Vor 20 Jahren: Der erste Kriegseinsatz der Luftwaffe in der NATO
Vor 20 Jahren, am 24. März 1999, startete die erste Angriffswelle der NATO gegen Ziele in Serbien. Die Allianz wollte damit einen Rückzug serbischer Truppen aus der damaligen serbischen Unruheprovinz Kosovo erzwingen; die Luftangriffe richteten sich aber nicht zuletzt gegen Infrastruktur in Serbien selbst. An der Operation Allied Force war auch die Bundeswehr mit ihrem ersten scharfen Einsatz der Luftwaffe beteiligt.
Der meist – nicht ganz zutreffend – als Kosovo-Krieg bezeichnete Einsatz hat bis heute politische Nachwirkungen. Nicht nur, weil nach wie vor die NATO-geführte KFOR-Mission im inzwischen unabhängigen Kosovo aktiv ist. Sondern vor allem, weil sich das Bündnis für diese Luftangriffe ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats selbst mandatiert hatte. Dieser Krieg der NATO wird bis heute nicht zuletzt von Russland als Beispiel dafür herangezogen, dass die westliche Seite sich selbst nicht an die Forderung hält, nur von den Vereinten Nationen legitimiert militärische Gewalt anzuwenden.
Teil der ersten Angriffswelle, so berichtete die (nicht mehr existierende) Truppenzeitschrift Luftwaffe damals (s. Ausriss oben), waren vier Tornados in der Electronic Combat Reconaissance (ECR)-Variante: Mit ihren HARM (High Speed Anti Radiation Missile)-Raketen hatten sie die Aufgabe der Suppression of Enemy Air Defense (SEAD), der Unterdrückung der gegnerischen Luftverteidigung.
Die Darstellung der deutschen Mission auf der Luftwaffen-Webseite:
Der Auftrag der ECR–Tornados war es, alliierte Luftfahrzeuge zu schützen, indem die gegnerische bodengebundene Luftverteidigung erfasst, identifiziert und ausgeschaltet wurde. Die ECR-Tornados mussten deshalb vor allen anderen Flugzeugen in den gegnerischen Luftraum einfliegen. Die Tornados erledigten diese Aufgabe überaus effektiv. Es gab weder eigene noch alliierte Verluste während Operationen die durch ECR- Tornados geschützt wurden.
Über den gesamten Zeitraum der Operation „Allied Force“ wurden insgesamt 236 HARM-Raketen ( High Speed Anti-Radiation Missile) eingesetzt. Beim Einsatz der HARM-Raketen muss der ECR-Tornado zuerst die sendenden Radarstationen am Boden aufspüren. Wird ein „Sender“ als Bedrohung identifiziert, kann er mit der HARM bekämpft werden. Dieser etwa 360 Kilogramm schwere Flugkörper arbeitet weitestgehend autonom, indem er die Radarsignale erfasst, lokalisiert und sich dann selbstständig auf dem vom Boden ausgehenden Radarstrahl ins Ziel lenkt. Die Ergebnisse der taktischen Aufklärungsflüge durch den RECCE-Tornado verbesserten Zielauswahl, Planung und Durchführung der Einsatzflüge und trugen somit deutlich zum Erfolg der Einsätze bei.
(Nach meiner Erinnerung wurde sonst die Zahl von 235 eingesetzten HARM genannt; das kann ich derzeit aber nicht klären.)
Über mögliche so genannte Kollateralschäden der NATO-Kampagne insgesamt gab es immer wieder Berichte, gerade über Opfer in der Zivilbevölkerung. Inwieweit auch Raketen der deutschen Tornados dazu beigetragen haben, bleibt offen. Meldungen, nach denen eine von einem deutschen Kampfjet abgefeuerte HARM ihr Ziel, eine gegnerische Radarstellung, verfehlte und im Nachbarland Ungarn einschlug, wurden offiziell nicht bestätigt.
Die Bundeswehrbeteiligung an diesem Kriegseinsatz war eine Entscheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit dem Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), die zu diesem Zeitpunkt noch kein Jahr im Amt war.
Der Diplomat Wolfgang Ischinger, heute Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hält die Entscheidung unverändert für gerechtfertigt:
Heute vor 20 Jahren:Nato Intervention in Kosovo. War das völkerrechtlich problematisch: ja, in der Tat. Sehr! War es dennoch politisch/ethisch zu rechtfertigen? Ja, es war gut, dass SPD/Gruene dazu imstande waren, und ja: es war unumgänglich. Dazu stehe ich als damaliger AA-StS
— Wolfgang Ischinger (@ischinger) March 24, 2019
Wie unterschiedlich und umstritten die politische Bewertung des Vorgehens der NATO bis heute ist, zeigt exemplarisch die recht unterschiedliche Darstellung in der englischen und in der deutschen Version der Wikipedia. Aus dem englischen Text:
The bloodshed, ethnic cleansing of thousands of Albanians driving them into neighbouring countries, and the potential of it to destabilize the region provoked intervention by international organizations and agencies, such as the United Nations, NATO, and INGOs. NATO countries attempted to gain authorisation from the United Nations Security Council for military action, but were opposed by China and Russia that indicated they would veto such a proposal. NATO launched a campaign without UN authorisation, which it described as a humanitarian intervention. The FRY described the NATO campaign as an illegal war of aggression against a sovereign country that was in violation of international law because it did not have UN Security Council support.
Dagegen die deutsche Version:
Operation Allied Force (OAF, ungefähre Übersetzung: „Unternehmen Bündnisstreitmacht“) war der Deckname einer militärischen Operation der NATO gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien, die sie im Rahmen des Kosovokrieges vom 24. März bis 10. Juni 1999 durchführte. Die im Wesentlichen von den Vereinigten Staaten geführte Militäroperation war der erste Krieg, den die NATO sowohl außerhalb eines Bündnisfalls, dessen Ausrufung bis dahin als Grundlage eines NATO-weiten Vorgehens galt, als auch ohne ausdrückliches UN-Mandat führte und stellte somit einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg dar.
Die NATO konzipierte die Operation in Form eines Luft-Boden-Krieges, den sie ohne weitläufige Gefährdung eigener Truppen ausschließlich über die militärtechnische Nutzung weltraum- und luftgestützter Methoden führte.
Die Beziehungen der einstigen Kriegsgegner NATO und Serbien haben sich zwar grundlegend gebessert, das Balkanland ist auch Mitglied im Partnership for Peace-Programm der Allianz. Dennoch bleibt die rechtliche Grundlage für den damaligen Luftkrieg ein Punkt, an dem das Bündnis politisch angreifbar ist.
Aus militärisch-technischer Sicht ist interessant, dass die Luftwaffe damals mit ECR-Tornado und HARM auf dem technischen Stand der Zeit war – aber 20 Jahre später nicht so viel weiter ist. Auf der Liste der Rüstungsprojekte, die als so genanntes 25-Millionen-Vorhaben noch in diesem Jahr vom Haushaltsausschuss des Bundestages gebilligt werden sollen, steht deshalb auch der Fähigkeitserhalt SEAD: Dafür ist die Umrüstung vom Lenkflugkörper HARM auf eine modernere Konfiguration geplant. Vorerst soll aber auch dafür noch der Tornado genutzt werden – so lange es keinen Nachfolger gibt.
Fürs Archiv:
Luftwaffe 5/99: Der Ernstfall hat eine ganz andere Qualität
Geschichte der Luftwaffe: Beginn der NATO-Luftoperation „Allied Force“
(Foto: Flugblatt der NATO 1999 – via Wikipedia)
@Klaus-Peter Kaikowsky | 25. März 2019 – 21:30
„Das „Konzept der Internationalen Schutzverantwortung (R2P)“ war und ist die einzig verantwortbare Reaktion gewesen.“
+1
„Alternativ: Völkermord an Kosovaren im Namen des Völkerrechts und angewendet als Diktatorenschutz?“
In der Tat unvorstellbar so etwas heute im Nachhinein rechtfertigen zu wollen. Und das nicht nur vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte Mitte des Jahrhunderts, sondern vor allem vor dem Hintergrund der nur wenige Jahre zuvor begangenen Verbrechen in Bosnien…
Und ja nicht von irgendwem begangen, sondern eben unter Schirmherrschaft und Anleitung durch eben jenes Regime, was erst durch Luftschläge zum Einlenken gebracht wurde.
@Pete | 25. März 2019 – 21:39
„Das Operationsziel wurde nicht erreicht. Das ist ein Fakt! Erst nach den Luftangriffen fingen die größten Übergriffe an.“
Soso. Selbst wenn das so stimmen würde, woher haben Sie die Sicherheit, dass die Gräuel nicht (wie ja wenige Jahre zuvor in Bosnien) so oder so erfolgt wären?
Wie gesagt: Im Nachhinein ist es immer leicht „hätte, hätte“ zu rufen.
[Ich lasse dieses Propagandastück eines erstmals hier auftretenden Kommentators mal stehen (Kostprobe aus einem verlinkten Text: „Das Wort Brüssel bedeutet «Siedlung auf dem Sumpf.» Die erste Erwähnung über Brüssel ist erst im Jahr 996 in einer Urkunde von Otto dem Großen gefunden worden. Mit anderen Worten, ist es deutlich, Kosovo und Serbien sowohl in Bezug auf Geschichte und Natur höher steht.“). Die Links habe ich deaktiviert; wer sie aufrufen will, kann das ja via copy&paste tun. Bitte aber zugleich dringend darum, solche Sachen hier zu unterlassen. Danke. T.W.]
@Sascha Vohwinkel | 24. März 2019 – 14:25
Die NATO hat damals alles richtig gemacht. Sie hat einen Krieg in Europa beendet und Ruhe in ein Pulverfass gebracht.
____
Der NATO-Krieg gegen Rest-Jugoslawien war der Endpunkt einer Destabilisierung und Zerschlagung Jugoslawiens, die der Westen schon jahrelang betrieben hatte!
Die sog. Bürgerkriege hat vor allem der Westen angezettelt, und vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Interessen muß der NATO-Einsatz, bei dem auch wissentlich zivile Ziele angegriffen wurden,
(de.news-front. info/2016/03/24/wie-die-faschisten-die-usa-und-die-nato-jugoslawien-zerstorten/)
als ordinärer Beutekrieg im Interesse von Deutschen und vor allem US-Konzernen bezeichnet werden.
Mit Menschenrechten oder Kriegsverhinderung hatte er nichts zu tun, denn zum einen haben die USA regelmäßig mögliche Friedensabkommen sabotiert, andererseits wurden die Menschenrechte nur als Vorwand benutzt und die Greueltaten entweder grotesk übertrieben (Srebrenica) oder auch gefälscht bzw. gestellt (sog. Konzentrationslager Trnopolje, sog. Massaker von Racak).
Einen guten ersten Überblick liefert Gudrun Eussners Reisen in das Land der Kriege (eussner.blogspot. com/2014/03/reisen-in-das-land-der-kriege-2002-2008.html), vertiefende Lektüre dazu Mira Beham „Kriegstrommeln“, Jürgen Elsässer „Kriegslügen“ (ja, der war damals noch Journalist!), Hannes Hofbauer (Hg) „Balkankrieg“ und Edward S. Herman (Hrsg), „The Srebrenica Massacre“
Wie in Afghanistan haben die USA im Bosnienkrieg islamische Gotteskrieger für die Drecksarbeit unterstützt, darunter auch Osama Bin Laden! Das ging dann nahtlos weiter mit der Unterstützung der moslemischen Terrormafia UCK, die uns die Medien als verkauft haben.
Bei der R2P Doktrin geht es darum, das jahrhundertealte Prinzip der Souveränität von Staaten zu beseitigen, indem es durch eine „Pflicht“ ersetzt wird, von außen „für Menschenrechte“ militärisch einzugreifen. das ist nichts als ein erstklassiger Vorwand für Kolonialkriege!
@Pete
Die will ich Ihnen auch sicher nicht nehmen. Auch ich habe nur meine eigene Meinung kundgetan, die sich ebenfalls auf Aussagen dieses Artikels stützt! Einen absoluten Geltungsanspruch erhebe ich darauf nicht.
Mir ging es ja vor allem darum, denjenigen, die sich aufgrund der von Ihnen zitierten Textpassagen eine Meinung bilden sollen, auch die andere Seite der Meinungen zu diesem Vertrag zu zeigen.
@Pete | 25. März 2019 – 21:39
Volle Zustimmung.
Artikel 1
Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.
Hier noch eine „Fußnote“:
https://www.theguardian.com/world/1999/apr/24/balkans3
Soweit ich mich erinnere waren auch Elektrizitätswerke eine Zielkategorie, was ebenfalls „grenzwertig“ ist.
Als Hintergrundstudie zum Thema „air campaign“:
https://csis-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/legacy_files/files/media/csis/pubs/kosovolessons-full.pdf
@Ole Pederson
Mit dieser Darstellung: „Greueltaten entweder grotesk übertrieben (Srebrenica) oder auch gefälscht bzw. gestellt“, stellen Sie sich außerhalb jeder seriösen Erörterung.
Das Völkermordurteil gegen Ratko Mladić, dem seinerzeitigen Kommandeur der eingesetzten Truppe, steht stellvertretend für serbische Schuld.
@Thomas Melber
Vielen Dank für die Studie, die sehr viele „hard facts“ liefert.
@Klaus-Peter Kaikowsky | 25. März 2019 – 21:30
„Das „Konzept der Internationalen Schutzverantwortung (R2P)“ war und ist die einzig verantwortbare Reaktion gewesen.“
Hierzu 2 Zitate aus der Studie, die @ Thomas Melber oben verlinkt hat:
“ NATO did end the air and missile campaign with a military victory, but virtually all Serbian ethnic cleansing occurred during the course of the air and missile campaign.“
„… at least 80% of the people NATO attempted to protect suffered grievously during the war…“
Hier eine Monitorsendung der ARD mit einigen Fakten, die die Absolutheit Ihrer Behauptung in Frage stellt:
https://www.youtube.com/watch?v=oz2DofjLvcA
@ Koffer
„Soso. Selbst wenn das so stimmen würde, woher haben Sie die Sicherheit, dass die Gräuel nicht (wie ja wenige Jahre zuvor in Bosnien) so oder so erfolgt wären?“
Jetzt überraschen Sie mich doch etwas. Wollen Sie etwa suggerieren, dass die Wahrnehmung, dass ein Machthaber künftig Gewalt anwenden würde, bereits ausreicht, um einen präventiven Krieg, zum „Schutz“ der Menschen, die unter diesem Machthaber leben müsen, zu führen? Da könnte ich Ihnen dutzende potenzielle aktuelle Kriegsgründe nennen. Sie machen es sich in meinen Augen häufig zu leicht bei dem Begründen miitärischer Einsätze zum „Schutz der Menschen“. Krieg bedeutet zunächst einmal Leid und Tod, oft auch für die, die man schützen will.
@Koffer@Klaus-Peter Kaikowsky@TZ
Nur zur Klarstellung:
1. Ich bin FÜR den Schutz von Menschen gegen ethnische Säuberung und würde im absoluten Einzelfall auch den Einsatz militärischer Gewalt als gerechtfertigt ansehen, wenn dies tatsächlich die einzige Möglichkeit wäre und wenn gesichert wäre, dass WENIGER Leid für die Menschen dabei herauskäme.
2. Im „Einzelfall Kosovo“ war die „Air Campaign“ meines Erachtens aber gerade das falsche Mittel um – im Sinne des Schutzes der Menschen- zu wirken. Es bewirkte das Gegenteil von dem was angestrebt wurde.
3. Bereits die Vorgeschichte der Air Campaign (Ramboiullet) hat leider nicht den Schutz der Menschen als primäres Ziel angestrebt und führte daher bereits auf der politischen Ebene zu einer falschen (weil nicht am Schutz orientierten) militärstrategischen Zielsetzung dieser Campaign.
4. Wer sich aus erster Hand – in meinen Augen seriös- informieren möchte über die tatsächliche Situation im Kosovo VOR der Air Campaign, dem empfehle ich die Lektüre der Bücher des ehemaligen deutschen Brigadegenerals Heinz Loquai, der zum fraglichen Zeitpunkt für diese Region bei der OSZE in Wien tätig war.
5. Hier eine aussagekräftige Rezension mit den Kerngedanken Loquais des Deutschlandfunks zu dem letzten Buch von General Loquai:
https://www.deutschlandfunk.de/heinz-loquai-weichenstellungen-fuer-einen-krieg.730.de.html?dram:article_id=102144
@Pio-Fritz („In Ihrer Entrüstung vermischen Sie die moralisch/menschenrechtliche Komponente, die letztendlich zur Entscheidung für einen NATO-Einsatz geführt hat, mit der rein rechtlichen Bewertung. Und das sind nun mal zwei verschiedene Paar Schuhe.“): Den Denkfehler sehe ich eher bei Ihnen denn es gibt letztlich nur einen einzigen legitimen Grund für militärische Gewalt und das ist GG 1 (1) Satz 1. Daraus lassen sich nicht nur das Recht zur Landes- und Bündnisverteidigung sondern auch für die Interventionen herleiten. Von dieser Basis her zerbröselt Ihre rechtliche Ausgangsposition etwa in Sachen UdSSR (nicht Russland!!!)/AFG oder Jugoslawien weil die Legitimität der jeweiligen nationalen Regierungen von dieser Seite her infrage gestellt werden kann. Wenn die Legitimität der Regierungen wegen Missachtung der Menschenrechte verneint wird, sind alle Argumentationen von der (von nicht legitimen Regierungen ausgeübten) nationalen Souveränität her vom Tisch.
@Ole Pederson | 25. März 2019 – 23:35
Ihr Kommentar entsetzt mich und ist von Grund auf her falsch. Pure Propaganda, haben Sie nicht mehr beizutragen? Wer den Bosnien-Krieg und die Konflikte nach Zerfall Jugoslawiens Anfang der 90er Jahre mit dem Kosovo vergleicht, der hat wirklich keine Ahnung.
Sagt Ihnen jemand, der Mitte der 90er für die OSZE in Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Kroatien unterwegs war.
@Zivi a.D. | 26. März 2019 – 11:49
Und was machen die beteiligten Nationen, für die das deutsche Grundgesetz nicht gilt? Sorry, diese Argumentation funktioniert gar nicht und die Legitimität von Regierungen anderer Nationen lässt sich gewiss nicht mit Hilfe des deutschen Grundgesetzes beurteilen. Da müssen Sie schon völkerrechtlich argumentieren, z.B. für Deutschland auf Art 25 GG verweisen, das gilt aber nur für Deutschland.
Landes- und Bündnisverteidigung argumentieren sich aus Art 87a GG, das hat nichts mit Menschenwürde zu tun.
@Zivi a.D. | 26. März 2019 – 11:49
Leider knapp daneben. Sie haben die Überschrift vergessen:
„Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“
Wie schon Goethe so schön sagte: Wer den ersten Knopf verfehlt, bekommt die ganze Weste nicht geschlossen.
Geltungsbereich: die Bundesrepublik Deutschland. Nicht-Geltungsbereich: Jugoslawien und der Rest der Welt. Zustände in anderen Staaten unterliegen nicht der normativen Kraft des Grundgesetzes, sondern allein deren nationalen Regeln und dem Völkerrecht. Das Grundgesetz ist genau dieses nicht: Völkerrecht. Es leiten sich aus der Verfassungsnorm für Deutschland keine Rechte oder Pflichten in Bezug auf die Angelegenheiten anderer souveräner Staaten ab; auch keinerlei Recht auf einen Militäreinsatz, um irgendwo oder in Jugoslawien die Normen des deutschen Grundgesetzes durchzusetzen.
Was hat denn das Grundgesetz hier verloren?
Stellen Sie sich mal vor, ein imaginärer Diktatorenstaat „Musterland“ hat in seiner Verfassung auch einen Artikel 1, in dem dann sinngemäß steht:
„Der Staat Musterland behält sich das Recht vor, dass er jederzeit und überall in der Welt jeden Staat oder jedes Staatengebilde ohne Gründe angreifen kann.“
Hätte dann Musterland auch das Recht auf eine Intervention nur auf Grund seines Artikel 1?
Mit Sicherheit nicht!
Denn es verstößt jawohl eindeutig gegen die Charta der UN.
Häh? Seit wann ist der Schutz der Menschenwürde ein spezifisch deutsches Anliegen? Menschenrechtscharta der UNO liefert Gleiches – auch in Art 1. Global genug?
zudem bleibt @Mitleser/Pro-Fritz ja noch festzuhalten: Das GG bildet auf jeden Fall die zentrale Grundlage ALLER deutschen Entscheidungen. Schon allein weil jede politische Entscheidung prinzipiell justiziabel ist vor dem BVG.
Der Kernpunkt ist doch aber, dass es nicht einerseits „das Recht“ als entscheidungsrelevante Argumentationsebene und andererseits die Menschenwürde (und als deren Kern die MenschenRECHTE) als freundliche Girlande für schöne Gefühle gibt sondern vielmehr die Menschenwürde den zentralen Wert (wie in Art 1 (1) Satz GG formuliert) für alle rechtlichen Abwägungen bildet. Von daher kann ich in Ihren Kommentaren allenfalls beleidigte Rechthaberei entdecken aber keinen sachlichen Beitrag, vom albernen Quatsch, den AchimL in offenbarer Unkenntnis der UNO-Charta fabriziert hat, mal ganz zu schweigen. Peinlich, wenn so das Argumentationsniveau in der Bundeswehr aussehen sollte.
Ein riesiger Unterschied im Vergleich zu heute ist die Presse: damals wurde der Narrativ der NATO auch von den öffentlich-rechtlichen Sendern kritisch hinterfragt (Doku „es begann mit einer Lüge usw), während man sich in großen Teilen der Presse heute eher als ideologische Luftnahunterstützung im Sinne der Freien Westlichen Welt zu begreifen scheint.
@Koffer | 24. März 2019 – 17:24
sorry, habe ein paar Tage nicht mitgelesen. Belege, ja hätte ich schon. Ein ehemaliger Zugführer von mir aus einem PzArtBtl der Panzerbrigade 28 in den 80er.. Nur ist es blöd, hier Namen zu posten. Da wir noch Kontakt durch den Reservistenverband haben, frage ich ihn mal, ob er mit posten will. Da gäbe es schon den einen oder anderen Eindruck.
Danke, Herr Wiegold für das Einstellen, ich habe mit Zensur gerechnet!
Ihre Kritik an der verlinkten Seite teile ich, mir ist in der Eile der falsche Link hineingeraten, beabsichtigt war die Adresse jtf. org/forum/index.php?topic=41949.0 (Ich füge keine weiteren Links ein, die im Folgenden genannten Quellen kann man leicht in die Suchmaschine eingeben.)
Zum Rest meines Beitrags stehe ich – ob man das für Propaganda abtut oder nicht – ich denke, wer den angegebenen Quellen nachgeht, wird zu denselben Schlüssen kommen wie ich.
Viele andere Leserkommentare gehen ja bereits in diese Richtung. Die R2P Doktrin, die Militärinventionen mit angeblich humanitären Motiven legitimieren will, sah bereits Forist „Mitleser, 25. März 2019 – 9:37“ kritisch, ebenso daß das (offizielle) Ziel der NATO, die humanitäre Situation zu verbessern, nicht erreicht wurde.
Auf die Diskrepanz zwischen den offiziellen Verlautbarungen und dem, was man hinter den Kulissen tatsächlich findet (Zitate von Akteuren aus der Zeit, und aus Dokumenten), hat Forist „Pete 25. März 2019 – 16:47“ verwiesen.
Daß die NATO mit dem nicht legitimierten Einsatz die Büchse der Pandora geöffnet und seither alle möglichen illegitimen Operationen sich genau darauf berufen, wurde schon in Ihrem Artikel selbst angesprochen.
Daß dies auch so gedacht war, wenn auch anders als es heute ist, schrieb Willy Wimmer (CDU), damals Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, am 2. Mai 2000 an den damaligen Kanzler Schröder, und berichtet von seiner Teilnahme an einer „Konferenz mit den Schwerpunktthemen Balkan und NATO-Erweiterung“ in Bratislava. Zitat:
„2. Vom Veranstalter wurde erklärt, dass die Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb jeder Rechtsordnung, vor allem der Schlussakte von Helsinki, stehe.
…
4. Der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien sei geführt worden, um eine Fehlentscheidung von General Eisenhower aus dem 2. Weltkrieg zu revidieren. Eine Stationierung von US-Soldaten habe aus strategischen Gründen dort nachgeholt werden müssen.
5. Die europäischen Verbündeten hätten beim Krieg gegen Jugoslawien deshalb mitgemacht, um de facto das Dilemma überwinden zu können, das sich aus dem im April 1999 verabschiedeten ‚Neuen Strategischen Konzept‘ der Allianz und der Neigung der Europäer zu einem vorherigen Mandat der UN oder OSZE ergeben habe.
6. Unbeschadet der anschließenden legalistischen Interpretation der Europäer, nach der es sich bei dem erweiterten Aufgabenfeld der NATO über das Vertragsgebiet hinaus bei dem Krieg gegen Jugoslawien um einen Ausnahmefall gehandelt habe, sei es selbstverständlich ein Präzedenzfall, auf den sich jeder jederzeit berufen könne und auch werde.“
Forist „Wühlmaus 24. März 2019 – 20:20“ bereits verwies auf die sehr empfehlenswerte WDR Dokumentation „Es begann mit einer Lüge“, in der frei erfundene Greueltaten (z.B. der sog. Hufeisenplan) und der damalige Verteidigungsminister Scharping entlarvt wurde, und die das sog. Massaker von Racak bereits für zweifelhaft befand. Wahrscheinlich wurde der Zwischenfall gestellt, Zitat: „Die … finnische Gerichtsmedizinerin Helena Ranta konnte das aber nicht bestätigen. … Frau Ranta wurde eine Weile des Stillschweigens verordnet. … Im vergangenen Jahr hat Helena Ranta ein Buch publiziert, in dem sie erklärt, warum ihre gerichtsmedizinischen Untersuchungen nicht bestätigen konnten, dass es sich in Racak um ein ‚Massaker‘ gehandelt habe.“ (Sueddeutsche, 11. Mai 2010, „Als die Menschenrechte schießen lernten“ Von Franziska Augstein)
mfG O.Pederson
[Ich habe mir erlaubt, den eingefügten Link zu deaktivieren; wer will, kann den ja leicht kopieren und verwenden. Ich bitte auch generell darum, nicht in Ko-Referate zu verfallen und den Umfang sinnvoller Kommentare bei weitem zu überschreiten. T.W.]
@Klaus-Peter Kaikowsky 26. März 2019 – 9:37
@Ole Pederson
Mit dieser Darstellung: „Greueltaten entweder grotesk übertrieben (Srebrenica) oder auch gefälscht bzw. gestellt“, stellen Sie sich außerhalb jeder seriösen Erörterung.
Das Völkermordurteil gegen Ratko Mladic, dem seinerzeitigen Kommandeur der eingesetzten Truppe, steht stellvertretend für serbische Schuld.
Es war mir durchaus klar, daß solche Reaktionen kommen würden. Sowas hab ich früher auch geglaubt. In der Tat hatte ich bei den Medienberichten über Srebrenica damals (ich war noch Student) Alpträume. Heute glaube ich nichts mehr davon.
Wer das Tribunal in Den Haag (ICTY) für ein seriöses Gericht hält, mag sich einmal die im Internet einsehbaren Gerichtsprotokolle durchlesen. Auch als Nichtjurist kommt man da ins Staunen (z.B. bezügl. der nicht vorgelegten DNA Beweise der zuständigen Organisation ICMP).
Ferner weise ich darauf hin, daß keiner der damals in Srebrenica stationierten holländischen Blauhelmsoldaten von nennenswerten Unregelmäßigkeiten berichtet hat. Erst nach Rückkehr in die Heimat erfuhren sie, es hätte ein Massaker stattgefunden. Das Niederländische Institut für Militärgeschichte NIOD veranlaßte darauf eine gründliche Untersuchung. Den NIOD Bericht kann man mit einigem Suchen im Internet finden (ca 3000 Seiten). Auch wenn die Zusammenfassung die Greueltat nicht bestreitet, kommen einem nach Lektüre im Detail doch erhebliche Zweifel, ob die offizielle Version so stimmen kann.
Der einzige, der jemals direkt an den Ermordungen teilgenommen haben will, ist Drazen Erdemovic, der in Den Haag auch vor Gericht stand. An seiner Glaubwürdigkeit bestehen erhebliche Zweifel, zumal er kein Serbe ist sondern Kroate und zuvor sowohl in kroatischen als auch bosnischen Einheiten gedient hat. Obwohl er seine Mittäter genannt hat, wurde nach keinem je gefahndet.
So „findet es der Vorsitzende Richter Claude Jorda … im Plead-Guilty-Verfahren gegen Erdemovic am 19. November 1996 einigermaßen unverständlich, dass die Ankläger keine weiteren Zeugen aufrufen, dem Angeklagten eine hohe Glaubwürdigkeit attestieren und nicht auf eine Auslieferung der anderen namentlich bekannten Mitglieder des Erschießungskommandos von Pilice drängen“, („Kalaschnikow auf Einzelfeuer, Fall Drazan Erdemovic“, Germinal Civikov in Der Freitag, ohne Datum)
Daß man nach Jahren des Bürgerkriegs in Bosnien überall vergrabene Leichen findet ist zu erwarten, ob sie aber bei Gefechten oder einer Exekution starben, ist eine ganz andere Frage. Ob die Serben Völkermord begingen, indem sie 25’000 Frauen und Kinder in Sicherheit brachten, mag jeder selbst beurteilen. Daß das von den NATO-Staaten finanzierte Tribunal ICTY der Wahrheitssuche dienen sollte, glaube ich jedenfalls nicht mehr.
Abschließend: Daß in den Balkankriegen von allen Seiten Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, betreite ich natürlich nicht, das ist und bleibt entsetzlich. Im Artikel ging es aber um die Gründe für den NATO Einsatz gegen Jugoslawien.
mfG O.Pederson
@Pete | 26. März 2019 – 11:02
„Wollen Sie etwa suggerieren, dass die Wahrnehmung, dass ein Machthaber künftig Gewalt anwenden würde, bereits ausreicht, um einen präventiven Krieg, zum „Schutz“ der Menschen, die unter diesem Machthaber leben müsen, zu führen?“
Eine reine Wahrnehmung/Vermutung reicht nicht aus. Damit R2P greift muss die Gefahr immanent sein und die drohenden Menschenrechtsverstöße müssen außergewöhnlich schwerwiegend sein. Solange das nicht der Fall ist überwiegt Staatensouveränität ggü. den humanitären Aspekten.
„Sie machen es sich in meinen Augen häufig zu leicht bei dem Begründen miitärischer Einsätze zum „Schutz der Menschen“.“
Ich mache mir gar nichts leicht! Das ist ja gerade mein Vorwurf ggü. einigen Kommentaren in diesem Faden! Leicht ist es im Nachhinein alles besser zu wissen. Schwer ist es in der jeweiligen Situation auf der Basis schwieriger Nachrichtenlagen eine weitreichende Entscheidung zu treffen. Leicht ist es dann sich vor der Verantwortung zu drücken. Schwieriger ist es vor dem Feuer der Öffentlichkeit und dem des eigenen Gewissens dann bestehen zu können.
„Krieg bedeutet zunächst einmal Leid und Tod, oft auch für die, die man schützen will.“
In der Tat.
Dennoch schon die Kirchenväter wussten: Wer das Unrecht geschehen lässt obgleich er es hätte verhindern können, der begeht ein gleich großes Unrecht als hätte er es selbst begangen.
@Zivi a.D. | 26. März 2019 – 17:54
Ihre beleidigt-emotionale Antwort zeigt nur, das Sie, rein formaljuristisch betrachtet, keine Ahnung haben.
Man kann international geltendes Völkerrecht nicht mit nationalen Rechtsnormen begründen, auch nicht, wenn es das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Einen Amerikaner, Afrikaner, Asiaten oder Europäer außerhalb Deutschlands interessiert das Grundgesetz nicht. Da wird auf anderen Grundlagen entschieden.
Und hier geht es ja nicht nur um deutsche Entscheidungen, sondern um die Entscheidung der beteiligten NATO-Alliierten, im Kosovo einzugreifen.
R2P ist eine Weiterentwicklung/Definition des Völkerrechts, die werden Sie im Grundgesetz vergeblich suchen.
[Nein, auch bei diesem offensichtlich sehr emotionalen Thema verfallen wir nicht in persönliche Anwürfe. Das fliegt dann demnächst raus. T.W.]
@zulu1975 | 26. März 2019 – 18:56
„Ein ehemaliger Zugführer von mir aus einem PzArtBtl der Panzerbrigade 28 in den 80er.. “
Und was soll der getan haben? Die Lenkung von NATO Luft-Boden Angriffen durchgeführt haben üblicherweise benötigt man hierfür eine „theatre qualification“ und die soll die NATO einem nicht aktiven Soldaten weswegen erhielt haben (und überhaupt mit welchem Fernmeldegerät soll er denn die Angriffe gelenkt haben, man funkt ja für so etwas nicht auf Hobbyfunkfrequenz…?!).
Aber selbst wenn (ich zitiere mich hier mal selbst): „Denkbar wäre es im einzelfall natürlich schon“
Und was wollen wir jetzt aus der Tatsache schließen, dass in (vermutlich sehr, sehr wenigen Einzelfällen) auch DEU Staatsbürger am Boden involviert waren?
Unstrittig ist natürlich das DEU Staatsbürger (zumeist mit kosovo-albanischen Wurzeln) teilweise aber vermutlich auch aus anderen Gründen die UCK bei ihrem Aufstand unterstützt haben, aber darüber sprechen wir ja hier nicht. Wir sprechen hier über den NATO Luftkrieg gegen SRB+MNE.
@Ole Pederson | 26. März 2019 – 19:16
„In der Tat hatte ich bei den Medienberichten über Srebrenica damals (ich war noch Student) Alpträume. Heute glaube ich nichts mehr davon.
Wer das Tribunal in Den Haag (ICTY) für ein seriöses Gericht hält, mag sich einmal die im Internet einsehbaren Gerichtsprotokolle durchlesen.“
Das sprengt jetzt den Rahmen einer lustigen Verschwörungstheorie.
Das Leugnen und Verharmlosen der Kriegsverbrechen in Srebrenica ist nicht nur geistlos, es ist auch geschmacklos und würdelos gegenüber den Opfern.
Sie leben in einer anderen Welt.
„Erst nach Rückkehr in die Heimat erfuhren sie, es hätte ein Massaker stattgefunden“.
Nein, sie haben die Abführung der Bosniaken in die „killing zones“ organisatorisch begleitet.
Raymond van den Boogaard, in ex-Jugoslawien Korrespondent für das „NRC Handelsblad/Den Haag“ im Dezember 1995 über die NLD UNPROFOR des DUTCHBAT III:
– NLD Truppe hat die „elenden, verlausten Muslime und ihre bettelnden, stehlenden Kinder“ verachtet.
– „Zur Taktik der Haager Politiker gehörte es, urteilt Boogaard, die Selektionen, die Erschießungen und den Massenmord nach der Räumung des Lagers an 8.000 bosnischen Männern strikt von den Aktivitäten ihrer Blauhelmtruppe zu trennen. . „Für Muslime sterben“, so der oft kolportierte Soldatenspruch, „wo kämen wir da hin?“ (https://www.zeit.de/2005/28/Holland/komplettansicht)
– Thomas Karremans, Luitenant-Kolonel und BtlKdr und seine Männer hatten an der „Abführung“ der muslimischen Bevölkerung durch die Mladic-Truppe mitgearbeitet, heißt es im 3.394 Seiten starken Report des „Reichs-Instituts für Kriegsdokumentation“ (Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie).
Die Schutzbehauptung der „Dutchbatter“ war stets, zugesagte GBR/FRA Luftunterstützung habe ihr Eingreifen verhindert, ansonsten wären zahlreiche der leicht bewaffneten NLD Soldaten gefallen, was zutrifft. Es ist aber keine Entschuldigung für Beihilfe zum Massaker durch Unterlassung.
Ich habe in 5-jähriger Stationierungszeit in den NLD sowie 15 Monaten SFOR/CJ-9 in Sarajevo und Mostar mit Zuständigkeit für die „Women of Srebrenica“ vielfach mit NLD Soldaten zum Thema gesprochen. Durchgängiger Tenor: „Wir waren Schuld, aber wir wurden im Stich gelassen, unser Btl aus Wehrpflichtigen war überfordert“.
Es gibt keine der zahllosen, auch parlamentarischen Untersuchungen die eine NLD Schuld leugnet.
Letztlich führten die „Lessons Learned – Srebrenica“ zur Aufgabe der Wehrpflicht in den Niederlanden.
Dass das militärische Eingreifen angeblich Greuel erst ausgelöst hätte, also das Ziel angeblich nicht erreicht wurde, entwertet nicht den Zweck und entschuldigt schon gar nicht die Täter. Ein Geiselnehmer, der eine Geisel erschießt, weil das SEK stürmt, ist gleichwohl für den Tod der Geisel allein selbst verantwortlich, egal, ob er zuvor damit ausdrücklich gedroht hat oder nicht. Diese Form der moralische Erpressung funktioniert nun einmal nicht. Jedenfalls ist es ziemlich absurd, nun restrospektive der NATO aufgrund ihrer Intervention die daraufhin erfolgten, serbischen Kriegsverbrechen vorzuwerfen.
Mich befremdet, wie hier immer wieder so getan wird, als könne man durch das im Nachhinein aufdröseln und hin- und herdiskutieren von Entscheidungen über den Einsatz militärischer Mittel die Welt irgendwie retten. Funktioniert nicht.
Grund: Fog of War!
Man kann zwar im Nachhinein sehr viel besser aus dem Ohrensessel schwadronieren, wenn man mehr Informationen hat, das mag auch lehrreich für die Zukunft sein, aber das hilft dem Entscheidungsträger im akuten Einzelfall überhaupt nicht. Denn dann muss er wiederum seine Entscheidung anhand der derzeit verfügbaren Informationen treffen – und wird dies auch tun. Da hilft es überhaupt nichts, wenn sich hier einige darin gefallen, astronomische Anforderungen an die Erkenntnisse zur Begründung eines Interventionseinsatz zugunsten der Menschenrechte zu stellen.
Das führt unweigerlich dazu, dass man im Zweifel nicht interveniert, weil man in aller Regel ohne ausreichend „boots on the ground“ gar nicht die Mittel für letztgültig gesicherte Informationen über Massaker oder ethnische Säuberungen hat. Man hat von außen immer nur Indizien und Hinweise und die sind ohne zuverlässige eigene Quellen eben nicht immer abschließend verifizierbar. Wer da dann sagt „Gut, dann greife ich lieber nicht militärisch ein!“, der muss sich dann auch ganz ehrlich eingestehen, dass er sein Engagement für Menschenwürde letztlich klar hinter formalistische Ausflüchte stellt. Frei nach Radio Eriwan: „Im Prinzip schon, aber…“
Das macht R2P dann zum Henne-Ei-Problem: Ohne Eingreifen, keine gesicherten Erkenntnisse, ohne gesicherte Erkenntnisse aber kein Eingreifen. Bonjour Tristesse; Moin Schilda(!)
Ein Staat, der sich hinter der sonst sakrosankt gehaltenen Souveränität versteckt, um intern die Menschenrechte mutwillig mit Füßen zu treten, sollte sich eigentlich nicht darauf berufen dürfen, dass es sich um „interne Angelegenheiten“ handle, und dass die Weltgemeinschaft tatenlos zusieht, wie Bevölkerungsteile abgeschlachtet werden. Zumal, wenn der UN-Sicherheitsrat bei Uneinigkeit der Vetomächte de facto handlungsunfähig ist, um tatsächlich robuste Entscheidungen zu fällen.
Die Anzeichen für gravierende Menschenrechtsverletzungen waren nun seinerzeit und nach dem Eindruck der Schrecken des just kürzlich beendeten Bürgerkriegs in Jugoslawien so stark, dass es wirklich zweifelhaft gewesen wäre, wenn der Westen hier die Hände in den Schoß gelegt und die serbische Seite einfach nur hätte gewähren lassen.
Bei der nächstfolgenden Entscheidung „Intervention oder nicht“ sind wir nämlich trotz aller Ohrensesselklugheit auch nicht schlauer, wie man in Libyen, oder Syrien gesehen hat. Und es wird auch beim nächsten Mal nicht einfacher werden. Weil eine Entscheidung immer dann zu begründen oder zu treffen ist, wenn sie ansteht, und nicht erst im Nachhinein, wenn man bequem auf die Akribie der Historiker zurückgreifen kann!
Mit großer Verwunderung habe ich ich die bisherige Diskussion zu diesem Beitrag verfolgt, denn es überrascht mich doch schon, dass hier überwiegend nur irgendwelche Redakteure und Wissenschaftler zitiert werden, die zumeist aus der Retro-Perspektive diesen Luft-Krieg bewerten.
Warum wird nicht versucht, einige der damaligen Akteure mit ihren unmittelbaren Erfahrungen in die Diskussion einzubinden – und da ist Herr Ischinger nur einer, der am Rande beteiligt war. Der General a.D. Klaus Naumann war damals Chairman Military Commitee der NATO und hatte damit eine Funktion im Bündnis inne, wie Colin Powell als Chairman Joint Chief of Staff während der Kuwait-Krise Anfang der 1990er Jahre. Aber es gibt da sicherlich auch andere, die damals an entscheidenden Stellen im Bündnis oder in der Bundeswehr agiert haben. Die sollten vielmehr aktiviert werden, denn die haben echte Einblicke (z.B. das von den über 200 HARM-Raketen die damals von den deutschen ECR-Tornados verschossen wurde, nur eine Handvoll getroffen hat. Das war vor allem auch ein Problem, wenn man nicht nahe genug an die Flak-Stellungen ranfliegt, um dem Gegner die Reaktionsgeschwindigkeit drastisch zu verringern).
Dadurch würde sicherlich auch klar, dass sich die handelnden Akteure damals Ihre Entscheidungen nicht einfach gemacht haben – auch unter ethischen Gesichtspunkten.
Fakt ist aber auch, dass dieses Thema nur vor dem zeitgenössischen Kontext des zurückliegenden Bürgerkriegs in Bosnien zu bewerten ist. Die Europäer waren damals zum Handeln gezwungen, da sie die Jahre vorher einfach unfähig zum Handeln waren. Und erst die Unterstützung der USA hat diese Dinge dann ermöglicht. Im Gegenzug haben die Europäer dann viele Dinge – egal ob auf sichergheitspolitischer und/ oder strategisch-operativer Ebene – den Amerikanern überlassen, weil insbesondere auch den Deutschen hier einfach die Erfahrung fehlte.
Und das Ganze schreibe ich als jemand, der damals als junger Offizier die Auswirkungen des Bosnien-Krieges bei UNPROFOR bzw. IFOR unmittelbar vor Ort miterlebt hat und dann an den Planungen für die Bodenoperation im im Kosovo als Kompaniechef in einem der damaligen KRK-Verbände beteiligt war.
Von daher ist auch meine abschließende Empfehlung an @TW für diesen Sommer, wenn es um die Darstellung der Vorbereitung und Durchführung der Land-Operation im KOSOVO von 1999 gehen wird, die Dinge im Gespräch mit damaligen Entscheidungsträgern oder -gehilfen, intensiver zu recherchieren. Denn der Luftkrieg diente – als ein Teil der Ultima Ratio – ja im Wesentlichen auch der Vorbereitung der dann folgenden Landoperation. Und hier gab es wirklich interessante Parallel-Planungen (Stichwort: Thier 1-3), die bis heute kaum der Öffentlichkeit bekannt sind.
[Unter Pseudonym kommentieren, aber einen PR-Link reinsetzen passt nicht so. Link deshalb entfernt. T.W.]
@Stimme der Vernunft
„…denn es überrascht mich doch schon, dass hier überwiegend nur irgendwelche Redakteure und Wissenschaftler zitiert werden, die zumeist aus der Retro-Perspektive diesen Luft-Krieg bewerten…“
Ich (Pete 26. März 2019 – 11:02) hatte mit dem Brigadegeneral Heinz Loquai (damals in der OSZE) einen unmittelbaren Zeitzeugen des damaligen Geschehens präsentiert, der eine kritische Position einnimmt. Es gibt viele Andere. Ich könnte beispielsweise auch noch auf Herrn Willy Wimmer, immerhin ehemaliger Staatssekretär im BMVg und ehemaliger Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, hinweisen. Auch in dem Monitorbericht, den ich ich verlinkt hatte werden Akteure, die damals vor Ort waren, zitiert.
@Metallkopf
„…Dass das militärische Eingreifen angeblich Greuel erst ausgelöst hätte, also das Ziel angeblich nicht erreicht wurde, entwertet nicht den Zweck…“
Doch, das tut es sehr wohl. Denn der Sinn einer Schutzoperation ist der Schutz. Wenn nachher das Ergebnis für die zu Schützenden schlechter ist als ohne diese „Schutzmaßnahme“, dann muß das zumindest kritisch beleuchtet werden. Ihr Beispiel mit dem Geiselnehmer und dem SEK passt nicht auf die damalige Situation.
„…Mich befremdet, wie hier immer wieder so getan wird, als könne man durch das im Nachhinein aufdröseln und hin- und herdiskutieren von Entscheidungen über den Einsatz militärischer Mittel die Welt irgendwie retten. Funktioniert nicht…“
Damit stellen Sie den gesamten „Lessons Learned“ -Prozess in Frage. Selbstverständlich kann man man und muß man im Nachhinein „schlauer sein“. Fehler können zukünftig nur dann vermieden werden, wenn man sich der Mühe unterzieht Fehler in der Vergangenheit
ehrlich auf zu arbeiten. Das heißt nicht, dass man die handelnden Persönlichkeiten verurteilt. Die Prozesse und Entscheidungen müssen aber im Nachhinein nüchtern analysiert werden.
Ein schönes Beispiel für „Lessons Learned“ ist die Studie auf die @Thomas Melber hingewiesen hat. Und diese Studie stellt nun einmal nach nüchterner Analyse fest, dass „… at least 80% of the people NATO attempted to protect suffered grievously during the war…“
Das kann und darf man nicht ignorieren, auch wenn man es „gut gemeint“ hat mit der Air Campaign.
Erstmal Danke an Alle für die intressanten Beiträge und Meinungen.
Bei der Betrachtung des gewaltsamen Zerfalls Jugoslawiens frage ich mich schon auch, ob die “Balkanisierung des Balkans” quasi unvermeidlich / “bottom up” / “Rückkehr in den natürlichen Zustand” dieses Pulverfasses war, oder ob nicht doch von oberster Stelle von vornherein das “Große Spiel” top down gespielt wurde, bei dem am Ende alle anderen doch nur “Bauernopfer” waren?
Ich bezweifle nicht, dass es eine große Anzahl an Akteuren und Motiven auf allen Ebenen gab, die zur Entstehung und Eskalation der Krise beigetragen haben, und daß zur Lösung der Krise ab einer gewissen Eskalationsstufe ein überwältigender Militäreinsatz als das naheliegende und erfolgversprechende Mittel erscheinen konnte, dafür die nötige “Aktivierungsenergie” bereitzustellen, um das System in den nächsten stabilen Zustand zu überführen aus der Sphäre Russlands (die nach dem Zusammenbruch der UdSSR genügend Machtvakuum hinterlassen hatte, um einen solchen Versuch erfolgsverprechend erscheinen zu lassen,) in die Sphäre der USA / EU.
Unter friedlichen Bedingungen hätte man sich fragen können, was denn so schlimm daran gewesen wäre, das Selbstbestimmungsrecht der Völker einfach abzuwarten, bis sich lokal Mehrheiten gebildet hätten und Meinungen durchgesetzt hätten etc. – aber nach der Eskalation in die untragbaren Zustände dieser Bürgerkriege schien “Zuschauen” einfach die schlechtere Option. – Die Frage ist halt, ob die Situation wirklich nur durch “Zuschauen” eben bottom-up entstanden ist als Folge eines Machtvakuums / einer Umwälzung der Geschichte, oder ob nicht von vornherein z.B. die USA aus Eigeninteresse kräftig “mitgewälzt” haben (Regimechanges, Farbenrevoltionen etc.)?
Vermutlich bin ich einfach zuviel Verschwörungstheoretiker, und Billy Joel hat Recht: “We didn’t start the fire, it was always burning, since the worlds been turning”.
@Stadtpark
„Bei der Betrachtung des gewaltsamen Zerfalls Jugoslawiens …“
Es gab keinen „gewaltsamen Zerfall“ im allgemeinen Verständnis des Eingreifens nicht-jugoslawischer Kräfte.
– Am 23. März 1989 hob das serbische Parlament die in der YUG Verfassung garantierte Autonomie des Kosovo auf.
– Am 28. Juni des Jahres sammelte Milosevic mehr als 1 Mio Serben auf dem historischen Amselfeld im Kosovo. Es wurde der Schlacht 600 Jahre zuvor gedacht, die identitätsstiftend für das orthodox-serbische Christentum ist. Osmanische Muslime vernichteten das christliche Heer.
– Milosevic sprach dabei von „Groß-Serbien“, das ethnisch rein sein müsse.
Am 23. Dezember 1990 fand ein Referendum in Slowenien statt: Ergebnis von 88,2 % für Eigenstaatlichkeit.
Slowenien erklärte daraufhin im Juni 1991 seine Unabhängigkeit, Anlass für Rest-Jugoslawien zum Einmarsch. Die einmarschierende Truppen, die Jugoslawische Volksarmee (JNA), eröffnete die Feindseligkeiten des 10-Tage-Krieges, angeführt von serbischen Verbänden und Kommandeuren. Am 03. Juli stellte JNA die Kämpfe ein, nachdem zahlreiche kroatische, bosnische, vor allem aber slowenische Wehrpflichtige fahnenflüchtig wurden.
Über das BRIONI-Abkommen erlangte SLO seine Unabhängigkeit.
Ihr „gewaltsamer Zerfall“ legt die Auslegung einer Gewaltausübung von außen nahe, was absolut unzutreffend ist. Wird „gewaltsam“ begriffen als von Serben ausgeübt, initiiert durch Milosevic, geführt durch Karadcic und exekutiert durch Mladic, dann ja, dann könnte gewaltsam zutreffen.
Anlass bezogen trifft aber selbst dies nicht den Kern, da im Anfang eine uneingeschränkt demokratische Volksabstimmung pro Unabhängigkeit stand.
@Klaus Peter Kaikowsky
„Am 23. Dezember 1990 fand ein Referendum in Slowenien statt: Ergebnis von 88,2 % für Eigenstaatlichkeit.
Slowenien erklärte daraufhin im Juni 1991 seine Unabhängigkeit.“
Komplett einverstanden.
Frage: Warum ist das exakt selbe Verhalten der Krimbewohner mit einem ähnlich hohen Ergebnis dann ein solches Problem?
@Pete
Weil dort zuvor die Grünen Männchen „vollkommen selbstlos“ eingegriffen hatten, ist jedes Abstimmungsverhalten dort in nichts mit dem freien Willen der Slowenen vergleichbar.
@Pete: Die Krim hat nie demokratisch und frei für ihren Anschluß an Russland gestimmt. Sondern Rußland hat die Krim besetzt vorher militärisch besetzt und die Bevölkerung zur Wahl gezwungen, indem bewaffnete mit Sturmgewehren von Haus zu Haus gingen und die Bevölkerung zur Wahl aufgefordert haben.
Slowenien wurde vor der Wahl nicht militärisch besetzt und nicht an ein fremdes Land angeschlossen.
Zu einer Debatte über die Krim wird das jetzt aber bitte nicht?
@Metallkopf | 27. März 2019 – 8:34
Ich kann Ihnen nur umfänglich beipflichten! Sowohl was den Teil „fog of war“ als auch R2P betrifft.
@Pete: „Damit stellen Sie den gesamten „Lessons Learned“ -Prozess in Frage.“
Mitnichten. Sie verwechseln nur ständig die Intention mit dem Resultat. Dafür ist „Lessons Learned“ sehr richtig und wichtig. Nämlich zur Nachkontrolle dessen, ob man das angestrebte Ziel möglicherweise besser oder anders hätte erreichen können.
Wie ich aber zuvor bereits geschrieben habe, hilft „Lessons Learned“ dem konkret mit einer Entscheidung befassten Gremium oder Parlament nur sehr wenig, weil die Informationen, die in einem historischen Fall dazu führen haben, dass man im Nachhinein gewisse „Lessons“ überhaupt „learned“, im neuen Fall einfach nicht in der gleichen, schön aufbereiteten Form mundgerecht vorliegen werden.
Sie müssen sich vor jeder militärischen Entscheidung immer fragen, welche Informationen nun belastbar oder noch aktuell sind, oder nicht. Dazu gehört im Zweifel auch, dass Sie Berichte über Massaker an Zivilisten oder willkürliche Ermordungen von Aufständischen nur eingeschränkt verifizieren können, wenn Sie nicht gerade ein forensische Teams vor Ort entsenden können, oder vielleicht ein Satellit oder ein Aufklärungsflugzeug gerade über dem Gebiet war. Vor Ort können Sie erst Informationen sammeln, wenn Sie die betreffenden Räume voll und ganz beherrschen und die Lage zulässt, dass entsprechende Untersuchungen stattfinden können. Dann muss man aber die Entscheidung zum Eingreifen notwendigerweise ja schon getroffen haben, denn sonst wären Sie ja nicht dort.
Die Möglichkeiten, „Lessons Learned“ dazu zu verwenden, die Entscheidungsträger mit mehr Informationen auszustatten sind begrenzt. Mehr Aufklärung zur Informationsgewinnung bedeutet späteres Eingreifen, bedeutet möglicherweise auch mehr Zeit zur Beseitigung von Beweisen für Kriegsverbrechen – oder eben zur Begehung neuer.
Irgendeinen Tod müssen Sie irgendwann sterben. Dass sich der Himmel auftut und eine in strahlende Aureolen gehüllte Gestalt reicht Ihnen einen umfassenden Tatsachenbericht nebst Handlungsleitfaden herab, wird wohl nicht so schnell passieren.
Das Beispiel mit dem SEK sehe ich nicht als prinzipiell unpassend an. Argumente, warum das so sein sollte, haben Sie auch keine genannt.
Ein Staat, der sich durch das militärische Eingreifen motiviert sieht, schnell noch ein paar Fakten zu schaffen, und sich dann am Ende dahinter verstecken will, dass die Intervention ihm ja eigentlich „die Hand geführt“ hätte… naja, merken Sie selbst, oder? Das stellt die Verantwortlichkeiten für eigenes Handeln völlig auf den Kopf.
Ein weiteres Zuwarten hätte wohl allerhöchstens den Zeitpunkt und den konkreten Ablauf geändert. Es wäre dann eben womöglich später (dafür evtl. noch umso gründlicher) ethnisch gesäubert worden. Dass die serbisch-nationalistischen Akteure die weitere Existenz von auf Unabhängigkeit oder wenigstens Rückkehr zur Autonomie gerichtete Bestrebungen der kosovarisch-albanischen Bevölkerung nicht auf Dauer zu dulden bereit waren, war ja nun wirklich deutlich absehbar.
@Metallkopf
„Sie verwechseln nur ständig die Intention mit dem Resultat.“
1. Das mache ich keineswegs. Eine Operation muss sich aber am „desired endstate“ messen lassen. Wenn dieser „desired endstate“ (Schutz) nicht erreicht wurde, sondern sogar zum Gegenteil führte, dann war diese Operation schlicht NICHT erfolgreich, wenn auch „gut gemeint“.
Zitat: „… at least 80% of the people NATO attempted to protect suffered grievously during the war…“
2. Ein militärischer Angriff ohne UNO-Mandat ist so ein gravierender Eingriff, dass er nicht einfach mit “ es war gut gemeint“ gerechtfertigt werden kann.
„Sie müssen sich vor jeder militärischen Entscheidung immer fragen, welche Informationen nun belastbar oder noch aktuell sind, oder nicht. Dazu gehört im Zweifel auch, dass Sie Berichte über Massaker an Zivilisten oder willkürliche Ermordungen von Aufständischen nur eingeschränkt verifizieren können…“
Es gibt Augenzeugen, die bestätigen, dass auch in offiziellen Papieren der OSZE und der Bundeswehr die tatsächliche Lage anders geschildert wurden als in der Öffentlichkeit. Ich hatte Ihnen die Monitorsendung mit Augenzeugen zu dem Massaker von Racak vor Ort als Link angeboten. Zu diesen gehörten u.a. Dr. Helen Ranta, Leitende Pathologin aus Finnland und Brigadegeneral Heinz Loquai (damals OSZE). Es wird aber auch ein Bericht des BMVg erwähnt, der im Widerspruch zu dem steht was der damalige Verteidigungsminister Scharping öffentlich aussagte.
https://www.youtube.com/watch?v=oz2DofjLvcA
Schliesslich gibt es noch den deutschen Polizeibeamten Henning Hensch, der als Beobachter vor Ort war und dezidiert aussagte, dass die öffentlichen Äußerungen von Verteidigungsminister Scharping nicht der Wahrheit entsprachen. Auf Grund dessen kam die Panorama Redaktion der ARD im Jahr 2000 zu der folgenden Bewertung:
„Die „humanitäre Katastrophe“, der Grund für die deutsche Beteiligung am Krieg, findet sich also in den internen Berichten der deutschen Regierung nicht wieder. Dennoch: das Bombardement beginnt.“
https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2000/erste7422.html
Man kann das natürlich Alles pauschal abtun. Ich frage allerdings, mit welchem Recht, wenn man denn an der tatsächlichen Wahrheitsfindung interessiert ist?
Aus der Sicht eines Beteiligten:
Ich war Ende 98 bis Anfang 99 im Kosovo.
Ich habe mit Kosovaren, der UCK und den Serbischen Kräften selber geredet oder war bei den Gesprächen dabei.
Ich habe (im Nachhinein) sinnlose Gespräche mit allen Gruppen geführt bzw. war ich dabei.
Wir wurden dann im März evakuiert, das ist aber eine andere Geschichte.
Ich war also dabei, habe die Eindrücke und Stimmungen eingefangen.
Mein Fazit: Der Angriff war gerechtfertigt.
Werferfehler
@Werferfehler
„Mein Fazit: Der Angriff war gerechtfertigt.“
Darf man fragen, warum das aus Ihrer Sicht so ist? Ich stelle diese Frage auch vor dem Hintergrund, dass serbische zivile Infrastruktur auch mit uranangereicherter Munition angegriffen wurde und viele Ziele mit chemischen Produkten ebenfalls. Diese Vergiftungen des Bodens wirken sich bis heute auf die Gesundheit der Menschen in Serbien – und vermutlich auf die Gesundheit der eingesetzten Soldaten- aus.
Meine Frage ist wirklich ernst gemeint, nicht vorwurfsvoll.
@Pete | 28. März 2019 – 20:19
„dass serbische zivile Infrastruktur auch mit uranangereicherter Munition angegriffen wurde und viele Ziele mit chemischen Produkten ebenfalls.“
(Auch) deswegen ist Krieg ja furchtbar und darf kein beliebiges Mittel sein…
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ein Krieg nun einmal nicht ohne Kollateralschäden geführt werden kann.
Zudem müsste untersucht werden wie umfangreich die langfristigen Folgen in Wahrheit sind. Da wird vermutlich auch viel Propaganda betrieben…
Klaus-Peter Kaikowsky | 26. März 2019
O.P.: „Erst nach Rückkehr in die Heimat erfuhren sie, es hätte ein Massaker stattgefunden“.
„Nein, sie haben die Abführung der Bosniaken in die „killing zones“ organisatorisch begleitet.“
Mit allem Respekt, Herr Kaikowsky, ich bleibe bei meiner Darstellung. Anstatt aus einer Wochenzeitung zu zitieren, hätten Sie den von Ihnen ja erwähnten Oorlogsdocumentatie-Bericht (= den NIOD-Report, den ich oben bereits zur Lektüre empfohlen habe) eben im Original lesen sollen.
Deshalb scheint Ihnen auch entgangen zu sein, was die ZEIT verschweigt: bereits vor ihrer Einnahme durch die Serben hatten fast alle Männer Srebrenicas die Stadt verlassen.
Zitat S.1702: „Karremans wrote in his book that a number of other events also occurred on the night of 10 to 11 July – the night during which most of the male population of Srebrenica left the city.“
Auf dem Weg zu Fuß durch die Wälder geriet die Kolonne von eta 12000 Männern in heftige Gefechte mit serbischen Stellungen. Ich schreibe bewußt Gefechte, denn großer Teil, vielleicht ein Drittel, war keineswegs unbewaffnet, unter den Waffen auch schwere Maschinengewehre und Raketenwerfer.
Zitat S.1704 „The ABiH [=bosnisch-muslimische Armee] had made sure that there were more weapons in Srebrenica in recent months than there had been in the three previous years.“
Über einen Vorfall am Tag zuvor lesen wir (S.1683) „Many ABiH soldiers had gathered in the centre of Srebrenica … screamed and aimed anti-tank and other weapons at the APCs, and ordered Dutchbat to move to the south.“
Die holländischen Soldaten erfuhren erst nach ihrem Abzug am 21. Juli, es hätte ein Massaker gegeben, Zitat S.2005: „… evidence of the massacre … did not come to light until more than a month after the fall of Srebrenica.“
Wen die Holländer an die Serben „übergeben haben“ waren bis auf eine kleine Gruppe Männer (vielleicht 700) hauptsächlich Frauen und Kinder.
Weil viele der Akteure im Umfeld des NATO Einsatzes 1999 Srebrenica als eine Begründung nannten, ist es für den Kosovo-Krieg m.E. relevant.
mfG O.Pederson
Klaus-Peter Kaikowsky | 27. März 2019 – 16:24
„Am 28. Juni des Jahres sammelte Milosevic mehr als 1 Mio Serben auf dem historischen Amselfeld im Kosovo. Es wurde der Schlacht 600 Jahre zuvor gedacht, die identitätsstiftend für das orthodox-serbische Christentum ist. Osmanische Muslime vernichteten das christliche Heer.
„Milosevic sprach dabei von „Groß-Serbien“, das ethnisch rein sein müsse.“
Nochmals mit allem Respekt, aber dieses behauptet Rudolf Scharping in seinem Buch und man liest es landauf, landab. Einmal mehr aber wurde er bei einer Lüge ertappt.
Davon kann sich jeder in 2 Minuten überzeugen, denn die FAZ hat damals den Wortlaut der Rede in deutsch leicht gekürzt abgedruckt. In die Suchmaske „Der Minister, die FAZ und die Amselfeldrede Großserbien ethnisch reines“ eingeben und man findet den FAZ Abdruck *und* den ungekürzte Rede, die selbst Wikipedia nicht in Gänze listet. Von „Großserbien“ oder einem „ethnisch reinen“ ist da nirgends die Rede, und selbst Chauvinismus findet man da nicht.
Die Unterstellung, Ziel sei ein „ethnisch-reines“ Serbien gewesen ist besonders zynisch angesichts dem Umstand, daß Serbien damals mit über zwanzig ethnischen Gruppen von allen Teilrepubliken des früheren Jugoslawien die heterogenste war, was bis heute so geblieben ist.
Zu allen Zeiten wurden Angriffskriege mit zum Teil erfundenen, zum Teil übertrieben dargestellten Greueltaten begründet. Das ist nicht überraschend und nicht neu. Auch beim Einmarsch der Wehrmacht in Polen 1939 hatte man einen entsprechenden Vorfall inszeniert (Sender Gleiwitz), sowie die Brutkastenlüge vor dem Irak-Krieg (selber gugeln). Diese sind heute als Fälschung entlarvt, ebenso wie das sog. Massaker von Racak im Kosovo 1999. Für Srebrenica steht eine *unvoreingenommene* Aufarbeitung noch aus.
mfG.,Ole Pederson
@Ole Pederson
Danke für den Meinungsaustausch.
@Ole Pederson | 28. März 2019 – 22:09
Ihre „Relativierung“ des Massaker von Srebrenica ist imho an Zynismus nicht mehr zu überbieten.Alle zustängigen internationalen Instanzen haben das Massaker von Srebrenica als Völkermord eingstuft – daran ändert auch nichts das Veto Rußlands im VN-SR.
@Pete, Zitat:
„Darf man fragen, warum das aus Ihrer Sicht so ist? Ich stelle diese Frage auch vor dem Hintergrund, dass serbische zivile Infrastruktur auch mit uranangereicherter Munition angegriffen wurde und viele Ziele mit chemischen Produkten ebenfalls. Diese Vergiftungen des Bodens wirken sich bis heute auf die Gesundheit der Menschen in Serbien – und vermutlich auf die Gesundheit der eingesetzten Soldaten- aus.
Meine Frage ist wirklich ernst gemeint, nicht vorwurfsvoll.“
Hallo Pete,
Sie verwechseln Ursache mit Wirkung, zumindest meiner Ansicht nach.
Während meiner Zeit im Kosovo habe ich erlebt, unter welchen Bedingungen die Menschen leben mussten. Dies zu beenden war ein Ziel des Angriffs.
Was daraus wurde, mit den ganzen Fehlern, ist ein anderes Thema,
Werferfehler
(Danke Herr Wiegold für das Zulassen auch kontroverser Beiträge)
klabautermann | 28. März 2019 – 23:22
„Ihre „Relativierung“ des Massaker von Srebrenica ist imho an Zynismus nicht mehr zu überbieten.Alle zustängigen internationalen Instanzen haben das Massaker von Srebrenica als Völkermord eingstuft “
Mit Verlaub, emotionale Entrüstung und Empörung sind keine Argumente. Wohl aber Werkzeuge, um die öffentliche Meinung zu manipulieren! Bei allem Respekt, wer Propaganda nur beim Gegner verortet, den halte ich für naiv.
Ihre Aussage ist unzutreffend, denn nur das sog. Tribunal in Den Haag hat in den Vorgängen um Srebrenica einen Völkermord sehen wollen (was dann in den Medien unkritisch wiederholt wird). Die Einstufung als Völkermord ist unter Experten durchaus umstritten, ich nenne zwei Beispiele, den kanadischen Juraprofessor Michael Mandel und die Balkanexpertin Diana Johnstone.
[Ich lasse auch kontroverse Beiträge und Debatten zu – aber ich greife jetzt ein, weil es zu endlosen und vor allem sehr langen, langen langen Rechtfertigungsbeiträgen wird. Wenn die Herren einen Briefwechsel beginnen wollen, bin ich behilflich; was das „Kommentieren“, das jetzt zu langen Streitschriften werden soll, angeht: da ist es langsam gut. T.W.]
@Werferfehler
„Sie verwechseln Ursache mit Wirkung, zumindest meiner Ansicht nach.“
Besten Dank für die Antwort. Zu dem „Ursache- Wirkung“ -Thema hatte ich ja bereits auf @Koffer geantwortet.
Ok, im Moment sieht es so aus, dass diesbezüglich es 2:1 gegen mich steht :-))
Akzeptiert!
Dann doch noch einer, @Ole Pederson
Allein schon die Abwertung des „Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien“ als „sog“ drückt eine sektierische Auffassung zu den UN dar, denn:
Er, der ICTY wurde durch Resolution 827 des UNO-Sicherheitsrats vom 25. Mai 1993 geschaffen und war zuständig für die Verfolgung schwerer Verbrechen, die seit 1991 in den Jugoslawienkriegen begangen wurden.
Sicher bin ich aber, Sie werden Ihnen genehme Kommentatoren benennen können, welche die UN und den ICTY als unrechtmäßiges Teufelszeug bewerten.