Heeres-Bericht zum KSK: Bei Munition jahrelang gegen Vorschriften verstoßen

Im Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr wurde über Jahre gegen die Vorschriften der Streitkräfte zum Umgang mit Munition und Sprengstoffen verstoßen. Der Verbleib der mittlerweile erfassten fehlenden Munition lasse sich inzwischen auch nicht mehr aufklären, heißt es in dem Bericht einer Arbeitsgruppe des Heeres, mit dem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalinspekteur Eberhard Zorn und Heeresinspekteur Alfons Mais am (morgigen) Mittwoch in den Verteidigungsausschuss des Bundestages gehen. Waffen und anderes sicherheitsempfindliches Gerät seien allerdings offensichtlich nicht verschwunden.

Der Abschlussbericht der Task Force Munition und sicherheitsempfindliches Gerät des Heeres ist Teil der Gesamtuntersuchung der Eliteeinheit, die als Folge der Munitionsfunde bei einem Kommandofeldwebel des KSK im vergangenen Jahr eingeleitet worden war. Erst vor kurzem war bekannt geworden, dass der Kommandeur der Einheit, Brigadegeneral Markus Kreitmayr, bereits vor der Durchsuchung bei dem KSK-Angehörigen die anonyme Rückgabe von Munition ermöglicht hatte – ein Detail, dass der Generalinspekteur in seinen Zwischenbericht zu Untersuchung und Reform des Verbandes im vergangenen Oktober nicht aufgenommen hatte.

Der Abschlussbericht vom 10. Februar dieses Jahres und die vorangegangenen Zwischenberichte der Task Force kommen beim Umgang mit Munition im KSK zu einem verheerenden Ergebnis – wenn auch teilweise in abgeschwächter Form:

Die geltenden Vorschriften und Verfahren der Munitionsbewirtschaftung wurden im KSK häufig nicht eingehalten. Dies führte im Nachweis der Munition zu teils erheblichen Bestandsdifferenzen und Unregelmäßigkeiten, die nicht mehr aufzuklären waren/sind.

heißt es in der Endfassung; in einem Zwischenbericht vom September vergangenen Jahres war das noch härter formuliert:

Die geltenden Vorschriften und Verfahren der Munitionsbewirtschaftung wurden im KSK grundsätzlich nicht eingehalten.

Dabei ging es allerdings nicht nur um einzelne Verfehlungen, sondern um die grundsätzliche Einstellung der Eliteeinheit:

Nach den bisherigen Ermittlungen zeigt sich, dass ein großer Anteil der betroffenen Personen den Umgang mit Munition – teilweise auch vorschriftenwidrige Abläufe – als laufenden Routinebetrieb erlebt hat. Es ist allerdings für die weit in der Vergangenheit liegenden Ereignisse zwischenzeitlich nicht mehr möglich, die in Betracht kommenden Sachverhalte nach Zeit, Ort und handelnden Personen so herauszudestillieren und abzugrenzen, dass sich mit ihnen der Nachweis von Dienstvergehen führen lässt. Problematisch ist dabei insbesondere, dass die Dokumentation in der Munitionsbewirtschaftung im betrachteten Zeitraum objektiv betrachtet kaum Anhaltspunkte für Fehlverhalten aufweist und eine diese Papierlage wiederlegende Wahrheitsfindung, durch Zeugenaussagen oder andere Beweismitteln [sic] für Einzelsachverhalte die vier oder mehr Jahre zurückliegen, kaum erreicht werden kann.

Was etwas bürokratisch verklausuliert formuliert ist, einschließlich der Hinweise auf mehrere fragwürdige Inventuren in den Vorjahren, bedeutet nach den Details des Berichts einen zumindest schlampigen Umgang mit der Munition und der Buchführung – die am Ende aber offensichtlich so stimmte, dass es nicht auffiel. Dabei spielte unter anderem eine Rolle, dass das KSK einen Großteil seiner Munition nicht in der Kaserne in Calw aufbewahrt, sondern in einem zwei Stunden Fahrt entfernten Depot – und dort wurde nicht nur die Inventur händisch auf Zetteln gemacht (und später ins IT-gestützte Materialsystem eingegeben): Bei der Übergabe des Kommandos in den vergangenen Jahren, zuletzt 2018 an Kreitmayr als neuen Chef, wurde das abgesetzte Depot gar nicht erst erwähnt.

In den Fällen der Übergabe der Kommandeure KSK am 23. Juni 2017 und 26. Juni 2018 wurde im Rahmen der Übergabeverhandlungen durch die Übernehmenden bestätigt, dass zuvor eine Überprüfung der Munition und des sicherheitsempfindlichen Geräts zu 100% und ohne Beanstandungen stattgefunden hatte. (…)
Beide Übergabeverhandlungen enthalten Inventurberichte, welche als geprüfte Lagerorte ausschließlich die Vorratslagerorte am Standort CALW ausweisen, in denen sich allerdings nur ein geringer Teil des Gesamtmunitionsbestandes des KSK befindet, welcher für laufende Schießvorhaben benötigt wird. Das Munitionslager Wermutshausen, mit einem durchschnittlichen Bestand von zwischen 1,5 und 2 Mio. Munitionsartikeln, ist dort nicht angegeben, war demzufolge auch nicht Gegenstand von Prüfungen. Vor allem wegen der unzweideutigen Meldungen des Kommanders Unterstützungskräfte KSK in den Jahren 2017 und 2018 waren die Widersprüche in den Meldungen/Anlagen nicht ohne weiteres durch den jeweils Übernehmenden und Übergebenden Kommandeur KSK zu erkennen. Die mit der Materialbewirtschaftung fachlich nicht befassten Kommandeure KSK wären inwoswie auf einen Hinweis eben der Fachleute angewiesen gewesen.

heißt es bereits in dem Zwischenbericht vom September.

Angesichts dieser Unstimmigkeiten gab und gibt es zahlreiche Disziplinarverfahren – noch scheint allerdings offen, was die Ermittlungen für den jetzigen Kommandeur Kreitmayr und seine Munitions-Sammelaktion im vergangenen  Jahr bedeuten. Ausschlaggebend für den Entschluss des Brigadegenerals, eine solche Sammelaktion zu starten, war offensichtlich das Ergebnis einer erstmals seit Jahren vorschriftenkonform durchgeführten jährlichen Inventur der gebuchten Munitionsbestände im Dezember 2019. Dabei ergaben sich erhebliche Bestandsdifferenzen: rund 7.500 so genannte Munitionsartikel zu viel, aber ein Unterbestand von rund 35.000 Munitionsartikel im Einsatz und rund 13.000 im Heimatbetrieb.

Während die große Menge fehlender Munition im Auslandseinsatz auf eine Übung in Afrika zurückzuführen und anscheinend erklärbar war, reagierte der KSK-Kommandeur vor allem auf den Fehlbestand im Heimatland: Mündlich gab er den Befehl, die anonyme Rückgabe von Munition zu ermöglichen. Bis Ende Mai vergangenen Jahres kamen rund 37.000 Munitionsartikel zusammen, weitere rund 13.000 noch danach. Der Bericht des Heeres findet dafür deutliche Worte:

Das Ergebnis der „Aktion Fundmunition“ belegt einen grob fahrlässigen Umgang mit Munition auf allen Ebenen des KSK. Das Einbehalten dieser Mengen an Fundmunition durch Soldatinnen und Soldaten und die nachträglich organisierte anonyme Abgabe nach Aufforderung ist beispiellos und wird den Anforderungen an den sachgerechten und sicheren Umgang mit Munition und die Dienstaufsicht in der Munitionsbewirtschaftung nicht gerecht.
Es kann daher nicht prognostiziert werden, ob zu einem späteren Zeitpunkt ggf. weitere Munition aufgefunden wird. (…)
Anhaltspunkte für Diebstahl oder Unterschlagung von Munition liegen derzeit zwar nicht vor, können aber nach hiesiger Bewertung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

Problematisch für das KSK ist natürlich, dass der laxe Umgang mit Munition parallel zu den Rechtsextremismus-Vorwürfen gegen die Eliteeinheit bekannt wird – und nicht nur die Oppositionsabgeordneten die Frage stellen werden, ob sich das eine vom anderen trennen lässt. Für den Generalinspekteur, der die Untersuchungen zum Umgang mit Munition immer als nur einen Teil der gesamten Struktur-Betrachtung des Kommandos bezeichnet hat, wird das ebenfalls eine Rolle spielen müssen.

Ergänzung: Den Ortsnamen des Munitionslagers Wermutshausen hatte ich zunächst unkenntlich gemacht; inzwischen hat mich ein Leser (vielen Dank!) darauf aufmerksam gemacht, dass das BMVg selbst den Namen und die fehlende Datenanbindung bereits im November 2020 öffentlich gemacht hatte – was damals ein wenig unterging, aber auch weit zurückhaltender formuliert war als im Bericht des Heeres:

Das für das KSK zuständige Munitionslager in Wermutshausen wird nun an das digitale Buchungssystem SASPF angebunden, denn als Zwischenergebnis wird festgehalten, dass ein hoher Anteil des vermeintlichen Fehlbestandes auf unsachgemäße Buchführung zurückzuführen ist und bei der umfassenden Generalinventur des KSK inzwischen nachvollzogen werden konnte.

(Archivbild: Übergabe des Kommandos im Juni 2018 von Alexander Sollfrank, r., an Kreitmayr,l., in der Mitte der damalige Kommandeur der Division Schnelle Kräfte, Andreas Marlow – Foto KSK)