Deutsche Beteiligung an Angriff auf Syrien: „Völkerrechts- und verfassungswidrig“
Eine derzeit diskutierte deutsche Beteiligung an einem US-geführten Vergeltungsschlag nach einem Chemiewaffeneinsatz der syrischen Regierung wäre nicht nur völkerrechtswidrig, sondern verstieße auch gegen das Grundgesetz. Zu dieser Einschätzung kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Sachstand zu Rechtsfragen einer etwaigen Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Militärschlägen der Alliierten gegen das Assad-Regime in Syrien, der zum Wochenbeginn verfasst wurde.
Der Wissenschaftliche Dienst befasste sich damit zum zweiten Mal mit diesem Thema. Im April waren die Parlamentsexperten bereits nach dem damaligen Luftangriff der USA, Frankreichs und Großbritanniens zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich um eine völkerrechtswidrige Bewaffnete Repressalie im humanitären Gewand handele. In der aktuellen Ausarbeitung, die inzwischen auf der Bundestags-Webseite veröffentlicht wurde, geht der Wissenschaftliche Dienst noch darüber hinaus und ordnet eine deutsche Beteiligung an einem solchen Vorgehen als verfassungswidrig ein:
Ob eine militärische Repressalie gegen Syrien – als Antwort auf syrische Verletzungen der Chemiewaffenkonvention – verfassungsrechtlich gegen das Verbot des Angriffskriegs nach Art. 26 GG 17 verstoßen würde, soll an dieser Stelle nicht näher untersucht werden; vermutlich würde es hier aber an der (subjektiven) Friedensstörungsabsicht fehlen.
Im Ergebnis wäre eine etwaige Beteiligung der Bundeswehr an einer Repressalie der Alliierten in Syrien in Form von „Vergeltungsschlägen“ gegen Giftgas-Fazilitäten völker- und verfassungswidrig. Die parlamentarische Mandatierung eines solchen Bundeswehr-Einsatzes würde sich dann erübrigen, da der Bundestag nur Auslandseinsätze mandatieren darf, die auf einer tragfähigen verfassungs- und völkerrechtlichen Grundlage beruhen. (…)
Die Teilnahme Deutschlands an einem völkerrechtswidrigen Militäreinsatz kann niemals verfassungskonform sein.
Wie schon in ihrer Stellungnahme im April weisen die Bundestags-Mitarbeiter die Überlegung zurück, die Angriffe mit dem Schutz der Zivilbevölkerung zu begründen, da es sich um die Ahndung von Verstößen gegen das Chemiewaffenübereinkommen und nicht um den Schutz von Zivilisten handele. Auch der erkennbare Versuch, gewissermaßen ein Recht auf „humanitär begründete Repressalien zur Ahndung von schweren Verstößen gegen die Chemiewaffenkonvention“ ins Völkerrecht einzuführen, sei nicht tragfähig.
Bei einer aus Sicht der Parlamentsexperten verfassungswidrigen Bundeswehr-Beteiligung macht es keinen Unterschied, ob die deutschen Streitkräfte selber Marschflugkörper auf den Weg bringen oder lediglich die Kampfjets anderer Nationen betanken:
Somit kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob Deutschland sich mit Bundeswehr-Tornados aktiv am Kampfgeschehen bzw. an der Zerstörung von Chemiewaffen-Fazilitäten der syrischen Regierung beteiligt; auch die (bloß) militärisch-logistische Unterstützung eines solchen Militäreinsatzes wäre nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit als Unterstützung eines völkerrechtwidrigen Handelns selber völkerrechtswidrig.
Über die aktuelle Debatte zu einem möglichen Angriff auf Syrien hinaus ist der Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes in einem weiteren Punkt konträr zu Überlegungen in der Bundesregierung: Die Experten sprechen sich eindeutig dagegen aus, lose Koalitionen als Ersatz für Systeme kollektiver Sicherheit anzusehen, die das Grundgesetz als Voraussetzung für Auslandseinsätze der Bundeswehr nennt:
Aus Sicht des spezifisch deutschen „Auslandseinsatz-Verfassungsrechts“ (Art. 24 bis 26 GG) wäre die Beteiligung der Bundeswehr an dem Militäreinsatz einer „Koalition der Willigen“ überdies auch mit Blick auf Art. 24 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich bedenklich: Solche „ad hoc-Koalitionen“ erfüllen nämlich regelmäßig nicht die Kriterien eines „System der gegenseitiger kollektiver Sicherheit“, da es an der für ein solches System notwendigen dauerhaften Struktur fehlt.
Der letzte Punkt steht im Gegensatz zum von der gesamten Bundesregierung verabschiedeten Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Insofern wird es spannend zu beobachten, ob sich das unabhängig von der aktuellen Debatte über einen möglichen Syrien-Angriff auswirkt.
Tja, der wissenschaftliche Dienst kann publizieren was er will.
Andere demokratische rechtsstaaten sehen es anders, in der völkerrechtslehre gibt es dazu mannigfache divergierende Positionen. Das Völkergewohnheitsrecht weist in eine andere Richtung.
Sich derart apodiktisch zu positionieren wirkt auf mich wenig “ wissenschaftlich“.
(so hat unter anderem UK seine damalige Intervention bewusst nicht als „bewaffnete repressalie“ sondern als humanitäre Intervention/Sanktion/R2P zur Unterbindung einer Widerholung klassifiziert)
Der wissenschaftliche Dienst ist eben nur eine Stimme unter Vielen in der Völkerrechtsdebatte keinesfalls die autoritative Instanz als die er sich scheinbar gerne sähe.
Na, da haben wir es doch. Das Ergebnis war absehbar und von mir so erwartet.
Ich warte jetzt auf die Kommentatoren, die wieder mal erklären, das der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags nur aus Noobs besteht und die wirklich keine Ahnung haben. Und das man doch moralisch verpflichtet sei und Deutschland bei Nicht-Teilnahme in einer sicherheitspolitischen Bedeutungslosigkeit versinkt etc., etc. pp..
Diese Auslegung hat denn durchaus unangenehmen Beigeschmack, in bester deutscher Ordnungsmanier obendrein. Keine permanente Struktur, also kein System und damit „nicht rechtmäßige Kombattanten“? Dass vorhandene Systeme mit sicherheitspolitischer Struktur, NATO – EU, gerade aufgrund ihrer verfassten Strukturierheit gelähmt sind, wird offenbar – bewusst(?) – nicht zur Kenntnis genommen?
Das ist billig!
Die Bundesregierung sollte im Sinne der U.S. Anfrage handeln und „Karlsruhe“ abwarten, da Linke und AfD sicher den Gang dorthin anstrebten.
Der Wissenschaftliche Dienst kam zu dieser Meinung.
Es ist eine Meinung. Eines Gremiums nicht die, eines Gerichtes.
Es ist eine Meinung, kein Urteil. Hier gilt im Zweifel immer erst das Höchste.
Was ich mich jetzt Frage, kann man den Soldat auch belangen, wenn er den Befehl der BuReg befolgt, sich am Krieg in Syrien in der vom WD abgelehnter Form, zu beteiligen?
Mit der Bewertung des Wissenschaftlichen Dienstes hat sich die Debatte um einen möglichen Einsatz der Bundeswehr in Syrien ja wohl hoffentlich erledigt.
Jeder der immer noch einen solchen Einsatz fordert, ruft zu einem Völkerrechtsbruch auf und kann sich nicht mit mehr mit einer völkerrechtlichen „Grauzone“ herausreden.
Die Politik sollte nicht zu leichtfertig mit dem Völkerrecht umgehen. Wir könnten sonst leicht eine Armee mit der Mentalität eines Söldnerheeres schaffen. Ich gehe mal davon aus, dass auch die Ministerin eine solche Armee nicht anstrebt.
Da hilft ein Blick ins Gesetz:
Befehlsgeber ist nicht die BuReg sondern ein/die/der Vorgesetzte (im Zweifel die VM).
Diese(r) hat die Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Rechtmäßig – zu einem dienstlichen Zweck, unter Beachtung der Gesetze, Dienstvorschriften und der Regeln des Völkerrechts.
Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist der Befehl rechtswidrig. Gleichwohl bliebe der Befehl grundsätzlich verbindlich, das heißt, der Befehlsempfänger hat grundsätzlich auch einem rechtswidrigen Befehl Folge zu leisten.
Dabei gelten jedoch folgende Ausnahmen:
Unverbindlicher Befehl – muss nicht ausgeführt werden, sofern er keinen dienstlichen Zweck erfüllt, gegen die Menschenwürde verstößt oder seine Befolgung für den Soldaten unzumutbar ist. Der Soldat kann also entscheiden, ob er einem solchen Befehl nachkommt oder nicht.
Unverbindlicher Befehl – darf nicht ausgeführt werden, wenn dessen Ausführung die Begehung einer Straftat oder einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstellt.
Befolgt ein Soldat einen solchen Befehl in Kenntnis der Widerrechtlichkeit, ohne dass ihm eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben droht, kann er sich später nicht auf den sog. Befehlsnotstand berufen.
Wenn der Soldat dagegen nicht erkennt, dass es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, führt ein Handeln auf Befehl gem. § 5 WStrG zu einem Entschuldigungs-grund.
@ wacaffe
In ‚anderen demokratischen Rechtsstaaten‘ hat weder das Grundgesetz noch die für den deutschen Rechtsraum verbindliche Kodifizierung des Völkerrechts durch das VStGB Gültigkeit.
@ Kay
Nach §13 VStGB dürfte das allerhöchstens für die obersten Führungsebenen denkbar sein. Nach §11 SG ist es etwas fraglicher, aber solange das nicht durch das Verfassungsgericht entschieden ist, wird sich das wohl zugunsten der Soldaten auslegen lassen.
Definitiv hingegen müssten die dafür verantwortlichen Regierungsmitglieder, aber auch die zustimmenden Abgeordneten der Strafverfolgung anheim fallen.
@Appendix1 | 11. September 2018 – 18:25
Soso, die BuReg hat bei Ihnen nichts zu melden. Und der Soldat hört einfach keine Nachrichten und hat auch keinen Zugang zu sonstigen Medien und deshalb einen Entschuldigungsgrund gem. § 5 WStrG. Und deshalb kann er ruhig nach Syrien fliegen, wenn sein Spieß das befiehlt..
Aus welchem Reich stammt denn diese Interpretation? Parlamentsarmee und Primat der Politik sind wohl komplett an Ihnen vorbei gegangen. Vielleicht ist Ihnen auch entgangen, dass die Bundesministerin der Verteidigung als IBUK Teil der BuReg ist?
Ihr Kommentar löst bei mir sarkastisches Kopfschütteln aus.
Entscheidend ist primär das GG, erst danach das Völkerrecht. Der WD des dt. BT´s gibt die verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Mehrheitsmeinung wider, nicht seine eigene. Handeln der Exekutive und Legislative ist in D an die Verfassung gebunden. Und da gibt es nach 24, 87a und 32 sowie der gelten Rechtsprechung des BVerfG keinerlei Grundlage. „Verteidigung“ müsste völlig neu definiert werden oder das GG geändert werden. Gegen Counter-Daesh läuft seit 2016 übrigens ja eine Klage der Partei „Die Linke“. Sekundär/ergänzend kommt das Völkerrecht zum Tragen. Hier gibt es keinerlei Rechtfertigung für derartige Repressalien, die gab es auch noch nie, ob man das bedauert oder nicht. Nothilfe und Intervention auf Einladung scheiden auch aus. Da der Sicherheitsrat absehbar blockiert ist und auch anerkannte Systeme kollektiver Sicherheit (übrigens aktuell nicht die EU, wenn man das Lissabon-Urteil zum Maßstab nimmt) absehbar kaum intervenieren werden bzw. Mandate ausstellen werden, wird es immer wieder auf Koalitionen der Willigen hinauslaufen. Eine rechtliche Klärung und eine politische Debatte grundsätzlicher Natur sind überfällig. Aber abgesehen von absoluten Minderheitenmeinungen sind derartige Einsätze eben, Stand heute, verfassungs- und völkerrechtswidrig. Was sich Großmächte und solche, die glauben, es zu sein, unter Schutz ihrer Vetomacht und realer Machtverhältnisse dann herausnehmen zu entscheiden, ist etwas anderes. Trägt letztlich aber möglicherweise mehr zur Erosion von Recht und dem Schutz von Zivilisten bei, als moralisch beabsichtigt.
@tobyR
Liegt kein Völkerrechtlicher Verstoß vor laufen ihre Verweise auf die Verbindlichkeit „des Völkerrechts“ und vstgb ins leere . Hanau darauf bezog ich mich.
Die rechtspositivistische deutsche Auslegung die sie hier demonstrieren ist keineswegs herrschend oder hat Anspruch auf universelle Gültigkeit
@Kay
„Der Wissenschaftliche Dienst kam zu dieser Meinung“.
1. Der Wissenschaftliche Dienst kam.nicht zu einer „Meinung“, sondern zu einer rechtlichen und wissenschaftlich fundierten Bewertung. Das ist ein Unterschied.
2. Es ist noch nicht lange her, dass wir an dieser Stelle den neuen Traditionserlaß debattiert haben. Die Bundeswehr soll ihre eigene Tradition aus ihrer eigenen Geschichte.ableiten, so hieß es. Nun, ein ganz wesentlicher Bestandteil der Geschichte der Bundeswehr ist die Einführung eines Paragraphen der die Berufung auf einen so genannten „Befehlsnotstand“ ausschließt wenn der Soldat Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns haben könnte. Das ist mit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes hinsichtlich eines Syrieneinsatzrs zweifellos der Fall.
3. Viele der nicht an Geschichte interessierten Debattierer wissen vielleicht nicht, dass viele Wehrmachführer im Nürnberger Prozess in 1. Linie wegen der Führung eines Angriffskrieges , zum Teil zum Tode, verurteilt wurden. Damals gab es allerdings das heutige Völkerrecht mit dem Verbot des Angriffskrieges noch nicht.Heute könnte sich Keiner mehr rausreden.
Zusammenfassend:
Wer sich auf die Tradition der Bundeswehr beruft, kann nicht völkerrechtswidrige Handlungen anordnen ohne komplett unglaubwürdig zu werden. Die Ministerin muß sich nur an ihre eigenen Vorgaben erinnern, um zu wissen, dass ein Syrieneinsatz der Bundeswehr als „Vergeltungsschlag“ ein „No go“ ist wenn sie nicht komplett unglaubwürdig werden will.
Damit kann die Debatte eigentlich zu den Akten gelegt werden. Selbstverständlich können die Abgeordneten alternativ auch das Grundgesetz und das Soldatengesetz im Gesetzgebungsverfahren ändern, um zukünftig zumindrst verfassungskonform zu handeln. Das wollen sie aber bis jetzt nicht.
Übrigens:
Bereits beim Vietnamkrieg wurde die damalige westdeutsche Regierung von den USA um militärische Unterstützung angefragt. Mit Hinweis auf die Verfassung hat sie „Nein“ gesagt. Diesen Mut im Zweifelsfall „Nein“ zu sagen muß jede Regierung haben. Auch diese Regierung kann nicht zwei Rollen gleichzeitig spielen: einerseits von anderen Staaten strikte Beachtung des Völkerrechts einfordern und andererseits selbst dagegen verstoßen.:
Deutschland kann sich seiner, auch selbst auferlegten, internationalen Verantwortung nicht länger dadurch entziehen, dass es sich gerade mit Hinweis auf das Friedensgebot des GG dieser weiterhin entsagt.
Die Gretchenfrage, welches sind zentrale, grundlegende also absolut unverrückbare deutsche Völkerrechts-Interessen? Die Wahrung zivilisatorischer Mindeststandards und deren weltweite Achtung, z.B. durch Missbilligung des Einsatzes von WMD, aber auch mittels diplomatischer und militärischer Anstrengungen dies zu unterbinden, entsprechen exakt dem Selbstverständnis deutscher Internationaler Verantwortung.
In Syrien bietet sich aktuell Gelegenheit den wohlfeilen Lippenbekenntnissen Taten folgen zu lassen. Das Assad nach bekannter Sachlage der vergangenen vier Jahre Giftgas einsetzen wird, stützt sich auf Kriegserfahrungen. Kann das dem anderen Deutschland, dass sich seit ’45 erneuert hat, faktischh gleichgültig bleiben?
Die Buchstaben verliebte Auslegung des WD im BT verkennt den Charakter vom Völkerrecht als lebendem Körper in der Geschichte und schützt allein das Beharrungsvermögen der Realitätsverweigerer, welche die Buchstaben als Schutzschilde zur Wahrung eigener lieb gewonnener Unschuld verwenden.
Warum wird keine Vergeltungsaktion gegen das Regime in Myanmar diskutiert?
Ist die Beweislage in dem Fall nicht klarer?
Was unterscheidet ein Eingreifen der „Willigen“ beim Völkermord und der Verteibung in Myanmar, vom Eingreifen beim Giftgaseinsatz in Syrien…moralisch und völkerrechtlich?
@wacaffe
Die Frage ist doch auch, wie und mit wem der Wissenschaftliche Dienst besetzt wird.
Wenn ich als Mitarbeiter des WiDi eine bestimmte politische Einstellung habe, wird die bei der Suche nach richtigen Antworten sicherlich eine Rolle spielen.
@ Pete
Ist Ihre Meinung, welche sich mit dem WD (zufällig) der Ihren deckt, ist Ihre Meinung.
Der Soldat ist wohl persönlich raus. Solange er nicht bewusst und klar erkennbar Zivilisten, welche keinen Widerstand leisten, tötet.
Gut, solange nichts geschehen ist, gibt es keinen Prozess und kein Urteil. Jetzt kommt es darauf an, ob man gewillt ist, sich wirklich zu stellen, oder ob man redet und dabei zerredet, nur um keine wirkliche Gewissheit zu erlangen.
Verantwortung heißt auch Risiko, wer mag Verantwortung übernehmen?
Kann man dann auch für unterlassene Hilfeleistung verklagt werden, wenn tatsächlich das höchste Gericht entscheidet, dass man dabei zusah und die Hände in die Hosentasche steckte, während Vergasungen stattfanden?
Kann man diese Frage mal dem Wissenschaftlichen Dienst stellen?
@wacaffe | 11. September 2018 – 16:57
„Tja, der wissenschaftliche Dienst kann publizieren was er will.
Andere demokratische rechtsstaaten sehen es anders, in der völkerrechtslehre gibt es dazu mannigfache divergierende Positionen. Das Völkergewohnheitsrecht weist in eine andere Richtung.“
+1
Nach meiner Bewertung ist das Gutachten ein wichtiger Beitrag zu einer rechtlichen Debatte, darf aber in diesem äußerst schwierigen und umstrittenen Rechtsfeld keinesfalls mit Fakten verwechselt werden.
Kann man so sehen, muss man aber nicht. Unzählige Juristen kommen ebenso wohlüberlegt zu einer anderen Auffassung. Bezüglich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 (Operation PEGASUS) wird deutlich, dass Einsätze nicht grundsätzlich auf Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit (NATO / UNO) basieren müssen. Nebenbei, Counter Daesh läuft ja auch im Rahmen einer „coalition of the willng“. Keine BT-Fraktion hat dazu das BuVerfG angerufen. Und was den Einsatz an sich angeht, kommt es bekanntlich auf das Ziel und die Rahmenbedingungen (Gefahr im Verzug) an. Und entsprechend ist das Parlamentsbeteiligungsgesetz anzuwenden.
@KPK: „Die Buchstaben verliebte Auslegung des WD im BT verkennt den Charakter vom Völkerrecht als lebendem Körper in der Geschichte und schützt allein das Beharrungsvermögen der Realitätsverweigerer, welche die Buchstaben als Schutzschilde zur Wahrung eigener lieb gewonnener Unschuld verwenden.“
Völkerrecht mag ein politisches Recht sein. Aber erstens sollte Moral nicht mit Recht verwechselt werden und zweitens gibt es hier keine auch nur halbwegs legale Entwicklung im Völkerrecht, die etwas Derartiges decken oder rechtfertigen würde. Deutschland hat sich dem Völkerrecht und der Charta der VN verschrieben. Viel wichtiger aber ist das GG und keine noch so laxe Auslegung des Völkerrechts, die hier eindeutig nicht möglich ist, ändert daran etwas. Ansonsten müsste das BVerfG „Koalitionen der Willigen“ oder „Verteidigung“ völlig neu definieren, was nicht zu erwarten ist. Damit ist die Verfassungskonformität hin und die ist absolut zentral für das politische Handeln und erst dann kommt das Völkerrecht. Und wenn der deutsche BT das GG ändern würde oder das BVerfG zu neuen Einsichten käme – über Beides muss sicher debattiert werden – dann käme das HVR zum Tragen und hier hätte die BR nach derzeitigem Stand auch keine Möglichkeit, im Gegenteil. In Syrien sind alle politischen und rechtlichen Möglichkeiten ganz am Anfang vergeben worden. Jetzt bietet sich dort nur noch die Möglichkeit noch mehr Schaden anzurichten, humanitär, rechtlich und ordnungspolitisch.
@Trevor Faith | 11. September 2018 – 20:13
„Die Frage ist doch auch, wie und mit wem der Wissenschaftliche Dienst besetzt wird.“
+1
„Wenn ich als Mitarbeiter des WiDi eine bestimmte politische Einstellung habe, wird die bei der Suche nach richtigen Antworten sicherlich eine Rolle spielen.“
Hm, hier würde ich anders formulieren! Die Frage ist doch nicht unbedingt welche „politische“ Einstellung, sondern welcher rechtlichen „Schule“ man entstammt/anhängt.
Denn ich unterstelle jetzt dem WD kein politisch manipulierte Wahrheit. Sehr wohl aber gibt es bei so komplexen Fragestellungen wie dem Völkerrecht auch unter renommiertesten Professoren unterschiedliche Auslegungen/Bewertungen. Und der WD ist im Regelfall ja nicht mit den wissenschaftlichen Koryphäen auf nationaler/internationaler Ebene besetzt, sondern zumeist eher mit der Ebene „solide“ Fachleute (Ebene postgrad oder postdoc).
Kann man die Bundesregierung lebenslänglich einsperren, wenn raus kommt dass der Einsatz ein völkerrechts- und grundegesetzwidriger Angriffskrieg war, weil die Chemiewaffeneinsätze tatsächlich von den „Rebellen“ inszeniert waren? Auch diese Frage sollte man sich vorher stellen.
Ich würde die Schwelle für einen legitimierten Angriffskrieg auch nicht so niedrig setzen. Dann darf man sich nämlich nicht wundern wenn andere Länder gleichartige Einsätze mit Berufung auf Gewohnheit gem. Völkerrechr auf ähnlich dünner Beweislage ausführen.
@Klaus-Peter Kaikowsky | 11. September 2018 – 19:38
„Das Assad nach bekannter Sachlage der vergangenen vier Jahre Giftgas einsetzen wird, stützt sich auf Kriegserfahrungen.“
Ich würde Ihnen raten, sich mit der Sachlage der vergangenen vier Jahre auch tatsächlich vertraut zu machen. ;-))
Und das nicht nur aus den Medien, sondern auch und vor allem anhand von Primärquellen. Die OPCW-Berichte sind alle öffentlich – nur zu!
@Appendix1
Da hilft ein Blick ins Gesetz:
„Gleichwohl bliebe der Befehl grundsätzlich verbindlich, das heißt, der Befehlsempfänger hat grundsätzlich auch einem rechtswidrigen Befehl Folge zu leisten.“
Aber wenn der Befehlsempfänger in der Hierarchie zum Befehlsgeber wird, hat er wieder die Möglichkeit einen Befehl nicht zu geben, wenn er seiner Meinung nach rechtswidrig ist.
„Zuschauer, Analytiker, Belehrende, Kommentatoren bei Kriegsverbrechen, darauf kann sich Deutschland nicht mehr beschränken“, so Norbert Röttgen im ZDF.
„Wir müssen zumindest die Diskussion wagen, teilzunehmen“.
Noch treffender und ehrlicher geht’s kaum.
Nach Art. 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrages vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland gilt mit Inkrafttreten am 15. März 1991: (Verbot des Angriffskrieges)
Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschlands sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.
Insbesondere der letzte Satz ist eindeutig und schließt derartige Strafaktionen evident aus.
@ Wacaffe
Noch mal langsam zum Mitschreiben:
Das VStGB ist ein *deutsches* Gesetz. Völkerrecht ist dafür nur insoweit von Belang, als dass *eine* spezifische Quelle, nämlich die UN-Charta, desselben für die in diesem Gesetz enthaltenen Straftatbestände eine Definition liefert.
Mit irgendwelchen Konstruktionen über Völkergewohnheitsrecht etc. etc. können Sie die in diesem Gesetz enthaltenen Straftatbestände genau so wenig legalisieren wie vergleichbar schwere Verbrechen (Mord, Vergewaltigung etc.) im StGB. Wenn Sie so etwas befürworten, fordern Sie die Aufhebung der Bindung der Exekutive an die Gesetze und nichts anderes.
@ Klaus-Peter Kaikowsky
Mit Ihrer Haltung wird positives Völkerrecht durch willkürliches moralisches Empfinden ersetzt. Das ist nichts anderes als die Abschaffung des ersteren.
Sie reden hier glasklar völkerrechtswidrigen Angriffshandlungen das Wort, daran gibt es nichts zu deuteln.
@ Kay
„Der Soldat ist wohl persönlich raus. Solange er nicht bewusst und klar erkennbar Zivilisten, welche keinen Widerstand leisten, tötet.“
Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Die Teilnahme an einem klar rechtswidrigen Krieg ist eine Sache (ius ad bellum), das Begehen von Kriegsverbrechen – für welche die Schwelle übrigens durchaus niedriger liegt als das – eine andere (ius in bello.)
Eines ist wohl beim Lesen der Kommentare hier klar: Viele Kommentatoren sind sich der Bedeutung dieser klaren Bewertung (nicht Meinung) des Wissenschaftlichen Dienstes bewusst, die zudem durch einfache Lektüre der Gesetzestexte leicht persönlich bestätigt werden kann, Geschwurbel hin oder her.
Viele Kommentatoren. Aber nicht alle. Es ist erschreckend, wie bereitwillig manche hier das Grundgesetz einfach über Bord werfen wollen, nur weil es außenpolitisch opportun erscheint (aber auch nicht ist, wenn man Pro und Contra wirklich abwägt).
Das lässt für mich darauf schließen, dass es wohl ein paar Soldaten geben würde, die solche illegalen Befehle ausführen würden. In der Bundeswehr, in der es jeder Gefreite besser wissen sollte.
Mir wird schlecht.
Mal eine andere Perspektive:
Wenn Russland an den Angriffen auf Idlib beteiligt sein sollte, oder diese veranlaßt hat, ist das dann Wahlkampfhilfe für Donald Trump bei den Midterms? Unter der Annahme, daß Trump die Situation für sich ausschlachten wird, um als starker Mann dazustehen.
Das stinkt doch schon wieder alles von Hinten bis Vorne.
Die Deutsche Regierung kann mal wieder nur verlieren: entweder hält sie sich nicht an Recht und Gesetz (- die einen Einsatz verbieten), und schwächt damit den Rechtsstaat in den Augen ihrer Bürger und den Augen der „neutralen“ Staaten, aber beweist Handlungsfähigkeit bzw. den Willen auf der Weltbühne als Spieler wargenommen zu werden (gegenüber USA, Rußland, F, UK etc.).
Oder sie hält sich an Recht und Gesetz, dann wird ihr vorgeworfen werden, die Hände in den Schoß zu legen, während in Syrien die Schlinge um den Hals Unschuldiger zugezogen wird.
Die Anzahl der Kriegsflüchtlinge wird so oder so wieder steigen, was in Europa die politischen Ränder weiter stärken wird.
Das ist alles eine lose / lose Situation aus meiner Sicht. Und Putin ist der Lachende Dritte.
Gerade gab es im heute-journal ein Interview mit Norbert Röttgen, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschuss.
Der Kern seiner Aussage war, das Deutschland sich beteiligen muss, um einen Einsatz von C-Waffen zu verhindern. Von Vergeltung war gar keine Rede mehr. Wie das funktionieren soll, dazu hat er nichts gesagt. Das dürfen die Fachleute (Militär)ausarbeiten. Er ist sich auch nicht sicher, ob alle Unionsabgeordneten da mitziehen würden.
Das hört sich schon ganz anders an, als die Berichte, die es heute morgen dazu gab. Da wird schon heftig zurück gerudert.
@Klaus-Peter Kaikowsky
1+ mit *
Der WD weißt auf die rechtlichen Grundlagen hin,
aber können Wir @ ALLE es weiterhin verantworten,
das diese Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerng seit 2012
weitergehen?
Wielange sehen wir als angebliche humanitäre Menschen noch zu?
Aus der Entfernung lässt sich ALLES leicht begründen.
Schwieriger wird es, wenn man selbst vort Ort betroffen ist.
@Pio-Fritz: Nun kommen Sie doch mal runter. Meine Ausführungen bezogen sich lediglich auf die Frage von @Kay, „ob ein Soldat belangt werden kann, für den Fall er würde einen entsprechenden „Befehl“ ausführen“. Eventuell ausführen müssen.
Dazu gehören mMn auch die Erläuterung zu einem Befehl grundsätzlich und das Drumherum.
Ein „Befehl“ setzt militärische Vorgesetzten voraus, insofern der Hinweis auf die Differenzierung BReg/VM.
Und nein, „beruhigt“ kann er in diesem besonderen Fall grundsätzlich nirgends hinfliegen. Muss er aber, unter Umständen.
@Zimdarsen
Aber wenn der Befehlsempfänger in der Hierarchie zum Befehlsgeber wird, hat er wieder die Möglichkeit einen Befehl nicht zu geben, wenn er seiner Meinung nach rechtswidrig ist.
Ja, korrekt. 1+.
Sollte er bzw. müsste er.
@Ingo Heinscher | 11. September 2018 – 22:24
„Das lässt für mich darauf schließen, dass es wohl ein paar Soldaten geben würde, die solche illegalen Befehle ausführen würden.“
Korrektur: dieser möglicherweise (sic!) illegalen Befehle.
Wie die Diskussion ja gut zeigt gibt es sowohl in Bezug auf die Legitimtät, als auch die Legalität sehr unterschiedliche und durchaus in jeweils beide Richtungen bedenkenswerte Argumente…
@TobyR | 11. September 2018 – 22:10
„Das VStGB ist ein *deutsches* Gesetz. Völkerrecht ist dafür nur insoweit von Belang, als dass *eine* spezifische Quelle, nämlich die UN-Charta, desselben für die in diesem Gesetz enthaltenen Straftatbestände eine Definition liefert.“
Naja, da die Kernbestandteile des Völkerrechts (inkl. des Völkergewohnheitsrechtes) aber über Art. 25 GG auch gültiges DEU Recht sind, ist das schon wieder nicht ganz so einfach…
@ tobyR
ich habe eher den Eindruck das Sie die Grundprinzipien des Völkerrechts und die Interdependenz desselben mit den darauf Bezug nehmenden nationalen Normen nicht wirklich verstehen.
Eine Intervention die zur Sanktionierung eines hypothetischen Chemiewaffeneinsatzes erfolgte wäre eine Reaktion auf einen Völkerrechtsbruch in Form des Verbots zum Einsatz dieses Waffentyps. Dieses Verbot ist nach, in diesem Fall tatsächlich einhelliger Meinung, verbindliches Völkerrecht (dem sog. ius cogens).
Die Argumentationslinie der Briten/franzosen et. al. läuft darauf hinaus, dass ein Einsatz zur Sanktionierung / Abschreckung vor Wiederholung vom Völkerrecht gedeckt ist, da er gerade der Durchsetzung völkerrechtsimmanenter Prinzipien dient und das eigentlich zur Sanktionierung berufene Gremium ( der UNSC) aufgrund machtpolitischer Erwägungen der Veto Mitglieder China und Russland handlungsunfähig ist.
Analog zur Rechtsfigur der humanitären Intervention ist ein solcher Einsatz demzufolge weder eine Agression im Sinne des Völkerrechts noch gem. dem darauf Bezug nehmenden VstGB.
Die obige Argumentationslinie wird von wesentlichen Staaten der internationalen Staatengemeinschaft in Rechtsmeinung und Praxis geteilt, gleiches gilt für nicht unerhebliche Teile der Völkerrechtslehre.
Die Tatsache das sich viele Laien und leider auch die deutsche Völkerrechtslehre in einem recht provinziellen, in der nationalen Rechtstradition verhafteten, rigiden Wortlautlegalismus verlieren ist dem Verständnis der Völkrerechtsentwivklung eher abträglich.
Wie KPK und Koffer bereits schrieben ist das VR grundsätzlich staatenfreundlich, dynamisch und durch Praxis der Staaten wandelbar.
Summa:
Man kann mit der Meinung des wissenschafltichen Dienstes konform gehen, man muss es aber nicht.
nicht in der völkerrrechtlichen Bewertung, und schon gar nicht in der (relevanteren) strategischen Bewertung welche Konsequenzen für Deutschland und Europa eine fortgesetzte normative Selbstblockade durch unverhältnismäßig restriktive Auslegung völkerrechtlicher Normen hat.
@Appendix1 „Muss er aber, unter Umständen“:
Kein Soldat muss einen Befehl befolgen, den er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann.
Siehe dazu den Fall von Florian Pfaff, der vor dem Hintergrund des Golfkriegs 2003 in Gewissensnöte geraten ist, und das Urteil des BVerwG vom 21.06.2005 – 2 WD 12.04.
Dort wird betont, dass auch Soldaten die Freiheit des Gewissens (Art. 4 Abs. 1 GG) zusteht. Ein Soldat, der sich auf die Freiheit des Gewissens berufen kann, muss einen Befehl nicht ausführen.
Im Urteil steht auch ein schöner Satz über Gehorsam:
Soldaten sind Bürger in Uniform, nicht bloß Befehlsempfänger.
Preemptive strike statt Vergeltungsschlag ist doch kein „Zurückrudern“!
Wie sähe denn die bestmögliche Lösung aus?
Wenn von angeblich 3 Millionen Menschen in Idlib nur 10000 (oder wegen mir 50000) bewaffnete anti-Assad-Rebellen sind, was soll man denn mit denen machen? Und was mit der Zivilbevölkerung? Und wie findet man raus, was was ist?
Zur Errichtung einer UN-Schutzzone müsste sicherlich der UN-Sicherheitsrat was beschließen, was die Russen wohl blockieren dürften. Oder wie sähe ein Angebot aus, das die Russen annehmen könnten? Entwaffnung der Rebellen? Auslieferung, nachdem man sie vorher jahrelang gestützt hat? Wohl kaum.
Unilaterales Eingreifen der Türkei und Errichtung einer Pufferzone? Die Türken würden die ganzen Rebellengruppen aber sicherlich auch entwaffnet haben wollen. Wie wäre denn die Reaktion Assads auf eine Teilbesetzung Syriens? Israel hat ja im Süden auch schon Pufferzonen besetzt. Würden Assad und Putin dann einer Friedenskonferenz zustimmen, wenn sie keine weiteren Geländegewinne mehr machen könnten? Würde es wirklich zur Neuziehung von Grenzen kommen? Oder zu einer jahrzente dauernden UN-Verwaltung? Oder gibt man die Gebiete zurück, unter der Bedingung, das Assad abdankt, und alle eine Amnestie bekommen?
Die preemptive Verhinderung einer Bodenoffensive, ohne selbst mit Bodentruppen da zu sein, würde selbst bei einem vollständigen Luftkrieg gegen die Syrische Armee und die russischen Kontingente in Syrien und die iranischen Milizen etc. ziemlich schwierig sein, und zu einer völlig unkontrollierten Eskalation führen – das wäre mit einer Kriegserklärung gleichzusetzen. Da fehlt nicht viel, und die USA und Israel würden die Gelegenheit nutzen und gleich noch das iranische Atomprogramm und die Trägersysteme etc. mitbombardieren wollen. Da sich die USA gerade bei den Palästinensern auch unbeliebt machen, gäbe es vermutlich eine dritte Intifada, und bei all den religiös endzeitlichen Erwartungen über Armageddon, würde sich am Ende noch ein Verrückter finden, der den dritten Weltkrieg auslöst…
Währenddessen in Deutschland in der Innenpolitik diskutiert wird, ob man die AfD vom Verfassungsschutz überwachen lassen muß, weil sie die Verfassung in Frage stellt, während die Bundesregierung unterdessen mit dem Gedanken spielt, mit einem Militäreinsatz in Syrien selbst offen das Grundgesetz zu brechen!
@Klaus-Peter Kaikowsky | 11. September 2018 – 22:03
„Zuschauer, Analytiker, Belehrende, Kommentatoren bei Kriegsverbrechen, darauf kann sich Deutschland nicht mehr beschränken“, so Norbert Röttgen im ZDF.
„Wir müssen zumindest die Diskussion wagen, teilzunehmen“.
Noch treffender und ehrlicher geht’s kaum.“
Jetzt müßen Sie mir nur noch erklären wieso Herr Röttgen sich bei dem brutalen Krieg der Saudis im Jemen seit Jahren auf die Rolle des Zuschauers beschränkt.
Im Jemen wird seit Jahren die zivile Bevölkerung brutal durch Saudi Arabien bekämpft. Keine Bilder im deutschen Fernsehen, kein Aufruf zum Krieg durch die deutsche Politik, nein, sogar Waffenlieferungen an Saudi Arabien durch Deutschland.
Was Herr Röttgen von sich gibt ist weder treffend und schon gar nicht ehrlich.
@Klaus-Peter Kaikowsky | 11. September 2018 – 19:38
„Deutschland kann sich seiner, auch selbst auferlegten, internationalen Verantwortung nicht länger dadurch entziehen, dass es sich gerade mit Hinweis auf das Friedensgebot des GG dieser weiterhin entsagt.“
1. Es gibt diese so genannte „Verantwortung“ Deutschlands nicht. Es gibt das Völkerrecht an das sich Deutschland gefälligst zu halten hat, so wie es im 2+4 Vertrag zugesichert wurde.
2. Die meisten Kriege begannen mit ähnlichen moralischen Begründungen, um dem Volk und der Armee zu suggerieren sie würden in einen „guten“ Krieg ziehen. Wer sich einmal mit ehemaligen Wehrmachtsangehörigen unterhalten hat, der wird, wie ich selbst auch, möglicherweise überrascht festgestellt haben, wieviele davon damals glaubten der Krieg gegen Polen diene dem Schutz der deutschen Bevölkerung. Auf Grund dieser Erfahrung und um zu verhindern, dass die Soldaten der Bundeswehr in eine solche Situation kommen und mißbraucht werdenmkönnten, wurde der Einsatz der Bundeswehr durch die damals kriegserfahrenen und geläuterten Politiker und Militärs auf die Verteidigung (gemeint war Landesverteidigung) beschränkt.
Diese kluge Entscheidung sollte man nicht leichtfertig über Bord werfen.
3. Zum konkreten Fall Syrien: die verfahrene Situation ist auch deswegen entstanden, weil viele der Staaten, die jetzt Assad bekämpfen wollen, bereitwillig brutale Söldner und islamistische Terroristen mit Waffen und Munition versorgt haben. Ohne diese Unterstützung der Terroristen von außen hätte der Krieg in Syrien nie diese Dimension angenommen. Hoffentlich lernen wir daraus für die Zukunft.
4. Beim vom Westen unterstützten 6-monatigen Sturm auf die damalige IS-Hochburg Raqqa waren nach Un-Angaben etwa 160 000 Zivilisten in Raqqa eingeschlossen. Viele kamen ums Leben. Dennoch wurde damals von den selben „Fachleuten“ die heute Syrien angreifen wollen die Bekämpfung der IS-Hochburg als richtig und „gut“ bewertet.
Meine nüchterne Erkenntnis:
mit den richtigen Bildern lassen wir uns auch heute in jeden Krieg hineinführen. Wir lernen einfach nichts aus den Fehlern der Vergangenheit.
Das Völkerrecht ist in Bezug auf Kriegführung deswegen so restriktiv, weil nur diese Beschränkungen eine einigermaßen zivilisierte Verhaltensweise der Staaten miteinander sicherstellen können. All diejenigen, die das Völkerrecht „angesichts der Bilder“ als „beliebig auslegbar“ interpretieren haben nichts gelernt aus der Geschichte.
Wie interessant, dass der wissenschaftliche Dienst des Bundestages feststellt, dass eine mögliche Beteiligung an einer Repressalie völkerrechtswidrig wäre, wo doch die Definition des Wortes „Repressalie“ hergibt, dass eine Repressalie per se eine völkerrechtswidrige Maßnahme ist, um das völkerrechtswidrige Verhalten eines anderen Staates zu beenden. Grünes Gras…
Bin gespannt was passiert, wenn der Einsatz befohlen wird. Hoffentlich findet sich ein junger Offizier, der in bester Tradition den Einsatzflug verweigert, weil er völkerrechtswidrig (Einschätzung wissenschaftlicher Dienst) ist und keinen wirklichen militärischen Zweck hat. Wenn es zu einem Einsatz kommt hat Assad Chemiewaffen eingesetzt und damit war die letzte Strafaktion nicht abschreckend wirksam. Warum sollte es diesmal wirken?
Ich drücke den Kameraden die Daumen, dass sie von ihrer Führung nicht vor so eine Entscheidung gestellt werden.
Man kann sich auch durch Unterlassen schuldig machen.
@Pete | 12. September 2018 – 4:37
+1
Genau das hatte ich im inzwischen geschlossenen anderen Faden schon angeführt, wir suchen uns den Konflikt aus der opportun ist um eventuell mitzumachen und bei anderen schauen wir weg. Das ist inkonsequent und führt zwangsläufig zu Unglaubwürdigkeit. Der Jemen ist dafür genau wie Myanmar ein Paradebeispiel.
Ein wenig lobe ich mir da den chinesischen Weg, aus innerstaatlichen Angelegenheiten einfach mal raushalten, und ehe ich jetzt von den Befürwortern des bewaffneten Konfliktes gesteinigt werde ja auch der Weg ist nicht die Goldrandlösung.
@ wacaffe
Es ist wirklich etwas lästig, hier immer wieder dasselbe schreiben zu müssen, darum noch ein allerletztes Mal:
Allgemeine Erwägungen über „das Völkerrecht“ sind für §13 VStGB gänzlich irrelevant! Dieser Paragraph nimmt *nur* auf die UN-Charta, also auf schriftliches, positives Recht, Bezug.
Was die Briten und Franzosen argumentieren, ist ebenfalls irrelevant, weil das VStGB für die nicht gilt, und auch im Übrigen nicht unsere Angelegenheit. Hier geht es darum, ob Deutschland sich beteiligen soll, nicht darum, UK und F wegen Völkerrechtsbruch vor Gericht zu zerren.
@wacaffe:
„Die obige Argumentationslinie wird von wesentlichen Staaten der internationalen Staatengemeinschaft in Rechtsmeinung und Praxis geteilt, gleiches gilt für nicht unerhebliche Teile der Völkerrechtslehre.“
John Bolton, die USA, UK und FRA. Noch irgendwer? Das ist einfach Unsinn! Lieber eine starke Behauptung, als ein schwaches Argument? Außerhalb des Westens teilt niemand irgendetwas davon. Das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen ist ius cogens, also z.B. eine Repressalie gegen einen anderen Staat, da sind sich tatsächlich alle einig. Briten, USA und Franzosen argumentieren nun, auch der Völkerrechtsbruch des (zu beweisenden)Kriegsverbrechens oder Chemiewaffeneinsatz wäre ebenfalls ius cogens. Letzteres wird keinesfalls einhellig gesehen und was wäre dann mit Jemen? Hier wird soll also eine nach Minderheitenmeinung umstrittene Rechtsnorm mittels Bruch einer einhelligen Rechtsnorm derselben Kategorie in Stellung gebracht werden. Das (!) widerspricht den Grundprinzipien des HVR. Wie man es auch dreht, das wird nicht legaler und übrigens auch nicht legitim. Die humanitäre Intervention ist ein übrigens nun wirklich ein Zombie, ein von 75% der Staaten zurückgewiesener Versuch und schon gar keine Rechtsfigur. Das war sie auch niemals und dass sie nun wieder herausgeholt wird, zeigt nur, wie dünn die Argumentationsbasis ist.
Und so wenig zufriedenstellend und frustrierend das HVR auch sein mag, es gibt gute Gründe für dessen Normen und dessen restriktiven Charakter. Haben wir das alles vergessen? Wie kurz ist unsere Aufmerksamkeitsspanne und unser Geschichtsbewusstsein sowie Lernvermögen? Die momentan von manchen geforderte Vorgehensweise ist keine zukunftsführende Weiterentwicklung des „staatenfreundlichen HVR“, sondern ein Rückfall in vormoderne Zeiten, das Recht des Stärkeren, Rechtlosigkeit. Noch der Kosovo-Fall wird uns international wieder und wieder um die Ohren gehauen. Irak 2003 hat den Iran überhaupt erst in die Position gebracht, die die USA nun beklagen etc., etc. Ich denke, hier sind sich viele der Entstehung, der Entstehungsgründe des HVR, der Verrechtlichung des Krieges und der Folgen ihrer Forderungen nicht bewusst. Weil man ein Unrecht nicht aushalten kann, wirft man alle zivilisatorischen Errungenschaften über Bord? Was hier – zum Glück nur von manchen – gefordert wird, ist verfassungswidrig, völkerrechtswidrig, politisch kurzsichtig und würde verheerende Folgen zeitigen, weil man ein Unheil nicht aushalten kann. Die Situation in Syrien ist total frustrierend, es ist brutal für unschuldige Zivilisten in Idlib, aber die „Lösung“ der Repressalie und jetzt erfolgende externe militärische Intervention, wie auch immer geartet, ist einfach nur Hilflosigkeit, naiver Aktionismus, der alles schlimmer macht, mehr Leid produziert und nebenbei noch verheerenden politischen und rechtlichen Schaden anrichtet. Natürlich muss man darüber diskutieren, wie man angesichts blockierten SR und zunehmend fehlenden Mandatierungen von Systemen kollektiver Sicherheit mit Koalitionen der Willigen umgeht, wie man handlungsfähig bleibt. Aber bitte nicht so.
@ Koffer: „Naja, da die Kernbestandteile des Völkerrechts (inkl. des Völkergewohnheitsrechtes) aber über Art. 25 GG auch gültiges DEU Recht sind, ist das schon wieder nicht ganz so einfach…“
Doch, ist es. Verfassungsrecht ist primär. Die Verfassung gilt und dieser ist zu folgen. Diese darf gem. 25 GG nicht gegen das Völkerrecht verstoßen, sie muss ihm aber nicht in allem Folgen. Es gibt ganz eindeutig keine Möglichkeit irgendeine nationale Verfassung mittels HVR zu verändern. Völkerrecht und Völkergewohnheitsrecht sind eben gerade nicht automatisch deutsches Recht. Diesen Unterschied scheinen allerdings auch manche im Auswärtigen Ausschuss nicht zu verstehen.
Ich bin gegen eine Militäraktion, die ohne Russland, oder so wie in Syrien sogar gegen Russland stattfinden würde.
Einerseits wird in Europa aufgerüstet, weil man Russland als neuen, alten Feind indentifiziert hat, der „Böses“ mit Europa vorhat…
Anderseits rennt man in Syrien offenen Auges in einen Konflikt gegen Syrien, das von Russland unterstüzt wird?
Wo liegt denn da die Logik? Es muß doch jedem klar sein, daß wir besser in keinen bewaffneten Konflikt mit Russland eintreten, weil der sich dann nicht auf Syrien beschränken würde.
Bei dem Geschwurbel um die „Verantwortung Deutschlands“ und „sicherheitspolitischen Notwendigkeiten“ etc. wird mir ganz schwindelig.
Der EU und DEU geht es wirtschaftlich nicht deshalb so gut, weil wir in den letzten 70 Jahren in jeden Konflikt/Krieg eingegriffen haben, eher das Gegenteil war der Fall. Ich sehe auch keinen Konflikt oder Krieg, in dem die USA verwickelt waren, der großen sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Nutzen gehabt hätte. GBR und FRA haben noch vertragliche Altlasten aus ihrer Zeit als Kolonialmächte, die zu gewissen militärischen Handlungen zwingen, die haben wir nicht.
Und moralisch? Die Chance, in SYR etwas zu wandeln wurde schon lange vertan, man hat sich nur auf den IS konzentriert. Als das erledigt war, hat man die Kampfgefährten einfach fallen gelassen. Wo ist da die Moral? Da braucht es jetzt auch keine wilden Drohgebärden mehr, die westliche Allianz war immer nur halbherzig in SYR engagiert. Das lässt sich auf andere Konflikte auch anwenden. Der Westen hat hier seinen Einfluss verspielt.
Diese halbherzige Doppelmoral nach dem Motto “ bei C-Waffen gibt es was auf die Finger, ansonsten schauen wir weg“ ist eine dermaßen verlogene Lösung, das kann doch keiner ernsthaft in Betracht ziehen. Und im Jemen ist alles tuto bene…
Melde mich ab, mir wird schlecht.
Eine erschreckende Diskussion. Mir zeigt sie vor allem, wie weit weg wir in Deutschland von der Bindung an unser GG schon sind.
Melde mich ab, mir wird schlecht.
Wie kann es denn hier Völkerrechtswidrig sein und bei den Franzosen und Briten nicht?
@all
Sehr grob zusammengefasst werden in den vergangenen Tagen hier bei AG, aber auch in der öffentlichen Diskussion, zwei gegensätzlich verortete Lagerauffassungen erkennbar:
1. Diejenigen, die buchstabengetreu der Auffassung das Wort reden, wie sie in der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des BT zum Ausdruck kommt. „..Die Teilnahme Deutschlands an einem völkerrechtswidrigen Militäreinsatz kann niemals verfassungskonform sein. …“. Im Ergebnis würden sich Deutsche Streitkräfte unter gar keinen Umständen an wie auch immer gearteten Militärschlägen auf U.S- Anfrage beteiligen.
2. Diejenigen, die plädieren, dass die bekannte Lähmung des Sicherheitsrates nicht tatenlos hingenommen werden kann und bestehende Rechtslagen, national und international, kein Argument sein können Assad&Schutzmächte gewähren zu lassen. Mittel dazu sei die Weiterverfolgung der R2P-Ansätze.
3. Diejenigen, die auf die diplomatische Karte setzen und dazu verstärkte Anstrengungen der Staatengemeinschaft zur Konfliktlösung, besser AUSSCHLUSS der Verwendung chemischer Kampfstoffe, setzen. Hinweis dazu, diese Anstrengungen bestehen – ergebnislos – seit VIER Jahren. Erinnert sei an die Gutierrez, Di Mistura-Verhandlungen und natürlich auch an das ASTANA-Format, das allerdings der pro-Assad Richtung dient.
Wie durch meine wenigen Beiträge erkennbar, ich plädiere für 2.
Nun wünsche ich mir Antworten von anderer Seite, besonders jener Diskutanten, die ohne Wenn und Aber sich der Ablehnungsfront zurechnen.
Frage daher: Welche Maßnahmen verhindern den Einsatz chemischer Kampfstoffe seitens syrischer Truppen in IDLIB. Nett wäre es, wenn der Konjunktiv nicht verwendet würde und Gegenfragen unterblieben „wie mit Lösung nach 2. wollen Sie erfolgreich sein“, denn mir ist klar, NICHTS garantiert vorab Erfolg in der Operationsführung. Nur, ich weigere mich dem Nichtstun wortlos zuzuschauen.
Danke.