Rückblick auf Münchner Sicherheitskonferenz 2020: Westlos, hilflos?

Die aktuelle Berichterstattung über die Münchner Sicherheitskonferenz können andere allein schon (wo)manpowermäßig besser und haben das in den vergangenen Tagen auch gemacht – deshalb einen Tag danach ein Rückblick mit meinem Gesamteindruck: So tief greifend kontrovers, sowohl weltweit als auch unter Verbündeten, habe ich das Münchner Treffen in meinen bislang 20 Jahren dort noch nicht empfunden. Westlessness, Westlosigkeit war das Motto, und mein Eindruck war eher: Hilflosigkeit.

Ein Gradmesser für die Stimmung auf der Sicherheitskonferenz ist immer der russische Außenminister Sergej Lavrov, seit mehr als einer Dekade gesetzter Gast und Redner in München. Er spricht fließend Englisch und kann problemlos in Podiumsdiskussionen brillieren. Aber er kann auch das Klischeebild vom russischen Apparatschik erfüllen: Eine kurze, harte Ansprache vor den Teilnehmern der Konferenz. Auf Russisch. Und so schnell vorgetragen, dass der Dolmetscher kaum dazu kam Luft zu holen. In diesem Jahr entschied sich Lavrov für die harte Variante – gefühlte Stimmungstemperatur: Unter Null.

Nun hat sich das Verhältnis des Westens in den Jahren seit der russischen Annexion der Krim und den Auseinandersetzungen in der Ostukraine ohnehin nicht positiv entwickelt. Insofern ist diese Art des Auftritts nicht unbedingt überraschend. Aber Besorgnis erregend ist, dass praktisch zeitgleich von dem Westen im bisherigen Sinne zunehmend weniger die Rede ist, wenn sich Europäer und USA auf offener Bühne kräftig abwatschen.

Exemplarisch führte das US-Außenminister Mike Pompeo vor, der sich bei seinem Auftritt am Samstag die Eröffnungsrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom Vortag vornahm:

But over the past few years, I’ve seen, we’ve all seen, democratic leaders questioning America’s commitment to the transatlantic alliance and America’s leadership in the world.
A few recent quotes from Western leaders. These quotes frankly surprised me.
The first was from the middle of 2017: Quote, “The fact that our friend and ally has come to question the very worth of its mantle of global leadership, puts into sharper focus the need for the rest of us to set our own clear and sovereign course.” End of quote.
The second one is from about a year ago. It said, quote: “The multilateral order is experiencing its perhaps gravest crisis since the emergence – its emergence after the Second World War.” End of quote.
The final one was from just yesterday. A quote suggested, quote, that the United States “rejects the international community.” End of quote.
I’m here this morning to tell you the facts. Those statements simply do not affect in any significant way or reflect reality. I am happy to report that the death of the transatlantic alliance is grossly over-exaggerated.

Pompeo nennt noch nicht mal den Sprecher vom Vortag, dessen Zitat er – verkürzt – wiedergibt. Die Aussage aus Steinmeiers Rede:

Und unser engster Verbündeter, die Vereinigten Staaten von Amerika erteilen unter der jetzigen Regierung selbst der Idee einer internationalen Gemeinschaft eine Absage. Ein jedes Land solle selbst sehen, wo es bleibt, und seine eigenen Interessen über die aller anderen stellen. Als ob an alle gedacht sei, wenn ein jeder an sich denkt. „Great again“ – auch auf Kosten der Nachbarn und Partner.

Natürlich hat den US-Außenminister vor allem auf die Palme gebracht, dass der Bundespräsident die Kritik an den USA in eine Reihe mit der Kritik an Russland und China stellte. (Vermutlich hätte Pompeo am liebsten How dare you! gerufen, wenn der Spruch nicht schon auf einen bestimmten Zusammenhang festgelegt wäre.) Unterm Strich bleibt aber bei ihm das Fazit: Wenn er sagt The West Is Winning, der Westen gewinnt, meint er die USA. Und recht offensichtlich nicht das über Jahrzehnte geltende Konzept, das die USA ebenso wie ihre europäischen Verbündeten umfasst.

Diese Konfrontationslinien, gegenüber Russland (und China) auf der einen wie innerhalb der transatlantischen Allianz auf der anderen Seite, zogen sich dann auch durch Debatten in den so genannten side events, den zahlreichen parallelen Themen-Veranstaltungen auf dieser Sicherheitskonferenz. Sicherlich auch, weil die europäischen Redner versuchten, gegen das Label Westlessness mit der Hervorhebung europäischer Interessen und Souveränität zu halten, wie Frankreichs Präsident Macron – dessen Rede von vielen als Highlight des Treffens angesehen wurde:

Wir brauchen eine europäische Strategie, die uns als strategische politische Macht wiederbelebt. Ich sehe ein viel souveräneres, geeintes, demokratisches Europa. In zehn Jahren sehe ich ein Europa, das die Hebel zum Aufbau seiner technologischen, sicherheits- und verteidigungspolitischen Souveränität, in Migrationsfragen, in Bezug auf Ernährung, Klima und Umwelt sowie in seinen Beziehungen zu seiner weiteren Nachbarschaft aufgebaut haben wird.
(Übersetzt mithilfe von  www.DeepL.com/Translator)

Das allerdings ist bislang eine Absichtserklärung, nicht unbedingt eine Darstellung der Faktenlage. Und auch die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer dachte in ihrer Rede wohl eher an die Zukunft, wenn sie an den so genannten Münchner Konsens von 2014 erinnerte, in dem Bundespräsident Joachim Gauck, der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ein schnelleres, präziseres und substantielleres deutsches sicherheitspolitisches Handeln angekündigt hatten:

Ich halte es für notwendig, dass aus dem Münchner Konsens der Worte ein Münchner Konsens des Handelns wird.

Nach sechs Jahren auch eine Aussage über die damalige Ankündigung. Dann wird’s ja nun darauf ankommen, wie dieses Handeln aussehen wird.

Unterm Strich: Wer den Eindruck hat, dass ich von dieser Münchner Sicherheitskonferenz pessimistischer heimfahre als ich hingereist bin, hat Recht.

(Nachlese/Fazit der Sicherheitskonferenz findet sich auch in den Folgen des Podcasts Sicherheitshalber am Rande des Treffens; mit Almut Wieland-Karimi, der Geschäftsführerin des Zentrums für internationale Friedenseinsätze, und mit Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn.)

(Foto: Kramp-Karrenbauer am 15. Februar 2020 vor der Münchner Sicherheitskonferenz)