Modernisierungskatalog der Bundeswehr bis 2031: Geld ist knapp – Personal noch viel mehr

Verteidigungsministerium und Bundeswehr sehen Probleme, die für die nächste Dekade geplante Modernisierung der Streitkräfte auch umzusetzen. Dabei ist die Unsicherheit über den Haushalt ab 2021 nur ein Problem: Mindestens ebenso schwierig schätzt das Ressort die nötige Personalstärke ein. Zusagen an die NATO für die nächsten Jahre könnten möglicherweise nur eingeschränkt erfüllt werden.

Die getrübten Aussichten sind ein Fazit des Berichts zur Fortschreibung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr, den das Ministerium in dieser Woche dem Bundestag vorgelegt hatte. (Zuerst hatte der Spiegel darüber berichtet). In diesen regelmäßigen Berichten stellt das Wehrressort die Entwicklung des so genannten Fähigkeitsprofils dar, des Modernisierungsplanes, den die damalige Ministerin Ursula von der Leyen im September 2018 gebilligt hatte. In der Zielvorstellung soll bis 2032 die Bundeswehr, ausgerichtet an der Landes- und Bündnisverteidigung, bestmöglich ausgerüstet und jederzeit reaktionsfähig aufgestellt sein, heißt es auch in dem aktuellen Bericht.

Das Ministerium nennt jedoch zwei große Unwägbarkeiten für die weitere Entwicklung der Streitkräfte. So ist die nach der derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung vorgesehene Senkung des Verteidigungshaushalts ein Problem vor allem für größere Rüstungsprojekte, die über mehrere Jahre laufen und finanziert werden müssen. Mindestens ebenso schwierig, befürchten die Planer, wird es werden, das für die angestrebten Fähigkeiten der Bundeswehr nötige Personal zu bekommen.

Selbst bei der Zielgröße von 203.000 Soldatinnen und Soldaten im Jahr 2025 (zum Vergleich: aktuell sind es knapp 183.000) könne nicht alles umgesetzt werden, was der NATO zugesagt wurde, heißt es in dem Bericht: Erste Abschätzungen für eine mit dem Zwischenschritt Ende 2031 zu erreichende vollumfängliche Erfüllung aller durch Deutschland akzeptierten NATO-Planungsziele weisen in Richtung eines deutlich höheren Gesamtbedarfs an Soldatinnen und Soldaten.

Das wird auch Auswirkungen haben auf die Zusage an die NATO, bis 2031 drei voll ausgestattete und einsatzbereite Divisionen des Heeres in Bereitschaft zu haben: Die dritte dieser Divisionen wird voraussichtlich rund 20.000 nicht-aktive Dienstposten in nicht-aktiven oder teilaktiven Einheiten und Verbänden haben. Im Klartext: Die dritte Division muss im Bedarfsfall aufgefüllt werden – und eben nicht nur mit Material.

Als möglichen Ausweg nennen die Planer einen stärkeren Rückgriff auf Reservisten, die allerdings in den kommenden Jahren erst gefunden werden müssen: Mindestens 60.000 so genannte nicht-aktive Dienstposten sollen von ihnen besetzt werden. Als weitere Möglichkeit soll die Technik mit Automatisierung und Digitalisierung bis hin zur sukzessiven Nutzung von künstlicher Intelligenz helfen: In diesem Zusammenhang gewinnt die Forderung nach Bedienbarkeit mit einem reduzierten Personalansatz im Rahmen künftiger Rüstungsvorhaben zunehmend an Bedeutung.

Allerdings dürfte das bei einem wesentlichen Personalengpass nicht helfen – der Mehrzahl an Ärzten, Sanitätern und Pflegern, die bei einer Umorientierung der Bundeswehr von Auslandseinsätzen zur Landes- und Bündnisverteidigung zunehmend gebraucht werden: Besonders die Frage nach der notwendigen sanitätsdienstlichen Unterstützung für die Landes- und Bündnisverteidigung führt mit Blick auf den Zwischenschritt Ende 2031 zu erheblichen Mehrforderungen an aktiven Dienstposten des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr, heißt es in dem Bericht.

Die Finanzierung der Vorhaben der Streitkräfte hängt dagegen vor allem davon ab, wie sich die Haushaltsplanung nach dem kommenden Jahr entwickelt. Für das kommende Jahr liegt der auf gut 45 Milliarden Euro gestiegene Verteidigungsetat zwar um rund 1,3 Milliarden Euro unter der Projektion, die mit dem Fähigkeitsprofil im vergangenen Jahr verbunden wurde – dennoch sei für das wichtigste kurzfristige Projekt, die Ausstattung der NATO-Speerspitze (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) unter deutscher Führung 2023 ein wesentlicher Teil der Mittel vorhanden: Nach aktuellem Sachstand können etwa zwei Drittel der zum Haushalt 2020/53. Finanzplan angemeldeten VJTF-Vorhaben finanziell hinterlegt werden, schreiben die Planer.

Allerdings: Die Ausstattung der NATO-Speerspitze 2023 ist damit nur unter Einschränkungen in Qualität und Quantität möglich. Das Ziel, diesen Verband in Brigadestärke voll auszustatten, ohne dabei anderen Einheiten ihr Gerät wegzunehmen, lässt sich damit nicht wirklich erreichen – und das nicht nur aus finanziellen Gründen: Die Einschränkungen betreffen sowohl einen in Teilen auch im Rahmen der VJTF 2023 weiter erforderlichen Materialausgleich zwischen Einheiten und Verbänden sowie einen mitunter erforderlichen Rückgriff auf älteres Gerät für nicht zeitgerecht realisierbare modernere „Zielsysteme“.

(Randbemerkung: Vor allem der letzte Halbsatz lässt aufhorchen; da kommen einem als erstes digitale Kommunikation sowie der geplante Einsatz des Schützenpanzers Puma in den Sinn…)

Noch problematischer als die Ausstattung der NATO-Speerspitze, die ja bis Anfang 2021 voll ausgerüstet sein muss, um die Ausbildung und Zertifizierung der Truppe sicherstellen zu können, bewerten die Planer aber die Finanzierung der langfristigen Ziele. Wenn der Haushalt in den kommenden Jahren nicht weiter steige, müssten möglicherweise mittlere und kleine Rüstungsvorhaben verschoben werden – das wiederum könnte das ganze Konzept des Fähigkeitsprofils infrage stellen, das auf so genannten Systemverbünden beruht, bei denen viele Einzelfähigkeiten sich ergänzen.

Hinzu kommen, so die Befürchtung, Schwierigkeiten bei großen Rüstungsvorhaben, die bislang nach der geplanten Finanzplanung nicht oder erst später bergonnen werden könnten. Als Beispiele nennt der Bericht unter anderem auch international wie für die Bundeswehr bedeutsame Großprojekte wie die deutsch-französischen Gemeinschaftsvorhaben Future Combat Air Systems (FCAS) und Main Ground Combat System (MGCS), aber auch das U-Boot-Projekt mit Norwegen, das neue Taktische Luftverteidigungssystem oder die Nachfolge des betagten Kampfjets Tornado: Wesentliches Hindernis für die Einplanung der genannten mehrjährigen Rüstungsvorhaben ist die im 53. Finanzplan ab dem Haushaltsjahr 2021 stagnierende bzw. leicht fallende Finanzlinie. Bei kontinuierlich steigenden Ausgaben im Betrieb führt dies bereits heute zu Verzögerungen und im Einzelfall auch zu Streichungen.

Für die weitere Umsetzung des Modernisierungsplans, so das Fazit des Ministeriumsbericht, sei die Gewährleistung einer nachhaltigen Finanzierung erforderlich: Dies bedingt eine verlässliche Perspketive für eine im Einklang mit den gegenüber der NATO kommunizierten Absichten einer bis 2024 geplanten Erreichung von Verteidigungsausgaben in Höhe von 1,5 Prozent BIP sowie einer Steigerung auf eine Höhe von zwei Prozent des BIP bis 2031 stehenden finanzplanung des Bundes. Entscheidend sei dabei, dass der Haushalt kontinuierlich ansteige – und sich das Ministerium nicht nur von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr hangeln müsse.

(Archivbild Juni 2019: Verlegung von deutschen Kampf- und Schützenpanzern der VJTF an der deutsch-polnischen Grenze)