Warntag 2020: Hat auch ohne Bundeswehr nicht geklappt

Vor dem (heutigen) ersten bundesweiten Warntag haben etliche Leser gefragt, ob ich dieses Thema aufgreifen würde, ggf. unter Einbeziehung der Bundeswehr. Das wäre nun eine sehr kurze Meldung gewesen: Die Bundeswehr war weder in diesen Warntag oder seine Vorbereitung einbezogen, noch wurde sie – über die allgemeinen Informationen für die Bevölkerung hinaus – gesondert alarmiert. Auch an des Modulare Warnsystem des Bundes (MoWaS) sind die Streitkräfte nicht angeschlossen.

Warum das so ist – das wäre noch eine gesonderte Frage, unabhängig von diesem Warntag. Allein schon deshalb, weil auch im Katastrophenschutz die Bundeswehr zur Amtshilfe angefordert werden kann, das Thema also auch jenseits des Zivilschutzes im Verteidigungs- und Spannungsfall Bedeutung hat.

Aber erstmal habe ich deshalb nicht hier auf Augen geradeaus!, sondern fürs Techniktagebuch was dazu geschrieben, unter der Überschrift Viel Nichts um Lärm. Da es auch hier auf Interesse stoßen dürfte, als Crosspost:

Als Kind des Kalten Krieges kann ich mich noch gut an den regelmäßigen Probealarm erinnern: Zwei Mal im Jahr heulten bei uns (in Westdeutschland) überall die Sirenen, es gab Luftalarm und anschließend Entwarnung, und wir haben das als akustische Unterbrechung des Schulunterrichts wahrgenommen. Was wir im Ernstfall hätten tun sollen, wussten wir ohnehin nicht. In der DDR gab es diese regelmäßigen Probealarme ebenso, nur wohl weit öfter als in der Bundesrepublik.

Als nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, der Auflösung des Warschauer Vertrags als Gegengewicht zur NATO und der Auflösung der Sowjetunion der ewige Friede ausbrach, endeten nicht nur diese Probealarme: Der Zivilschutz, im Unterschied zum Katastrophenschutz die zivile Seite einer kriegerischen Auseinandersetzung, wurde als weitgehend überflüssig betrachtet. Und mit den Bunkern wurde auch das bundesweite Sirenen-Warnsystem außer Betrieb genommen: Wenn eine Kommune das wollte, konnte sie die vorhandenen Sirenen zu den – nicht niedrigen – Betriebskosten weiter betreiben, zum Beispiel für die Feuerwehr oder als Hochwasserwarnung.

Rund 30 Jahre später ist das Bewusstsein wieder da, dass bisweilen eine flächendeckende  Warnmöglichkeit für die Bevölkerung ganz sinnvoll wäre. Nicht zur Warnung vor anfliegenden Bombern, sondern vor allem bei Katastrophen wie großen Bränden (zum Beispiel in einem Chemiewerk), Hochwasser und anderen Gefahren. Abgeschaltete Sirenen wurden dafür nur an wenigen Orten reaktiviert: Statt dessen soll ein Technik-Mix, von einem Modularen Warnsystem (MoWaS) für Behörden, Institutionen und Medien wie Rundfunksender bis zu Apps auf dem Smartphone die flächendeckende Warnung sicherstellen. Und zur Not sollen auch Lautsprecherwagen auf die Straßen geschickt werden.

So weit die Theorie. Um mal zu testen, ob und wie das auch praktisch bundesweit funktioniert, gab’s am (heutigen) 10. September einen bundesweiten Warntag – als ersten einer regelmäßigen Probealarm-Serie, die künftig an jedem zweiten Donnerstag im September stattfinden soll.

Um es vorweg zu nehmen: So recht funktioniert hat es nicht – vor allem nicht in den Orten, die keine Sirenen mehr haben. Denn da sollte die Warnung ausschließlich über die Smartphone-Apps KatWarn und NINA laufen. Und die meldeten, je nach Ort, entweder gleich richtig oder gaben gar keine Warnung. Oder erst mit einer halben Stunde Verspätung. Nach der planmäßigen Entwarnung.

Das galt vor allem für Deutschlands größte Stadt Berlin: In der Hauptstadt fand die Warnung praktisch nicht statt, Sirenen gibt es in Berlin ohnehin nicht mehr, und auf Lautsprecherwagen hatte die Senatsverwaltung für Inneres bewusst verzichtet. Beide vorhandenen Warnapps meldeten sich nicht. Es blieb also ein stiller Alarm – und erreichte nur diejenigen, die zufällig einen der Rundfunksender eingeschaltet hatten, die zum vorgesehenen Zeitpunkt um 11:00 Uhr auch diese Warnung brachten.

Und das war offensichtlich kein Einzelfall. Auf Twitter meldeten sich viele, viele, viele Nutzer aus ganz Deutschland, die verblüfft fragten, was denn mit dem Warntag nun wäre.

Entgegen den ersten Annahmen war die Nicht-Alarmierung allerdings offensichtlich nicht das Problem der Apps. Denn das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das den bundesweiten Warntag organisiert hatte und steuerte, machte dafür Probleme schon eine Stufe höher verantwortlich: Bei dem MoWaS, das die Warnmeldung ja erst an Behörden weitergeben sollte, ehe die Bevölkerung selbst informiert würde.

Vom BBK auf Twitter:

Mit anderen Worten: zu viele Alarme gleichzeitig – wer hätte das bei einer bundesweiten Alarmübung auch ahnen können. Oder gar die Software darauf ausgerichtet. Der Berliner Senat jedenfalls wollte vorsorglich keinen Vorwurf auf sich sitzen lassen und reagierte umgehend:

Das Behördenpingpong ist programmiert, aber das Problem liegt tiefer: Bei örtlichen Gefahrenmeldungen wie Großbränden oder Hochwasser funktionieren die WarnApps NINA und KatWarn meistens – das Gesamtsystem ging offensichtlich in die Knie, als eine gleichzeitige bundesweite Warnung ausgestrahlt werden sollte. Die Infrastruktur ist dafür offensichtlich von vornherein nicht ausgelegt gewesen.

Das Scheitern räumte selbst das Bundesinnenministerium, vorgesetzte Behörde des BBK, per Pressemitteilung ein:

Probealarm zum „Warntag 2020“ fehlgeschlagen
Umfassende Aufklärung läuft, Erkenntnisse werden bei der weiteren Entwicklung berücksichtigt
Die Auslösung des Probelalarms am heutigen „Warntag 2020“ ist aufgrund eines technischen Problems fehlgeschlagen. Die Vorgänge werden jetzt umfassend aufgearbeitet. Die gewonnenen Erkenntnisse werden bei der weiteren Entwicklung des Warnsystems berücksichtigt.

Natürlich stellte sich auch sofort die Frage, ob nicht andere Warnmöglichkeiten als die nur begrenzt noch vorhandenen Sirenen und die Apps, die von der Nutzung eines Smartphones abhängig sind, für solche Alarme sinnvoll wären. Zum Beispiel der Cell Broadcast, bei dem eine Nachricht an alle Mobilfunkempfänge gesendet wird, gegebenenfalls auch regional begrenzt. In vielen Ländern wird das System genutzt, das auch ältere Mobiltelefone (und nicht-Smartphones) einbezieht, in Deutschland bislang nicht.

Warum nicht, erläuterte BBK-Chef Christoph Unger zwar in einem Interview des Spiegels – aber seine erste Erklärung, die den Datenschutz vorschob, musste Deutschlands oberster Katastrophenschützer dann doch revidieren:

Unger*: Ja, die Niederlande zum Beispiel setzen auf dieses Cell-Broadcast-System. Cell-Broadcasting wird derzeit aber von keinem deutschen Mobilfunkanbieter angeboten und steht daher zu Zwecken der Bevölkerungswarnung hierzulande aktuell nicht zur Verfügung. Die zuständigen Stellen prüfen, ob und unter welchen Umständen es möglich und sinnvoll ist, Cell-Broadcast als zusätzlichen Warnkanal einzuführen. Derzeit setzen wir auf die App…

(*Anmerkung der [Spiegel]Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es, der Bund habe wegen vermeintlicher Kapazitätsprobleme der Mobilfunknetze und aus Datenschutzgründen Abstand von einem Cell-Broadcast-System genommen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat diese Antwort nachträglich korrigiert.)

Mit anderen Worten: Vielleicht kommt ja doch noch Cell Broadcast in Deutschland, es könnte ja funktionieren. Andere Warnmöglichkeiten wie speziell ausgestattete DAB+-Radioempfänger werden derzeit getestet – aber eines wird wohl nicht wiederkommen: Bundesweit empfangbare Radiosender, wie einst den Deutschlandfunk auf Lang- und Mittelwelle. Denn die Sender dafür wurden zugunsten (technisch) nur regional verfügbarer UKW- und DAB+-Sender abgeschaltet.

Die einzige Alarmmeldung zum heutigen Warntag erhielt ich übrigens von einem Rundfunksender: als Push-Nachricht des Deutschlandfunks auf dem Smartphone. Wobei mir ja nicht klar ist, ob der DLF da die Benachrichtigung über MoWaS bekommen hatte – oder einfach mal den angekündigten Probealarm auch pünktlich rausgehauen hat, auch ohne offizielle Information. Die DLF-Nachrichtenredaktion antwortete auf diese Frage erstmal nicht.

(Foto: Sirene – Frank Vincentz via Wikimedia Commons unter CC-BY-SA-Lizenz)