Überraschende Wende beim neuen Sturmgewehr: HK416 von Heckler&Koch nun doch das günstigere Angebot (Nachtrag: Haenel)

Das Verfahren zur Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs für die Bundeswehr hat eine überraschende Wendung genommen. Das Bundeskartellamt wies einen Antrag der Suhler Firma C.G.Haenel gegen die Entscheidung zurück, das Unternehmen vom Auftrag auszuschließen – aber nicht, wie bislang vermutet, wegen Patentstreitigkeiten: Das Konkurrenzangebot der Firma Heckler&Koch war nach Angaben des Amtes günstiger.

Am (gestrigen) Donnerstag hatte die Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt einen Nachprüfungsantrag von Haenel zurückgewiesen. Hintergrund war ursprünglich ein Patentstreit, wegen dem das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und das Ministerium die Suhler Firma von der Lieferung des Nachfolgers für das G36 ausgeschlossen hatten, nachdem zuvor das Sturmgewehr MK556 von Haenel als neue Standardwaffe der Bundeswehr ausgewählt worden war. Gegen diesen Ausschluss war Haenel juristisch vorgegangen.

Die Vergabekammer entschied, dass der Ausschluss zu Recht erfolgte, wie das Ministerium auch mitgeteilt hatte. Der entscheidende Grund für die Entscheidung findet sich jedoch nicht in der Mitteilung des Wehrressorts vom Donnerstag, sondern in einer Erklärung des Kartellamts* vom (heutigen) Freitag:

Im Rahmen des Vergabeverfahrens war ursprünglich Haenel für den Zuschlag zur Lieferung neuer Sturmgewehre vorgesehen. Nachdem das BAAINBw zu der Auffassung gelangte, die von Haenel angebotene Waffe verletze Patente anderer Unternehmen, erfolgte der Ausschluss des Unternehmens vom Vergabeverfahren. Über diesen Ausschluss aufgrund der angeführten Patentverletzung musste die Vergabekammer aber letztlich nicht entscheiden, da Haenel aus anderen Gründen für einen Vertragsschluss nicht mehr in Betracht kam: Eine erforderliche Neuberechnung des Angebotspreises von Haenel hatte ergeben, dass das Angebot des Unternehmens dem von Heckler & Koch in wirtschaftlicher Hinsicht unterlegen war. In ihrer Entscheidung hat sich die Vergabekammer des Weiteren mit Ausschlussgründen befasst, die gegenüber Heckler & Koch von Haenel geltend gemacht wurden. Die Ermessensentscheidung des BAAINBw, Heckler & Koch nicht von der Vergabe auszuschließen, war im Ergebnis nicht zu beanstanden.
(Hervorhebung T.W.)

Das ist insofern überraschend, als das Ministerium die ursprüngliche Entscheidung für Haenel als Lieferanten im September 2020 eben damit begründet hatte, dass dieses Angebot das günstigste sei:

Das siegreiche Angebot hat alle Bewertungskriterien erfüllt und weist über die Lebensdauer die höchste Wirtschaftlichkeit aller Angebote auf.

hatte der damalige Parlamentarische Staatssekretär Peter Tauber dem Bundestag mitgeteilt.

Die damalige Wirtschaftlichkeitsberechnung scheint also nicht mehr gültig. Damit stellt sich natürlich die Frage, warum das Ministerium den aufwändigen Weg über eine Beurteilung der Patentstreitigkeiten gegangen ist und nicht von vorherein auf das Kostenargument gesetzt hat.

Mit der Entscheidung des Kartellamts ist allerdings noch nicht der Weg frei für die Absicht von BAAINBw und Verteidigungsministerium, das Sturmgewehr HK416 von Heckler&Koch zu beschaffen. Haenel steht gegen diese Entscheidung noch die Möglichkeit der Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf offen.

*Fürs Archiv die Pressemitteilung des Kartellamts:
20210611_Bundeskartellamt_Sturmgewehr

Nachtrag: Die Firma C.G.Haenel veröffentlichte dazu auf ihrer Webseite eine Stellungnahme, in der sie sich weitergehende rechtliche Schritte vorbehält (fürs Archiv im Wortlaut dokumentiert):

Statement zur Entscheidung der Vergabekammer zur Beschaffung neuer Sturmgewehre für die Bundeswehr

Aktuelle Entscheidung

Die Vergabekammer hat am 10. Juni entschieden, dass der Nachprüfungsantrag von C.G. Haenel zurückgewiesen wird. Die nun vorliegende Entscheidung der Vergabekammer wird nun nicht mehr mit den monatelang gegen C.G. Haenel vorgebrachten angeblichen Patentverletzungen begründet. Der Nachprüfungsantrag C.G. Haenels wurde aufgrund einer nachträglich festgestellten, angeblich mangelnden Wirtschaftlichkeit des MK 556 Angebots zurückgewiesen.

C.G. Haenel nimmt die Entscheidung zur Kenntnis und stellt hierzu fest:
Die Entscheidung der Vergabekammer ist ausgesprochen enttäuschend und sachlich nicht nachzuvollziehen. Wir sind immer noch davon überzeugt, dass wir das beste und wirtschaftlichste Angebot vorgelegt haben. C.G. Haenel mit dem Vorwurf der Patentverletzung auszuschließen und dann den Auftrag final mit der Begründung der mangelnden Wirtschaftlichkeit zu entziehen, erschließt sich für uns nicht. Wir werden die Begründung gründlich sichten und behalten uns ausdrücklich rechtliche Schritte vor.

Hintergrund

Am 16. September 2020 hat das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) bekanntgegeben, dass das Unternehmen C.G. Haenel als Sieger des Vergabeverfahrens zum „Projekt System Sturmgewehr“ hervorgegangen ist. C.G. Haenel habe das wirtschaftlichste Angebot abgegeben.

Ein unterlegener Mitbewerber hat als Reaktion darauf gegenüber der Vergabestelle behauptet, die Firma C.G. Haenel habe Patentrechte verletzt. Das BAAINBw hat daraufhin wegen der strategischen Bedeutung des Projekts entschieden, die Vorhaltungen zu prüfen. Es wurde ein Patentanwalt mit der Erstellung verschiedener Gutachten hinsichtlich möglicher Patentrechtsverletzungen beauftragt. Am 18. Dezember 2020 teilte das BAAINBw mit, dass C.G. Haenel bei seiner angebotenen Waffe MK 556 ein Patent verletzt haben „könnte“. Im Übrigen entspreche das Angebot „den Forderungen“.

Durch ein Vorabinformationsschreiben vom 2. März 2021 wurde C.G. Haenel durch das BAAINBw vom Ausschreibungsverfahren „Projekt System Sturmgewehr“ ausgeschlossen. Als einzigen Grund nannte das BAAINBw die streitige Verletzung von Patenten. Gegen diese Entscheidung hat C.G. Haenel am 4. März Rüge erhoben und am 12. März einen Nachprüfungsantrag eingereicht.

C.G. Haenel hat im gesamten Nachprüfungsverfahren dargestellt und ist weiterhin fest davon überzeugt, dass keine Patentrechtsverletzung vorliegt. Das angebotene MK 556 verfügt über keinerlei technische Merkmale, die ein Patent von Heckler & Koch verletzen könnten. Bestätigt wurde diese Auffassung durch ein Gutachten des international renommierten Patentrechtlers Professor Dr. Donle. Bereits aus diesem Grund ist ein Ausschluss von C.G. Haenel von dem Ausschreibungsverfahren eindeutig rechtswidrig. Darüber hinaus legt das Gutachten dar, dass das behauptete Patent nichtig ist. Das BAAINBw hat im bisherigen Prozess der Aussage zur Nichtigkeit des Patents von Heckler & Koch zu keinem Zeitpunkt widersprochen.

(Archivbild Juni 2020: A Norwegian soldier of the Telemark Battalion fires the HK416 with blank rounds toward a simulated target at Al Asad Air Base, Iraq – U.S. Army photo by Spc. Derek Mustard)