Mehr Klarheit über das neue Sturmgewehr der Bundeswehr erst im Januar

Über die Frage, wer das neue Sturmgewehr als Standardwaffe der Bundeswehr liefern soll, wird es frühestens in der zweiten Januarhälfte 2021 ein wenig mehr Klarheit geben. Dem Verteidigungsministerium liegt jetzt das Gutachten eines Patentanwalts vor, der die Vorwürfe der Patentverletzung gegen die Firma C.G. Haenel untersucht hat, die als Lieferant ausgesucht worden war. Zum Ergebnis des Gutachtens äußerte sich das Wehrressort jedoch nicht.

Bei der Suche nach einem neuen Sturmgewehr als Nachfolger des G36 hatte die Vergabestelle beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw)  im September entschieden, den Auftrag für die 120.000 Waffen an die Thüringer Firma Haenel zu vergeben. Etwas überraschend war der langjährige Lieferant der Streitkräfte, das Oberndorfer Unternehmen Heckler&Koch, nicht zum Zuge gekommen. Allerdings stoppten Verteidigungsministerium und BAAINBw am 9. Oktober das Verfahren für die Beschaffung der neuen Sturmgewehre: Als Grund wurde eine mögliche Patenrechtsverletzung genannt, mit der das siegreiche Unternehmen C.G.Haenel unter Umständen Rechte des Konkurrenten Heckler&Koch verletzt haben könnte.

Dabei geht es vor allem um eine Erfindung, die sich Heckler&Koch bereits 2007 hatte schützen lassen und jetzt per Klage vor dem Landgericht Düsseldorf  sichern lassen will: Die technischen Vorkehrungen, mit denen die Waffe auch nach Auftauchen aus dem Wasser möglichst schnell wieder schussbereit sein kann. Der Oberndorfer Waffenhersteller hatte in seiner Rüge der Vergabeentscheidung der Firma Haenel vorgeworfen, dieses Patent auch für ihr Sturmgewehr MK556 zu nutzen, das der Bundeswehr angeboten wurde. Haenel hatte das allerdings öffentlich zurückgewiesen*:

Auch die im Nachprüfungsantrag eines Wettbewerbers erwähnten angeblichen Patentrechsverletzungen beziehen sich ausschließlich auf die CR223, ein halbautomatisches Gewehr für den Schießsport. Die MK556 ist ein anderes Gewehr mit unterschiedlichen Konstruktionsmerkmalen zur CR223. In der Patentklage wird es noch nicht einmal angesprochen. Die dort genannte Technologie kommt beim MK556 nicht zum Einsatz.

Am 26. Oktober kündigte das Ministerium an, von einem Fachanwalt untersuchen zu lassen, wie sich die aufgeworfene patentrechtliche Problematik im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens auswirkt. Nach diesem Gutachten werde dann bewertet,  welche Konsequenzen im Vergabeverfahren zu ziehen sind.

Der Patentanwalt hat nun geliefert, wie das Verteidigungsministerium am (heutigen) Freitag mitteilte – allerdings ohne Einzelheiten zu nennen:

Mit der Pressemitteilung vom 26.10.2020 hat das BMVg darüber informiert, dass patentanwaltliche Gutachten zur Beurteilung möglicher Patentrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Vorhaben „System Sturmgewehr der Bundeswehr – Basiswaffe mit Zubehör“ beauftragt wurden. Diese Gutachten liegen der Vergabestelle nun vor.
Die Gutachten entsprechen der Einschätzung des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw).
Dem betreffenden Unternehmen wird Gelegenheit gegeben, sich bis Mitte Januar zu den Ergebnissen der patentrechtlichen Begutachtungen zu äußern.

heißt es wortgleich in einer Pressemitteilung und in einer Mitteilung an die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Die Aussage des Ministeriums wirkt, als habe die juristische Unangreifbarkeit im Mittelpunkt gestanden – welche Einschätzung des BAAINBw aus dem Ministeriumsbericht vom 26. Oktober  genau gemeint ist, bleibt offen.

Damit bleibt das Verfahren mindestens bis Mitte Januar, voraussichtlich länger in der Schwebe, jedenfalls bis zu einer Stellungnahme der Firma Haenel.

Für die Oppositionsparteien zeichnet sich allerdings mit der heutigen Mitteilung schon ab, welche Richtung die Vergabe nehmen dürfte. Der Grünen-Verteidigungspolitiker (und Haushälter) Tobias Lindner sprach von einem Desaster:

Mit den Informationen von heute steht fest, dass die Vergabe an die Firma C.G. Haenel nicht mehr zu halten ist. Erschreckend ist, dass man den heutigen Kenntnisstand einer sehr wahrscheinlichen Patentverletzung bereits vor mehr als zwei Jahren hätte haben können, wenn das Beschaffungsamt öffentlichen und bekannten Hinweisen damals nur konsequent nachgegangen wäre. Die Patentstreitigkeiten zwischen den beiden Bietern sind kein Geheimnis; das BAAINBw hat jahrelang die Augen verschlossen statt proaktiv offene Fragen zu klären.
Sollte C.G. Haenel nun, was anzunehmen ist, vom Vergabeverfahren ausgeschlossen und der Zuschlag Heckler und Koch erteilt werden, sind weitere Rechtsstreitigkeiten und Verzögerungen zu erwarten. Im Ergebnis erhält die Bundeswehr auch nach über vier Jahren, nachdem die damalige Verteidigungsministerin dem G36 keine Zukunft in der Truppe bescheinigt hat, immer noch keine Ersatzlösung, während Staaten wie Frankreich in knapp einem Jahr solche Beschaffungsentscheidungen treffen.

*Fürs Archiv vorsorglich die Haenel-Pressemitteilung als Sicherungskopie:
20201125_Haenel_Pressemitteilung_MK556

(Archivbild November 2020: Das HK416 von Heckler&Koch als neue Standardwaffe der französischen Armee wird im binationalen Versorgungsbataillon der Deutsch-Französischen Brigade auch von Bundeswehrsoldaten genutzt – Andreas Keck/Bundeswehr)