Vor 20 Jahren: Der erste Kriegseinsatz der Luftwaffe in der NATO

Vor 20 Jahren, am 24. März 1999, startete die erste Angriffswelle der NATO gegen Ziele in Serbien. Die Allianz wollte damit einen Rückzug serbischer Truppen aus der damaligen serbischen Unruheprovinz Kosovo erzwingen; die Luftangriffe richteten sich aber nicht zuletzt gegen Infrastruktur in Serbien selbst. An der Operation Allied Force war auch die Bundeswehr mit ihrem ersten scharfen Einsatz der Luftwaffe beteiligt.

Der meist – nicht ganz zutreffend – als Kosovo-Krieg bezeichnete Einsatz hat bis heute politische Nachwirkungen. Nicht nur, weil nach wie vor die NATO-geführte KFOR-Mission im inzwischen unabhängigen Kosovo aktiv ist. Sondern vor allem, weil sich das Bündnis für diese Luftangriffe ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats selbst mandatiert hatte. Dieser Krieg der NATO wird bis heute nicht zuletzt von Russland als Beispiel dafür herangezogen, dass die westliche Seite sich selbst nicht an die Forderung hält, nur von den Vereinten Nationen legitimiert militärische Gewalt anzuwenden.

Teil der ersten Angriffswelle, so berichtete die (nicht mehr existierende) Truppenzeitschrift Luftwaffe damals (s. Ausriss oben), waren vier Tornados in der Electronic Combat Reconaissance (ECR)-Variante: Mit ihren HARM (High Speed Anti Radiation Missile)-Raketen hatten sie die Aufgabe der Suppression of Enemy Air Defense (SEAD), der Unterdrückung der gegnerischen Luftverteidigung.

Die Darstellung der deutschen Mission auf der Luftwaffen-Webseite:

Der Auftrag der ECR–Tornados war es, alliierte Luftfahrzeuge zu schützen, indem die gegnerische bodengebundene Luftverteidigung erfasst, identifiziert und ausgeschaltet wurde. Die ECR-Tornados mussten deshalb vor allen anderen Flugzeugen in den gegnerischen Luftraum einfliegen. Die Tornados erledigten diese Aufgabe überaus effektiv. Es gab weder eigene noch alliierte Verluste während Operationen die durch ECR- Tornados geschützt wurden.
Über den gesamten Zeitraum der Operation „Allied Force“ wurden insgesamt 236 HARM-Raketen ( High Speed Anti-Radiation Missile) eingesetzt. Beim Einsatz der HARM-Raketen muss der ECR-Tornado zuerst die sendenden Radarstationen am Boden aufspüren. Wird ein „Sender“ als Bedrohung identifiziert, kann er mit der HARM bekämpft werden. Dieser etwa 360 Kilogramm schwere Flugkörper arbeitet weitestgehend autonom, indem er die Radarsignale erfasst, lokalisiert und sich dann selbstständig auf dem vom Boden ausgehenden Radarstrahl ins Ziel lenkt. Die Ergebnisse der taktischen Aufklärungsflüge durch den RECCE-Tornado verbesserten Zielauswahl, Planung und Durchführung der Einsatzflüge und trugen somit deutlich zum Erfolg der Einsätze bei.

(Nach meiner Erinnerung wurde sonst die Zahl von 235 eingesetzten HARM genannt; das kann ich derzeit aber nicht klären.)

Über mögliche so genannte Kollateralschäden der NATO-Kampagne insgesamt gab es immer wieder Berichte, gerade über Opfer in der Zivilbevölkerung. Inwieweit auch Raketen der deutschen Tornados dazu beigetragen haben, bleibt offen. Meldungen, nach denen eine von einem deutschen Kampfjet abgefeuerte HARM ihr Ziel, eine gegnerische Radarstellung, verfehlte und im Nachbarland Ungarn einschlug, wurden offiziell nicht bestätigt.

Die Bundeswehrbeteiligung an diesem Kriegseinsatz war eine Entscheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit dem Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), die zu diesem Zeitpunkt noch kein Jahr im Amt war.

Der Diplomat Wolfgang Ischinger, heute Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hält die Entscheidung unverändert für gerechtfertigt:

Wie unterschiedlich und umstritten die politische Bewertung des Vorgehens der NATO bis heute ist, zeigt exemplarisch die recht unterschiedliche Darstellung in der englischen und in der deutschen Version der Wikipedia. Aus dem englischen Text:

The bloodshed, ethnic cleansing of thousands of Albanians driving them into neighbouring countries, and the potential of it to destabilize the region provoked intervention by international organizations and agencies, such as the United Nations, NATO, and INGOs. NATO countries attempted to gain authorisation from the United Nations Security Council for military action, but were opposed by China and Russia that indicated they would veto such a proposal. NATO launched a campaign without UN authorisation, which it described as a humanitarian intervention. The FRY described the NATO campaign as an illegal war of aggression against a sovereign country that was in violation of international law because it did not have UN Security Council support.

Dagegen die deutsche Version:

Operation Allied Force (OAF, ungefähre Übersetzung: „Unternehmen Bündnisstreitmacht“) war der Deckname einer militärischen Operation der NATO gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien, die sie im Rahmen des Kosovokrieges vom 24. März bis 10. Juni 1999 durchführte. Die im Wesentlichen von den Vereinigten Staaten geführte Militäroperation war der erste Krieg, den die NATO sowohl außerhalb eines Bündnisfalls, dessen Ausrufung bis dahin als Grundlage eines NATO-weiten Vorgehens galt, als auch ohne ausdrückliches UN-Mandat führte und stellte somit einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg dar.
Die NATO konzipierte die Operation in Form eines Luft-Boden-Krieges, den sie ohne weitläufige Gefährdung eigener Truppen ausschließlich über die militärtechnische Nutzung weltraum- und luftgestützter Methoden führte.

Die Beziehungen der einstigen Kriegsgegner NATO und Serbien haben sich zwar grundlegend gebessert, das Balkanland ist auch Mitglied im Partnership for Peace-Programm der Allianz. Dennoch bleibt die rechtliche Grundlage für den damaligen Luftkrieg ein Punkt, an dem das Bündnis politisch angreifbar ist.

Aus militärisch-technischer Sicht ist interessant, dass die Luftwaffe damals mit ECR-Tornado und HARM auf dem technischen Stand der Zeit war – aber 20 Jahre später nicht so viel weiter ist. Auf der Liste der Rüstungsprojekte, die als so genanntes 25-Millionen-Vorhaben noch in diesem Jahr vom Haushaltsausschuss des Bundestages gebilligt werden sollen, steht deshalb auch der Fähigkeitserhalt SEAD: Dafür ist die Umrüstung vom Lenkflugkörper HARM auf eine modernere Konfiguration geplant. Vorerst soll aber auch dafür noch der Tornado genutzt werden – so lange es keinen Nachfolger gibt.

Fürs Archiv:

Luftwaffe 5/99: Der Ernstfall hat eine ganz andere Qualität

Geschichte der Luftwaffe: Beginn der NATO-Luftoperation „Allied Force“

(Foto: Flugblatt der NATO 1999 – via Wikipedia)