Vor dem NATO-Gipfel: Weiter Debatte um die zwei Prozent

Vor dem NATO-Gipfel in der kommenden Woche hält die Debatte über die – deutschen – Verteidigungsausgaben und vor allem um das so genannte Zwei-Prozent-Ziel der NATO an. Dazu ein neuer Sammelthread (angesichts des sommerlichen Wochenendes mit schleppender Ergänzung…)

In ihrer wöchentlichen Videobotschaft (Foto oben) hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den NATO-Gipfel zum Thema gemacht. Das Video hier (es lässt sich offensichtlich nicht mehr wie früher einbetten), zur Dokumentation der Wortlaut:

Am nächsten Mittwoch und Donnerstag werden sich die 29 Mitgliedsstaaten der NATO zu ihrem Gipfel in diesem Jahr in Brüssel treffen. Dabei wird es darum gehen, die Allianz auf die Aufgaben der Zukunft gut vorzubereiten und dafür die entsprechenden Beschlüsse zu fassen.
Warum brauchen wir die NATO eigentlich noch?
Wir brauchen die NATO auch im 21. Jahrhundert, weil sie Garant für unsere Sicherheit ist und zwar als transatlantisches Bündnis.

Das Besondere der NATO ist, dass wir füreinander für unsere jeweilige Sicherheit einstehen, und wir sehen, dass sich die Herausforderungen für die NATO in den letzten Jahren sehr stark verändert haben. Für uns alle war ein einschneidendes Ereignis die Annexion der Krim und die militärischen Aktivitäten in der Ostukraine. Daraufhin hat das Bündnis tiefgreifende Veränderungen und Beschlüsse gefasst, insbesondere beim NATO-Gipfel in Wales.
Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass wir uns wieder stärker auf die Bündnisverteidigung konzentrieren und dafür auch die entsprechenden Vorkehrungen treffen, zum Beispiel auch durch Präsenz in den mittel- und osteuropäischen Staaten. Natürlich wollen wir gleichermaßen ein vernünftiges Verhältnis zu Russland haben. Deshalb wird es auch immer wieder Gespräche im NATO-Russland-Rat geben, aber gleichzeitig müssen wir als NATO auch Entschlossenheit zeigen, uns zu verteidigen.
Aus der NATO gibt es die Forderung, dass wir mehr für die Verteidigung ausgeben. Wie steht Deutschland dazu?
Wir haben in Wales den Beschluss gefasst, dass wir uns bis 2024 schrittweise dem Zwei-Prozent-Ziel annähern, das heißt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben aufwenden. Deutschland hatte zu Zeiten des Kalten Krieges schon einmal Ausgaben, die höher waren. Danach haben wir sehr stark auch bei der Bundeswehr eingespart. Und insofern geht es jetzt um Ausrüstung und nicht etwa um Aufrüstung, denn wir müssen uns auf diese neuen Herausforderungen wirklich vorbereiten. Und wie überall gibt es natürlich einen sehr starken technologischen Wandel. Und deshalb sind in den letzten Jahren die Verteidigungsausgaben gestiegen, und auch der Haushalt für 2019 weist noch einmal steigende Verteidigungsausgaben aus. Gleichzeitig erhöhen wir aber auch die Ausgaben für Entwicklungshilfe. Das heißt, wir haben ein Gesamtkonzept, aber wir müssen eben auch unsere Bundeswehr gut ausrüsten. Das sind wir auch den vielen Soldatinnen und Soldaten schuldig, die sich für unsere Sicherheit einsetzen.

Auffällig ist dabei eines: Die Kanzlerin gibt recht exakt den Beschluss des Bündnisses wieder, dass wir uns bis 2024 schrittweise dem Zwei-Prozent-Ziel annähern, das heißt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben aufwenden. Sie erwähnt jedoch nicht, dass sich Deutschland bereits darauf festgelegt hat, bis 2024 auf 1,5 Prozent zu kommen, also erklärtermaßen die zwei Prozent nicht als Ziel für jenes Jahr sieht.

Als Hintergrund dazu ein Papier, dass Wissenschaftler der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und der Stiftung Wissenschaft und Politik zusammengestellt haben:

Was das Zwei-Prozent-Ziel der NATO für die europäischen Verteidigungshaushalte bedeutet

Ein Hinweis dazu vorab: Ich halte es, im Unterschied zu manchen Kollegen,  nicht für die entscheidende Aussage dieses Papiers, dass das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels für Deutschland im Jahr 2024 Verteidigungsausgaben von mehr als 85 Milliarden Euro und damit das Doppelte des vorgesehenen Wehretats 2019 bedeuten würde. Denn auch wenn eine Steigerung der Verteidigungsausgaben als erforderlich angesehen wird, geht es um das Ergebnis, nicht um diese Prozentzahl. Wie auch in dem Papier erläutert wird:

Auch wenn eine Steigerung der Verteidigungsausgaben mittlerweile weitgehend akzeptiert ist, bleibt das 2% Ziel umstritten. Tatsächlich ist es aus mehreren Gründen wenig hilfreich. Erstens spielt die Effizienz (Output), also wie viel Nutzen der Input (eine Erhöhung der Ausgaben) erzielt, beim 2% Ziel keine Rolle. Hier geht es rein um die Input-Steigerung. Doch wenn das Ziel lautet, die NATO effektiv auszurüsten, dann sollten die dafür notwendigen Beiträge, also etwa Flugzeuge oder Panzer, die Kriterien bilden. Die Investitionen sind ein schlechtes Maß, weil die NATO-Staaten unterschiedlich gut mit dem Geld wirtschaften.
Zweitens bezahlen Staaten unterschiedliche Dinge mit ihren Verteidigungsausgaben: Frankreich seine Feuerwehr, Deutschland die Pensionen seiner Bundeswehrangestellten. Ein hoher Haushalt bedeutet also noch keine effizientes Militär. Er ist noch nicht einmal besonders solidarisch, wenn die Mittel für nationale Ziele auszugeben, die nur als Nebeneffekt auch für NATO-Aufgaben verwendbar sind. (…)
Würde Deutschland der 2%- Forderung nachkommen, so würde es Mehrinvestition von derzeit ca. 6,8 Mrd. Euro pro Jahr tätigen müssen. Der Verteidigungshaushalt stiege von derzeit 37 Mrd. auf 85 Mrd. Euro. All dies, weil Deutschlands BIP ein enormes Wachstum vorher gesagt wird. Im Umkehrschluss könnte Großbritannien möglicherweise seine 2% einfach halten, wenn im Rahmen des Brexits die Wirtschaftsleistung des Landes sinken sollte.

Die Gefahr ist deshalb eine andere: Gerade weil immer die zwei Prozent und die damit verbundene Zahl von mehr als 80 Milliarden Euro genannt werden und realistischerweise politisch nicht durchsetzbar sind – gerade deshalb werden auch schon geringere, aber deutliche Steigerungen des Verteidigungshaushalts abgelehnt.

(Mehr ggf. nach Entwicklung – aber wie gesagt: es ist ein schönes Sommerwochenende, das nach low ops schreit…)