Zurück an die Arbeit. (Und: Was bisher geschah.)

Es war schon eine längere Urlaubspause, die ich mir diesmal gegönnt habe, und es wird langsam Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen… Allerdings: Aus sicherheitspolitischer (deutscher) Sicht ist in den vergangenen Wochen so viel nicht passiert – und ehe es einen Aufschrei gibt: Der Einsatz der Bundeswehr im Hochwasser ist ein wichtiges, aber nur am Rande ein sicherheitspolitisches Ereignis. Dennoch, auf der Liste, was im Juli geschah, stehen einige Punkte, die ich – sicherlich unvollständig – mal versuche aufzuzählen:

• Das am stärksten öffentlich wahrgenommene Ereignis im Zusammenhang mit der Bundeswehr war sicherlich die Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands und die Amtshilfe der Streitkräfte. Dazu wird’s sicherlich noch mehr aufzuarbeiten geben – nicht zuletzt bei der Frage, wie die große Hilfeleistung der Soldatinnen und Soldaten zunächst in der Coronavirus-Pandemie und dann nach dem Hochwasser das öffentliche Bild der Bundeswehr beeinflusst hat. Und ob das so eigentlich im Sinne von Streitkräften sein kann – Stichwort: wofür hat ein Staat Soldaten und was ist der Unterschied zum Katastrophenschutz?

Als Material dazu der Tagesbefehl des Nationalen Territorialen Befehlshabers und Inspekteurs der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, vom 21. Juli:
https://web.archive.org/web/20210721101621/https://www.bundeswehr.de/resource/blob/5202484/aec1b2c5240e30dd9047868028bc21d9/download-tagesbefehl-natterrbefh-data.pdf

und ein Video der Bundeswehr-Hilfe mit der interessanten Aussage zum Dornröschenschlaf des Materials:
https://youtu.be/LWiClsGVL1w

Auch das gehört dazu: am (gestrigen) Donnerstag hat die Luftwaffe mit Eurofightern des Taktischen Luftwaffengeschwaders 31 Luftaufnahmen von den Überschwemmungsgebieten gemacht, nachdem zuvor schon Tornados des Taktischen Luftwaffengeschwaders 51 und die Open Skies-Maschine Airbus A319 dafür im Einsatz waren.

Das Neue daran: damit wurden die Eurofighter in der Recce-(Aufklärungsrolle) zum ersten Mal außerhalb von Übungen eingesetzt, ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg, diese Jets als Aufklärungsmittel zu etablieren. Die Luftwaffe hatte ja ursprünglich geplant, im vergangenen Jahr in der Anti-ISIS-Koalition die Eurofighter mit dem Aufklärungspod in Jordanien zu stationieren, als die Tornados abgezogen wurden – allerdings hatte der Koalitionspartner SPD damals durchgesetzt, dass es keine weiteren Aufklärungsmaschinen in dieser Mission gab.

(Mehr zum Hochwassereinsatz sicherlich auch in den nächsten Tagen nach Entwicklung)

• Nach dem Ende der Mission in Afghanistan ist Mali und die Sahel-Zone mit gleich zwei – je nach Lesart: drei – Einsätzen der insgesamt größte Auslandseinsatz der Bundeswehr (und dennnoch, aus meiner Sicht, in der öffentlichen Wahrnehmung weit geringer präsent als der Afghanistan-Einsatz). Ein paar Merkposten dazu:
– Mitte Juli hat das Verteidigungsministerium einen Zwischenbericht zu dem Anschlag auf eine deutsche UN-Patrouille in Mali am 25. Juni vorgelegt, eine bemerkenswerte Aussage: Es gab offensichtlich keine Versuche, den Selbstmordattentäter mit Schüssen zu stoppen. Dazu ein gesonderter Eintrag.
– Die EU-Trainingsmission in Mali (EUTM Mali) steht erneut unter deutscher Führung; am 7. Juli übernahm Brigadegeneral Jochen Deuer das Kommando der Ausbildungsmission.
– In Tillia in Niger wurde Mitte Juli ein wesentlich von Deutschland finanziertes Trainingszentrum für Spezialkräfte im Kampf gegen (islamistischen) Terrorismus in Betrieb genommen. Der deutsche Botschafter in Niamey, Hermann Nicolai, bezeichnete das Zentrum als Leuchtturmprojekt. Bereits seit Jahren bilden Kampfschwimmer der Bundeswehr in Niger Spezialkräfte des Landes aus; die Operation Gazelle wurde zwar formal – im Bundestagsmandat – der Mission EUTM Mali zugeordnet, wird aber direkt aus Brüssel gesteuert und nicht von der EUTM-Führung.
(Randbemerkung für die Älteren: Nicolai dürften manche kennen, er war für das Auswärtige Amt unter anderem ziviler Co-Chef des PRT Kunduz…)
– Die Blauhelmmission MINUSMA in Mali könnte nach den Vorstellungen des UN-Generalsekretärs noch personell aufgestockt werden (da muss ich mal nach dem neuesten Stand gucken).

• Auch wenn der deutsche Einsatz in Afghanistan und ebenso die NATO-Mission Resolute Support beendet ist: Das Thema ist noch lange nicht durch. Das gilt für die weiterhin rasant schlechtere Sicherheitslage am Hindukusch und die zunehmende Kontrolle weiter Landesteile durch die Taliban ebenso wie für die Aufarbeitung in Deutschland. Schon das Thema Aufnahme von Ortskräften, wer darunter fällt, was dafür getan werden muss, ist noch lange nicht geklärt; wie dieser Jahrzehnte lange Einsatz in Deutschland aufgearbeitet wird, ist ebenso noch weitgehend offen und wird uns hier weiter beschäftigen.
Sicher ist bislang nur eines: am 31. August wird es in Berlin eine gesamtstaatliche Würdigung geben; unter anderem mit einem Großen Zapfenstreich vor dem Reichstag.
Wer ein bisschen – bittere – Bilanz aus US-Sicht nachlesen möchte: Der Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) hat seinen jüngsten, sehr ernüchternden Vierteljahresbericht veröffentlicht.

Die lange Einkaufsliste, die der Haushaltsausschuss des Bundestages in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause (und damit voraussichtlich auch in dieser Legislaturperiode) gebilligt hat, wird seitdem in Verträge umgesetzt, vom kleinen bis zum großen. (Da müsste man mal eine Übersicht machen…)

• Die Bundeswehr hat jetzt ein Weltraumkommando.

• Das erste operative Kommando der NATO in den USA, das Joint Force Command Norfolk, hat seine Full Operational Capability erklärt.

• Polen kauft weitere Kampfpanzer – interessanterweise nicht weitere (deutsche) Leopard zur Ergänzung der bestehenden Kampfpanzer-Flotte, sondern Abrams-Panzer aus den USA
https://www.reuters.com/business/aerospace-defense/poland-buy-250-us-tanks-it-seeks-beef-up-defences-2021-07-14/
Die interessante Frage ist, was diese Entscheidung beflügelt hat: ein günstiger Preis, die gewünschte engere Anbindung an die USA, die zunehmend problematische Beziehung zu Deutschland – oder alles zusammen?
https://www.realcleardefense.com/articles/2021/07/14/us-german-polish_cooperation_key_to_securing_europes_eastern_flank_785451.html

• Für Freunde der Drohnen-Nutzung: UK special forces drone swarms
https://www.royalnavy.mod.uk/news-and-latest-activity/news/2021/july/17/210715-autonomous-advance-force-4

• US-Präsident Joe Biden hat am 27. Juli eine Rede vor der Intelligence Community seines Landes gehalten. Diese Rede hat international vor allem deswegen Aufsehen erregt, weil Biden darin, eher als Randbemerkung, einen Cyber-Angriff als möglichen Auslöser eines konventionellen Krieges sieht:
You know, we’ve seen how cyber threats, including ransomware attacks, increasingly are able to cause damage and disruption to the real world. I can’t guarantee this, and you’re as informed as I am, but I think it’s more likely we’re going to end up — well, if we end up in a war, a real shooting war with a major power, it’s going to be as a consequence of a cyber breach of great consequence. And it’s increasing exponentially — the capabilities.
Weniger hat in der Berichterstattung eine andere Passage eine Rolle gespielt, die mir deutlich aussagekräftiger scheint:
This shared danger impacts all of nations. Climate challenges are already accelerating instability in our own country and around the world: extreme weather events that are more common and more deadly; food and water insecurity; sea levels rising, resulting in changing climates and driving greater migration and posing fundamental risk to the most vulnerable of communities.
If you could hold for just a second again. We’re in a situation where — think about this. Think about this: I’ll never forget the first time I went down in the tank as Vice President, after I got elected. The Defense Department said what the greatest threat facing America: climate change.
If, in fact, the seas’ level rises another two and half feet, you’re going to have millions of people migrating, fighting over arable land. You saw what happened in North Africa. What makes us think this doesn’t matter? It’s not your responsibility, but it’s something you’re watching because you know what’s going to happen.
People who were Muslim, and the only difference was Black and/or Arab, killing each other by the thousands for arable — a piece of arable — arable land in North Central Africa. But what happens — what happens in Indonesia if the projections are correct that, in the next 10 years, they may have to move their capital because they’re going to be underwater?
It matters. It’s a strategic question as well as an environmental question.
A dramatically warming Arctic is opening up competition for resources that once were hard to access. I had — as they say in Southern Delaware — they talk at you like this, you know what I mean? — I had a “Come to Jesus” meeting, an “altar call” with Mr. Putin about what he thinks is what Russia’s property is in the Arctic. China looking very closely at that as well, where they are.
That’s what I mean about the world changing. What is that going to do to our strategic doctrine in the next 2, 5, 10, 12 years, when you can circumvent the Arctic without icebreakers?

Ich bin sicher, das war noch nicht alles. Aber ich fahre den Betrieb hier ja erst langsam wieder hoch.

(Foto oben: Das Hubschraubergeschwader 64 im Hochwasser-Hilfeeinsatz auf dem Flugplatz Bad Neuenahr-Ahrweiler am 16. Juli 2021 – HSG64/Bundeswehr; Foto unten: Luftaufnahme des Dammbruchs in Erftstadt – Luftwaffe)