Spitzen-Entscheidungen über Sanierung der ‚Gorch Fock‘ auf fehlerhafter Grundlage

Bei den Entscheidungen zur Sanierung des Bundeswehr-Segelschulschiffes Gorch Fock trotz explodierender Kosten sind im Verteidigungsministerium Warnhinweise von Mitarbeitern auf dem Dienstweg verloren gegangen – was am Ende dazu führte, dass Ministerin Ursula von der Leyen zwei Mal trotz massiver Kostensteigerungen die weitere Überholung der Dreimastbark billigte. Das geht aus einem Bericht zu den Verwaltungsvorgängen hervor, die das Ministerium am (heutigen) Montag den Abgeordneten im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuss des Bundestages zusandte.

Unter anderem wird in dem Bericht darauf verwiesen, dass das Referat IV 5 (Systeme See) der Ministeriums-Abteilung Ausrüstung bereits im Januar 2018 den Abbruch der Instandsetzung der Gorch Fock sowie eine schnellstmögliche Realisierung einer Nachfolgelösung vorgeschlagen habe. Der Auftragnehmer Elsflether Werft, so hieß es in der Vorlage, sei mit der der Dimension bereits jetzt überfordert, zudem könne eine Nutzungsdauer des Schiffs über 2032 hinaus aufgrund des Alters wesentlicher Bauteile (z.B. Kiel des Schiffes) aus fachlicher Sicht nicht empfohlen werden.

Allerdings, so heißt es in der Zusammenstellung des Ministeriums, sei der damalige Abteilungsleiter, der heutige Staatssekretär Benedikt Zimmer, diesem Entscheidungsvorschlag nicht gefolgt. Statt dessen habe er um ein Erklärstück gebeten, das die Gründe für die erkannten Kostensteigerungen auflisten sollte – und weder dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (BAAINBw) noch anderen Dienststellen zur Kenntnis gegeben werden sollte. Als Ergebnis der Überarbeitung wurde die Fortsetzung der Instandhaltung mit dem bisherigen Auftragnehmer sowie die Verlängerung der Nutzungsdauer bis mindestens 2040 vorgeschlagen.

Zu diesem Zeitpunkt war absehbar, dass die ursprünglich auf zehn Millionen Euro veranschlagten Sanierungskosten bereits auf mehr als 120 Millionen Euro zusteuerten. Dennoch war aus Sicht des Ministeriums entscheidend, dass die Kosten für einen Neubau auf rund 170 Millionen geschätzt wurden und zudem die Deutsche Marine neun Jahre lang kein Segelschulschiff in ihrem Bestand haben würde. Als Folge der Einschätzung wurde in einem späteren Papier nunmehr die Fortsetzung der Instandhaltung durch die Elsflether Werft insbesondere mit Blick auf den als notwendig erachteten Erhalt der Fähigkeit zur seemännischen Ausbildung auf einem Großsegler insgesamt als „risikoarm“ bewertet, heißt es in dem Bericht.

Habe am 14. März 2018 mit Generalinspekteur [Volker] Wieker abgestimmt: Die Fähigkeit muss erhalten bleiben, schrieb die damalige Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder als Hinweis unter die Vorlage zur weiteren Sanierung, die dann auch von der Verteidigungsministerin am 22. März 2018 gebilligt wurde.

Im Vergleich des ersten Entwurfs aus dem zuständigen Referat mit dem  Entscheidungsvorschlags für von der Leyen sah das so laut Ministeriumsbericht so aus:

Die Kernaussagen des ersten Entwurfs vom 24. Januar 2018 (Entscheidungsvorschlag: Abbruch der Instandsetzung und schnellstmöglicher Neubau) mit
• 65 Mio € Kosten für einen Instandsetzungsabbruch,
• 126 Mio € geschätzter Kosten für einen Neubau und
• der Festlegung der Nutzungsdauer bis maximal 2032
• Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Elsflether Werft

weichen von den Kernaussagen der Vorlage vom 22. März 2018 (Entscheidungsvorschlag: Fortsetzung der Instandsetzung) mit
• 75 Mio € Kosten für einen Instandsetzungsabbruch
• 170 Mio € geschätzter Kosten für einen Neubau und
• der Festlegung der Nutzungsdauer bis zunächst 2040
deutlich ab.

Dabei stützten sich die angenommenen Kosten für einen Neubau auf eine Studie der Marinetechnik GmbH vom April 2017, die allerdings dafür laut Bericht eine Spanne zwischen 117 und 168 Millionen Euro nannte. Grund für die Summe war unter anderem, dass die Studie von einem Neuentwurf eines Segelschulschiffes an Stelle der Übernahme eines bestehenden Designs ausging. Ein neues Schiff könne nicht mehr wie die Gorch Fock eine Dreimastbark sein, sondern brauche vier Masten und mehr Segelfläche: Die entworfene Schiffsgröße resultiert aus der Anwendung der derzeit gültigen Bauvorschriften (z.B. Unterbringung des Stammpersonals, Einrichtung Schiffslazaretts) sowie aus der Berücksichtigung einer Indiensthaltungsreserve von 10%. Um bei dieser Schiffsgröße die geforderte Geschwindigkeit erreichen zu können, ist eine entsprechende Segelfläche, die sich auf 4 Masten erteilt, erforderlich.

Bereits ein Jahr vor der Empfehlung des zuständigen Referats im Januar 2018 hatte es schon eine Vorlage für die Ministeriumsleitung gegeben, in der es auch um die gestiegenen Kosten für die Sanierung des Schiffes ging. In seiner Bewertung dieser Vorlage vom Januar 2017 kommt das Ministerium im aktuellen Bericht zu dem Schluss:

Die Angaben zu den Kosten waren nicht belastbar und berücksichtigten nicht alle zum damaligen Zeitpunt bekannten Fakten; die finanziellen Auswirkungen wurden nicht ausreichend fundiert ermittelt und nicht aussagekräftig unterlegt. Sie waren daher nicht geeignet, als Grundlage für eine Entscheidung ein klares Bild von den zur Verfügung stehenden Optionen zu zeichnen.

Obwohl zudem Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung nicht eingehalten wurden, keine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vorgenommen wurde und für einen Neubau nicht eine Beschleunigung des Beschaffungsprozesses geprüft wurde, ging die Vorlage an die Ministerin – die eine Fortsetzung der Gorch-Fock-Sanierung billigte. Aus Sicht des damaligen Abteilungsleiters Planung, Generalleutnant Erhard Bühler, war der gesamte Prozess der Entscheidungsvorbereitung durch einen hohen Zeitdruck gekennzeichnet, unter dem alle Beteiligten standen, heißt es in dem Bericht.

Unterm Strich liest sich die ganze Zusammenstellung mit Datum 5. April 2019 wie ein Eingeständnis, dass bei den Entscheidungen über die Gorch Fock alles andere als ordentlich gearbeitet wurde. Lapidar wird in dem Bericht die Kritik des Bundesrechnungshofes an der ersten Leitungsvorlage vom Januar 2017 und der zweiten Vorlage vom März 2018 zitiert, beide waren von der Ministerin genehmigt worden:

• „Insgesamt bot die 1. Leitungsvorlage damit keine ausreichend fundierte Basis für die Entscheidung zur Fortstetzung der Instandhaltung durch die Bundesministerin“ und
• „Die Entscheidung der Bundesministerin zur Fortsetzung der Instandhaltung im März 2018 basierte auf alschen oder nicht aussagekräftigen Informationen. Auch die 2. Leitungsvorlage bot keine ausreichend fundierte Basis für die Entscheidung der Bundesministerin.“

Dem hat das BMVg nicht widersprochen.

(Archivbild: Die Gorch Fock in Boston am 30. Mai 1980 – Peter H. Dreyer/City of Boston Archives/Public Domain)