Vergabeverfahren für neues Sturmgewehr: Neuer Anlauf mit Patentanwalt

Im umstrittenen Vergabeverfahren für das neue Sturmgewehr sollen die vorliegenden Angebote der beiden Konkurrenten C.G. Haenel und Heckler&Koch neu bewertet werden – mit Hilfe eines unabhängigen Patentanwalts. Das kündigte das Verteidigungsministerium an und wies zugleich den Vorwurf zurück, die Vergabestelle der Bundeswehr habe sich im Vergabeprozess fehlerhaft verhalten. Allerdings sollen künftig Unterlagen neu formuliert werden, um „Misverständnisse auf Seiten des Bieters“ zu vermeiden.

Das Ministerium und die Vergabestelle beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) hatten am 9. Oktober das Verfahren für die Beschaffung der neuen Standardwaffe der Streitkräfte vorerst gestoppt. Als Grund wurde eine mögliche Patenrechtsverletzung genannt, mit der das siegreiche Unternehmen C.G.Haenel unter Umständen Rechte des Konkurrenten Heckler&Koch verletzt haben könnte. Zuvor war Mitte September die geplante Vergabe des Auftrags für die 120.000 Sturmgewehre, die das bislang genutzte G36 ablösen sollen, überraschend zugunsten des Thüringer Unternehmens bekanntgegeben worden.

Das Verteidigungsministerium erläuterte am (heutigen) Montagabend in einem Bericht für den Verteidigungsausschuss des Bundestages seine bereits am 9. Oktober getroffene Entscheidung, das Vergabeverfahren wieder in den Stand vor der Entscheidung zu setzen: Jetzt solle die Wertung der bereits vorliegenden Angebote unter Berücksichtigung aller Aspekte wiederholt werden. Neu ist dabei die Hinzuziehung eines externen Gutachters:

Wie sich die aufgeworfene patentrechtliche Problematik im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens auswirkt, wird derzeit geprüft. Um eine belastbare Entscheidung treffen zu können, hat das BMVg einen unabhängigen Patentanwalt für die Erstellung eines Gutachtens eingeschaltet. Im Lichte dieses Gutachtens wird zu bewerten sein, welche Konsequenzen im Vergabeverfahren zu ziehen sind.

Bei dieser Frage des Patentrechts geht es um eine Erfindung, die sich Heckler&Koch bereits 2007 hatte schützen lassen und jetzt per Klage vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf  sichern lassen will: Die technischen Vorkehrungen, mit denen die Waffe auch nach Auftauchen aus dem Wasser möglichst schnell wieder schussbereit sein kann. Der Oberndorfer Waffenhersteller hatte in seiner Rüge der Vergabeentscheidung der Firma Haenel vorgeworfen, dieses Patent auch für ihr Sturmgewehr MK556 zu nutzen, das der Bundeswehr angeboten wurde.

Allerdings ist diese Frage rechtlich umstritten – denn auch die Klage von Heckler&Koch gegen die monierte Patentverletzung richtet sich zunächst nicht gegen das MK556 von Haenel, sondern gegen dessen halbautomatische Variante CR223. Davon habe auch das Beschaffungsamt ausgehen müssen, heißt es in dem Bericht des Verteidigungsministeriums:

Am Rande der Vergleichserprobungen erhielt das BAAINBW informell Kenntnis darüber, dass die Waffe der Firma Haenel angeblich ein Patent der Firma Heckler & Koch im Zusammenhang mit der „Over-the-Beach“-Fähigkeit verletzen würde. Dabei geht es vereinfacht ausgedrückt darum, dass die Waffe auch nach einem Untertauchen im Wasser schussfähig bleibt. Auf Nachfrage erklärte die Firma Haenel, dass sich dies allenfalls auf das zivile, halbautomatische Gewehr CR 223 und nicht auf das angebotene vollautomatische Gewehr beziehen würde. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, ob und in welcher genauen Ausführung der Gewehre die beteiligten Bieter schließlich ein finales Angebot abgeben würden. Das BAAINBw verfolgte die Hinweise nicht unmittelbar weiter, dazu bestand zudem keine rechtliche Verpflichtung.

und zur Erläuterung heißt es:

Ob und inwieweit tatsächlich die Konstruktion der Waffe von Haenel in den Schutzbereich eines Patents von Heckler & Koch eingreift oder ob die behauptete Patentverletzung hinsichtlich des Magazins vorliegt, war durch das BMVg und das BAAINBw zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend zu klären. Die Bieter hatten im Rahmen ihrer Angebote angegeben, dass ihnen keine den Gegenstand des Angebots berührenden Schutzrechte Dritter bekannt seien.

Das Ministerium verwies darauf, dass alle dem BAAINBw letztendlich angebotenen Sturmgewehre – neben dem MKK556 von Haenel das HK416 und das HK433 von Heckler&Koch – die technischen Forderungen an die neue Standardwaffe der Bundeswehr erfüllt hätten. Damit stünden grundsätzlich drei marktverfügbare Gewehre zur Auswahl, die die sehr hohen technischen Präzisionskriterien für die Nachfolge des G 36 erfüllen.

Zugleich wies das Ministerium in seinem Bericht den – auch öffentlich bekannt gewordenen – Vorwurf zurück, das Beschaffungsamt habe noch nach dem letztverbindlichen Angebot der beiden Unternehmen, dem so genannten Best and final offer (BAFO), verbotene Nachverhandlungen geführt:

Nach der Abgabe des letztverbindlichen Angebots (BAFO) gilt grundsätzlich ein Verhandlungsverbot. Eine Aufklärung, die sich darauf beschränkt, widersprüchliche Angaben in den Angeboten aufzuklären, die eine Wertung des Angebots unmöglich machen, ist jedoch zulässig und geboten. Bei Widersprüchen in den Angaben eines Bieters im Angebot darf dieser nicht sofort ausgeschlossen werden. Ein Ausschluss eines Angebots aus rein formalen Gründen ist nach der Rechtsprechung möglichst zu vermeiden. Dem Bieter ist daher Gelegenheit zu geben, den festgestellten Widerspruch aufzuklären.
Deshalb richtete das BAAINBw mehrere Aufklärungsschreiben jeweils an beide Bieter, um Rechenfehler und Ungenauigkeiten sowie Widersprüche auszuräumen.

Dabei sei es unter anderem um die genormten Standardschienen für Anbauteile und über die Definition der Preise gegangen, die auf dem Stand vom Dezember 2019 hätten angegeben werden sollen. Nach Auswertung aller Unterlagen kam das BAAINBw zu dem Ergebnis, dass die Firma Haenel das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte.

Unterm Strich: Aus Sicht des Ministeriums ist der einzige berechtigte Punkt, den die unterlegene Firma Heckler&Koch zu Recht bei der Vergabe moniert hatte, der laufende Patentstreit. Und ob und wie der Bedeutung für die Bewertung der angebotenen Waffen hat, soll ein externer Gutachter klären.

Allerdings kommt auch das BAAINBw nicht völlig unbelastet aus diesem Vergabeverfahren heraus – bei künftigen Ausschreibungen soll es Änderungen geben:

Aus den internen Nachprüfungen des bisherigen Verfahrens durch das BMVg und das BAAINBw lassen sich gleichzeitig für zukünftige Projekte Ableitungen treffen, die sich auf die Qualitätssicherung in technischen und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen beziehen. Auch wenn keine rechtlichen Verpflichtungen zu Patentrecherchen im Rahmen des Vergabeverfahrens bestehen, ist es zweckmäßig, zu jeder Zeit in einem laufenden Vergabeverfahren die größtmögliche Klarheit zu schaffen.  (…)
In der Prüfung wurde auch deutlich, dass die Unterlagen, die die Vergabestelle für die Einleitung des BAFO verwendet hatte, nicht so klar den erwarteten Gegenstand der Befüllung fassten, wie dies zur Vermeidung von Missverständnissen auf Seiten des Bieters notwendig gewesen wäre. Nach dem BAFO waren daher mehrfach Entscheidungen zu Nachfragen zu treffen, ohne deren Klärung eine technisch und rechtlich abschließend tragfähige Entscheidungsbasis nicht gegeben wäre. Um Risiken im Vergabeverfahren weitestgehend zu vermeiden, ist alles daran zu setzen, derartige Nachfragebedarfe zu minimieren. Dazu gehört auch die Anpassung der amtlichen Unterlagen zum Vergabeverfahren, mit denen Preise und Leistungen abgefordert werden.

Um ein Debakel dieser Art künftig zu vermeiden, sollen zudem neue Prüfungsmechanismen im BAAINBw eingeführt werden:

Dazu wird in Zukunft in der Auswertung von Vergabeverfahren von mehr als 25 Mio. Euro, die im Wettbewerb vergeben werden, eine unabhängige Bewertungskommission im BAAINBw gebildet. Sie besteht aus technischen, betriebswirtschaftlichen und juristischen Experten, die in dem jeweiligen Vergabeverfahren bislang nicht involviert waren. Sollte sich bei der Überprüfung eindeutig ergeben, dass aufgrund von Unklarheiten der von den Bietern als BAFO eingereichten Unterlagen kein Angebot zuschlagsfähig ist, besteht die Möglichkeit, das Vergabeverfahren wieder in den Zustand vor Eingang des BAFO zurückzuversetzen und damit risikobehaftete Nachfragen zu vermeiden.

Meine laienhafte Einschätzung: Beschleunigen wird das Beschaffungsverfahren nicht unbedingt.

Zum Nachlesen der vom Ministerium veröffentlichte nicht eingestufte Teil des Berichts zum Vergabeverfahren:
2020-10-26 Anlage zur PM Nr 38

(Foto: Katalogfoto des MK556 bei der Vorstellung 2017 – Werksfoto C.G. Haenel)