Bundeswehr meldet weiteren Anstieg rechtsextremistischer Verdachtsfälle

Die Zahl der rechtsextremistischen Verdachtsfälle in der Bundeswehr, die vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) untersucht werden, ist im vergangenen Jahr deutlich angestiegen. Dabei gibt es eine überproportionale Häufung von Verdachtsfällen bei Angehörigen der Bundeswehr unter 35 Jahren, bei Soldatinnen und Soldaten der Laufbahn der Mannschaften, bei Zeitsoldaten sowie im Heer. Der Dienst habe zwar keinen Zusammenschluss der Rechtsextremisten im Sinne einer gemeinsamen ziel- und zweckgerichteten, politisch ausgerichteten Bestrebung festgestellt, aber eine zunehmende Vernetzung zum Beispiel über soziale Medien.

Die Angaben gehen aus dem zweiten Jahresbericht der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle hervor, die 2019 im Verteidigungsministerium eingerichtet worden war. Bereits mit dem ersten Jahresbericht im März 2020 war eine deutliche Steigerung rechtsextremistischer Verdachtsfälle in der Truppe gemeldet worden. In dem am (heutigen) Freitag veröffentlichten Bericht sind die Daten aus dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) im Vergleich zum Vorjahr teilweise detaillierter erfasst.

Für das vergangene Jahr meldete die Koordinierungsstelle im so genannten
Phänomenbereich Rechtsextremismus 843 Verdachtsfälle in Bearbeitung – im Vorjahr waren es noch 592. Neu hinzugekommen waren 2020 insgesamt 477 Fälle in diesem Bereich, nach 363 im Jahr zuvor. Die so genannten Reichsbürger und Selbstverwalter beschäftigen das Amt im vergangenen Jahr in 53 Fällen, nach 34 im Jahr zuvor.

Die Rechtsextremisten seien dabei durchaus organisiert, heißt es in dem Bericht:

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das BAMAD haben derzeit keine Beweise für eine „Schattenarmee“, die einen gewaltsamen Umsturz plant. Sie sehen gleichwohl rechtsextreme organisierte Strukturen mit Bezügen zur Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden.

und

Ein Schwerpunkt der Tätigkeit des MAD innerhalb dieses Phänomenbereichs lag im Berichtszeitraum auf dem Bereich „Neue Rechte“, einer heterogenen politischen Strömung, die wesentlich durch die Relativierung des Rechtsextremismus und das Verweisen auf Gemeinsamkeiten mit dem rechten demokratischen Rand gekennzeichnet ist. Sie weist zahlreiche und umfassende Ansätze bürgerlich-konservativer, patriotischer und nationaler ideologischer Grundlagen auf. Im Bereich der „Neuen Rechten“ sind Extremistinnen und Extremisten daher schwieriger zu identifizieren als im Bereich der Neonazis oder „Altrechten“, welche sich offensichtlich nationalsozialistische Argumentationsmuster zu Eigen machen.
In den Bereich der „Neuen Rechten“ sind Phänomene wie die „Identitäre Bewegung Deutschland“, der sog. „Flügel“ oder die „Junge Alternative“ einzuordnen. Nachdem das BfV bereits im Verfassungsschutzbericht 2019 die Identitäre Bewegung als gesi- chert rechtsextremistisch eingestuft hatte, bewertete es im März 2020 die Teilorganisation „Der Flügel“ der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) ebenfalls entsprechend. Eine erhöhte Aufmerksamkeit richtete das BAMAD im Berichtszeitraum auch auf aktive Mitglieder und Unterstützer der „Jungen Alternative“ – der Jugendorganisation der AfD – sowie auf die AfD-Landesverbände Brandenburg und Thüringen. Da diese Landesverbände von den zivilen Verfassungsschutzbehörden zu Verdachtsfällen erklärt wurden, gilt es von Seiten des BAMAD nun aufzuklären, welche Rolle Angehörige des Geschäftsbereichs BMVg in diesen Organisationen einnehmen.

Gegenüber den Rechtsextremisten machten die Verdachtsfälle in den Bereichen Islamismus, Linksextremismus und Ausländerextremismus nur einen geringen Anteil aus. So untersuchte der Militärische Abschirmdienst im vergangenen Jahr 78 Verdachtsfälle im Phänomenbereich Islamismus (Vorjahr 69) und 16 linksextremistische Verdachtsfälle (Vorjahr 11), in beiden Bereichen sank die Zahl der neuen Fälle im vergangenen Jahr. Beim Ausländerextremismus ging die Zahl der Verdachtsfälle von 37 im Jahr 2019 auf 26 im vergangenen Jahr sogar insgesamt zurück.

Die meisten der – insgesamt weit überwiegend rechtsextremistischen – Verdachtsfälle wurden im Heer festgestellt: Knapp die Hälfte aller Fälle betrafen diese Teilstreitkraft, obwohl das Heer an der gesamten Bundeswehr (Soldaten und zivile Mitarbeiter) nur einen Anteil von einem Viertel hat. Die geringste Zahl von Verdachtsfällen im Verhältnis zu den Soldaten und Mitarbeitern gab es im Bereich des Kommandos Cyber- und Informationsraum (CIR) und in der Wehrverwaltung.

Allerdings hat das Heer auch von seiner Personalstruktur her die jüngsten Soldatinnen und Soldaten und die meisten Mannschaftsdienstgrade – die Gruppen, in denen der MAD die meisten Extremismus-Fälle untersucht:

Auffällig ist der hohe Anteil von Verdachtsfällen in den jüngeren Altersgruppen, insbesondere in der Altersgruppe der unter 35-Jährigen. 21 Prozent der Verdachtsfälle entfallen auf die Altersgruppe der unter 25-Jährigen, weitere 47 Prozent auf die Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren. In die Altersgruppe der 35 bis 44-Jährigen fallen 19 Prozent der Verdachtsfallbearbeitungen, insgesamt 14 Prozent entfallen auf die Altersgruppe der über 45-Jährigen.

und nach Laufbahn:

Bei der Verteilung der Verdachtsfallbearbeitungen auf die militärischen Laufbahngruppen zeigt sich, dass etwa gleich viele Verdachtsfälle auf die Laufbahngruppen der Unteroffiziere und Mannschaften entfallen, gleichzeitig der Anteil der Unteroffiziere am militärischen Personalkörper mit 51 Prozent aber deutlich höher ist als der Anteil der Mannschaften mit 29 Prozent. Im Ergebnis lässt sich damit eine deutlich überproportionale Häufung von Verdachtsfällen in der Laufbahngruppe der Mannschaften erkennen. Bei den Unteroffizieren treten Verdachtsfälle dagegen ebenso wie in der Gruppe der Offiziere mit einem 20-prozentigen Anteil am militärischen Personalkörper und einem Anteil von 16 Prozent der Verdachtsfälle unterproportional auf.

Wenig überraschend sind deshalb auch weitere Zahlen: Knapp 20 Prozent der Soldaten unter Extremismusverdacht befanden sich in den ersten vier Dienstjahren, weitere 20 Prozent zwischen dem fünften und dem achten Dienstjahr. Das stützt nach Ansicht des BAMAD die geplante Änderung des Soldatengesetzes, die eine Entlassung von Zeitsoldaten künftig innerhalb der ersten acht Dienstjahre erleichtern soll. Bislang gilt dafür eine Frist bis zum vierten Dienstjahr. Der Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 19/22862) liegt derzeit im Parlament.

Weitere Details in dem Bericht, hier noch mal der Link, und vorsorglich auch in der Sicherungskopie:
20210225_Bericht_Bundeswehr_Extremismus_2020