Vor 25 Jahren: Bundestag billigt erstmals Auslandseinsatz der Bundeswehr in Somalia

Am 2. Juli 1993, vor genau 25 Jahren, wurde ein Stück Parlamentsgeschichte geschrieben, dass sich bis heute auswirkt: Der Deutsche Bundestag stimmte  erstmals über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets ab. Mit mit 336 Ja-Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen 184 Nein-Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung von 14 SPD-Abgeordneten billigte das Parlament die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem UN-Einsatz in Somalia, der bereits Mitte Mai jenen Jahres begonnen hatte.

Dass es überhaupt zu dieser Abstimmung kam, hatten die Sozialdemokraten vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht. Das hatte am 23. Juni 1993 einen Stopp dieser Auslandsmission zwar abgelehnt, aber zugleich den Bundestag aufgefordert, über diesen Einsatz abzustimmen. Zuvor hatte es zwar Entschließungsanträge des Parlaments zu der vom Bundeskabinett beschlossenen Entsendung gegeben; das reichte aus Sicht des höchsten deutschen Gerichts aber nicht aus: Das Parlament müsse selber die letzte Entscheidung treffen.

Die damalige Abstimmung, damals noch recht kurz und übersichtlich und ohne die inzwischen übliche Begründung in der Bundestagsdrucksache 12/5248, ist praktisch die Geburtsstunde des heutigen Verständnisses der Parlamentsarmee – auch wenn erst nach einem weiteren Urteil des Bundesverfassungsgerichts und dem erst 2005 beschlossenen Parlamentsbeteiligungsgesetz die  heute übliche Praxis entstand: Das Kabinett entwirft das – in der Regel von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium in Rückkopplung mit den Regierungsfraktionen im Bundestag entstandene – Mandat, der entsprechende Kabinettsbeschluss muss danach aber vom Bundestag gebilligt werden.

Ein Blick in das Plenarprotokoll der Debatte vom 2. Juli 1993 zeigt die damals noch vor allem zwischen CDU/CSU und SPD verlaufende Bruchstelle: Aus Sicht der Sozialdemokraten war jeglicher Einsatz der Bundeswehr außerhalb ihres Verteidigungsauftrages nach dem Grundgesetz nicht ohne Verfassungsänderung möglich. Von Seiten der Union wurde vor allem die Lage in Somalia und die Gefährdung für die humanitäre Hilfe als Grund angeführt, warum eben keine Polizeimission möglich sei, sondern der Einsatz bewaffneter Streitkräfte nötig wurde.

Die Möglichkeit dieser Einsätze, die die damalige Koalition von CDU/CSU und FDP durchsetzte, führte in den folgenden Jahren zu den Einsätzen auf dem Balkan, von Bosnien-Herzegowina bis zum Kosovo, letztlich dann auch zum Afghanistan-Einsatz und zur Mission in Mali. Das Grundgesetz wurde dafür nie geändert; statt dessen wurde der vom Verfassungsgericht gewiesene Weg genutzt: Der Grundgesetzartikel 24, der Deutschland die Beteiligung an Systemen kollektiver Sicherheit zubilligt, wurde zum Vehikel für diese Auslandseinsätze.

An diesen Beschluss vor einem Vierteljahrhundert erinnert sich der Kommandeur des ersten deutschen Kontingents im Einsatz in der Mission UNOSOM II, der damalige Oberst Helmut Harff – und hat auch etwas zur Würdigung dieses Einsatzes durch das Verteidigungsministerium zu sagen:

Damit ging für das bereits in Belet Weyne [auch: Belet Uen], Somalia, tätige militärische Vorkommando eine wochenlange Hängepartie zu Ende und die Durchführung des Auftrages für rund 1.700 Soldatinnen und Soldaten des 1. Kontingents startete. Von allen Beteiligten (z.B. auch Auswärtiges Amt, Verteidigungsministerium, Dienststellen aller Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche) wurde Neuland betreten: UN-Regularien, Zusammenarbeit mit anderen Nationen in Afrika, Clan-Strukturen, somalische Kultur, Klima etc.

Schon im Sommer zeichnete sich ab, dass sich zu der kritischen Situation Somalias weitere Katastrophen entwickelten. So auf dem Balkan im noch existenten Jugoslawien und im Kongo. Rasche nationale Entscheidungen und geänderte Prioritäten waren die Folge: das französische Kontingent bei UNOSOM II wurde kurzfristig nach Sarajevo verlegt, das belgische in den Kongo.

Hinzu kam die nicht dem UN-Auftrag entsprechende US-Jagd auf Aidid, den obersten Clanchef, mit ihrem Höhepunkt des Abschusses von zwei US-Kampfhubschraubern mitten in Mogadischu (Black Hawk down). Die UN-Verluste stiegen rasant – 77 Gefallene, 301 Verwundete bis 9. Oktober 1993.
Die ursprüngliche Gesamtplanung der VN für UNOSOM II war obsolet; die einzelnen nationalen Kontingente beendeten überwiegend bis zum Frühjahr 1994 ihre Einsatzbeteiligung.

Die insgesamt mehr als 3.600 deutschen Soldatinnen und Soldaten der beiden Kontingente konnten eine Fülle von Eindrücken und Erfahrungen sammeln – insbesondere auch über die jeweilige nationale Selbstverständlichkeit der Würdigung durch das Verleihen nationaler Ehrenzeichen; diese sichtbare Anerkennung durch das eigene Parlament und die Gesellschaft noch im Einsatz galt mehr als die UN- Einsatzmedaille UNOSOM II.

Eine entsprechende Anregung durch den Kommandeur des 1. Kontingents bei der vorgesetzten Kommandobehörde in der Heimat wurde zwar zur Kenntnis genommen, aber die Auskunft lautete am 9. November 1993: „Wir sind dran“.

Aber immerhin: am 26. Juni 1996 wurde durch den Bundesminister in Bonn die 1. nationale Einsatzmedaille verliehen – allerdings für den damals aktuellen IFOR-Einsatz auf dem Balkan. Die Einsatzmedaille ist ein vom Bundespräsidenten genehmigtes nationales Ehrenzeichen, das unter das Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. Juli 1957 fällt.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten hat der Deutsche Bundestag einer Fülle von Einsätzen die jeweils erforderliche Zustimmung gegeben; es hat sich der Begriff „Bundeswehr = Parlamentsarmee“ eingebürgert – auch bei den Verbündeten mit negativem Beigeschmack. Entsprechende deutsche Einsatzmedaillen wurden und werden verliehen, z.B. vor vier Jahren für EUFOR RCA (Nr. 44). Zwischenzeitlich wurden für besondere Verdienste zusätzlich die Medaillen „Tapferkeit“ und „Gefecht“ gestiftet.

Eine ungewöhnlich negative Tatsache besteht darin, dass die BMVg-interne Weisungslage für die Ehrenmedaille als Stichtag den 30. Juni 1995 festgelegt hat. Somit fällt die Teilnahme an UNOSOM II in den Jahren 1993/1994 „durch das ministerielle Raster“; zugleich wird der erste Parlamentsbeschluss bzw. die erste Mandatserteilung durch den Deutschen Bundestag vom
2. Juli 1993 für die deutsche Beteiligung an UNOSOM II missachtet.

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages prangert dieses Fehlverhalten des Dienstherrn seit Jahren an (WBA-Bericht vom 20.02.2018, Seite 75*). Von den betroffenen Soldatinnen und Soldaten wird die Missachtung ihres Einsatzes als Fehlen des Dankes und der Anerkennung empfunden, ist doch die Verleihung der nationalen Einsatzmedaille eine bedeutsame Geste mit hohem Symbolcharakter.

*Die Fundstelle zu der erwähnten Kritik des Wehrbeauftragten hier.

(Dazu sendete der Deutschlandfunk am 2. Juli einen Beitrag der Kollegin Ulrike Winkelmann – zum Nachlesen und Nachhören hier.)

(Fotos: Archiv Helmut Harff)