohne Erwähnung der großen laufenden Projekte wie dem deutsch-französisch-spanischen Future Combat Air System, FCAS),  eine demographiefest ausbalancierte Bundeswehr, und nicht zuletzt das Drei-Prozent-Ziel für den vernetzten Ansatz

Wir wollen, dass Deutschland im Sinne eines vernetzten und inklusiven Ansatzes langfristig drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in internationales Handeln investiert, so seine Diplomatie und seine Entwicklungspolitik stärkt und seine in der NATO eingegangenen Verpflichtungen erfüllt.

während das Zwei-Prozent-Ziel der NATO nicht eigens erwähnt wird.

Aber einiges muss ja noch für die weitere Analyse übrig bleiben. Und manches dürfte demnächst auch eine Nachfrage lohnen:

Alle Angehörigen der Bundeswehr müssen unzweifelhaft auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Wir werden Dienst- und Arbeitsrecht anpassen, um Extremistinnen und Extremisten umgehend aus dem Dienst entlassen zu können.

Da werde ich dann zum Beispiel wissen wollen: Warum hat die SPD in der bisherigen großen Koalition die Absicht gestoppt, im Paragraph 55 des Soldatengesetzes (Ein Soldat auf Zeit kann während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde) die Frist für diese Entlassung auf acht Jahre heraufzusetzen und so Extremisten leichter loswerden zu können?

Es bleibt also noch viel Spannendes zu berichten.

(Foto: Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages in Berlin, v.l. Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock und Robert Habeck (Grüne) – Xander Heinl/photothek.de)