Neue Probleme für die NATO: Türkei erhält erste russische S-400-Flugabwehrsysteme (m. Nachtrag)

Die Türkei hat die ersten Teile des bestellten russischen Flugabwehrsystems S-400 erhalten. Die NATO stellt dieses Luftverteidigungssystem in einem Mitgliedsland der Allianz vor neue Probleme – und die USA hatten bereits angekündigt, die Lieferung von F-35 Kampfjets an die Türkei einzustellen.

Auf einer Luftwaffenbasis nahe der türkischen Hauptstadt Ankara landete am (heutigen) Freitag eine russische Frachtmaschine mit der ersten Lieferung der S-400-Systeme, wie das türkische Verteidigungsministerium auf seiner Webseite mitteilte:

Überführung des S-400 Langstrecken-Luft- und Raketenabwehrsystems
Zur Deckung des Bedarfs der Türkei an Luft- und Raketenabwehrsystemen wurde der Vertrag zur Beschaffung des S-400 Langstrecken-Luft- und Raketenabwehrsystems am 11. April 2017 unterzeichnet.
Im Rahmen der Vereinbarung wurde mit der Überführung des Materials der ersten Gruppe für das S-400 Langstrecken-Luft- und Raketenabwehrsystem zum Flughafen Mürted/Ankara ab dem 12. Juli 2019 begonnen.

Aus Sicht der NATO ist die Installation eines russischen Flugabwehrsystems ein ernsthaftes Problem: Die Allianz betreibt eine integrierte Luftverteidigung, in der alle Mitgliedsländer die Daten ihrer Systeme einspeisen und die auch gemeinsam die Flugabwehr steuert. Eine Integration eines technisch komplett anderen Waffensystems in diesen Verbund ist nicht nur ein IT-Problem: Natürlich besteht auch die Befürchtung, dass damit Lecks in diesem Nachrichtenverbund entstehen könnten.

Aussagen der Türkei wiederum, die S-400 würden nicht in das NATO-System integriert, sondern als stand-alone-Lösung stationiert, dürften wiederum das gemeinsame Luftlagebild des Bündnisses verschlechtern, weil eben von diesem Stationierungsort keine Daten an das Allianz-System geliefert werden. Der in diesem Zusammenhang bisweilen genannte Verweis auf ältere russische S-300-Systeme in den griechischen Streitkräften zeigt ja genau dieses Problem: Die S-300 sind nicht in das NATO-System integriert.

Aus Sicht der USA ist zudem entscheidend, dass die modernen russischen Systeme Daten über den modernen US-Kampfjet F-35 erfassen und gegebenenfalls an Russland weitergeben könnten – die Türkei will selbst F-35 kaufen und betreiben. Das Verteidigungsministerium in Washington hatte deshalb vor wenigen Tagen (erneut) erklärt, dass die Türkei nach Lieferung der S-400 aus dem F-35-Programm aussteigen müsse:

The Department of Defense will remove Turkey from the F-35 joint strike fighter program if the nation accepts delivery of the Russian S-400 air defense system, a senior Defense Department official said.
Meeting with think tank representatives at the Pentagon, Katie Wheelbarger, the acting assistant secretary of defense for international security affairs, said the NATO alliance and nations partnering in developing and fielding the F-35 are unified in their opposition to Turkey fielding the Russian system.
The concern is that the S-400 could be used to gather data on the capabilities of the F-35, and that the information could end up in Russian hands, officials explained.

(Über dieses Thema haben wir auch in der jüngsten Folge des Podcasts Sicherheitshalber gesprochen.)

Das Ausladen der Lieferung, so Twitter-Meldungen aus der Türkei, wurde im Fernsehen live übertragen:

… und ein Video dazu gab es auch vom russischen Verteidigungsministerium:

… sowie vom türkischen Verteidigungsministerium (plus Fotos):

Eine vom US-Verteidigungsministerium dazu angekündigte Stellungnahme wurde wieder abgesagt:

Nachtrag: Am Samstag (13.Juni) wurden die Lieferungen fortgesetzt:

Der türkische Verteidigungsminister hatte dazu am Freitag mit seinem US-Kollegen telefoniert; die türkische Darstellung:

National Defence Minister Hulusi Akar had a phone call with US Acting Secretary of Defense Mark Esper.
Turkey’s procurement of long-range regional air and missile defence systems as well as security issues concerning Syria were discussed during the phone call.
Minister Akar told his US counterpart that Turkey remains under a serious air and missile threat and that purchase of S-400 defence systems was not an option but rather a necessity and Turkey was still assessing the bid to acquire US patriot air defence systems.
Emphasizing that Turkey is a partner of the F-35 fighter aircraft programme and that programme should continue uninterrupted, Akar said that Turkey’s proposal was still on the table for setting up a joint working group – that could include NATO – to assess the possible interaction of F-35 aircraft and S-400 systems.
Turkey has fulfilled all its obligations under the F-35 programme and it remains committed to its position, Akar said.
Minister Akar stressed that Turkey’s purchase of S-400 does not in any way mean change of its strategic orientation and reiterated that deterioration of bilateral relations would serve the interests of neither Turkey nor the US nor NATO.
Akar emphasized that the only military force that is ready, competent and appropriate for the establishment of the safe zone in northern Syria was the Turkish Armed Forces. He reiterated that for Turkey, protection of its borders and people was the priority and in the face of intensive attacks from the Syrian border Turkey would have to take necessary measures and would not allow terror groups seeking safe haven right across its borders.

(Foto: Entladung der ersten Teile des S400-Systems in der Türkei – Türkisches Verteidigungsministerium)