Weiter neue Namen für Bundeswehr-Standorte: Marine verabschiedet sich von Tirpitz und Scheer (Nachtrag: Marine-Mitteilung)
Die Umbenennungen von Kasernen und Liegenschaften der Bundeswehr in der Folge des neuen Traditionerlasses von 2018 gehen weiter: Die Marine wird sich in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel vom kaiserlichen Großadmiral Alfred von Tirpitz als Namensgeber für den Marinehafen verabschieden. Auch die Benennung einer Mole im bisherigen Tirpitzhafen nach Admiral Reinhard Scheer, dem deutschen Kommandeur in der Skagerrakschlacht, soll aufgegeben werden.
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte am (heutigen) Dienstag einen entsprechenden Bericht der Kieler Nachrichten (Link aus bekannten Gründen nicht). Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer habe auf Antrag des früheren Marineinspekteurs Andreas Krause entschieden, auf Tirpitz und Scheer als Namensgeber zu verzichten. Die Stadt Kiel und das Land Schleswig-Holstein hätten dieser Absicht, die auch von den Angehörigen des Standorts unterstützt werde, bereits zugestimmt.
Eine formale Umbenennung ist für den Sommer vorgesehen, wenn das Segelschulschiff Gorch Fock nach mehrjähriger Instandsetzung wieder in seinen Heimathafen zurückkehren soll. Als neuer Name ist bislang nur für den Stützpunkt an der Kieler Förde insgesamt die Bezeichnung Marinestützpunkt Kiel-Wik offiziell bestätigt. Nach einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur vom Februar ist für die bisherige Tirpitzmole der Name Brandtauchermole vorgesehen, nach dem ersten deutschen U-Boot. Die derzeitige Scheer-Mole soll nach dem U-Boot-Kommandanten Oskar Kusch benannt werden, der als Wehrmachtsoffizier wegen kritischer Äußerungen über das Nazi-Regime hingerichtet wurde.
Die Umbenennungen in Kiel sind nur einige einer Reihe von neuen Kasernennamen, mit denen problematische Namensgeber aus der deutschen Geschichte nicht mehr als Sinnbild für die Bundeswehr stehen sollen. So hatte Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz Ende März angekündigt, die Unteroffizierschule der Luftwaffe künftig nach dem Lufthansa- und Starfighter-Piloten Jürgen Schumann statt wie bisher nach einem Jagdflieger der Wehrmacht zu benennen. Bereits im vergangenen Jahr hatte eine Kaserne in Rotenburg an der Wümme den Namen eines Offiziers der Befreiungskriege an Stelle des Namens eines anderen Wehrmachtspiloten erhalten.
Eine andere Kaserne in Schleswig-Holstein soll demnächst nach einem Wehrmachtsoffizier benannt werden – allerdings nach einem Oberst, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv am Aufbau der Bundeswehr beteiligte. Das Aufklärungsbataillon 6 Holstein in Eutin soll künftig in der Oberst-Hermann-Kaserne unterkommen, dem ersten Kommandeur dieses Bataillons in den neu aufgestellten Streitkräften der Bundesrepublik. Der bisherige Namensgeber Oberst Karl von Rettberg war nach jüngerer Forschung an deutschen Kriegsverbrechen im ersten Weltkrieg in der belgischen Stadt Löwen beteiligt.
Nachtrag 21. April: Die Mitteilung der Marine dazu:
Die Tradition der Deutschen Marine steht auf dem Boden des Grundgesetzes und ist fester Bestandteil der Inneren Führung der Bundeswehr. Mit der Neufassung des Traditionserlasses wurde bereits 2017 festgelegt, dass der Kern unseres Traditionsverständnisses künftig in unserer eigenen, über 60-jährigen Geschichte, der freiheitlich, demokratischen Grundordnung sowie im Widerstand gegen Diktaturen und Gewaltherrschaft liegt. Der Rückgriff auf andere deutsche Streitkräfte ist damit zwar weiterhin ein Teil unserer Geschichte, aber nicht mehr das bestimmende Element unserer Traditionspflege.
Infolgedessen hat der Inspekteur der Marine angewiesen, alle bestehenden Namen von Kasernen sowie weiteren Infrastrukturelementen auf ihre Traditionswürdigkeit im Sinne des Traditionserlasses hin zu überprüfen und da wo notwendig, eine Umbenennung zu veranlassen.
Für den Marinestützpunkt Kiel – Tirpitzhafen sind die dort stationierten Soldatinnen und Soldaten der Marine in Übereinstimmung mit dem neuen Erlass zu der Überzeugung gelangt, dass insbesondere die Namen Tirpitz und Scheer nicht mehr zeitgemäß und traditions- beziehungsweise identitätsstiftend sind. Als Name wurde daher die Bezeichnung „Marinestützpunkt Kiel-Wik“ vorgeschlagen. Mit der zukünftigen Benennung des Stützpunktes nach dem Stadtteil, in dem die Marine seit ihrer Gründung präsent und ein integraler Bestandteil ist, wird die enge Verbindung zwischen der Stadt Kiel und der Marine zum Ausdruck gebracht werden. Aber auch die über 150-jährige Geschichte des Stützpunktes selbst und die daraus erwachsene gegenseitige Bedeutung für die Entwicklung der Stadt Kiel und der Marine klingt in diesem Namen an.
Die Tirpitzmole wird in Gorch-Fock-Mole umbenannt werden, um auf den langjährigen angestammten Liegeplatz unseres Segelschulschiffes, welches gleichermaßen Symbol für die Marine und ein Wahrzeichen der Stadt Kiel ist, zu verweisen.
Die Scheermole wird zukünftig nach Oskar Kusch benannt werden, der als Oberleutnant zur See der Kriegsmarine wegen regimekritischer Äußerungen 1944 auf dem Schießplatz in Kiel-Holtenau hingerichtet wurde und dem dort mit der Oskar-Kusch-Straße bereits ehrendes Gedenken durch die Stadt Kiel zu Teil wird.
Mit diesen neuen Namen zeigt die Marine, dass sie sich weder der Geschichte noch ihrem Erbe verweigert, aber auch gewillt ist, mit der Zeit zu gehen und eine eigenständige Interpretation von Traditions- und Erinnerungswürdigkeit zu etablieren.
(Vorsorglicher Hinweis: Nein, die Debatte, ob es sich bei den Vorkommnissen in Löwen um Kriegsverbrechen handelt, führen wir an dieser Stelle nicht.)
(Archivbild: Blick auf das Segelschulschiff Gorch Fock an der Tirpitzmole beim „Open Ship“ während der Kieler Woche am 22.06.2014 – Christian O. Bruch/Bundeswehr)
@ Koffer
@ all
wenn Sie ein „Problem“ sehen – dann nenne ich ihnen einen Namen aus der Bundeswehr – OStFw Werner Glose
wenn auch zivil zu Tode gekommen
@ Jas
Was das rechte Auge betrifft, so bin ich da ganz bei Ihnen, ebenso bei bei der Umbenennung von Personen im Kontext hochproblematischer Ereignisse (beispielsweise wie von@T.W: beschrieben v. Rettberg und Löwen). Ich find aber auch, dass es einige (Traditions-)Namen durchaus wert wären, mit einer jeweiligen Kontextualisierung (weiter-)genutzt zu werden – auch so kann man das Vergessen verhindern und Lehren für die heutige Zeit greifbar machen.
Was mich tatsächlich im Zuge dieses Themas stört, sind die Pressemeldungen, in denen behauptet wird, die vor Ort stationierten Soldaten hätten sich beraten und wären zu dem Schluss gekommen, dass… – klingt immer ein wenig nach Soldatenräte. Das Problem dabei ist: Betrachtet man dieses wording z.B. am Beispiel der Schule für Feldjäger etc. in Hannover, so gibt es durchaus Stimmen, nach welchen dem Schulkommandeur eine Umbenennung wohl seitens Berlin wohl eher dringlichst ans Herz gelegt wurde (sagen zumindest mir persönlich bekannte Dienstgrade aus Hannover). Wie dürfen wir das denn verstehen?
Zudem neigt man scheinbar dazu, historisch eher unverfängliche Personen auszuwählen: Widerstandskämpfer gehen immer (was allerdings gut und im Sinne des Traditionserlasses auch nachvollziehbar ist), Opfer des NS (so wie Oskar Kusch) auch und ansonsten wird es eben ein Schriftsteller (Gorch Fock) oder ein regional verwurzelter, unbekannter Offizier aus den Befreiungskriegen – wobei man ja dankbar sein muss, dass sich gerade das Heer endlich zu dieser Traditionslinie bekennt.
Um es nochmal anzuführen: Ich bin daher echt erstaunt, dass die Lw fest zu rein militärischen Personen wie Boelcke und Richthofen steht, da sie so gänzlich aus dieser Reihe zu fallen scheinen (zumal es noch viele andere Flieger gibt, welche prinzipiell zur Verfügung stünden, siehe Werner Voß). Wobei – woher soll die jüngste TSK auch ihren Bezug nehmen, wurde sie doch erst im 1.WK gegründet…
@ Koffer
Ok, point taken – ich hatte den Bezug zur Lw und deren Traditionsnamen nicht gut genug beschrieben (und es passt nach längerem Überlegen auch nicht auf diesen Sachverhalt bei der Marine). Danke für den Denkanstoß.
Bei aller Liebe für Traditionen mancher Foristen.
Stellen Sie sich doch einmal die Frage, weshalb unsere Schiffe oder Klassen heute eben nicht mehr nach Personen benannt sind?
Weil es unnötig ist.
Es gibt genug Bundesländer, Regionen und Städte, nach denen man ein Schiff bezeichnen kann und somit einen neutralen, aber trotzdem starken Heimatbezug schafft.
Warum sollte man dann die Liegenschaften nach Personen benennen, die mit der heutigen BRD nichts mehr zu tun haben?
Das macht logisch betrachtet, keinen Sinn mehr.
@Matthias Hake sagt: 21.04.2021 um 16:04 Uhr
„@ Koffer
wenn Sie ein „Problem“ sehen – dann nenne ich ihnen einen Namen aus der Bundeswehr – OStFw Werner Glose
wenn auch zivil zu Tode gekommen“
Wollen wir jetzt alle denkbaren Personen durchgehen? Ich habe bereits zu ihrem letzten Vorschlag Stellung genommen. Zum neuen, würde ich ablehnend votieren der militärische Bezug ist zu dünne um eine Kasernenbenennung zu rechtfertigen. Ein jährlich vergebener Wettkampfpreis im Freifallspringen erschiene mir da z.B. besser.
@Voodoo sagt: 21.04.2021 um 16:06 Uhr
„Was mich tatsächlich im Zuge dieses Themas stört, sind die Pressemeldungen, in denen behauptet wird, die vor Ort stationierten Soldaten hätten sich beraten und wären zu dem Schluss gekommen, dass… – klingt immer ein wenig nach Soldatenräte.“
Ja, das stößt mir auch regelmäßig bitter auf :(
Das Problem ist, die Zustimmung und das aktive Handeln der Truppe vor Ort ist Voraussetzung für eine Benennung. Das sieht der Erlass schon seit Jahrzehnten so vor. Das atmet den Geist der Mitbestimmung und der Traditionspflege von unten.
Aber wenn dann mal ganz deutliche Stellungnahmen von der Truppe erfolgen und zwar bis auf die Ebene der Landser hinunter wie in Rotenburg (Wümme) und diese sind nicht genehm, dann werden die schlicht ignoriert. Oder und das ist auch mein Eindruck und ich folge hier Ihrem Eindruck, man übt sanften Druck aus um entsprechende Ergebnisse zu bekommen.
Aber egal, im vorliegenden Fall kann ich mir tatsächlich vorstellen, dass das „sauber“ gelaufen ist, denn ich habe von meinen Marinekameraden jetzt nicht den Eindruck gewonnen, dass vor allem Tirpitz da besonders respektiert wird…
@Der Realist sagt: 21.04.2021 um 16:20 Uhr
„Warum sollte man dann die Liegenschaften nach Personen benennen, die mit der heutigen BRD nichts mehr zu tun haben?“
Weil es durch die ausreichend große Teile der Truppe so gewünscht ist.
„Das macht logisch betrachtet, keinen Sinn mehr.“
Tradition und Soldatentum haben viel mit Gefühlen zu tun und sind nicht immer mit kalter Logik zu begründen.
@ T.W.
Ich entnahm dies einer Meldung Ihrer Kollegen vom NDR:
„Aus dem Marinestützpunkt Kiel-Tirpitzhafen wird der Marinestützpunkt Kiel-Wik: […] Hintergrund ist der sogenannte Traditionserlass, wonach Namen von Militärs aus dem Ersten Weltkrieg künftig nicht mehr als Teil der Tradition der Bundeswehr gewürdigt werden sollen. Dazu gehört auch Großadmiral Alfred von Tirpitz.“
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Traditionserlass-Neuer-Name-fuer-Kieler-Marinestuetzpunkt-steht-fest,marine1258.html
[Dann ist Ihr Ansprechpartner der NDR-Redakteur, der behauptet: „Hintergrund ist der sogenannte Traditionserlass, wonach Namen von Militärs aus dem Ersten Weltkrieg künftig nicht mehr als Teil der Tradition der Bundeswehr gewürdigt werden sollen.“ Nicht dieses Blog. Danke. T.W.]
@J10 sagt:
21.04.2021 um 15:09 Uhr
„Dazu sollte man aber Geschichte auch richtig lesen und interpretieren. Sherman = Totaler Krieg ist Unsinn. Verunglimpfung des Unionsgenerals oder Verharmlosung des „totalen“ Kriegsbildes des 20. Jh.. Wenn Sie da mal nicht der Geschichtsklitterung der „Daughters of the Confederacy“ aufgesessen sind…“
Ich glaube wir schweifen vom Thema ab, wenn wir uns an Sherman festhalten. Es gibt ausreichend Historiker, die Sherman sehr kritisch sehen (links sind hier nicht erleubt), ohne die Südstaaten zu verherrlichen. Auch läßt sich die Formel Norden – gegen Sklaverei, Süden – für Sklaverei nicht ganz so einfach anwenden.. Aber das ist jetzt echt OT.
„Danke, dass Sie meine Argumente „gewuerdigt“ haben, aber Bewertungen und Folgerungen passen in Ihrer Replik nicht zusammen.“
Hier geht unsere Bewertun deutlich auseinander. Traditionswürdig muss nicht nur auf den Widerstand gegen ein Regime reduziert werden, sondern kann mMn durchaus darauf begründet sein, militärisch – denn das ist ja das Handwerk, um welches es geht – herausragendes geleistet zu habe. Selbstverständlich muss das in den Gesamtzusammenhang der Person und (!) der Zeit eingeordnet werden. Ich verweise hier einmal auf einen Post weiter oben, der sehr deutlich machte, dass in der Außenwerbung der Bundeswehr das tatsächliche Handwerk des Kriegers keinen Platz findet, dies aber das wesentliche Element des Soldatenberufes ist. Krankenhäuser, IT-Betriebe, Logistikunternehmen etc. gibt es in der Wirtschaft. Dafür braucht man die Bundeswehr eigentlich nicht. Doch diese Elemente in den Streitkräften dienen nur einem Zweck: es der kämpfenden Truppe zu ermöglichen, ihren Auftrag erfolgreich auszuführen.
Und hier sehe ich sehr deutlich die Notwendigkeit einer Tradition und dem – durchaus kritisch betrachtetem – Überliefern von Personen als Vorbild und deren Funktion.
@ Koffer
„Tradition und Soldatentum haben viel mit Gefühlen zu tun und sind nicht immer mit kalter Logik zu begründen.“
Natürlich, aber kalte Logik hilft manchmal, Personen oder Dinge im Nachhinein nicht zu verklären.
Traditionen sollen ja auch Vorbild sein, aber ehrlich gesagt, fällt mir das bei manchen Namen schwer.
Und falls es wirklich Namen und nicht Orte sein müssen, gibt es doch genug Personen in der Bundeswehr, die man ehren kann.
@Der Realist Die Bundeswehr hat sehr wohl mit den vorigen Armeen etwas zu tun. Für die Gründung wurde hauptsächlich „altes“ Personal gebraucht. Dazu gibt es auch einen passenden Spruch des damaligen Bundeskanzlers Adenauer.
Und von der Umbenennung von Straßen halte ich genauso wenig. Das alles ist feige Flucht vor der eigenen Vergangenheit. Man sollte einfach dazu stehen. Andere waren auch nicht besser.
Es ging mir in meinem Kommentar eher darum zu zeigen dass man einem Soldaten per Befehl eben vorschreiben kann was er als Vergangenheit anzusehen hat. Ich bin froh kein Soldat zu sein / sein zu müssen.
In Zeiten, in denen selbst Zitate in der Unterrichtsmappe Taktik ohne den Urheber („Klotzen, nicht kleckern“) genannt werden, damit niemand auf die Idee kommt, sich (gerne neudeutsch „kritisch“) mit dem Wirken von Guderian auseinanderzusetzen, sollte man im Falle der umzubenennenden Jürgen-Schumann-Kaserne vielleicht noch die nächste BT-Wahl abwarten. Falls es doch zu GRR reichen sollte, wird dieser Name bestimmt noch einmal ebenso kritisch zu betrachten sein, denn ein erklecklicher Teil der genannten Klientel hat(te) erheblich mehr Sympathien für die Sache seine Mörder_innen.
Wenn man der Logik der Marine folgen würde, dann wird Hindenburg bald nicht mehr mit Kasernennamen in Verbindung zu bringen sein.
Mal schauen, ob und wann der Inspekteur des Heeres aus der Deckung kommt.
Es bleibt spannend.
Ich denke, es reicht. Einige fühlen sich hier aufgerufen, den Freudeskreis der Kriegsverbrecher auszurufen oder ansonsten rechte braune Soße hier auszukippen. Das muss ich nicht mitmachen, eine sachliche Debatte über das Thema scheint von einer bestimmten Klientel nicht gewollt. Die brauchen nicht noch einen Stammtisch zusätzlich. Ich mache die Kommentare zu.