AKK-Antwort auf Brandbrief von Abgeordneten: Für manche Rüstungsprojekte fehlt halt langfristig das Geld

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat nach Kritik aus der eigenen Koalition das Vorgehen verteidigt, bereits im Verteidigungshaushalt für dieses Jahr eingestellte Rüstungsbeschaffungen wieder zur Disposition zu stellen. Bei der Finanzplanung für größere Vorhaben müsse auch berücksichtigt werden, ob nicht nur in diesem und im kommenden Jahr, sondern auch in den Folgejahren das nötige Geld zur Verfügung stehe, schrieb die Ministerin zwei Haushalts- und zwei Verteidigungspolitiker:innen aus Union und SPD. Diese Position, betonte Kramp-Karrenbauer, sei mit dem Bundesfinanzministerium abgestimmt.

Vor einer Woche hatten sich die haushalts- und verteidigungspolitischen Sprecher von Union und SPD die Planung die Ministerin für die Bundeswehrbeschaffungen noch in diesem Jahr gewandt. Vor allem die Vorhaben zur Disposition zu stellen, die bereits im Haushalt 2021 festgelegt seien, müsse Kramp-Karrenbauer erläutern, forderten die CDU-Abgeordneten Eckhardt Rehberg (Haushalt) und Henning Otte (Verteidigung) und die SPD-Parlamentarier Dennis Rohde (Haushalt) und Siemtje Möller (Verteidigung). Ultimativ verlangten sie von der Ministerin eine detaillierte Erklärung bis zum (gestrigen) 28. Mai.

Die Antwort Kramp-Karrenbauers schickte das Ministerium am späten gestrigen Freitagabend ab; aus dem Schreiben:

Für Ihr gemeinsames Schreiben vom 21. Mai 2021 bedanke ich mich. Ich danke Ihnen besonders für Ihre Unterstützung der Bundeswehr im Parlament. Die bestmögliche Ausstattung unserer Soldatinnen und Soldaten ist unser gemeinsames Anliegen.
Ich habe im Verteidigungsausschuss, im Haushaltsausschuss und öffentlich deutlich gemacht, dass für mich das Prinzip gilt, dass kleine und mittlere Projekte, die häufig direkt der Truppe zugutekommen, im Haushalt nicht durch Großprojekte verdrängt werden dürfen. Dieser Fehler der Vergangenheit darf sich im Interesse der Soldatinnen und Soldaten nicht wiederholen. Ich bin froh, dass diese Position durch die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss und im Haushaltsausschuss Zustimmung erfahren hat.
Bereits zu Beginn des Jahres 2021 zeigte das BMVg dem Parlament auf, welche
25 Mio. Euro-Vorlagen in dieser Legislaturperiode möglicherweise noch beraten werden können, abhängig von den jeweiligen Verhandlungsständen der Projekte.
Meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es gelungen, zu einer Vielzahl an auch hochkomplexen und internationalen Vorhaben unterschriftsreife Verträge zu verhandeln und die erforderlichen Beiträge zu den 25 Mio. Euro-Vorlagen zu fertigen.
Natürlich bemisst sich die Finanzierbarkeit überjähriger Vorhaben aus dem laufenden Haushalt zunächst nach ihrer Veranschlagung im Haushalt 2021 und im Finanzplan bis 2024. Im Sinne verantwortlicher und nachhaltiger Politik und unter Wahrung des Prinzips, kleine und mittlere Projekte nicht einfach zu verdrängen, sind aber auch der Regierungsentwurf des Haushalts 2022 und der Finanzplan bis 2025 zu berücksichtigen. Der Eckwertebeschluss der Bundesregierung vom 24. März 2021 hat hierfür die maßgeblichen Rahmenbedingungen gesetzt. Für den Verteidigungshaushalt folgte daraus, neben einer Plafondsteigerung im Jahr 2022, im Finanzplan bis 2025 im Wesentlichen nur eine Fortschreibung des aktuellen Plafonds. Die für das BMVg aktuell absehbaren Konsequenzen, auf bereits im laufenden Haushalt veranschlagte Vorhaben, möchte ich Ihnen nachstehend im Einzelnen darlegen.
Der Verteidigungshaushalt steigt gemäß Eckwertebeschluss der Bundesregierung vom 24. März 2021 von 46,9 Mrd. Euro im laufenden Jahr auf 49,3 Mrd. Euro im Jahr 2022. Anschließend reduziert er sich von 46,3 Mrd. Euro im Jahr 2023 auf 46,2 Mrd. Euro im Jahr 2024 und auf nur noch 45,7 Mrd. Euro im Jahr 2025. (…)
Die Betriebsausgaben (Personal, Versorgung, Materialerhaltung, Betreiberverträge, Militärische Anlagen etc.) steigen u. a. inflationsbedingt regelmäßig (Ist-Mittelwert 2014 bis 2020: rd. 1,4 Mrd. Euro p. a.). … Wenn sich die steigenden Kosten für Personal, Versorgung, Materialerhalt, Betreiberverträge, Militärische Anlagen etc. nicht in einem entsprechend steigenden Plafond widerspiegeln, verbleiben nur zwei Möglichkeiten des Handelns: Entweder wären diese Mittel zu kürzen – mit unmittelbaren Folgen für die Truppe – oder die disponiblen Ausgaben wären zu reduzieren. Dies sind im Wesentlichen die rüstungsinvestiven Ausgaben. Dazu zählen aus hiesiger Sicht, neben dem Kapitel 1404, nahezu das vollständige Kapitel 1405 sowie einzelne Titel des Kapitels 1401.
Im laufenden Haushalt liegen die ausplanbaren rüstungsinvestiven Ausgaben bei
10,3 Mrd. Euro. Laut aktueller Haushaltsanmeldung steigt dieser Wert im Haushalt 2022 auf ausplanbare 10,8 Mrd. Euro. Sie sinken dann auf Basis der bisher erfolgten Anmeldung des BMVg auf 6,6 Mrd. Euro im Jahr 2025 (-4,2 Mrd. Euro im Vergleich zum Jahr 2022). In der Bundesregierung besteht Einigkeit darüber, dass es bestimmte Großvorhaben gibt, die von einer besonderen Bedeutung sind.
Laut Eckwertebeschluss handelt es sich dabei um folgende Vorhaben: „Dies gilt insbesondere für Vorhaben im Rahmen der deutsch-französischen und deutsch-norwegischen Rüstungskooperationen, die Schließung der Fähigkeitslücke zur luftgestützten, signalerfassenden Aufklärung (PEGASUS), die Nachfolge des Kampfflugzeugs TORNADO, den Ersatz der veralteten Flottendienstboote, die Beschaffung von Luftfahrzeugen zur U-Boot-Abwehr sowie eines Taktischen Luftverteidigungssystems.“
Wir führen derzeit mit dem BMF konstruktive Gespräche. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit dem Regierungsentwurf zum Haushalt 2022 und dem neuen Finanzplan den Weg für die im Eckwertebeschluss genannten Rüstungsvorhaben gemeinsam mit dem BMF freimachen können.
Für die anderen Rüstungsinvestitionen wurde durch das BMVg, in Abstimmung mit der militärischen Führung, nachdem zunächst die im Eckwertebeschluss 2022 aufgeführten Vorhaben, als im Einzelplan 14 nicht finanziell hinterlegt, „vor die Klammer“ gezogen wurden, folgendes Priorisierungsrational angewandt:
a) maximal mögliche Aufrechterhaltung der mit dem Haushalt 2021 beabsichtigten Vorhaben,
b) Fähigkeitserhalt vor Fähigkeitsaufwuchs, Modernisierung und Neumaßnahmen,
c) klein- und mittelvolumige Vorhaben (< 25 Mio. Euro) vor Großvorhaben,
d) Digitalisierung sowie Führung und Unterstützung vor Wirkung und Aufklärung,
e) Beschaffung vor Entwicklung.
Die Abbildung der steigenden Betriebsausgaben gewährleistet grundsätzlich hinreichende Dotierungen der betroffenen Titel in den Bereichen Personal und Versorgung, Materialerhaltung, Administrative IT, Bekleidung, internationale Einsätze, Betreiberlösungen und Infrastruktur. Aber auch hier ist bereits ein Realisieren aller angestrebten Ziele, z. B. bei der Infrastruktur oder der Digitalisierung, aus Plafondgründen nicht möglich.
Das angewandte Priorisierungsrational stellt aus Sicht des BMVg, unter den gegebenen negativen Rahmenbedingungen, diejenige Handlungsalternative mit dem bestmöglichen Ergebnis für den Weg zur Erreichung der nationalen Ambition dar.
Der in der Truppe dabei erreichbare flächendeckend spürbare Nutzen klein- und mittelvolumiger Vorhaben, u. a. des Fähigkeitserhalts, wurde dabei höher gewertet als die Umsetzung einzelner Großvorhaben. (…)
Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass alle, sich aus dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ableitenden Projekte, notwendig sind und dass es wünschenswert wäre, alle diese Projekte umzusetzen. Wenn sich das aber erkennbar in den Finanzlinien nicht abbildet, muss das BMVg eine Priorisierung auf der Grundlage sorgfältiger Abwägungen vornehmen. In vielen Beratungen der letzten Monate habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass dies eine schwierige Situation wird, in der die Bundesregierung ihre entsprechende Verantwortung wahrnimmt.
Dieses Schreiben ist mit dem Bundesministerium der Finanzen abgestimmt.

Ob sich die Parlamentarier damit zufriedengeben werden, bleibt abzuwarten – insbesondere, ob sie von dem den Brief beigefügten Anlagen, in denen unter anderem einzelne Projekte und deren Finanzierung oder auch die Verschiebung der Finanzmittel in andere Vorhaben erläutert werden, überzeugt werden.

Nicht zuletzt werden sie die Antwort Kramp-Karrenbauers vor dem Hintergrund sehen, dass im vergangenen Jahr mehrere Großvorhaben angestoßen wurden, die auf Jahre Haushaltsmittel binden – also eigentlich genau das passiert ist, was die Ministerin jetzt als Grund dafür heranzieht, bestimmte Projekte nicht weiter zu verfolgen. Zugleich setzt sich aber mit den vom Bundeskabinett insgesamt festgezurrten Projekten dieser Trend prinzipiell fort.

Vor allem aber kommen Ministerium und Bundeswehr aus der Falle der steigenden Betriebskosten nicht heraus: Die bewegen sich, so ist aus einer der Anlagen zum Schreiben ersichtlich, auch mit den jetzt gültigen Haushalts-Eckwerten trotz fallender Finanzlinie insgesamt mit steigender Tendenz auf die 40 Milliarden Euro pro Jahr zu.

Eine Detailbetrachtung der 15 Vorhaben, für die laut Ministerium die Finanzierung nicht gesichert ist, an dieser Stelle erst einmal nicht – obwohl da auch ein genauerer Blick lohnt: So ist zum Beispiel inzwischen das Entwicklungsprojekt Joint Fire Support Team auf dem Transportpanzer Boxer  gesichert, weil durch eine Umpriorisierung innerhalb des Einzelplans 14 dafür Geld frei wurde. Allerdings ging nach Informationen von Augen geradeaus! diese Umpriorisierung zu Lasten eines bereits weitgehend fertigen Munitionsprojekts, der Suchzündermunition Artillerie (SMArt) – nicht direkt verständlich angesichts des erklärten Grundsatzes Beschaffung vor Entwicklung und der immer wieder beklagten Defizite bei der Munition.

(Wird ggf. ergänzt)

(Archvbild: Eine Global6000 der Luftwaffe, noch auf dem Berliner Flughafen Tegel – Flugzeuge dieses Typs sind für das neue Aufklärungssystem PEGASUS vorgesehen; bislang ist allerdings nur die Finanzierung der Flugzeuge und nicht die des Gesamtsystems gesichert)