Einsatz in der Koalition der Willigen: Auf dem Weg zum neuen Normalfall? (Nachtrag: KdB)

Nach seinem Amtsantritt im April hat der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, sein erstes größeres Interview gegeben (ich habe jedenfalls kein weiteres finden können), und zwar dem Fachmagazin Europäische Sicherheit & Technik. Unter den Antworten auf ein breites Spektrum an Fragen ist mir eine aufgefallen – die Frage nach der rechtlichen Grundlage für mögliche künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr, auch ohne ein Mandat der Vereinten Nationen, der NATO oder der EU (ich zitiere mal etwas ausführlicher):

Frage: In der neuen Konzeption der Bundeswehr ist von Einsätzen auch in Ad-hoc-Kooperationen die Rede – ist das ein neuer konzeptioneller Ansatz?
Zorn: Die feste Integration in die vorhandenen Bündnisstrukturen und der Einsatz im multinationalen Verbund kennzeichnen seit vielen Jahren das Handeln deutscher Streitkräfte. Das schließt die Möglichkeit neuer zweckgebundener Kooperationen nicht aus. Ad-hoc-Kooperationen sind für mich dabei kein grundsätzlich neuer Ansatz. Entlang unserer nationalen gesetzlichen Vorgaben sind wir schon heute als Parlamentsarmee weltweit an vielen unterschiedlichen Einsätzen beteiligt.
Frage: Weichen Sie damit von der bisherigen Position der Bundesregierung ab, die ja auch nicht immer 100 Prozent durchgehalten worden ist, dass nur ein UN- oder ein NATO-Mandat einen Einsatz begründen kann?
Zorn: Wir haben uns in der Vergangenheit an solchen Einsätzen schon beteiligt. Einige Beispiele: Schauen Sie z.B. auf den Einsatz „Counter-Daesh“ in Syrien und im Irak. Dort agieren wir in Abstimmung mit den beteiligten Partnern, ohne dass es unter einem UN-Mandat stattfindet. Es kann solche Situationen auch in Zukunft geben, wenn es darum geht, unsere gesamtstaatlichen Interessen zu schützen. Dass diese Ad-hoc-Kooperationen als Instrumente der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung weiter an Bedeutung gewinnen, steht übrigens so auch im Weißbuch 2016.

Nun hat der General recht, der Ansatz mit den so genannten Ad-hoc-Kooperationen steht in der Tat schon so im Weißbuch 2016 und auch in der neuen Konzeption der Bundeswehr, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 20. Juli gezeichnet hat und die in den nächsten Tagen veröffentlicht werden soll am 3. August veröffentlicht wurde (s. Nachtrag unten). Der Wortlaut im Weißbuch:

Insbesondere Ad-hoc-Kooperationen werden als Instrumente der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung weiter an Bedeutung gewinnen. Deutschland wird dieser Entwicklung Rechnung tragen und sich in solchen Fällen, in denen es seine Interessen auf diesem Weg schützen kann, an Ad-hoc Kooperationen beteiligen oder diese gemeinsam mit seinen Partnern initiieren.

Als Beispiel dafür wird immer ausschließlich die deutsche Beteiligung an der Anti-ISIS-Koalition herangezogen (der im Weißbuch ebenfalls erwähnte Anti-Piraterie-Einsatz vor Somalia gehört nicht in diese Kategorie, weil er von Anfang an unter EU-Beschluss stattfand) – kein Wunder, es gab und gibt nämlich keinen anderen Einsatz auf dieser Grundlage. Auch der Generalinspekteur kündigt zwar einige Beispiele an, nennt dann aber doch nur eines, eben diesen Anti-ISIS-Einsatz.

Warum ist das von Bedeutung? Mit der Beteiligung an Counter Daesh, der Anti-ISIS-Koalition, hat die Bundesregierung eine Bestimmung des Grundgesetzes, die als Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung herangezogen wird, erstmals anders interpretiert als zuvor. Der Grundgesetz-Artikel 24 legt fest:

Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.

Als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit wurde in den vorangegangenen Jahren immer ein festes, vertraglich abgesichertes Bündnis verstanden – eben die UN, die NATO oder die Europäische Union. Mit Regeln, Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, Kommandostrukturen, Mitspracherechten. Nicht aber eine lose Koalition der Willigen.

Die neue Interpretation wurde mit dem Mandat zur deutschen Beteiligung an der Anti-ISIS-Koalition im Dezember 2015 eingeführt. Deshalb gab es in diesem Mandat auch eine umfangreiche Begründung mit der Heranziehung verschiedener UN-Resolutionen und die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta, mit der dargelegt wurde, warum die deutsche Beteiligung ohne direkte Ermächtigung der UN möglich ist.

Die entsprechende Passage im Weißbuch hat nach meiner Erinnerung 2016 keinen besonderen öffentlichen Widerhall gefunden – auch die Mandatierung Ende 2015 war ja nicht von der Debatte über die Frage geprägt, ob die Beteiligung an einer solchen Koalition dem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit entspricht.

Zorn spricht also damit nur aus, was seit inzwischen fast drei Jahren eine politische Option ist. Doch die scheint nunmehr in der Wahrnehmung auch im Verteidigungsministerium gleichrangig neben eine (Selbst)Mandatierung durch die drei großen internationalen Organisationen bzw. Allianzen zu treten.

Mit anderen Worten: Der deutsche Kurs, militärisch nur gemeinsam mit Verbündeten zu handeln, bleibt zwar bestehen. Doch die Möglichkeit, das außerhalb fester Bündnisstrukturen in kleinen, losen und für einen bestimmten Einsatzzweck zusammengestellten Koalitionen zu machen, scheint auf dem Weg zum neuen Normalfall.

Nachtrag: Die neue Konzeption der Bundeswehr (KdB), am 3. August veröffentlicht, steht hier zum Herunterladen.

(Foto: Zorn und von der Leyen bei der Amtseinführung des neuen Generalinspekteurs am 19. April 2018)