Bundeswehr im Sahel: Wahrscheinlich länger, vielleicht auch anders?

Ein bisschen überraschend bat der Korvettenkapitän der Kampfschwimmer die Ministerin nach vorne. Mitten in seinem Lagevortrag auf der Base Aerienne 101, dem Fliegerhorst am Rande von Nigers Hauptstadt Niamey, band er Annegret Kramp-Karrenbauer ein Tourniquet um den Oberarm. Die Aderpresse, erläuterte er nicht ohne Stolz, stamme aus nigrischer Eigenproduktion: Ein Nebenprodukt der Bundeswehr-Bemühungen, dem bitterarmen Sahel-Staat beim Aufbau eigener Spezialkräfte für seine Armee zu helfen.

In der Region Tahoua im Niger, rund 200 Kilometer von Niamey entfernt, bilden Spezialkräfte der Bundeswehr die künftigen Spezialkräfte des Landes aus. Für die Operation Gazelle, so erfuhr Kramp-Karrenbauer bei ihrem Besuch Anfang Oktober, bringen die Deutschen allerdings nicht nur die Ausbilder mit: Aus der so genannten Ertüchtigungsinitiative, einem Haushalt von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium in Berlin, finanzieren sie auch die Ausstattung der Nigrer, vom Toyota-Geländewagen über die nagelneue Kalaschnikow bis hin eben zum Tourniquet – das dann künftig im Land selbst hergestellt werden soll.

Es ist nicht die einzige Ausbildungsmission dieser Art. In Tunesien (Fennek) und Jordanien (Arabian Leopard) sind ebenfalls deutsche Soldaten des Kommandos Spezialkräfte des Heeres oder der Kampfschwimmer der Marine in Military Assistance-Missionen unterwegs. Immer unterhalb der Einsatzschwelle, betont das Verteidigungsministerium, das deshalb – im Unterschied zur Opposition – auch nicht die Notwendigkeit sieht, dafür ein Bundestagsmandat zu beantragen.

Schon bei ihrem Besuch in Niger und Mali im Oktober sinnierte die deutsche Verteidigungsministerin, ob solche Missionen nicht auch anders angelegt werden müssten. In ihren öffentlichen Hinweisen in Niamey, in Koulikoro und in Gao in Mali blieb sie dabei allerdings vage – und deutete nur an, dass möglicherweise ein anders Vorgehen nötig sei, um das von Dschihadisten zunehmend unter Druck gesetzte Mali zu stabilisieren. Der konkreten Frage, ob das auch einen Kampfauftrag für deutsche Soldaten bedeuten könnte, wich sie allerdings aus.

Bisher jedenfalls. In einem ausführlichen Interview mit der Süddeutschen Zeitung (Ausgabe vom 7. November; Wortlaut hinter Paywall) forderte Kramp-Karrenbauer jedoch nicht nur, dass Deutschland – wie auch von anderen Politikern ihrer Partei angemahnt – mehr Verantwortung übernehmen und auch bereit sein müsse, die damit verbundenen Kosten zu tragen. Sie kam dabei auch, ohne dass die Interviewer konkret danach gefragt hätten, sehr schnell auf Mali und die umgebenden Länder zu sprechen:

Führen wir uns die Situation in der Sahelzone vor Augen. Da finden wir im Moment eine der größten Drehscheiben für islamistischen Terrorismus vor. … Die Sicherheit in der Sahelzone ist Teil unserer eigenen Sicherheit.

In diesem Kampf gegen den Terrorismus in der Region, warnte Kramp-Karrenbauer, tragen im Moment die Freunde aus Frankreich die Hauptlast. Die Bundeswehr sei zwar bereits durch ihre laufenden Auslandseinsätze sehr belastet, aber wir könnten für zusätzliche Einsätze die entsprechenden Fähigkeiten, das Material und das Personal zur Verfügung stellen, ohne einen anderen Einsatz abbrechen zu müssen.

Da hätten die Franzosen, die ja die Hauptlast tragen, was in der Planung. Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly erörtert derzeit mit der malischen Regierung, aber auch europäischen Partnern das Konzept für die Operation Tacouba, wie die regionale Nachrichtenwebseite Maliweb am (heutigen) Mittwoch berichtete:

Die französische Verteidigungsministerin diskutierte mit dem malischen Präsidenten einen weiteren Zukunftsplan für die Sicherheit der Sahelzone. Auf Initiative von Paris werden im nächsten Jahr europäische Spezialeinheiten nach Mali kommen, um die nationale Armee bei der Terrorismusbekämpfung zu unterstützen. Die erwartete Einheit wird „Tacouba“ oder „Säbel“ in [der Touareg-Sprache] Tamasheq heißen.
(Übersetzung mithilfe von deepl.com)

Die Details sind noch vage, auch der französische Sender RFI hat nicht allzuviel mehr dazu. Allerdings, so ist zu hören, solle Tacouba kein weiterer Kampfeinsatz werden wie die schon in der Region laufende franzöische Antiterroroperation Barkhane. Sondern das, was im militärischen Sprachgebrauch Mentoring heißt – Ausbildung, aber auch Begleitung der Ausgebildeten in ihre Kampfeinsätze.

So was ähnliches hat die Bundeswehr schon mal gemacht. In Afghanistan, und es hieß dort Operational Mentoring and Liaison Teams (OMLT). So was würde alle Punkte erfüllen, die Kramp-Karrenbauer in ihrem Interview (und zuvor auch bei der Reise in die Region) ansprach: Mehr deutsche Verantwortung, Beitrag zur Sicherheit in der Sahelzone und, je nach Umfang, ein zusätzlich leistbarer Einsatz.

Allerdings nur, wenn der Bundestag zustimmen sollte. Denn das wäre definitiv nicht mehr unterhalb der Einsatzschwelle.

Nachtrag, damit es nicht untergeht: In den Kommentaren (vielen Dank!) ein Hinweis auf ein Schreiben von niederländischem Außen- und Verteidigungsministerium ans Parlament, in dem es um den französischen Vorschlag für eine solche Mission in Mali geht:

Am 26. Juli letzten Jahres erhielt das Verteidigungsministerium einen schriftlichen Antrag der französischen Verteidigungsministerin Parly, eine mögliche Beteiligung der Niederlande an einer multinationalen Combined Joint Special Operations Task Force (CJSOTF) zu prüfen. Diese Task Force wird die malischen Streitkräfte durch Ausbildung, Beratung und Anleitung unterstützen. Neben den Niederlanden wurden auch andere europäische Länder angesprochen.
Wir möchten Sie darüber informieren, dass das Kabinett im Hinblick auf diesen Antrag und in Übereinstimmung mit dem Bewertungsrahmen 2014 prüft, ob es wünschenswert und möglich ist, diesem Antrag nachzukommen. Wir werden Sie informieren, sobald die Untersuchung Anlass dazu gibt.
(Übersetzt mit DeepL.com)

(Foto Oktober 2019: Ein Korvettenkapitän der Kampfschwimmer der Deutschen Marine legt der Verteidigungsministerin zurn Demonstration ein Tourniquet an – Base Aerienne 101, Niamey, Niger)