Offener Brief: Initiative zur Unterstützung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte
Der Abzug der internationalen Truppen und damit auch der Bundeswehr aus Afghanistan ist in vollem Gange – und das hat auch Auswirkungen auf die so genannten Ortskräfte, auf Afghanen, die zum Beispiel als Dolmetscher die deutschen Soldaten unterstützt haben. Ihnen drohen angesichts zunehmender Kontrolle der Taliban über immer mehr Regionen und möglicherweise des ganzen Landes Racheakte gegen sie selbst und ihre Familien. Ein Verfahren, diese Ortskräfte in Deutschland in Sicherheit zu bringen, gibt es – aber es droht in bürokratischer Komplikation den Schutz zu spät zu bieten, wenn überhaupt.
Eine Initiative zur Unterstützung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte, begründet unter anderem von dem früheren Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei und dem Afghanistan-Kenner Thomas Ruttig und auch von mehreren früheren Bundeswehr-Generalen unterzeichnet, ruft die Bundesregierung in einem offenen Brief dazu auf, diese afghanischen Unterstützer der Bundeswehr tatsächlich zu schützen und dafür auch am Verfahren einiges zu ändern.
Zur Dokumentation der Aufruf im Wortlaut:
Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan: Afghanische Ortskräfte in Sicherheit bringen!
Der Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan hat begonnen und soll voraussichtlich Anfang Juli 2021 beendet sein. Das Bundesverteidigungsministerium hat erklärt, dass es in der Abzugsphase zu einer größeren Gefährdung der Soldatinnen und Soldaten kommen könne. Medien zitierten unter Berufung auf einen vertraulichen Bericht des Auswärtigen Amtes und des Bundesverteidigungsministeriums, dass die Bundesregierung eine weitere erhebliche Verschlechterung der Sicherheitslage nach dem Abzug erwarte. Während die Truppe unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen längst bei den Vorbereitungen zur Rückkehr ist, wachsen die Befürchtungen der afghanischen Ortskräfte, die oft viele Jahre für die Bundeswehr, die deutsche Polizeiausbildungsmission, diplomatische Missionen und die staatlichen Zwecke der Entwicklungszusammenarbeit u.a. tätig waren – als Dolmetscherinnen und Dolmetscher, qualifiziertes Fachpersonal, Wachleute und Hilfskräfte. Sie fürchten um ihre Sicherheit und ihr Leben – wie auch um das ihrer Familienangehörigen.
Wir fordern eine unbürokratische und schnelle Aufnahme der Betroffenen in Deutschland parallel zum Abzug!
Die Taliban haben immer wieder deutlich gemacht, dass sie diese Ortskräfte als Kollaborateure des Westens begreifen, die sie als Unterstützer eines militärischen Besatzungsregimes zur Verantwortung ziehen wollen. Über Anschläge auf und Morde an Ortskräften wird seit Jahren berichtet, u.a. aus britischen, deutschen und US-amerikanischen Quellen. Letztere berichten von etwa 300 getöteten US-Ortskräften. Viele Ortskräfte haben versucht, sich Bedrohungen durch Umzug in andere Regionen Afghanistans zu entziehen, was aber nur selten eine dauerhafte Lösung und das Ende der Gefährdung ist.
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat Mitte April von einer tiefen Verpflichtung der Bundesrepublik gesprochen, die afghanischen Ortskräfte jetzt nicht schutzlos zurückzulassen. Zu befürchten ist aber: Genau das geschieht. Wer die effektive Aufnahme wirklich will, der kann in den verbleibenden Wochen nur eine unbürokratische Prozedur für all die Ortskräfte und ihre Angehörigen umsetzen, die für deutsche Stellen gearbeitet haben: Öffentliche Bekanntgabe des Aufnahmeprogramms, Registrierung, Vorbereitung der Ausreise, die möglichst geschehen muss, solange die Bundeswehr noch im Lande ist, ggf. Durchführung von Charterflügen.
Der Verweis auf das bisherige Aufnahmeprogramm für afghanische Ortskräfte mit Abgabe einer individuellen Gefährdungsanzeige bei Vorgesetzten, in der nachgewiesen werden muss, dass für Bedrohungen durch die Taliban die Tätigkeit für deutsche Stellen entscheidend ist, ist angesichts der neuen Sicherheitslage nicht mehr zielführend. Das bisherige Verfahren ist viel zu zeitintensiv, insbesondere seit die Kapazitäten des deutschen Kontingentes im Lande mit dem beginnenden Abzug Woche für Woche schwinden.
Seit 2013 wurden nach Zahlen des Verteidigungsministeriums knapp 800 Ortskräfte (plus Familienangehörige) in Deutschland aufgenommen, fast alle jedoch innerhalb eines kurzen Zeitraums, nachdem das Programm diese Chance eröffnet hatte. Zwischen 2014 und 2021 sind dann gerade einmal 15 zusätzliche Aufnahmen hinzugekommen – trotz einer in diesem Zeitraum immer weiter sich verschlechternden Sicherheitslage.
Zügige Aufnahme statt untauglicher Vorschläge
Das Bundesinnenministerium verweist wenige Wochen vor dem Truppenabzug die Ortskräfte auf das alte Prüfungsverfahren mit seinem bürokratischen Aufwand, was in der Kürze der Zeit nicht praktikabel ist. So steht zu befürchten, dass es kein effektives Aufnahmeprogramm, sondern lediglich ein Pseudo-Prüfungsprogramm geben wird. Der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages Reinhold Robbe hat schon vor Jahren den Umgang mit den Ortskräften als „beschämend“ und „unwürdig“ bezeichnet (vgl. bundeswehr-journal v. 17.10.2014). Diese Diagnose gilt bis heute. Wer seinen Dienst als Ortskraft vor mehr als zwei Jahren beendet hat, der soll von der Aufnahme in Deutschland ausgeschlossen bleiben. Im Ernstfall werden sich die Verfolger bei den Taliban wohl kaum an dieser Frist orientieren. Und noch nicht einmal die zuletzt beschäftigten ca. 500 Ortskräfte, die nicht pro forma bereits wegen dieser Ausschlussregelung aus dem Programm herausfallen, sollten sich darauf verlassen, dass aus der Ankündigung der Bundesverteidigungsministerin und guter Absicht praktische Hilfe wird.
Ein Büro für afghanische Ortskräfte in Kabul und evtl. an einem anderen Ort, so das BMI, soll eingerichtet werden, wo das umständliche Prüfungsverfahren zur Aufnahme stattfinden soll – als ob man sich nicht in einem Land befände, in dem längst ein Großteil der Regionen nicht mehr von der Regierung kontrolliert wird, Reisen riskant sind und selbst die deutsche Botschaft nur noch eingeschränkt operieren kann. Zu befürchten ist, dass ein solches Büro für die Taliban ein vorrangiges Anschlagsziel werden könnte, insbesondere wenn sich die Sicherheitslage weiter verschärft.
Waren die Ortskräfte in den Jahren 2014/15, als der größte Teil derer nach Deutschland kamen, die eine Aufnahmezusage erhalten hatten, eine Gruppe, die unter den Geflüchteten hierzulande oft übersehen wurden, so haben sich in den Jahren danach Solidaritäts- und Unterstützungsstrukturen herausgebildet, nicht zuletzt auch ein Patenschaftsnetzwerk der Bundeswehr. Denn auch dort vertraten viele die Auffassung, dass denen, die die Einsatzrisiken mit deutschen Soldatinnen und Soldaten geteilt hatten und ohne die insbesondere die Verständigung in Afghanistan kaum möglich gewesen wäre, in bedrängter Situation geholfen werden müsse. Und für deren Integration wollte man sich einsetzen.
Anlässlich der Vorstellung eines Buches der Bundeszentrale für Politische Bildung im Dezember 2019, in dem die Rolle der afghanischen Ortskräfte dargestellt und gewürdigt wurde, brachte es einer der Mitautoren des Buches und langjähriger Bundestagsabgeordneter auf den Punkt: “(…) die Schlüsselrolle der afghanischen Ortskräfte: Ohne sie wäre der Einsatz unmöglich und von vorneherein aussichtslos gewesen. Mit ihrem Dienst für deutsche Einsatzkräfte meinten viele, ihrem Land am besten dienen zu können. Sie nahmen dafür hohe Belastungen und Risiken in Kauf. Dafür gebührt ihnen von deutscher Politik und Gesellschaft Aufmerksamkeit, Dank, Anerkennung nicht nur verbal (…) sondern auch praktisch. Wo Ortskräfte von sozialen und existenziellen Einsatzfolgen betroffen sind, an Leib und Leben, oft zusammen mit ihren Familien, da steht die Bundesrepublik Deutschland (…) in einer selbstverständlichen Fürsorgepflicht. Das ist ein Gebot der Verlässlichkeit, der Glaubwürdigkeit und auch der politischen Klugheit.“
Ähnlich sehen es auch US-Militärs: Ex-US-General David Petraeus hat sich zusammen mit der Nichtregierungsorganisation No One Left Behind Ende April in einem Brief an US-Außenminister Antony Blinken dafür eingesetzt, alle notwendigen Ressourcen aufzubieten, um die afghanischen Ortskräfte aus Afghanistan herauszuholen, bevor die letzten US-Truppen das Land verlassen.
Zwar haben einige andere Truppenstellerstaaten, die z.T. schon vor langer Zeit aus Afghanistan abgezogen sind, ihre Fürsorgepflicht für die Ortskräfte ebenso verstanden und einigen „ihrer“ Ortskräfte Aufnahme gewährt. Demgegenüber waren andere Staaten zögerlich und stehen nun ebenfalls, wie die Bundesrepublik, vor der Situation, von Absichtserklärungen, die nicht eingelöst wurden, zu wirksamen Verfahren zu kommen. Jetzt, wo der vorzeitige und bedingungslose Abzug der US-Armee wie des deutschen Kontingentes die Risiken dramatisch erhöht hat, wäre ein anständiges und großzügiges Verhalten der Bundesregierung mehr denn je nötig. Wie sollten sonst diejenigen, die Unterstützer*innen in gefährlicher Situation zurücklassen, künftig erwarten können, als verlässliche Partner in allen Bereichen der internationalen zivilen und militärischen Zusammenarbeit angesehen zu werden?
Angesichts der akuten Bedrohung bisheriger Ortskräfte an Leib und Leben und bezugnehmend auf die Wertegebundenheit deutscher Krisenengagements (s. Leitlinien „Krisen verhindern“ der Bundesregierung 2017) erheben wir eindringlich die folgenden Forderungen:
Zügige und unbürokratische Aufnahme afghanischer Ortskräfte und ihrer Familienangehörigen parallel zum laufenden Abzug des deutschen Kontingentes.
Öffentliche Verbreitung von Informationen über ein zu diesem Zweck vereinfachtes Verfahren für (ehemalige) Ortskräfte in Afghanistan.
Verzicht auf Prüfungsprozeduren, die in der Praxis weitgehend unmöglich oder für die Antragsteller*innen unzumutbar sind.
Verzicht auf Ausschlusskriterien, die der Realität nicht gerecht werden, wie die Beschränkung auf Personen, die in den letzten zwei Jahren als Ortskräfte tätig waren.
Der Brief mit der Liste der Erstunterzeichner als pdf-Datei:
20210514 Aufruf Ortskräfte Afgh mit Liste Erstunterzeichnender FINAL
(Offenlegung: Ich gehöre auch zu den Erstunterzeichnern)
(Archivbild August 2009: Ein Soldat sucht mit Hilfe eines einheimischen Sprachmittlers das Gespräch mit Kindern aus einem nicht genannten Ort in den Bergen Afghanistans – Dana Kazda/Bundeswehr)
Die Initiative finde ich unbedingt unterstützenswert. Für mich lässt sich die Aufnahme auch unter dem Gesichtspunkt ‚Fürsorgepflicht‘ rechtfertigen.
Bereits vor mehreren Jahren wurde das Thema in Bezug auf Dolmetscher im Irak in satirischer Form aufgearbeitet: https://youtu.be/QplQL5eAxlY
Das ist gut gemeint, aber angesichts der Lage im Land der falsche Weg. Man tut Afghanistan keinen Gefallen, wenn man die Gegner der Taliban aus dem Land abzieht, Flucht löst die Probleme Afghanistans nicht, und durch die Unterstützung einer Ausreise schadet man dem Land. Man sollte die Betroffenen stattdessen dazu ermutigen und dabei unterstützen, weiterhin Funktionen im Kampf gegen die Taliban einzunehmen.
Es ist auch nicht ganz korrekt zu schreiben, dass die Betroffenen die Bundeswehr unterstützt hätten. Vielmehr ist bzw. war es so, dass die Bundeswehr die Afghanen unterstützt hat. Eine Bringschuld von deutscher Seite besteht hier nicht.
@Gandamack sagt: 14.05.2021 um 10:04 Uhr
Ihre Argumentation erinnert mich ein bißchen an ein Henne und Ei Problem.
Den individuellen Ortskräften diesen Schutz zu verweigern, weil wir abstrakt dort waren um Afghanistan als ganzes zu unterstützen zeigt eine so gnadenlose Logik, dass ich dieser nicht folgen kann.
Zudem haben wir in AFG ja auch DEU Interessen geschützt und waren nicht nur aus Menschenfreundlichkeit dort.
Wer an unserer Seite gekämpft hat, verdient unseren Schutz. So einfach ist das.
@T.W. gibt es dazu eine Petition, mit der man das auch als Folgeunterzeichner unterstützen kann?
[So weit ich weiß ist das geplant; wenn ich dazu mehr weiß, trage ich das oben nach. T.W.]
Haut mich, aber ich stehe der Sache eher ablehnend gegenüber. Wie groß soll denn der Kreis der Aufzunehmenden sein, welche Familienmitglieder dürfen ebenfalls kommen?
Zudem braucht AFG doch eben diese Personen, die sich – neben materiellen Gründen – für das Staatswesen engagiert haben.
Und eine Spekulation: die meisten Familien werden sich abgesichert haben, ein Mitglied bei den ANSF oder der Koalition, ein anderes bei den TB, wobei auch eine finanzielle Unterstützung der TB (Schutzgeld) oder Informationsversorgung nicht immer ausgeschlossen werden kann.
Wichtig ist natürlich, daß Unterlagen nicht in die Hände der TB gelangen, wobei u.a. über die Behörden dort da einiges durchsickern könnte bzw. auch schon ist, oder natürlich über Informanten.
Wie ist eigentlich der Sachstand bei den Patenschaften, die es bereits vor ein paar Jahren gab?
Vielleicht sollte man für das bedrohte Personal ein Internet-Portal eröffnen, analog zu „Stark im Amt“ (sarc off).
Deutschland und die in den letzten Jahren aktiven Länder müssen all denjenigen Menschen
Asyl gewähren, welche nachweislich ihnen geholfen haben ihre Aufgaben zu bewältigen.
Deutschland muss hier die führende Rolle übernehmen und diesen Menschen Hilfe und Asyl gewähren
und dies ohne wenn und aber.
Alles andere wäre eine Schande für unser Land, Europa sowie den USA und England.
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Flüchtlingshelfer betreue ich einen jungen Mann, der den Soldaten des NATO-Partners USA als Dolmetscher geholfen hat, bis er feststellte, dass dies lebensbedrohlich ist. Als psychisch traumatisierte Person lebt er seit mehr als 5 Jahren in Deutschland. Das Ministerium des Inneren behauptet in einem Brief, Kabul sei völlig ungefährlich, dass Ministerium für Auswärtiges behauptet, das es gefährlich sei und das Bundesverteidigungsministerium prüft, ob Personen mit Beschäftigungen in den letzten 2 Jahren nach Deutschland geholt werden sollen.
Was soll das ?
@Thomas Melber sagt: 14.05.2021 um 10:34 Uhr
„Zudem braucht AFG doch eben diese Personen, die sich – neben materiellen Gründen – für das Staatswesen engagiert haben.“
Meinen Sie, die würden nach dem Komplettabzug der Allianz noch irgendetwas zu melden haben? Sie unverbesserlicher Optimist.
Es werden ganz einfach die Taliban die Regierung übernehmen, in manchen Provinzen werden Warlords herrschen, so wie vorher. Und genauso werden unliebsame politische Gegner liquidiert, bis hin zu öffentlichkeitswirksamen Massenerschießungen im Kabuler Stadion. Eben wie vor 2001.
Es ist schlicht ein Gebot der Humanität, die Leute das rauszuholen, inkl. ihrer Verwandten 1. Grades (Eltern, Ehegatte, Kinder, Enkel).
@Pio-Fritz
„Es werden ganz einfach die Taliban die Regierung übernehmen, in manchen Provinzen werden Warlords herrschen, so wie vorher. “
Das wird nur dann geschehen, wenn die Gegner der Taliban aus Afghanistan fliehen anstatt ihr Land gegen sie zu verteidigen. Diese Verantwortung kann den Afghanen niemand abnehmen.
@Pio-Fritz
Natürlich nicht. Das Problem der Gefährdung haben aber auch die höheren Chargen der ANSF und in der Administration sowie Lehrer, Journalisten und tlw. Ärzte.
Und sarkastisch: sogar TB Führer leben gefährlich wenn der IS sie ausschalten will.
Ich persönlich glaube nicht, daß es zu organisierten oder flächendeckenden Racheaktionen kommen wird, da ist das Clansystem einmal vorteilhaft. Ob es zu Schauprozessen gegen die höhere Führung des Landes kommt? Das ist natürlich nicht auszuschließen, wobei die TB ja bereits indirekt in der Regierung sitzen und man entsprechende Verbindungen hat.
Man kann versuchen, dies im Rahmen des Pashtun Wali zu regeln, wobei einzelne persönliche gravierende Verfehlungen ggf. geahndet werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Paschtunwali#Paschtunwali_als_Ehrenkodex_der_Paschtunen
@Gandamack sagt: 14.05.2021 um 12:05 Uhr
Meinen Sie etwa, die Taliban hätten vor 2001 keine Gegner im eigenen Land gehabt? Na, dann werfen Sie doch mal einen Blick in die jüngere Geschichte des Landes, so ab 1973.
In Afghanistan gilt einfach das Recht des Stärkeren, das war auch die letzten 20 Jahre nicht anders, man hat es nur netter verpackt.
Natürlich kann man sich auf Ihren Standpunkt stellen, das es den Lauf der Welt nicht stört, wenn sich ein paar Afghanen gegenseitig abmurksen.
Ich bin der Auffassung, das diese Kräfte für DEU gearbeitet haben und z.T. unschätzbare Dienste geleistet haben. Und dann hört die Fürsorge des Dienstherrn eben nicht bei der Entlohnung auf, sondern geht in diesem Fall weiter. Oder sind das Bedienstete zweiter Klasse, nur weil die den „falschen“ Pass haben?
@Koffer
+ 1
und
+ 1
Misshandlungen und Massaker an ehemaligen Ortskräften wäre der ultimative Gesichtsverlust der Alliierten in den Augen der Afghanen. Wir wären gebrandmarkt weit über die Grenzen Afghanistans hinaus. Ich schreibe dies bewusst mit Blick auf Nordafrika.
Es wäre beinahe unmöglich wieder Vertrauen aufzubauen unter jedem denkbaren Szenario in der Zukunft in Afghanistan aber auch darüber hinaus.
Der Offene Brief ist in Form und Ton an die Zielgruppe angepasst, daher hier die Verdeutlichung dessen, was „on the Ground“ in der Schlammzone passieren könnte: Islamistische Extremisten irgendwo, welche vor und nach einer Patrouille von ausländischen Kräften Exekutionsvideos zeigen, was mit Kooperierenden bzw. „Verrätern“ passiert „wenn nicht heute, dann irgendwann“.
Dennoch hat @Gandamack nicht unrecht, denn wer hält morgen gegen die Taliban?
@Pio-Fritz
„In Afghanistan gilt einfach das Recht des Stärkeren, das war auch die letzten 20 Jahre nicht anders, man hat es nur netter verpackt.“
Dann müssen die Gegner der Taliban eben die Stärkeren sein. Das wird ihnen aber nicht gelingen, wenn sie das Land verlassen.
„Ich bin der Auffassung, das diese Kräfte für DEU gearbeitet haben….“
Deutschland hat in Afghanistan nicht im eigenen Interesse agiert, sondern als Unterstützer der afghanischen Regierung. Die afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr haben nicht Deutschland, sondern ihrem eigenen Land gedient, was größte Anerkennung verdient. Gerade jetzt braucht ihr Land sie aber am meisten. Jeder verantwortungsbewusst handelnde Mensch wird in dieser Lage für sein Land kämpfen, anstatt es zu verlassen. Deutschland sollte ein Verhalten, das am Ende nur den Taliban nützt, nicht unterstützen.
„Oder sind das Bedienstete zweiter Klasse, nur weil die den „falschen“ Pass haben?“
Die Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers endet nach deutschem Recht unterschiedslos mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses, egal welchen Pass man besitzt.
Wenn man den Afghanen und Afghanistan wirklich helfen will, geht man den umgekehrten Weg und unterstützt nicht die Flucht vor den Problem, sondern die Lösung der Probleme durch die Unterstützung der afghanischen Regierung bei der Umsetzung einer Wehrpflicht für im Ausland lebende Afghanen. Alleine in Deutschland leben so viele männliche Afghanen im wehrfähigen Alter, das man damit mehrere Infanteriedivisionen aufstellen könnte. Es böte sich an, die Ausbildung vor Ort (also z.B. in Deutschland mit Unterstützung der Bundeswehr) durchzuführen, bevor die Verlegung nach Afghanistan erfolgt.
Sollte Ehrensache sein die Unterstützer/Mitarbeiter dort rauszuholen. Ich unterschreibe das gern.
Kenne auch ein paar der Ortskräfte. Haben sich teilweise sehr ins Zeug gelegt und beispielsweise auch als reine Hilfskräfte die deutsche Sprache in Wort und Schrift gelernt. Vor allem, weil das ein hart erkämpftes Sprungbrett raus aus dem Elend ist.
Die haben schon im dortigen Alltag ganz gut „funktioniert“ und würden es auch in Deutschland. Wie wir so ticken und dass man sich an Regeln hält sollte bekannt sein.
Aus meiner Sicht gibt es wenig Personen, die noch geeigneter wären, sie nach Deutschland zu bringen.
Je nach Verbindung ins Heimatland wäre sogar der Grundstein für eine Exil-Bewegung gelegt (vgl. Exilkubaner etc.), die sich für eine Weiterentwicklung in AFG einsetzen könnte.
@AoR
Sind denn solche Mißhandlungen denn bereits öfter und in großer Zahl vorgekommen? Die TB haben ja einige Distrikte komplett übernommen. Und gibt es Erfahrung, ob gefährdete Personen in nennenswerter Zahl geflohen sind?
Eine Frage ist ja auch um wiviele Leute es geht. Solche Familien sind teilweise recht gross.
Schwierige Frage. Im Zweifel sollte nach dem Gebot der Humanität entschieden werden, aber eine individuelle Prüfung sollte trotzdem erfolgen. Auch glaube ich nicht, dass jede Hilfskraft, die mal für Geld ein Loch gebuddelt hat, deswegen zum politisch Verfolgten zu werden droht.
@Gandamack’s Bedenken sind nicht unbegründet. In vielen Ländern – selbst vor unserer Haustür, siehe Kosovo – lässt sich beobachten, dass der „Brain Drain“, der durch die liberale Einwanderungspolitik reicher Staaten ermuntert wird, auf Jahrzehnte jegliche Entwicklung zum Besseren abwürgt.
Solche Erwägungen dürfen hier nicht die Hauptsorge darstellen, aber auch nicht in Vergessenheit geraten. Wenn jedes ISAF-Kontingent „seine“ Afghanen mitsamt Anhang mitnimmt, ist das Land schlagartig hunderttausende Menschen ärmer.
Ich schließe mich der Meinung von Reinhold Robbe an und finde das Vorgehen auch beschämend und unwürdig. Aus dem Mittelmeer werden Wohlstandsflüchtlinge aus Afrika gefischt und aufgenommen (wer nicht zur gehobenen Mittelschicht gehört kann sich die Fluchthelfer nicht leisten) und die Afghanen, die für uns vor Ort gute Dienste geleistet haben werden einfach zurückgelassen. Das bürokratische Verfahren ist für mich nichts anderes als zurücklassen.
Armes Deutschland.
Ohne mich in eine Ecke stellen zu wollen. Wäre denn die Übernahme der Leute nicht so etwas wie ein Präzisfall?
[Was Sie mit einem „Präzisfall“ meinen, müssten Sie schon erläutern… T.W.]
@Thomas Melber: In Erinnerung habe ich das Vorgehen DAESHs im Irak, welche sich gezielt die Ortskräfte der USA rausgepickt haben. Da wurde auch exekutiert.
Ihr Ansatz ist interessant, wie lange bräuchte eine Realisierung? Das Stammesrecht könnte helfen, wer vertritt den Verband der ehemaligen Ortskräfte mit Rang und Namen?
Ziel ist, dass weder Taleban noch DAESH Showprozesse abhalten, gegeben eine der Gruppierungen marschiert irgendwo ein. Zudem wer erklärt den ehemaligen Ortskräften, dass deren Schutzrecht nur gilt, wenn sie nicht die Waffen gegen die Milizen erheben?
Und da wären wir fast bei @Gandamack
@RudiS: Könnte es sein, dass Sie da zwei Dinge verwechseln? Denn dass Ortkräfte abenteuerliche und nachweisbar falsche Geschichten vorbringen, beweißt ja nicht, dass für diese Leute keine Gefahr besteht. Es zeigt nur, dass sie einfach eine gewisse Sozialisierung durch gemacht haben, die ihnen rudimentäre Überlebensfähigkeiten in der deutschen Bürokratie vermittelt hat (“ . . . es kommt nicht auf die Gründe sondern die Begründung an . . . „). Die (ex-) Ortskräfte haben eine (vielleicht nicht voll zutreffende) Vorstellung davon, welche Geschichte samt Belegen „richtig“ ist, um die Anerkennung als „gefährdet“ zu erhalten. Das Verhalten hat nichts mit der tatsächlichen Gefährdung zu tun sondern ist ein Versuch, die Bitte um Schutz auf nach den vermuteten deutschen Maßstäben „höflich unbd korrekt“ vorzutragen. Letztlich nur Wiener Hofrats-Ballett auf Afghanisch.
Der Knackpunkt ist und bleibt doch: Sind diese Leute nach unseren Maßstäben und unserem besten Wissen und Gewissen in Gefahr? Wenn Ja, muss man sie auf Wunsch mitnehmen.
Gandamack sagt:
14.05.2021 um 14:32 Uhr
Verzeihung, ich habe Ihre Einlassungen gelesen, kenne weder Sie noch Ihr Alter oder Ihre Biografie.
Aber das was Sie schreiben, ist einfach zynisch und läßt schon Überlegungen zu, wessen „geistes Kind“ dort schreibt.
Als jemand, der viele Jahre seines Lebens dort verbracht hat, habe ich einen anderen Einblick in dieses Land und seine Kultur, als die meisten Menschen hier-und auch mehr, als die meisten Soldaten, die das Feldlager ohnehin selten genug verlassen haben, und recht wenig über Land und Leute erfahren haben.
Die meisten (nicht alle, aber eben mehr als nur ein paar) „Ortskräfte“ haben nicht mit der Bundeswehr und anderen Nationen zusammengearbeitet, weil sie ihr Land „verbessern“ wollten, sondern weil die Militärs überdurchschnittliche Gehälter für selbst niedrigste Dienste (Toilettenreinigung, Müll) zahlten-in einer Region, in der selbst die meisten Menschen MIT einer Berufsausbildung arbeitslos sind.
Hinzu kommt, das viele Ortskräfte eben nicht „loyal“ sind-sondern sehr oft Informationen an die Taliban weitergegeben haben (entweder gegen „Bezahlung“, aus „Idealismus“-oder reinem Pragmatismus,
Was glauben Sie denn, was passiert, wenn wir diese Menschen (egal, ob mit terroristischem Hintergrund-oder „nur“ Verbindungen zu Terrorzellen) nach Deutschland holen?
Das Geld, das diese hier bekommen (Sozialleistungen, Bezüge) fliesst an die Familien daheim, und finanziert den Terror mit.
Ich sage, lasst die Ortskräfte da, wo sie hingehören.
Deutschland hat derzeit schon genug Probleme mit einigen kriminellen Ausländern, wie man gerade auf den Strassen bzgl. der „Anti-Israel-Proteste“ sehen kann..
(Und bevor mir das jemand vorwirft: Nein, ich bin nicht gegen „Ausländer“-aber ich bin gegen den Import von Kriminellen. )
Dass Drohungen der Taliban nicht immer authentisch sind, ist sicherlich richtig und ein Phänomen, dass jedem, der mal im Asylverfahren tätig war, bekannt ist. Das gilt im Übrigen auch für andere Länder.
Gleichwohl würde für diesen Betroffenen Personenkreis, wenn er denn in Deutschland in ein, zwei Jahren illegal auftaucht, mit hoher Wahrscheinlichkeit Schutz erhalten.
Ferner: wenn man bei 2500 Personen, die in Griechenland festsitzen, großzügig ist, dann frage ich mich, warum bei einem vergleichbar grossen Personenkreis, bei dem bei möglichen Verfolgungsgründen ein Bezug zu Deu besteht, man sich kleinkariert gibt.
@Heiko Kamann
Letzteres schon mal gar nicht, dazu geben @Gandamacks Äußerungen nicht den geringsten Anlass; er erklärte vielmehr ausdrücklich und unmissverständlich, warum seine Haltung ist, wie sie ist. Ihr Totschlagargument verfehlt hier sein Ziel.
Es stellt sich die Frage, ob Gandamacks Einwände höher zu gewichten sind als die Sorge um die Sicherheit dieser Menschen. Dass seine Einwände jedoch berechtigt sind, daran gibt es nicht den geringsten Zweifel; die Fülle an Beispielen lässt kaum einen anderen Schluss zu.
Sie müssen nicht weiter blicken als bis ins Kosovo und auf dessen demographischen Notstand. Die Klugen und Starken, überspitzt formuliert, wohnen und arbeiten in Mitteleuropa; die Alten und Abgehängten sitzen daheim. Unter Entscheidungsträgern findet keine Bestenauslese statt, es regieren Inkompetenz und Korruption.
Dem Land fehlen schlichtweg die Leute, die der Staat braucht, um sich zu entwickeln, und die Wirtschaft richtet sich mehr und mehr auf das Geld aus, das die Diaspora in die Heimat sendet, was wiederum die Entwicklung hemmt und den Staat an den Status Quo kettet.
Die afghanischen Hilftskräfte der ISAF-Truppen nun besitzen oft wertvolle Fähigkeiten, ebendarum wurden sie ja angeheuert (z.B. wegen ihrer Zweisprachigkeit). Dass mit dem Fortzug solcher Menschen die Chancen Afghanistans auf eine positive Entwicklung noch weiter geschmälert würden, ist eine Tatsache.
Es kann nicht sein, dass wir Menschen, die wegen ihrer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr wirklich bedroht sind, daran hindern, in Deutschland Schutz zu suchen, sofern sie dies wollen. Aber das ändert nichts an der Tatsache: Helfen wir der Person, so helfen wir nicht dem Land.
Diesbezüglich hat Gandamack absolut Recht.
@TW
@Dante meint sicher „Präzedenzfall“.
@AoR
Für die Gesamtheit der Ortskräfte müßte entweder die Regierung (GIRoA), in erster Linie der Präsident, oder – sofern das religiös zulässig ist bzw. von den TB akzeptiert würde – vielleicht sogar der letzte deutsche Kontingentführer oder sogar das BMVg. Da muß man dann in den sauren Apfel beißen.
Aber noch ist ja nicht sicher, was genau passieren wird, die Ortskräfte werden mglw. nicht vom GIRoA übernommen, so daß sie dann im evtl. folgenden Bürgerkrieg bystander sind – sofern nach den Verhandlungen bzw. Wahlen Konflikte ausbrechen. Die Ortskräfte sind dann in erster Linie Mitglieder ihres Clans oder Stammes.
Positiv für uns ist, daß wir ja nicht oft kinetisch gegen die TB vorgegangen sind im Gegensatz zu anderen Nationen und die TB das auch „sportlich“ sehen können.
@Heiko Kamann
„Aber das was Sie schreiben, ist einfach zynisch und läßt schon Überlegungen zu, wessen „geistes Kind“ dort schreibt.“
Ich habe die Freude, geistiges Kind von Lothar Rühl zu sein, einem der wenigen Realisten, den es in der Sicherheitspolitik dieses Landes in den vergangenen Jahrzehnten gab. Er musste sich in den 1980ern übrigens ähnliche Sprüche anhören, wenn er auf unangenehme Tatsachen hinwies. Die Überbringer schlechter Nachrichten waren noch nie beliebt, vor allem nicht in einem Land, dessen sicherheitspolitische Kultur zu sentimentalem Wunschdenken neigt, und in dem die laut bekundete gute Absicht mehr gilt als die Wirkung im Ziel.
@Zivi a.D. sagt: 14.05.2021 um 18:08 Uhr
„Letztlich nur Wiener Hofrats-Ballett auf Afghanisch.
Der Knackpunkt ist und bleibt doch: Sind diese Leute nach unseren Maßstäben und unserem besten Wissen und Gewissen in Gefahr? Wenn Ja, muss man sie auf Wunsch mitnehmen.“
Zustimmung.
Es ist nicht relevant, ob einige der Antragsteller lügen. Alleine schon das Verfahren an sich birgt den Anreiz für Falschaussagen. Denn ein wirklichen „schlagenden Beweis“ hat man ja erst, wenn der betreffende bereits ermordet wurde.
Hier versucht man von DEU Seite die Mechanismen eines typischen DEU Verwaltungsverfahren auf etwas anzuwenden, wo das nicht passt.
Die Frage ist doch ganz einfach: Wenn wir objektiv von einer Gefahr ausgehen können weil jemand mit DEU Kräften zusammen gearbeitet hat, dann schulden wir ihm Schutz. Und da die Gefahr nachweisbar präsent ist (hier reicht die abstrakte Gefahr, es muss keine manifestierte konkrete Gefahr sein!), ist für mich die Frage ganz einfach.
Wir haben ohne großes Federlesen 100.000e aufgenommen, ohne genaue Kenntnis zu haben, ohne Berücksichtigung von braindrain etc.
Jetzt bei denen, die wir „kennen“ und die unseren Leuten dort aus welchen Gründen auch immer geholfen haben, alles gaaaanz genau und möglichst eng ausgelegt zu prüfen…na prima. Wenn man unbedingt schlechte Publicity auch für andere Einsatzfälle haben will, macht man das unbedingt so.
Dank an Gandamack, RudyS und huey..
Exakt meine Wahrnehmung.
Die gutbezahlte freundliche männliche Putzkraft vom Block hat irgendwann mit Ansagen nach 2015 den Schuh nach D gemacht. „Asyl“ war sein Plan. Nach Frankfurt sollte es gehen. Da gäbe es Sippschaft. Als Näher wollte er dort arbeiten. Und dann ist er eben los. Was das mit Asyl zu tun hat? Egal. Alles irgendwie „Flüchtlinge“.
Der Ladenbesitzer vom Markt schämte sich bei mir, dass ab 2015 das Thema nach dem Gebet in der Moschee nur die Versendung des jugendlichen Nachwuchses nach D war. Als Ankerpunkt/Geldranschaffer/Bildungsaufenthalt. Da sind ganze Strassenzüge losgeschickt worden. Als gewinnbringende Investition. Das waren keine Ärmsten der Armen oder Verfolgte.
„Its a shame. They want to climb the moneytree. This is wrong. You have your country. We have our country. We have to build it up. There is so much work to do….“
Kontakt wurde natürlich mit smartphone gehalten. Die Losgeschickten waren verzückt von Deutschland. Grüne Fussballplätze…. Alkohol…. und was sonst so jeden jungen Mann interessiert….
Ja. Schule haben sie fleißig besucht. Feedback der Jungs positiv.
Und wie das jetzt so ist, sind wir angeblich wohl verantwortlich für den kompletten Clan einer sehr gut bezahlten Hilfskraft im Camp. Oder will hier jemand ernsthaft afghanische Pässe/Familienbücher und Aussagen unter Eid, dass das alles seine Geschwister sind, in Frage stellen?
Gar DNA überprüfen?
Iiiihhhh !Nein!
Jetzt bin ich sicher menschenverachtend und sonst noch alles Schlimme.
Wer meint, dass er so Probleme löst, wird nur mehr produzieren. Aber wir fühlen uns damit dann wenigstens besser.
Ich bin schon ein bisschen überrascht, wie schnell ein deutscher Soldat darauf verweist, dass ja nur der Kanalarbeiter/die Latrinenputzkraft samt Sippschaft das nutzen würde, um sich eine Aufenthaltsberechtigung in Deutschland zu erschleichen, und dabei gerne die Dolmetscher, die ihm in unklaren Situationen erst die Beschaffung von Informationen ermöglicht haben, vor den Bus wirft. Aber hey, so scheint halt der Charakter.
@Brainwarrior
Das ist wahr, und dennoch ein schlechtes Argument. Es erinnert mich an meinen Onkel, der sich den gut gemeinten Rat, mit dem Rauchen aufzuhören, mit der Antwort verbat, sein kettenrauchender Vater sei immerhin 93 Jahre alt geworden. Das eine macht das andere nicht besser oder empfehlenswerter.
@muck sagt: 14.05.2021 um 23:18 Uhr
„Wir haben ohne großes Federlesen 100.000e aufgenommen, ohne genaue Kenntnis zu haben, ohne Berücksichtigung von braindrain etc.
Das ist wahr, und dennoch ein schlechtes Argument. Es erinnert mich an meinen Onkel, der sich den gut gemeinten Rat, mit dem Rauchen aufzuhören, mit der Antwort verbat, sein kettenrauchender Vater sei immerhin 93 Jahre alt geworden. Das eine macht das andere nicht besser oder empfehlenswerter.“
Ja und nein. Das eine ist in der Tat keine Begründung für das andere.
Aber ist sehr wohl eine Begründung dafür nicht mit den falschen Argumenten und mit bürokratischer Kleinlichkeit unsere Verantwortung zu verleugnen, gegenüber einer maximal vierstelligen (und vierstellig inkl. der Familien!) Anzahl von Menschen, die an unserer Seite in AFG es durch ihre Arbeit überhaupt erst ermöglicht haben, dass wir unserem Auftrag nachkommen konnten und teilweise dafür sogar aktiv ihre Leben für uns riskiert haben.
@Koffer
Absolut. Nur glaube ich nicht, dass es bei einer „vierstelligen Anzahl“ bleiben wird. Schreiben wir uns das Gebot der Humanität auf die Fahnen und verlassen den gesetzlich vorgegebenen Weg, der uns zu langsam erscheint, so stellt sich zwangsläufig die Frage, welcher Maßstab stattdessen angelegt werden soll?
Und daraufhin, ebenso zwangsläufig: Warum dieser Maßstab und nicht jener? Warum nur Dolmetscher; warum nicht auch die Hilfskräfte, die im Lager geputzt oder gekocht haben? Und wenn sie, warum nicht auch die Bauarbeiter, die im Auftrag der Bundeswehr Schanzen ausgehoben oder Brücken repariert haben?
Und wäre es nicht Verrat am Gebot der Humanität, nur diesen Menschen ein Angebot zu unterbreiten und nicht auch jenen, die indirekt mit der Bundeswehr zu tun hatten (bspw. afghanische Politiker, Beamte, Soldaten, Polizisten, Dorfälteste) und deswegen bedroht sein könnten?
Zuletzt stellt sich die Frage: Was ist mit den Menschen, die an unsere Alliierten dasselbe Ansinnen richten, aber von ihnen abgewiesen werden, etwa von den Ungarn oder Amerikanern? Zumindest für die unter deutschem Befehl stehenden Kontingente besteht hier ein politischer, vielleicht sogar rechtlicher Anhalt.
Mit anderen Worten, wer der „vierstelligen Anzahl“ die Hand reicht, weist zwangsläufig viele andere ab, die das gewählte Kriterium nicht mehr erfüllen. Dieser Standpunkt erscheint mir aufgrund der Zielsetzung und der Beliebigkeit des Kriteriums moralisch angreifbar, darum wird er kaum zu halten sein.
Im Endeffekt wird mit diesem hehren Angebot die vermutlich ohnehin bevorstehende Massenemigration aus Afghanistan einfach nur vorverlegt.
@Gandamack
Augustinus wäre glaube ich nicht ihrer Meinung wenn der Kampf nicht ausreichend gute Aussichten hat.
Ein Mensch hat nicht nur Verpflichtungen gegenüber seinem Land sondern zuerst gegenüber seiner Familie
@muck
Ihr Argument betreffs nur für Geld ist völlig irrelevant IMHO
@Koffer
+1
und
+1
@muck: Sie haben denke ich durchaus verstanden worum es mir ging, und das ich mit der Gegenüberstellung sicher nicht die Vorgehensweise 2015ff. als besonders gelungen herausstellen wollte.
Nochmal: Wir haben in den letzten Jahren eine 6/7-Stellige Anzahl uns völlig fremder Personen hier ohne größere Prüfung aufgenommen.
Jetzt geht es um eine vierstellige Anzahl, zu denen wir einen direkten Bezug haben, was wohl schwerlich gleichzusetzen ist.
Wir können ja alles gerne ganz genau machen, dann fangen wir aber bitte kurz bevor wir uns zurückziehen und das Land sich selbst überlassen nicht bei denen an, die uns geholfen haben, sondern bei der übrigen großen Masse.
In Anbetracht der Zahlen 2015ff bei der jetzt im Raum stehenden Zahl mit braindrain etc. zu argumentieren, wirkt doch sehr bemüht.
Selbst wenn nur ein Drittel der jetzt in Rede stehenden Personen wirklich mit dem Leben bedroht würde durch die Talib., wollen Sie die Wette eingehen, dass das gut geht, bis alles durch ist, nur um bei der geringen Zahl endlich mal ein „Exempel zu statuieren“ und alles gaaaanz genau zu prüfen?
Die „schlimmen Finger“, hätten vor Ort beim Dienst für uns doch schon genug Gelegenheit gehabt, Deutschen oder anderen westlichen Personen Schaden zuzufügen, warum hätten sie (möglicherweise vergeblich) damit warten und die Wette auf einen möglichen Trip nach D eingehen sollen, um dann hier „loszulegen“?
@CRM-Moderator sagt:14.05.2021 um 22:38 Uhr
Sie erzählen schön verbrämte Binsen und verallgemeinern, Quintessenz: „alle afghanischen Flüchtlinge sind Wirtschaftsflüchtlinge“. Natürlich ist ein Großteil der Flüchtlinge aus wirtschaftlichen Interessen auf dem Weg ins „gelobte Land“, sprich Mitteleuropa, insbesondere Deutschland. Das ist aber kein rein afghanisches Problem, das ist eben auch mit den Flüchtlingen aus Afrika, Syrien oder Irak so. Nicht umsonst gab es 2019 eine freiwillige Rückreisewelle irakischer Flüchtlinge, die sich das Leben in Deutschland ganz anders vorgestellt haben.
Sie vergessen eben die kleinere Gruppe von Flüchtlingen, die aufgrund von Verfolgung und Bedrohung wegen ihrer politischen und/oder religiösen Überzeugung fliehen. Und da gehören eben auch afghanische Ortskräfte mit dazu. Nicht die Küchenhilfs- oder Reinigungskraft, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die Dolmetscher und andere Kräfte, die bei der Informationsbeschaffung behilflich waren. Denen muss man schnell und unbürokratisch einen sicheren Hafen anbieten. Überprüfen kann man immer noch, geschieht mit anderen Flüchtlingen ja auch, wenn sie schon in Deutschland sind.
Im Prinzip ist alles eine Frage der Definition der anspruchsberechtigten Gruppe und des familiären Umfangs. Ein Kriterium hat das BMVg schon genannt, Tätigkeit für die deutschen Kräfte innerhalb der letzten 2 Jahre. Jetzt kann man noch weitere Kriterien definieren, die das präzisieren und festlegen, was mit denen passiert, die nicht anspruchsberechtigt sind (z.B. Abfindung). Dann hätte man handhabbare Entscheidungskriterien und könnte vor Ort schnell und unbürokratisch handeln.
Nichts zu tun und alles abzuwiegeln ist eine ganz schlechte Option und sollte nur in Betracht gezogen werden, wenn Deutschland die nächsten 30 Jahre nicht mehr in den Auslandseinsatz gehen will. Denn, egal wie man sich entscheidet, das spricht sich rum.
@huey sagt: 14.05.2021 um 18:58 Uhr
„Das Geld, das diese hier bekommen (Sozialleistungen, Bezüge) fliesst an die Familien daheim, und finanziert den Terror mit.“
Ganz schlechtes Argument. In fast allen Vorgängerthreads wurde in den Kommentaren festgestellt, das der Terror 2006, spätestens mit der Exekution bin Ladens besiegt war. Also was wollen SIe dort finanzieren?
Außerdem geht das viel einfacher und schneller, man muss nur weiter Millionen in die Entwicklungshilfe pumpen, die in irgendwelchen korrupten, undurchsichtigen Kanälen versickern. Da kommen wenigstens Summen zusammen. Da ist man auf die paar Kröten der deutschen Sozialhilfe zur Finanzierung des Terrors nicht mehr angewiesen.
Ganz kurz und knapp:
Sagt nicht dieser Aufruf schon alles darüber aus, was wir in fast 20 Jahren in dem Land erreicht haben?
@muck sagt: 15.05.2021 um 6:03 Uhr
„Absolut. Nur glaube ich nicht, dass es bei einer „vierstelligen Anzahl“ bleiben wird.“
Da wir über eine abgrenzbare Anzahl von Ortskräfte im dreistelligen oder max niedrigen vierstelligen Bereich sprechen (je nachdem wo man die zeitliche Grenze zieht) und dann die unmittelbare Familie sehr einfach einberechnen können, wissen wir, dass es nicht mehr als eine vierstellige Anzahl sein wird.
„Schreiben wir uns das Gebot der Humanität auf die Fahnen und verlassen den gesetzlich vorgegebenen Weg, der uns zu langsam erscheint, so stellt sich zwangsläufig die Frage, welcher Maßstab stattdessen angelegt werden soll?“
1. Was ist das denn für ein Blödsinn? Niemand spricht hier über Gesetzesbrüche. Das einzige was „verletzt“ werden würde, wäre die gültigen bürokratischen Verfahrensnormen und die kann die DEU Exekutive durch eigene Entscheidung anpassen. Erfolgt täglich.
2. Humanitäre Gründe sind häufig gute und starke Gründe, aber in diesem Fall sprechen wir doch überhaupt nicht von Humanität! Wir sprechen vielmehr über Verantwortlichkeit für unsere Mitarbeiter. Wir sprechen hier über Fürsorge und wir sprechen hier über Vertrauenswürdigkeit in AFG und in allen anderen Einsätzen auf der Welt. Es ist einige Kombination aus Ethik (Verantwortung) und Eigennutz (Vertrauenswürdigkeit). Humanität spielt dabei nur eine geringe Rolle.
@O.Punkt sagt: 15.05.2021 um 9:01 Uhr
„Ganz kurz und knapp: Sagt nicht dieser Aufruf schon alles darüber aus, was wir in fast 20 Jahren in dem Land erreicht haben?“
Natürlich, aber das war doch schon vor mindestens 10 Jahren vorhersehbar. Und in 10 Jahren wieder in Mali, wenn eine neue (alte) Generation von Politikern meint, das man das Rad neu erfinden muß.
Es fehlen schlicht standardisierte Handlungsabläufe und Anweisungen für solche Situationen, gerade im Innen- und Außenministerium. Aber dann müsste man sich ja mit den Einsätzen näher beschäftigen, Ziele festlegen und Ausstiegsszenarien betrachten. Bisher: Fehlanzeige, Zukunftsprognose: ebenfalls Fehlanzeige. Entschluss: weiter rumeiern!
Mal ganz grundsätzlich: Ein jeder hier möge sich fragen, wie er wohl handeln würde, wenn er und seine Kinder in einem Land wie Afghanistan (oder Iran, Libyen, Somalia, Jemen, Guatemala, Haiti,… die Liste ist lang) leben müssten.
Es ist immer einfach, aus der Position der Gnade der Geburt am richtigen Ort heraus Phrasen wie „Die sollen ihr Land verteidigen“ oder „Das sind doch nur Wirtschaftsflüchtlinge“ zu dreschen.
Ich stimme dem Ex-Präsidenten D. Trump eigentlich in keinem einzigen Aspekt zu, aber mit seinem Spruch von einigen „sh** h*** countries“ hatte er Recht. Diese Länder sind strukturell und gesellschaftlich unten und werden wohl immer unten bleiben. Dort ist nichts zu gewinnen für Menschen, die sich und ihren Kindern eine Existenz in Würde und Frieden aufbauen wollen.
Ich bin weit davon entfernt zu fordern, alle sollten kommen dürfen, aber sich hier hinzustellen und den Leuten zu sagen, ihr Wunsch auf „Asyl“ bei uns sei moralisch verwerflich und rechtlich nicht legitim, ist ganz schön dreckig. Wer meint, man könne die Menschen ggf. ja auch mit Waffengewalt von unseren Grenzen abhalten, sollte nicht die Uniform eines deutschen Soldaten tragen.
Konkret zu diesem Fall: Wir sollten schon das Zeichen setzen, dass es sich lohnt, mit uns zusammen zu arbeiten, und man am Ende nicht um sein Leben fürchten muss, so mit Blick auf kommende Einsätze.
@Nils Z. sagt: 15.05.2021 um 12:35 Uhr
Grundsätzlich haben Sie mit Ihrem Kommentar völlig recht. Allerdings machen Sie in meinen Augen einen Fehler, Sie besetzen den Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ negativ.
Klar hat man aus wirtschaftlichen Gründen keinen Anspruch auf politisches Asyl, das ist nun mal den politisch oder religiös Verfolgten vorbehalten. Aber ich halte es durchaus für legitim, sein Glück und eine bessere Zukunft in einem anderen Land zu suchen. Nichts anderes haben Millionen Deutsche im 19. Jahrhundert in den USA gemacht. Und auch die sind auf „Gut Glück“ losgefahren und auch bei denen sind nicht alle durch die Kontrolle auf Ellis Island in New York gekommen.
Geschichte wiederholt sich, nur die Rahmenbedingungen wechseln. Um seinen Horizont in puncto Migration zu erweitern empfehle ich allen Mitkommentatoren und dem Hausherrn einen Besuch im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven, natürlich möglichst ohne Corona-Beschränkungen. Das erweiteret den Horizont und verändert so manchen Blickwinkel.
@all
Ich verstehe ja nicht ganz (oder vielleicht doch…) warum einige jetzt versuchen, das Thema mit einer Debatte über „Wirtschaftsflüchtlinge“ in ihrem Sinne zu drehen. Es geht um die Afghanen, die die deutschen Truppen unterstützt haben. Natürlich kann der deutsche Soldat anschließend sagen, der war doch selber schuld, was habe ich damit zu tun. Finde ich nur äußerst billig.
Und da mich Leser direkt anschreiben und auf das Spannungsfeld von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik abheben: Auf der Flughöhe sind wir noch nicht mal. Wer diejenigen, die ihm in einem feindlichen Umfeld die soldatische Tätigkeit erst ermöglicht haben, auf eine Stufe mit „Wirtschaftsflüchtlingen“ stellt, hat weit unterhalb dieser Schwelle ganz andere Probleme.
Ich bin alt genug, daß ich die Bilder aus Saigon 1975 noch vor Augen habe.
So etwas darf nicht wieder passieren. Meiner Meinung nach haben wir, Hr. Wiegold verzeihen Sie mir bitte die Wortwahl, die verdammte Pflicht die Leute die für uns gearbeitet haben,
mit ihren Familien rauszuholen und Ihnen eine sichere Zukunft zu bieten.
Egal ob die in den letzten 2 Jahren für uns gearbeitet haben, oder ob das schon länger zurück liegt.
Niemand verlässt leichtfertig seine Heimat.