Planung für die Luftverteidigung: Schwerpunkt Drohnenabwehr, Entscheidung über TLVS ‚derzeit nicht im Fokus‘

Die Bundeswehr will ihre bodengebundene Luftverteidigung in den nächsten Jahren auf die Drohnenabwehr konzentrieren. Für die Abwehr vor allem von Raketen soll bis 2030 das bereits genutzte Flugabwehrsystem Patriot genutzt und modernisiert werden. Eine Entscheidung über das neue Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) wird erst einmal verschoben – vor allem angesichts der Milliardenkosten.

Das Verteidigungsministerium legte den Fachpolitikern des Bundestags am (heutigen) Dienstag einen fachlichen Vorschlag bodengebundene Luftverteidigung zusammen mit einer Entscheidungsmatrix vor, den Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im vergangenen Jahr angekündigt hatte. Dabei geht es nicht zuletzt darum, die Flugabwehr auf den verschiedenen Ebenen – von der Abwehr von Drohnen im Nahbereich der Truppe durch mobile Systeme bis zum Abfangen von Raketen – als Gesamtsystem zu betrachten.

Wesentlicher Punkt für neue Überlegungen zur bodengebunden Luftverteidigung ist der Konflikt zwischen Aserbeidschan und Armenien um die Region Berg-Karabach im vergangenen Jahr: Vor allem Aserbeidschan hatte dabei durch den Einsatz unbemannter Systeme, von der Beobachtungsdrohne bis zur Kamikaze-Drohne als fliegende Munition, auf dem Gefechtsfeld die Oberhand bekommen. Zugleich kommen technisch neue Bedrohungen wie Hyperschall-Flugkörper hinzu.

Im Ergebnis sind die Abfangschichten der Luftverteidigung (Raketen-, Flug- und Drohnenabwehr) zu einem effektiven Gesamtsystem zu verschmelzen. Ziel muss der bruchfreie Erhalt und die schrittweise Modernisierung des Gesamtsystems bodengebundener Luftverteidigung sein. Mit Blick auf die aktuellen Fähigkeiten der Bundeswehr bedürfen die Raketen- und Flugabwehr besonderer Aufmerksamkeit, heißt es in dem Papier des Ministeriums.

Im Wesentlichen schlagen die Planer des Wehrressorts drei Schritte vor, die allerdings sowohl vom Finanzbedarf als auch vom nötigen Personal für die Streitkräfte nicht einfach zu verwirklichen sind:

• Das vorhandene Flugabwehrsystem Patriot soll ab 2023 modernisiert werden und für die Abwehr von Flugzeugen (so genannten air breathing targets) wie auch Raketen bis 2030 genutzt werden. Die dafür nötige Technik ist nach Angaben des Ministeriums marktverfügbar; die Kosten werden mit rund 600 Millionen Euro beziffert. Zusätzliches Personal über das der bereits eingesetzten Patriot-Batterien hinaus ist nicht nötig.

• Möglichst schnell sollen Systeme zur Abwehr von Drohnen unterschiedlicher Größe beschafft werden – von den (zum Teil nichtmilitärischen, aber militärisch genutzten) Kleindrohnen bis zu großen Aufklärungs- und Kampfdrohnen. Zwar gebe es bereits erste Schritte wie Störsender oder die für die NATO-Speerspitze 2023 geplanten kleineren Abwehrsysteme, das wird zukünftig jedoch nicht ausreichen.

Deshalb sollen bis spätestens 2026 neue Fähigkeiten in der mobilen Flug- und Drohnenabwehr mit der Erstbefähigung des Luftverteidigungssystems für den Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS) aufgebaut werden. Bislang gibt es für diesen Einsatzzweck nur das veraltete leichte Flugabwehrsystem Ozelot (Foto oben). Hier bestehe eine akute Fähigkeitslücke, stellen die Planer im Ministerium fest.

Diese Lücke soll mit höchster Priorität zunächst durch marktverfügbare Systeme geschlossen werden. Unter anderem ist dafür das Lenkflugkörpersystem IRIS-T SLM/SLS vorgesehen, das bis Mitte 2025 einsatzbereit sein soll. Allerdings: für das Luftverteidigungssystems für den Nah- und Nächstbereichsschutz sind nicht nur 500 zusätzliche Dienstposten nötig, die die Luftwaffe stellen soll – sondern auch rund 1,3 Milliarden Euro ab dem kommenden Jahr, die im Haushalt bisher nicht hinterlegt sind.

Noch umfangreicher und teurer werden die weiteren Ausbauschritte des Abwehrsystems, unter anderem der Ersatz des stationären, weil auf eine Betonplatte montierten Systems Mantis durch eine mobile Drohnenabwehr: Für diesen umfassenden Schutz gegen Drohnen, aber auch Flugzeuge mit herkömmlicher Technik wie Maschinenkanonen und neuer Technik wie Lasern werden nicht nur bis zu vier Milliarden Euro, sondern auch rund 1.500 zusätzliche Stellen benötigt.

• Das noch einmal erheblich teurere Taktische Luftverteidigungssystem ist dagegen planerisch nachrangig gegenüber dem Nah- und Nächstbereichsschutz und derzeit nicht im Fokus – eine recht deutliche Art zu sagen, dass dafür absehbar das Geld nicht vorhanden ist, aber auch der Bedarf weniger dringend ist als eine effiziente Drohnenabwehr: Eine Realisierung von TLVS unter den aktuellen Ansätzen des Einzelplans 14 ist insbesondere aufgrund des hohen Finanzbedarfs von rund 13 Mrd. € derzeit fraglich.

TLVS sollte eigentlich nach der bisherigen Planung im kommenden Jahrzehnt das Flugabwehrsystem Patriot ablösen – auch und gerade mit der Fähigkeit zur Abwehr ballistischer Raketen. Das Projekt beruht auf Vorarbeiten des früheren amerikanisch-deutsch-italienischen Vorhabens MEADS (Medium Extended Air Defense System). Nach dem Ausstieg der USA hatte Deutschland die Fortführung in Angriff genommen. Im September 2016 hatte MBDA Deutschland ein Angebot mit einem Umfang von fünf Milliarden Euro vorgelegt;  kurz danach zeichneten sich allerdings bereits doppelt so hohe Kosten ab, die nun offensichtlich nochmals übertroffen wurden.

Interessanterweise ist in den Eckwerten des Bundesfinanzministeriums für die Planung der kommenden Jahre  TLVS als eines der in der Bundesregierung politisch beschlossenen Vorhaben genannt – damit wird die Frage, ob diese Absichtserklärung auch für die vom Verteidigungsministerium genannte neue Schwerpunktsetzung für die Luftverteidigung gilt. Schließlich hatte der Koalitionspartner CSU Anfang Januar noch betont: Wir wollen deshalb zentrale Schlüsselprojekte wie den neuen Raketenschutzschirm Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS) … engagiert vorantreiben.

(Archivbild Juni 2019: Waffenträger Ozelot der Flugabwehrraketengruppe 61 beim Übungsschießen auf dem Raketenschießplatz Ustka in Polen bei der multinationalen Übung TOBRUQ LEGACY 2019  – Alexander Feja/Bundeswehr)