Strukturen für die ‚Bundeswehr der Zukunft‘: Viel Unruhe, wenig Klarheit

Über weitgehende Umstrukturierungen der Bundeswehr sind nach Darstellung von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bislang noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen worden. Es gebe dazu noch kein fertiges Papier und schon gar keines, das sie bereits unterzeichnet hätte, sagte die Ministerin nach Angaben von Teilnehmern am (heutigen) Mittwoch vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages. Allerdings kursieren seit Tagen Hinweise auf einen weitgehenden Umbau, mit dem unter anderem die Streitkräftebasis und der Sanitätsdienst in anderen Bereichen aufgehen sollen.

Hintergrund ist die Ankündigung von Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn vom Februar, aufgrund gewandelter Anforderungen unter anderem durch die Bedrohungslage die Bundeswehr der Zukunft neu aufzustellen:

Wir erlassen im Mai 2021 Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft und legen damit konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung der Streitkräfte hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Strukturen und Einsatzbereitschaft vor.

Diese Eckpunkt soll es nach den Worten der Ministerin vor dem Ausschuss in der zweiten Maihälfte geben, ein nach den militärischen Vorarbeiten abgestimmtes Papier auf politischer Ebene gebe es bislang nicht. Ungeachtet dessen sickern natürlich Details dieser Planungen durch, unter anderem in einer Meldung der Deutschen-Presseagentur am (heutigen) Mittwoch. Danach zeichnet sich ab:

• Künftig soll es vier Teilstreitkräfte geben: Neben Heer, Luftwaffe und Marine der Bereich Cyber- und Informationsraum (der damit vielleicht nicht formal, aber inhaltlich zur Teilstreitkraft aufgewertet würde)

• Die Streitkräftebasis und der Zentrale Sanitätsdienst werden im Wesentlichen in diesen vier Teilstreitkräften aufgehen

• Analog zum Einsatzführungskommando soll es ein Territoriales Führungskommando mit einem Nationalen Befehlshaber geben (da es bereits ein Kommando Territoriale Aufgaben und darüber einen Nationalen Territorialen Befehlshaber gibt, nämlich den Inspekteur der Streitkräftebasis, ist dann natürlich die Frage, was wo integriert wird)

Die ganze Umstrukturierung soll ohne Verringerung an Dienstposten funktionieren, aber im Interesse einer schnelleren Einsatzfähigkeit der Bundeswehr die Zahl der Stäbe und damit auch der Schnittstellen verringern. Ob das tatsächlich so funktioniert, wird natürlich auch davon abhängen, wie nötige neue Schnittstellen organisiert werden.

So wird bei einer Integration von Teilen des Sanitätsdienstes ins Heer geklärt werden müssen, wie die Versorgung Verwundeter an eine andere Organisationseinheit funktioniert – das Heer wird kaum ein Feldlazarett betreiben wollen und können (das natürlich nicht mehr so heißt, sondern Role 2). Ähnliches gilt für die Logistik.

Unklar ist bislang, inwieweit die geplanten Strukturveränderungen noch vor der Bundestagswahl eingeleitet werden oder gegebenenfalls erst von einer neuen Bundesregierung umgesetzt werden. Auch werden die Bundestagsabgeordneten, die sich – wie zu hören ist, quer durch alle Fraktionen – bislang unzureichend informiert fühlen, bei Grundzügen der Bundeswehrstruktur zumindest beteiligt werden.

Öffentlich kam entsprechende Kritik aus den Koalitionsfraktionen, von der verteidigungspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Siemtje Möller:

Zu den möglichen Veränderungen im Organisationsaufbau der Bundeswehr und der angedachten Auflösung der Organisationsbereiche Sanität und Streitkräftebasis haben uns allerdings anstatt echter Informationen nur alarmistische Signale und eine große Unruhe in den zahlreichen Standorten erreicht. Die Gerüchte und Halbinformationen verunsichern die Streitkräfte. Erklärungen werden unabgesprochen lanciert und wieder gelöscht, das ist in Anbetracht der Auswirkungen auf die persönliche, berufliche Situation von 60.000 Soldatinnen und Soldaten, von denen ein Großteil jeden Tag bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie und in der medizinischen Versorgung in den Einsatzgebieten eingesetzt ist, unangemessen.
Eine umfängliche und gewissenhafte Umstrukturierung lässt sich zudem weder während einer Pandemie noch kurz vor der Bundestagswahl zufriedenstellend abschließen. Die Bundeswehr würde so, in einer durch den Abzug aus Afghanistan bestimmten Umbruchsphase, zusätzlich destabilisiert.

Denn mit der Umstrukturierung wird sich natürlich auch die Frage nach den Standorten stellen – auch wenn das Verteidigungsministerium versichert, dass bei den erwogenen Plänen keine Standortentscheidungen beabsichtigt seien. Ob das mit einer Verschiebung zum Beispiel von großen Teilen der Logistiktruppe zum Heer funktioniert, wird sich noch zeigen müssen.

Nachtrag: Eine überraschend deutliche Aussage kommt von außerhalb der Bundeswehr, nämlich vom Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands, der unter anderem bemängelt:

Das Vorhaben einer Eingliederung in die Teilstreitkräfte zeigt zudem auch ein Bild der Spitze des Ministeriums vom freien Beruf Arzt, das einen schon ratlos zurücklässt. Ärztinnen und Ärzte im Dienst der Bundeswehr müssen sich in jeder Situation hier in Deutschland und erst recht im Einsatz darauf verlassen können, dass sie ihre medizinischen Entscheidungen auch und gerade innerhalb einer Befehlskette nur unter der Befehlsgewalt eines Arztes treffen können und am Ende auch verantworten müssen. Alles andere gefährdet die ärztliche Unabhängigkeit, die wiederum Voraussetzung für das Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten ist, dass gerade im Einsatz alles medizinisch Mögliche für Leib und Leben getan wird.

(wird ggf. ergänzt)

(Archivbild Mai 2017: Sanitäter der allgemeinen und notfallmedizinischen Versorgung (Role 1) behandeln einen Verwundeten im Rahmen der Übung Red Griffin/Colibri 50 – Jane Schmidt/Bundeswehr)