Drei Tage nach Anschlag in Mali: Noch wenig Klarheit über Angriff auf die Aufklärungskompanie (Nachtrag: Transkript)

Drei Tage nach dem schweren Anschlag auf eine Bundeswehrpatrouille in Mali bleiben die Informationen über den Hergang des Angriffs noch spärlich. Bei dem Angriff mit einer Autobombe im Norden des westafrikanischen Landes am vergangenen Freitag (25. Juni) waren zwölf deutsche Soldaten verwundet worden, drei davon schwer; außerdem ein belgischer Soldat. Alle Verwundeten sind seit dem Wochenende wieder in Deutschland.

Das Verteidigungsministerium erläuterte am (heutigen) Montag weitgehend die bekannten Fakten: Die Patrouille der gemischten Aufklärungskompanie des Bundeswehr-Kontigents in der UN-Mission MINUSMA war von einem Selbstmordattentäter rund 180 Kilometer nordöstlich des deutschen Stationierungsorts in Gao  angegriffen worden, nachdem die Soldaten die Nacht dort in einem temporären Camp verbracht hatten. Der Fahrer hatte seinen mit Sprengstoff beladenen Wagen in Richtung der deutschen Soldaten gelenkt; wie es dazu kommen konnte, ist noch unklar.

Nach Angaben des Ministeriums war die deutsche Einheit mit einem Aufklärungsauftrag für MINUSMA unterwegs. Inwieweit sie eine Einheiten der malischen Armee auf dem Weg nach Kidal weiter im Norden Malis begleitete, wie die Führung der UN-Mission meldete, ist nicht so klar – damit ist auch offen, ob der Angriff mit den malischen Soldaten zusammenhing (wie hier vermutet) oder generell Truppen von MINUSMA galt.

Ebenso unklar ist bislang, ob die unbewaffnete Heron-Drohne, die die Bundeswehr in Mali zur Aufklärung nutzt, zur Begleitung und Überwachung dieser Patrouille eingesetzt wurde. Auf Fragen dazu wollte der Sprecher des Verteidigungsministeriums nicht Stellung nehmen.

Recht klar äußerte sich das Ministerium dagegen zu der Rettungskette, die in Mali derzeit mangels deutscher Hubschrauber überwiegend durch eine deutsche Firma gestellt wird. Die Rettungskette habe einwandfrei funktioniert; Meldungen, dass die zivilen Hubschrauber der Vertragsfirma 50 Kilometer vom Anschlagsort entfernt gelandet seien, träfen nicht zu.

Die Aussagen von Kapitän z.S. David Helmbold vom Verteidigungsministerium vor der Bundespressekonferenz zum Nachhören; zudem äußert sich auch Regierungssprecher Steffen Seibert:

BPK_Mali-Anschlag_28jun2021     

 

Ergänzung: Zu dem Anschlag und zur Lage in Mali äußerte sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Interview des Deutschlandfunks –  unter anderem auch zu der Kritik an der Rettungskette.

Das Transkript des obigen Auszugs aus der Bundespressekonferenz:

Frage: Herr Helmbold, der Anschlag in Mali ist jetzt etwa vier Tage her. Können Sie uns vielleicht zusammenfassend sagen, was Sie bislang über den Anschlag selbst wissen, unabhängig von der politischen Debatte, die in Deutschland läuft?

Helmbold: Ich kann kurz rekapitulieren, welche Daten wir im Augenblick haben. Es beginnt am 25. Juni gegen 8.28 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Das entspricht in Mali 6.28 Uhr. In Mali herrscht Z-Zeit, Zulu-Zeit, militärisch gesprochen. Der Anschlag fand ca. 180 km nordöstlich von Gao statt, und zwar in der Nähe der Ortschaft Tarkint. Nach unseren jetzigen Erkenntnissen handelt es sich um einen Autobombenanschlag. Wir nennen das im Nato-Jargon SVBIED, ein „Suicide Vehicle Borne Improvised Explosive Device“, also einen Selbstmordanschlag mithilfe einer Bombe, die auf einem Auto transportiert wurde. Zu dem Zeitpunkt des Anschlages befanden sich die Kräfte vor Ort in einer sogenannten Nachtaufstellung. Das bedeutet, dass zum Schutz des Kontingentes die Fahrzeuge in einer bestimmten Aufstellung aufgestellt worden sind.

Dabei wurden zwölf deutsche Soldaten zum Teil schwer verwundet. Ein weiterer Soldat einer Partnernation wurde ebenfalls verwundet. Alle verwundeten deutschen Soldaten befinden sich jetzt in Deutschland in den Bundeswehrkrankenhäusern Koblenz und Ulm. Das Wichtigste für uns ist im Moment, dass alle Verwundeten derzeit stabil sind – das erleichtert uns – und dass sie entsprechend ihrer Verletzungsmuster durch hoch qualifizierte interdisziplinäre medizinische Teams behandelt werden.

Wichtig ist mir, noch auf eines hinzuweisen, und zwar auf das Funktionieren der Rettungskette. Die deutsche Rettungskette inklusive ziviler Anteile sowie die Unterstützung durch Partnernationen und die VN hat sich bewährt. Medienberichte, denen zufolge die Hubschrauber 50 km entfernt gelandet sein sollen, sind unzutreffend. Die Hubschrauber sind in unmittelbarer Umgebung des Anschlagsortes gelandet. Die Rettungskette hat entsprechend funktioniert. Die Verwundeten wurden in Role-1- und Role-2-Einrichtungen behandelt. Dabei handelte es sich um eine französische Role-2-, eine chinesische Role-2- und eine deutsche Role-1-Einrichtung. Nach den ersten Behandlungen und auch den entsprechenden Operationen der schwer Verwundeten dort ist es dann auch gelungen, den Transport über StratAirMedEvac durchzuführen. Es gab zwei Flüge. Ich denke, das ist so weit auch bekannt gewesen. Es handelte sich zum einen um einen A400M aus Wunstorf. Dieser verlegte sieben Patienten am 26. Juni aus Gao nach Köln. Die Patienten wurden anschließend zur Weiterbehandlung an das Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz verbracht. Ein weiterer Flug holte sechs Patienten am 26. Juni nach taktischer Verlegung mit einer entsprechenden Firma von Gao nach Niamey und von Niamey aus in derselben Nacht nach Stuttgart. Diese verwundeten Soldaten wurden zur Weiterversorgung ins Bundeswehrkrankenhaus Ulm verlegt. Dort vor Ort sind sie jetzt stabil und befinden sich in der entsprechenden interdisziplinären Behandlung. In den Bundeswehrkrankenhäusern in Ulm und Koblenz befinden sich Spezialisten, die für entsprechende Verletzungsmuster von Schuss- und Explosionsverletzungen besonders ausgebildet sind.

Dann gibt es die Folgemaßnahme und die Rückführung. Unmittelbar nach Meldung des Anschlags durch die Aufklärungskompanie wurden deutsche Sicherungskräfte, eine sogenannte Quick Reaction Force, zum Anschlagsort entsandt. Diese haben die angegriffenen Kräfte verstärkt und die Rückführung vorbereitet. Nach Eintreffen der Sicherungskräfte vor Ort haben sie auch die Führung vor Ort übernommen. Die betroffene Aufklärungskompanie hat dann den Rückmarsch nach Gao angetreten. Sie hat das Camp Castor am 26. Juni um 3.40 Uhr erreicht. Zusätzlich nahmen Feldjäger und Kampfmittelabwehrkräfte die Ermittlungen am Anschlagsort auf. Am 26. Juni wurde ein Konvoy zur Rückführung des Schadmaterials, eine sogenannte Recovery Task Force, in Gao in Marsch gesetzt. Der Rückmarsch dieses Konvoys vom Anschlagsort begann am 27. Juni, also gestern, um 3.30 Uhr Z-Zeit, also Ortszeit. Diese Kräfte sind um 12.50 Uhr Ortszeit gestern im Camp Castor eingetroffen. Damit ist die sogenannte Bergeoperation abgeschlossen worden.

Die betroffenen Soldaten der Aufklärungskompanie werden derzeit psychologisch betreut.

Zu den weiteren Dingen und zu taktischen Details kann ich heute nichts sagen. Die Untersuchungen laufen noch. Im Moment wollen wir dem Kontingent vor Ort auch die Ruhe und die Zeit geben, um das zwar zügig, aber natürlich in aller Sorgfalt aufzuklären.

StS Seibert: Ich will auch bei diesem Thema diese Bundespressekonferenz noch einmal nutzen, um zu sagen, wie sehr die Bundeskanzlerin in Gedanken bei den Verwundeten und bei ihren Familien ist, die ja sehr bange Stunden und Tage durchmachen. Sie hofft, dass alle vollständig genesen können.

Der Dank geht auch an alle, die diese rasche und – das wurde gerade beschrieben – gut funktionierende Rettungskette aufgebaut haben. Er geht auch an die internationalen Partner, die in den ersten Stunden wichtige Unterstützung geleistet haben.

Zusatzfrage: Herr Helmbold, nach Angaben von MINUSMA sollte die Bundeswehr eine Einheit der malischen Armee nach Kidal begleiten. Verstehe ich es richtig, dass vorgesehen war, dass die Aufklärungskompanie ihren Auftrag bis Kidal fortsetzt?

Helmbold: Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass es sich um eine gemischte Aufklärungskompanie gehandelt hat und dass sie im Rahmen einer mehrtägigen Aufklärungsoperation unterwegs war und sie auch in einem entsprechenden Kreis durchgeführt hat. 180 km nördlich von Gao hat dann der Anschlag stattgefunden.

Weitere Details dazu, auch zu den Fragen, wie das taktisch abgelaufen ist, will ich heute bewusst nicht weitergeben. Denn diese Dinge werden jetzt in aller Sorgfalt aufbereitet. Dann werden wir erst das Parlament und dann die Öffentlichkeit darüber informieren.

Zusatzfrage: Entschuldigung, aber Sie widersprechen direkt der Darstellung der UN. Die UN spricht davon, dass die Deutschen eine malische Einheit begleitet hätten. Sie sagen, sie hätten einen Aufklärungsauftrag gehabt. Das muss sich nicht gegenseitig ausschließen, aber Sie könnten ja sagen, ob sie den Auftrag hatten, die Malier zu begleiten, oder nicht.

Helmbold: Das ist überhaupt kein Widerspruch. Ich widerspreche auch nicht der UN. Das geht auch weder aus ihren Worten noch den entsprechenden Meldungen hervor. Wir befinden uns in Abstimmung mit der UN, wenn es darum geht, darüber zu kommunizieren. Das, was ich Ihnen dazu sagen kann, habe ich Ihnen jetzt gesagt.

Frage: Gehen Sie davon aus, dass bis zur Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am Mittwoch mehr über den Hintergrund und die Täter und Täterinnen des Anschlages zu erfahren sein wird?

Helmbold: Ich kann eigentlich nur das wiederholen, was ich jetzt gesagt habe. Wir klären das vor Ort auf. Gerade das Kontingent vor Ort muss im Moment die nötige Ruhe haben, um das in Sorgfalt aufzuklären. Alle Informationen, die wir in dem Augenblick gesichert zur Verfügung haben, werden wir dem Parlament und der Öffentlichkeit selbstverständlich mitteilen.

Frage: Wurde die angegriffene Einheit zum Zeitpunkt der Attacke durch eine Heron-Aufklärungsdrohne begleitet? Was hat diese Drohne gesehen beziehungsweise aufgezeichnet?

Helmbold: Ich habe im Moment keine Ergänzungen zu dem zu machen, was ich bis jetzt gesagt habe.

Frage: Das Attentat hat zu verstärkten Rufen nach bewaffneten Drohnen zum Schutz von Bundeswehrsoldaten geführt. Wie können solche Selbstmordattentäter durch Drohnen abgehalten werden? Etwa durch präventiv gezielte Massenangriffe auf potenzielle Gewalttäter in Auslandseinsatzgebieten, also quasi durch massives präventives Töten?

Helmbold: Ich will mir an dieser Stelle die ganzen Annahmen, die dieser Frage zugrunde liegen, nicht zu eigen machen. Ich will auch ganz klar sagen, dass wir uns zu der Drohnenthematik bereits sehr intensiv informiert haben und es entsprechende Untersuchungen gab. Ich will mich heute, nachdem die Bergeoperation gerade abgeschlossen ist, mit den Schlussfolgerungen bewusst zurückhalten. Erst einmal müssen wir in aller Ruhe die Ergebnisse der Aufklärung vor Ort abwarten. Danach ist der Zeitpunkt, zu dem wir uns in Auseinandersetzung mit diversen Themen, die sich rund um den MINUSMA-Einsatz ergeben, äußern können.

Frage: Eine Klärungsfrage zur Rettungskette: Es ging ein bisschen durcheinander. In Meldungen war von einem französischen Chinook die Rede. Die Franzosen haben keine Chinooks. Handelte es sich um den britischen Chinook, der den Franzosen im Rahmen der Operation Barkhane unterstellt ist?

Helmbold: Diejenigen, die eingesetzt wurden, waren ja erst einmal diejenigen der zivilen Unterstützungen und gleichzeitig noch etwas als Absicherung von Partnernationen. Mit Blick auf die Chinook-Frage habe ich im Moment keine Informationen, mit denen ich Ihnen helfen könnte.

(Archivbild Januar 2020: Bundeswehrsoldaten Ÿübernachten in der WüŸste in der NäŠhe von Gao/Mali – Philipp Hoffmann/Bundeswehr)