von der Leyen-Bilanz: Am Ende mehr Erfolg als Anerkennung

Meine Betrachtung der Arbeit Ursula von der Leyens als Verteidigungsministerin ist heute bei ‚Zeit Online‘ erschienen – ich veröffentliche den Text  auch hier.

Der Bruch zwischen der Verteidigungsministerin und der Truppe lässt sich ziemlich genau datieren. Am Abend des 30. April 2017 sagte Ursula von der Leyen in der ZDF-Sendung Berlin direkt jene Sätze, die viele Soldaten gegen sie aufbrachten: „Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem. Und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen.“ Und auch wenn sich die oberste Chefin der deutschen Streitkräfte im Frieden später für diesen Satz entschuldigte: Aus Sicht vieler in der Truppe war dieser Riss nicht mehr zu kitten.

Die folgenschweren Interviewsätze fielen in der Debatte über rechtsextremistisches Gedankengut in der Bundeswehr, kurz nachdem der Oberleutnant Franco A. als angeblicher syrischer Flüchtling aufgeflogen war und unter dem Vorwurf der Vorbereitung von Anschlägen in Haft genommen wurde. Es wirkte jedoch, als wollte sich die Ministerin von ihren Soldaten distanzieren. Das schien wie der logische Schluss einer Haltung, die von der Leyen in den da schon mehr als drei Jahren Amtszeit vorgeworfen wurde: Nicht nur, dass sie die Bundeswehr nicht verstehe. Sondern auch, dass der ersten Frau auf diesem Posten das Wesen von Streitkräften fremd sei.

In der Tat hatte die frühere Familien- und Sozialministerin schon zuvor Themen aufgegriffen, die dem Militärischen fremd schienen: Soziale Belange wie Kindergartenplätze für die Kinder von Soldatinnen und Soldaten, als „FKK“ verspottete moderne Kaserneneinrichtungen mit Flachbildschirm, Kühlschrank und eben Kitaplatz, die Vereinbarkeit von Familie und (Soldaten-)Beruf und gar die Übertragung der EU-Arbeitszeitrichtlinie auf den Truppenalltag. Aus Sicht vieler in der Bundeswehr genau die falschen Schwerpunkte, während auf dem Kasernenhof, auf den Fliegerhorsten und in den Häfen viel zu viel defektes und nicht einsatzbereites Material herumstand.
Das Beschaffungswesen bleibt überholungsbedürftig

Dieses Image haftet von der Leyen bis heute an und wird durch jede Hiobsbotschaft aus der Bundeswehr verstärkt. Selbst bei den Flugunfällen der vergangenen Wochen wurde öffentlich über die Frage gestritten, ob nunmehr die letzten einsatzbereiten Kampfjets und Hubschrauber der Streitkräfte außer Gefecht seien. Dabei geriet in den Hintergrund, dass in der gut fünfeinhalbjährigen Amtszeit von der Leyens eine Bundeswehr-interne, aber auch öffentliche Kehrtwende eingesetzt hat – deren Erfolge allerdings noch auf sich warten lassen.

Nun war es keineswegs allein das Verdienst dieser Ministerin, dass die Streitkräfte auf einen neuen Kurs gebracht werden mussten. Noch zu ihrem Amtsantritt galt die Vorgabe, die ihre Vorgänger seit mehr als einem Jahrzehnt befolgt hatten: Die Bundeswehr hatte kleiner und möglichst billiger zu werden, das Material wurde reduziert, Standorte geschlossen. Mit der russischen Annexion der Krim und dem Vorgehen russisch unterstützter Separatisten in der Ostukraine änderte sich das dann grundlegend. In der Nato, aber auch eben in Deutschland wurde es wieder möglich, über eine stärkere Bundeswehr und über höhere Ausgaben für den Verteidigungsetat nachzudenken.

Von der Leyen konnte damit in praktisch jedem Amtsjahr zusätzliche Milliarden Euro ausgeben und Entscheidungen ihrer Vorgänger, zuletzt Thomas de Maizière und seine von der Kassenlage getriebene Transformation der Streitkräfte, schrittweise aufheben. Langsam rückte sie von den festgeschriebenen Obergrenzen für die großen Waffensysteme ab, zahlreiche bereits aufgegebene Kasernen wurden wieder in die Bundeswehr zurückgeholt, neue Verbände wie ein deutsch-niederländisches Panzerbataillon in Bergen aufgestellt.

Allerdings liefen und laufen die ausgerufenen Trendwenden nicht so glatt und vor allem nicht so schnell wie geplant, gewünscht oder auch verkündet. Schon das zusätzliche Personal, mit dem die Bundeswehr vom niedrigsten Stand im Juni 2016 kräftig wachsen soll, ist schwer zu finden, die angestrebten Zahlen wurden und werden nur mit Verzögerung erreicht. Auch das Beschaffungswesen der Bundeswehr, dringend überholungsbedürftig, bekam die Ministerin bis zum Schluss nicht wirklich in den Griff.

Zudem wirkten sich die Sparrunden der früheren Jahre, in denen zum Beispiel Ersatzteile aus Kostengründen nicht bestellt wurden und dann erst Jahre später geliefert wurden, unverändert bei jedem der jährlichen Berichte verheerend aus – und die Öffentlichkeit nahm erschreckt oder staunend zur Kenntnis, wie viel nicht einsatzbereites Gerät bei der Truppe steht.

Nach mehr als einer Legislaturperiode im Amt war da dann wenig, was von der Leyen nur ihren Vorgängern anlasten konnte. Dass das Umsteuern nicht so funktionierte wie geplant, muss sie zu einem großen Teil auf ihre Kappe nehmen. Dass Entscheidungen von einem kleinen Kreis um die Ministerin getroffen wurden und dabei die, die das dann umsetzen mussten, nicht wirklich eingebunden waren, mag dazu beigetragen haben. Und auch der – rückblickend falsche – Versuch, manche Projekte möglichst schnell durchzuziehen: Die Selbstverständlichkeit, mit der an der Ministeriumsspitze Entscheidungen offenkundig ohne genauere Prüfung der rechtlichen Bedingungen getroffen wurden, bescherte Ministerin und Ministerium die sogenannte Berateraffäre und den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Vergabe von Aufträgen an externe Spezialisten.

Da wirkt die Entscheidung der Ministerin im Fall des Sturmgewehrs G36 wie ein zwar rechtlich einwandfreies, aber symbolisches Beispiel. 20 Jahre nach Einführung dieser Standardwaffe stand ohnehin die Entscheidung über einen möglichen Nachfolger an, und Tests der Wehrtechniker hatten Probleme mit dem Gewehr gezeigt. Doch während sich die Soldaten im Auslandseinsatz über so ziemlich jeden Ausrüstungsgegenstand beklagten, von der Feldbluse bis zu den Stiefeln, meldete fast niemand Probleme mit dieser Waffe. Dennoch verfügte von der Leyen publicitywirksam, das G36 der Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch habe „in dieser Konstruktion keine Zukunft in der Bundeswehr“. Die Suche nach einem Nachfolger dauert an, und die Truppe benutzt natürlich weiter das G36.

Wesentlicher ist allerdings, dass von der Leyen bislang keine neuen Großprojekte starten konnte, die nicht schon ihre Vorgänger begonnen hatten. Ob das neue Mehrzweckkampfschiff 180, das geplante neue Taktische Luftverteidigungssystem TLVS oder der dringend benötigte neue Schwere Transporthubschrauber: Für diese künftigen milliardenteuren Hauptwaffensysteme gibt es Planungen und Verhandlungen – aber noch keinen Vertrag. Und auch die Umstellung des Heeres auf digitale Funksysteme dümpelt noch in der Anfangsphase. Wann dafür nicht nur die Technik beschafft wird, sondern auch das Geld bereitsteht, ist derzeit nicht wirklich absehbar.

Das in großen Teilen negative Bild der Ministerin im eigenen Land steht allerdings in merkwürdigem Kontrast zu ihrer Wahrnehmung in anderen EU- und Nato-Ländern. Denn von der Leyen hat sich nicht nur immer wieder öffentlich für eine stärkere sicherheitspolitische Rolle Deutschlands eingesetzt, zum Beispiel mit ihren Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Sie hat auch das militärische Engagement ausgeweitet: Dass die Bundeswehr an der Nordostgrenze der Nato ein Bataillon führt, mit dem die litauischen Verbündeten Rückendeckung gegenüber dem gefürchteten Nachbarn Russland bekommen sollen, hat sie ebenso vorangetrieben wie den deutschen UN-Einsatz in Mali – zur Unterstützung vor allem Frankreichs. Ob ihr dieses Engagement auf die Habenseite angerechnet wird oder gerade eben nicht, ist allerdings eine Frage des jeweiligen politischen Standorts.

(Archivbild: von der Leyen bei ihrer ersten Auslandsreise als Verteidigungsministerin im Dezember 2013 in Afghanistan)