Flugzeugabschuss über der Ukraine: Flugkörper führt zu russischer Einheit, Zeugen gesucht (Update)

MH17_Akkermans_Nov2014

Der andauernde Konflikt im Osten der Ukraine ist hierzulande in der Wahrnehmung kaum noch präsent – obwohl die Auseinandersetzungen anhalten. Auch der Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs am 17. Juli 2014 über der Ostukraine, bei dem alle 298 Menschen an Bord starben, scheint lange her. In den Untersuchungen zu diesem Abschuss hat jetzt ein internationales Ermittlerteam weitere Ergebnisse vorgelegt: Die Spuren deuten zu einer Einheit der russischen Streitkräfte. Jetzt suchen die Ermittler nach Zeugen.

Bereits im September 2016 war das gemeinsames Untersuchungsteam der von dem Abschuss betroffenen Länder Australien, Belgien, Malaysia, die Niederlande und die Ukraine zu der Einschätzung gekommen, dass das Buk-Raketensystem, mit dem der Flug MH17 abgeschossen wurde, aus Russland stammte. Am (heutigen) Donnerstag legte das Joint Investigation Team (JIT) weitere Belege vor, die die für den Abschuss verwendete Rakete konkret der  53. Flugabwehrraketenbrigade der russischen Armee aus Kursk zuordneten:

The JIT is convinced that the BUK-TELAR that was used to down MH17, originates from the 53rd Anti Aircraft Missile brigade (hereinafter 53rd brigade), a unit of the Russian army from Kursk in the Russian Federation. The JIT reached this conclusion after extensive comparative research. During today’s meeting, an animation of this comparative research was shown. Several images of the BUK-TELAR with which MH17 was downed are available. Analysis of those produces a number of characteristics. The combination of those is so special that that can be considered as a fingerprint. This fingerprint has been compared with numerous images of BUK-TELARS, both Ukrainian and Russian ones. The only BUK-TELAR on which this combination of characteristics also was found, is a BUK-TELAR that was recorded several times when it joined a convoy of the 53rd brigade on 23 – 25 June 2014.
Consequently, the JIT presumes that within the 53rd brigade and within the circle around it, people have knowledge about the operation in which that particular BUK-TELAR was deployed and about the persons that were involved in it. Therefore, the JIT calls on insiders and eyewitnesses to share their information with the investigation team. Also information about the instruction of the BUK-TELAR’s crew matters greatly for the criminal investigation.

Die Untersuchungen sind damit noch lange nicht am Ende; neu ist aus den heute vorgestellten Ergebnissen vor allem die konkrete Zuordnung zu möglichen Verantwortlichen. Dafür nutzen die Ermittler unter anderem Teile der Flugabwehrrakete, die in den Trümmern der abgeschossenen Boeing 777-200 gefunden wurden. Dazu veröffentlichte das JIT zwei Videos, in denen Zeugen aufgerufen werden, sich bei den Ermittlern zu melden:

Das alles ist nur ein Zwischenergebnis. Interessant ist dabei, wie in der Pressekonferenz zur Sprache kam, dass es für mögliche Zeugen – die sich vor allem in Russland finden dürften – auch ein Zeugenschutzprogramm aufgelegt wurde:

Nachtrag 25. Mai: Die Stellungnahme der Bundesregierung zu der Erklärung des JIT, von der stellvertretenden Regierungssprecherin Martina Fietz vor der Bundespressekonferenz, sowie ein paar Nachfragen dazu mit Antworten von Maria Adebahr vom Auswärtigen Amt und Josephine Steffen vom Bundesjustizministerium:

BPK_MH17_25mai2018.mp3     

 

Das Transkript dazu:

SRSin Fietz: Ich kann Ihnen noch mitteilen: Die Bundesregierung begrüßt die ergebnisorientierte Arbeit des 2017 eingerichteten gemeinsamen Ermittlungsteams zum Absturz der Maschine MH17 der Malaysia Airlines. Das Ziel der Untersuchungskommission war und ist die Suche nach den Verantwortlichen für diesen schrecklichen Vorfall, bei dem alle 298 Insassen der Maschine ums Leben kamen, unschuldige Menschen, darunter auch vier deutsche Staatsangehörige.

Das gemeinsame Ermittlungsteam hat nun festgestellt, dass MH17 von einem Flugabwehrraketensystem des Typs Buk abgeschossen wurde, das ohne Zweifel zu den bewaffneten Kräften der Russischen Föderation gehört. Der Bericht benennt als konkrete Verantwortliche eine russische Militäreinheit, die sich zum fraglichen Zeitpunkt auf ukrainischem Territorium befunden habe.

Russland sollte nun seiner Verantwortung nachkommen, damit die Tragödie vollständig aufgeklärt und die Täter zur Verantwortung gezogen werden können. Wir sind uns mit der niederländischen und anderen Regierungen völlig einig, dass die Schuldigen für dieses Verbrechen ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Daher bedauern wir außerordentlich, dass das gemeinsame Ermittlungsteam hierzu von den russischen Behörden keine befriedigende Antwort auf dessen Rechtshilfeersuchen erhalten hat.

Die Bundesregierung unterstützt weiterhin alle Bemühungen des gemeinsamen Ermittlungsteams, das Geschehen vollständig aufzuklären, und sie begrüßt zudem die heutige Ankündigung eines Verfahrens der Niederlande und Australiens im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit.

Frage: Wenn Sie sagen, es habe sich ohne Zweifel um ein Flugabwehrraketensystem der Russischen Föderation gehandelt, ist „ohne Zweifel“ auch die Formulierung der Bundesregierung oder nur ein Zitat des JIT?

SRSin Fietz: Das ist in diesem Falle hier ein Zitat des JIT.

Zusatzfrage: Das heißt, die Bundesregierung macht sich diese Aussage nicht zu eigen? Verstehe ich das richtig?

SRSin Fietz: Die Bundesregierung steht hinter diesem Ermittlungsbericht und akzeptiert und respektiert diesen auch. Allerdings habe ich mich jetzt in diesem Fall auf das JIT berufen.

Aber vielleicht kann das Auswärtige Amt dazu noch konkreter Stellung nehmen.

Adebahr: Ich habe dem eigentlich nichts hinzuzufügen. Angesichts des Ergebnisses, zu dem dieser Bericht kommt, erwarten wir, dass Russland einmal mehr konstruktiv an der Aufklärung dieses grausamen Verbrechens mitwirkt, sich beteiligt und die Integrität dieses Berichts und des Joint Investigation Teams nicht infrage stellt.

Zusatzfrage: Von niederländischer Seite wurde ein Zeugenschutzprogramm für mögliche Zeugen angekündigt, die zur Sachaufklärung beitragen können. Beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland auch in irgendeiner Form an einem Zeugenschutzprogramm für mögliche Zeugen?

SRSin Fietz: Dazu kann ich Ihnen keine Angaben machen.

Adebahr: Das wäre vielleicht eine Frage an das Justizministerium; das weiß ich auch nicht.

Steffen: In diesem Fall wahrscheinlich nicht wir. Nein, leider nicht.

Zusatz : Vielleicht das Innenministerium.

Korff: Ich habe dazu nichts zu sagen.

Zusatz: Dürfte ich da um Nachlieferung bitten? Es müsste sich doch ermitteln lassen, ob Deutschland sich daran beteiligt oder nicht.

SRSin Fietz: Wir schauen, was wir da tun können.

Frage: Die Aufforderung, dass sich Russland an den Ermittlungen beteiligen muss und kooperieren muss, ist ja nicht neu. Insofern: Was hat sich denn an der deutschen Haltung durch den gestrigen Bericht geändert? Sie haben diese Aufforderung noch mal wiederholt. Wird sie jetzt mit irgendwelchen angedrohten Konsequenzen unterlegt? Wird Deutschland da jetzt mehr Druck machen, dass sich Russland aktiv an der Aufklärung beteiligt? Sprich: Was hat sich an der deutschen Haltung seit gestern geändert?

SRSin Fietz: An der deutschen Haltung hat sich gar nichts geändert. Der Bericht ist nur noch einmal Anlass, zu betonen, dass die Bundesregierung die Niederlande dabei unterstützt hat, die Umstände aufzuklären, und erneut an alle Staaten appelliert, die zur Klärung dieses Unglücks beitragen können, diesen Beitrag auch zu leisen.

Zusatzfrage: Ich habe eine grüne Europapolitikerin im Ohr, die jetzt fordert, man könne zur WM nicht in ein Land fahren, das Zivilisten vom Himmel schießt. Würde sich die Bundesregierung dieser Forderung anschließen?

SRSin Fietz: Wir haben dieses Thema Russland und Fußball-WM immer wieder. Dazu kann ich Ihnen grundsätzlich sagen, dass überhaupt noch keine Entscheidung darüber getroffen wurde, ob ein Mitglied der Bundesregierung nach Russland fährt beziehungsweise wer das dann sein könnte.

Frage: Ich habe noch eine Lern- oder Verständnisfrage, Frau Fietz. Sie haben ja auch von einem Verbrechen gesprochen. Geht denn die Bundesregierung nun davon aus, dass es sich um einen kriminellen Akt handelt, der unter strafrechtlichen Aspekten zu würdigen ist, oder geht die Bundesregierung davon aus, dass es sich um eine staatlich gesteuerte Aktion handelt, da es sich ja um Streitkräfte der Russischen Föderation handelt?

SRSin Fietz: Einer Bewertung möchte ich das Ganze jetzt gar nicht unterziehen, sondern ich bleibe bei dem, was ich dazu gesagt habe. Das ist im Moment die aktuelle Position der Bundesregierung.

(Foto aus dem November 2014 mit freundlicher Genehmigung von Jeroen Akkermans)