Luftangriff auf Syrien: „Bewaffnete Repressalie im humanitären Gewand“

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat den Luftangriff der USA, Frankreichs und Großbritanniens vom 14. April als Reaktion auf einen vermuteten Chemiewaffenangriff Syriens auf Rebellen im eigenen Land völkerrechtlich betrachtet – und kommt zu einer recht eindeutigen rechtlichen Einschätzung: Diese Luftschläge seien nicht zu rechtfertigen, auch nicht unter dem denkbaren Aspekt einer humanitären Intervention – und seien letztendlich nichts anderes als eine bewaffnete Repressalie im „humanitären Gewand“.

Mit ihrer Ausarbeitung stellen sich die Bundestags-Wissenschaftler direkt gegen die Position der Bundesregierung, für die sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Formel notwendig und angemessen gefunden hatten. Die Autoren  verweisen darauf, dass Großbritannien als einziges der drei an dem Angriff beteiligten Länder eine rechtliche Position dazu veröffentlicht habe und auf einen Einsatz aus humanitären Gründen abhebe – was aber völkerrechtlich keinen Bestand habe:

Die genannten Voraussetzungen sieht das Vereinigte Königreich als erfüllt an: Durch die Blockade des VN-Sicherheitsrates gebe es keine andere Handlungsmöglichkeit; die gezielten und begrenzten Angriffe auf die Chemiewaffen-Infrastruktur seien notwendig und verhältnismäßig.
Die britische Rechtsposition zu den Militärschlägen gegen Syrien, der sich Deutschland im Grundsatz offenbar angeschlossen hat, kann im Ergebnis nicht überzeugen.
Abgesehen von der fehlenden Kohärenz der „humanitären Anteile“ dieser Argumentation – erstens ist fraglich, ob die Militärschläge wirklich geeignet sind, weiteres Leiden zu verhindern, insbesondere mit Blick auf die mutmaßlich künftigen Opfern des andauernden Syrienkonflikts; zweitens ist fraglich, warum gerade der Chemiewaffeneinsatz angesichts eines sieben Jahre währenden Bürgerkriegs in Syrien das qualitativ entscheidende Ereignis darstellt, um eine humanitäre Intervention zu begründen – stellt der britische Ansatz lediglich eine weitere „Spielart“ der Rechtsfigur der sog. „humanitären Intervention“ ohne Sicherheitsratsmandat und dem Konzept der völkerrechtlichen Schutzverantwortung (R2P) dar. Wegen der bestehenden Missbrauchsgefahr ist die Zulässigkeit einer humanitären Intervention bis heute völkerrechtlich ausgesprochen umstritten und erscheint als gewohnheitsrechtliche Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot jedenfalls nicht tragfähig.

Allerdings, auch das geben die Bundestags-Wissenschaftler zu bedenken, ist Völkerrecht oft genug auch davon abhängig, wie Staaten die Regelungen bewerten – die Rede ist von einer gewohnheitsrechtsprägenden Bedeutung. Deshalb könnten der Luftschlag am vergangenen Wochenende, wie schon der vor gut einem Jahr ebenfalls nach einem Chemiewaffeneinsatz in Syrien, eine ganz andere Auswirkung haben:

Ob sich mit den Militäreinsätzen von 2017 und 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in der Zukunft ein neuer Ausnahmetatbestand vom Gewaltverbot für Fälle von „humanitär begründeten Repressalien“ herausbilden wird, ist nicht gänzlich auszuschließen.

Das ganze Papier hier zum Nachlesen:

Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien

(Foto: An F-15C Eagle receives fuel from a KC-135 Stratotanker, April 14, 2018. U.S. Air Forces in Europe-assigned aircraft conducted refueling support and defensive counter air operations to support combined air and maritime forces in the Mediterranean Sea during U.S. military strikes in Syria – U.S. Air Force photo by Airman 1st Class Benjamin Cooper)