Nach Rechtsextremismus-Fällen im KSK: ‚Strukturanalyse“ der Eliteeinheit geplant (Nachtrag: BPK)

Nach den rechtsextremistischen Vorfällen beim Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr soll die Eliteeinheit von einer hochrangigen Arbeitsgruppe des Verteidigungsministeriums strukturell durchleuchtet werden. Ziel ist nach Angaben des Ministeriums, durch mögliche strukturelle Veränderungen in dem Verband rechtsextremistischen Tendenzen entgegenzuwirken.

Die Einsetzung dieser Arbeitsgruppe kündigte Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am (heutigen) Mittwoch vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages an. Als Kern sollen ihr Staatssekretär Gerd Hoofe, Generalinspekteur Eberhard Zorn, Heeresinspekteur Alfons Mais und KSK-Kommandeur Markus Kreitmayr angehören; hinzu kommen soll die neue Wehrbeauftragte Eva Högl.

Mit der geplanten Strukturanalyse des Kommandos reagiert Kramp-Karrenbauer auf zahlreiche rechtsextremistische Verdachtsfälle und vor allem auf die Waffen- und Sprengstofffunde bei einem langjährigen KSK-Angehörigen. KSK-Chef Kreitmayr hatte diesen Fall eines 45-jährigen Oberstabsfeldwebels in einem Brief an die Angehörigen des Kommandos als schockierenden Höhepunkt bezeichnet und Rechtsextremisten aufgefordert, das KSK zu verlassen – Tun Sie es nicht, werden Sie feststellen, dass wir Sie finden und entfernen werden!

In der Eliteeinheit in Calw werden vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) derzeit rund 20 rechtsextremistische Verdachtsfälle untersucht. Das Ministerium listete zudem in einer Übersicht für den Verteidigungsausschuss auf, welche Maßnahmen gegen KSK-Angehörige unter Extremismusverdacht seit Einrichtung der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle im vergangenen Herbst ergriffen wurden:

• ein Oberstleutnant, ein Stabsunteroffizier, ein Oberstabsgefreiter und ein Obergefreiter wurden aus der Bundeswehr entlassen

• gegen einen Oberstleutnant gibt es einen rechtskräftigen Strafbefehl; es erfolgte eine Anschuldigung vor dem Truppendienstgericht; die Versetzung aus dem KSK ist erfolgt

• gegen einen Stabsunteroffizier wurde ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet; die Versetzung aus dem KSK ist erfolgt

• gegen einen Hauptfeldwebel wurde ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet; die Versetzung aus dem KSK steht bevor

• gegen einen Oberstabsgefreiten wurde ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet; die Anschuldigung vor dem Truppendienstgericht steht bevor; Ausübung des Dienstes und Tragen der Uniform wurde verboten

• gegen einen Oberstabsfeldwebel steht die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens bevor; die Versetzung aus dem KSK ist beabsichtigt

• ein Oberstabsfeldwebel [dabei handelt es sich offensichtlich um den Mitte Mai festgenommenen 45-jährigen] sitzt in Untersuchungshaft; die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens steht bevor, Ausübung des Dienstes und Tragen der Uniform wurde verboten

• gegen einen weiteren Oberstabsfeldwebel läuft ein einfaches Disziplinarverfahren, die Versetzung aus dem KSK ist beabsichtigt

• bei sechs weiteren Soldaten – ein Stabsfeldwebel, vier Hauptfeldwebel und ein Stabsunteroffizier – hat sich der Verdacht nicht bestätigt.

Der Fall des inhaftierten Oberstabsfeldwebels zeigt, wie schwierig die Ermittlungen des MAD in diesem Umfeld sind: Gegen den 45-jährigen hatte es nach dem Bericht des Ministeriums für den Ausschuss bereits seit April 2017 Verdachtsmomente gegeben, sie konnten aber nicht in der notwendigen Weise verdichtet werden, um gegen den Soldaten ein Disziplinar- oder Strafverfahren einzuleiten. Zu Beginn dieses Jahres habe es aber nachrichtendienstliche Erkenntnisse mit Hinweisen auf eine rechtsextremistische Einstellung und auch auf die gehorteten Waffen und Munition gegeben.

Auf Grundlage der MAD-Erkenntnisse hatten Staatsanwaltschaft und Polizei in Sachsen vom 13. bis zum 15. Mai das Privatgrundstück des Oberstabsfeldwebels in Sachsen durchsucht. Neben nationalsozialistischen Devotionalien seien dabei Waffen, Munition und Sprengstoff gefunden worden, die vermutlich mindestens zum Teil aus Bundeswehr beständen stammen.

Unter anderem fanden die Ermittler 2 Kilogramm PETN-Sprengstoff, 3 Stück PETN-Sprengfolie, 10 Shocktube-Sprengzünder, 9 so genannte Irritationskörper, also Blendgranaten, eine Kalaschnikow, eine Schreckschusswaffe , Signalpatronen und vor allem mehrere Tausend Stück Gewehr- und Pistolenmunition. Der Sprengstoff, die Munition im Kaliber 9x19mm und 5,56x45mm werde auch bei den Streitkräften verwendet; die bisher bekannten Losnummern konnten Beständen der Bundeswehr zugeordnet werden. Eine genauere Auswertung stehe aber noch aus.

Nachtrag: Aus der Bundespressekonferenz zu der neuen Arbeitsgruppe, Extremismus beim KSK und dem Brief des KSK-Kommandeurs Aussagen von Fregattenkapitän Christina Routsi:

Routsi: Meine Damen und Herren, vielen Dank für die Möglichkeit, hier eine aktive Information mit einzubeziehen. Sie alle haben in den vergangenen Tagen, Wochen und mittlerweile auch Monaten die Extremismusvorfälle im KSK und die entsprechende Berichterstattung mitbekommen. Das ist ein Thema, das für uns leider nicht neu ist und worüber regelmäßig in der Öffentlichkeit, aber natürlich auch im parlamentarischen Raum berichtet wird, zuletzt heute Vormittag im Verteidigungsausschuss.

Ich möchte Sie gern kurz darüber informieren. Es gibt eine Information, die in diesem Zusammenhang neu ist. Die Damen und Herren Abgeordneten wurden darüber informiert, dass eine ministerielle Arbeitsgruppe von der Ministerin beauftragt wurde, eine Strukturanalyse des KSK durchzuführen und aus den gewonnenen Erkenntnissen entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir begrüßen sehr, dass die designierte Wehrbeauftragte diesem Team angehören wird. Hier geht es insbesondere darum, das Parlament regelmäßig zu informieren. Die Arbeitsgruppe wird sich bis zur letzten Sitzung vor der Sommerpause Zeit nehmen und konkrete Strukturmaßnahmen erarbeiten, um in Zukunft schneller, schlagkräftiger und vor allem nachhaltiger in Sachen Extremismus im Kommando Spezialkräfte agieren zu können.

Mir ist wichtig – das ist nicht zu vernachlässigen -, kurz noch einmal auf die Maßnahmen einzugehen, die bisher ergriffen wurden; das ist allerhand. Wir haben allein im Jahr 2019 insgesamt über 60 000 Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt, davon über 20 000 von Bewerberinnen und Bewerbern. Wir haben den MAD umstrukturiert, eine zivile Komponente beigefügt und eine Schwerpunkttruppe KSK gebildet. Wir haben die Fachaufsicht im Ministerium gestärkt. Wir haben das Berichtswesen gestärkt. Dies ist Ihnen ja auch zugegangen. Der Bericht des MAD erscheint jetzt jährlich. Der Bericht der ministeriellen Koordinierungsgruppe ist jetzt einmal erschienen und erscheint in Zukunft halbjährlich. Wir arbeiten schon seit längerer Zeit – das finalisiert sich jetzt – an einem Gesetzentwurf, der uns eine Möglichkeit gibt, was das Thema „Fristlose Entlassungen bei schweren Tatbeständen“ angeht, nämlich dass man das von bisher vier auf acht Jahre ausweitet mit Ablauf des achten Dienstjahres.

Auch im KSK sind Maßnahmen getroffen worden, auf die ich kurz eingehen möchte. Zum Teil sind sie schon eingeführt, zum Teil werden sie jetzt eingeführt. Hierbei geht es insbesondere um das Thema Aus- und Weiterbildung der Verbandsangehörigen, was das Thema Extremismus angeht. Wir beginnen ab der Einstellung, sprich: ab dem Tag, an dem der Soldat beziehungsweise die Soldatin, der Verbandsangehörige beziehungsweise die Verbandsangehörige zum KSK stoßen. Es wird sich in Zukunft über die gesamte Dienstzeit vollziehen, dass man die Frauen und Männer eher begleitet. Dazu gehören auch Einzelgespräche und psychologische Screenings.

Das Folgende ist jetzt auch kein Geheimnis mehr – das ist auch durch die Presse gegangen -: Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen den berechtigt emotionalen Aufruf des Kommandeurs des Kommandos Spezialkräfte wahrgenommen, ein Brief, den er an seinen Verband adressiert und in dem er die Linie aufgezeigt hat, dass Extremismus in der Bundeswehr nicht zu tolerieren ist und dass unser Beruf absolut auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fußt. Er zeigt ganz klar, dass er das nicht tolerieren wird.

Ich kann Ihnen sagen, dass diese Linie mit der Ministerin abgesprochen ist. Die Ministerin hat ihn dazu ermutigt. Sie steht diesbezüglich auch hinter ihm. Auch der Generalinspekteur ist natürlich auf dieser Linie. Er wird das Kommando Spezialkräfte noch heute besuchen, sich ein Bild vor Ort machen und sicherlich auch mit den Frauen und Männern vor Ort sprechen.

Ministerin Kramp-Karrenbauer hat sich wiederholt zu dem Thema Extremismus positioniert. Sie fährt eine Null-Toleranz-Linie. Ich glaube, es ist auch kein Geheimnis, dass sie im Moment – eigentlich nicht nur im Moment, aber jetzt ganz besonders, und zwar aufgrund der Vorfälle, die sich in der letzten Zeit leider gehäuft haben – ein besonderes Augenmerk auf das Thema Rechtsextremismus legt, und das insbesondere vor dem Hintergrund und Wissen, dass diese Kameradinnen und Kameraden einen ganz besonderen Dienst für unser Land leisten, der wirklich nicht einfach ist und der unter sehr schweren, teilweise lebensbedrohlichen und gefährlichen Bedingungen stattfindet. – Vielen Dank.

Frage: Werden bei Ihnen Ursachen diskutiert? Wie kommt es zu dem Anstieg der Fälle, oder sieht man jetzt einfach mehr? Gibt es einen höheren Prozentanteil von Extremisten in der Bundeswehr als anderswo? Wie verläuft die Diskussion bei Ihnen? – Danke.

Routsi: Ich möchte Sie erst einmal auf diese beiden Berichte verweisen; denn darin steht alles ganz dezidiert. Ich möchte jetzt eigentlich ungern noch einmal auf die Zahlen eingehen. Die sind veröffentlicht und auch hier besprochen worden.

Da Sie meinten, dass die Zahlen steigen: Das kann ich Ihnen schon bestätigen. Das liegt auch daran, dass wir die Instrumente, die ich Ihnen gerade erläutert habe, implementiert haben und dass die greifen. Das wollen wir auch. Wir wollen, dass das greift. Unser Ziel ist: Kein Extremist – egal welcher Couleur – gehört in die Bundeswehr. Daher arbeiten wir das jetzt Stück für Stück ab und schauen, wie es da weitergeht.

Frage: Ich habe ein paar Fragen zu dem Fall Philipp S., der gestern veröffentlicht wurde. Er ist ja seit 20 Jahren Mitglied im KSK. Wie erklären Sie sich, dass er in diesen Jahren nie als Rechtsextremer im KSK aufgefallen ist? Wie erklären Sie sich, dass er über Jahre hinweg Waffen – bei Waffen geht es um Sturmgewehre, Schreckschusswaffen und Tausende Pistolen -, Munition und Gewehrmunition gestohlen hat? Er hat Sprengstoff, Sprengfolien, Sprengschnüre, Rauchgranaten, Signalpatronen und Zünder gelagert. Wie erklären Sie sich, dass diese Diebstähle möglich waren?

Routsi: Sie wissen, dass wir zu einzelnen Personalangelegenheiten keine Stellung nehmen dürfen; ich darf es schlichtweg nicht. Was ich Ihnen aber sagen kann, ist, dass genau das auch Thema einer laufenden Untersuchung ist. Genau diese Punkte werden jetzt besprochen. Dabei wird ganz genau geschaut, wer wie mit wem Kontakt hatte. Dem wird man jetzt auf den Grund gehen.

Zusatzfrage: Es gibt erfahrene Bundeswehrsoldaten, die davon ausgehen, dass dieser Mann das nicht alleine geschafft haben kann. Sind auch Sie der Meinung, dass das ein Einzelfall, ein Einzeltäter ist, oder gibt es da Mitwisser?

Routsi: Ich glaube, dass wir uns einig sind, dass Ihnen mit Spekulationen hier nicht geholfen ist. Wir werden das anhand der Fakten sehen. Dazu läuft ein gerichtliches Verfahren. Es gibt auch ein Gerichtsurteil dazu. Auch disziplinar wird etwas gemacht. Wir werden dann Fakten auf den Tisch legen, wenn sie vorhanden sind, vorher nicht.

Frage: Ich habe eine Nachfrage. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, wird es eine Gruppe geben, die dann eine Strukturanalyse des KSK machen soll. Können Sie sagen, wer dieser Gruppe angehören soll? Werden das von Ihrem Ministerium Menschen sein oder auch Externe? Wann können wir einen Bericht erwarten?

Routsi: Die Gruppe wird ganz nah an der Leitung des Hauses angesiedelt. Ihr werden Staatssekretär Hoofe, der Generalinspekteur, der Inspekteur des Heeres, der Kommandeur Kommando Spezialkräfte und, wie ich eingangs schon erwähnte, die designierte Wehrbeauftragte beisitzen. Der Zeitplan, den ich schon erwähnt habe, geht bis zur letzten Sitzung vor der Sommerpause.

Zusatzfrage: Es gibt also keine Externen? Wäre die Wehrbeauftragte in diesem Fall extern, sonst niemand?

Routsi: Die Wehrbeauftragte ist extern, genau. Hier geht es ja erst einmal um die strukturelle Geschichte.

Frage: Könnten Sie vielleicht etwas zu dem Rundbrief des KSK-Chefs sagen? Brigadegeneral Kreitmayr hat sich ja an seine Soldaten gewandt und gemeint: Die Rechtsextremisten unter euch gehören nicht zu uns. – Was erwarten denn das KSK und das Verteidigungsministerium von denjenigen, die im KSK rechtsextrem sind? Sollen die sich melden und sagen: „Okay, wir sind hier raus“? Glauben Sie, dass das passieren wird?

Routsi: Ich möchte jetzt hier nicht für den Kommandeur KSK sprechen. Der Brief ist eindeutig. Darin ist eigentlich alles beantwortet. Wichtig ist, das Signal in die Truppe, in seinen Verband zu senden. Er hat sehr klar und deutlich gemacht, dass das hier nicht akzeptiert ist. Gleichzeitig hat er klargemacht, dass wir uns an die rechtlichen Möglichkeiten halten, die gegeben sind. Es wird nicht dazu kommen, dass irgendwelche Leute, die vielleicht nur sozusagen durch Hörensagen Extremisten sind, unschuldig in eine blöde Position gebracht werden. Unsere Maßstäbe sind rechtsstaatlich. Die Sensibilisierung ist gegeben. Man wird in der nächsten Zeit sehen, was das bedeutet.

Zusatzfrage: Hoffen Sie denn auf Whistleblower innerhalb der Truppe?

Vorsitzende Wefers: Das ist jetzt eigentlich keine Nachfrage, sondern eine neue Frage. Aber bitte schön!

Zusatz: Nein. Das bezieht sich auf den Brandbrief des Kommandeurs.

Routsi: Das ist aus meiner Sicht ein Begriff, den ich mir nicht zu eigen machen möchte. Ich verweise Sie aber sehr gerne auf das Soldatengesetz. Darin ist ein ganz wichtiger Paragraf enthalten. Der nennt sich „Kameradschaft“. Wenn wir als Soldaten – das darf ich sagen; ich bin Soldatin – darauf schwören, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen, dann impliziert das auch, dass man mit den Menschen oder den Kameraden, die sich eben nicht daran halten, vielleicht unter Umständen an der einen oder anderen Stelle natürlich das Gespräch sucht, schlichtweg deswegen, weil das mit unserem Beruf nicht vereinbar ist.

(Archivbild Juni 2019: Ein Soldat des Kommandos Spezialkräfte (KSK) beim Vorüben für den Tag der Bundeswehr beim Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf – Jana Neumann/Bundeswehr)