Catch-22 für Eurofighter-Piloten: Weniger Flugstunden, weniger Simulator (Nachtrag: Luftwaffe)

Der Bundesrechungshof hat in seinen ergänzenden Bemerkungen für 2017, am (heutigen) Dienstag veröffentlicht, natürlich auch die Bundeswehr im Blick. Bei den Streitkräften sind der Prüfbehörde zwei Komplexe aufgefallen, bei denen in der Tat die Frage ist, warum es zu sehr merkwürdigen Ausgaben kommen konnte – und vor allem: warum es nicht nur zu Mehrausgaben, sondern auch zu Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft kommen musste.

Keinen großen Kostenblock (gemessen an dem, was Streitkräfte und insbesondere Kampfjets im Betrieb kosten) betrifft die Bemerkung des Rechungshofes zu  Simulator-Flugstunden. Unterm Strich: Die verfügbaren Simulator-Stunden für Eurofighter-Piloten wurden in den vergangenen Jahren nicht ausgeschöpft – obwohl es auch nicht ausreichend echte Flugstunden im Cockpit der Kampfjets gab:

Der Bundesrechnungshof wertete Statistiken der Eurofighter-Geschwader aus. Er stellte fest, dass keine Pilotin und kein Pilot im Durchschnitt der Jahre 2015 und 2016 mehr als 30 Flugstunden in Simulatoren geleistet hatte. Unterdessen erfüllten nur wenige Pilotinnen und Piloten die NATO-Forderung von 180 Flugstunden.
Für das Jahr 2017 planten die Geschwader 900 Flugstunden, die in Simulatoren zur Verfügung standen, nicht für die fliegerische Ausbildung ein. Im Ergebnis nutzte die Luftwaffe bereitstehende und bezahlte Simulator-Kapazitäten im Wert von 1,8 Mio. Euro nicht.

Hier ist nicht das Geld das Problem – sondern die ohnehin zu geringe Zahl an Flugstunden für den combat ready-Status, also die Auswirkung auf die Einsatzbereitschaft. Die Erklärung des Verteidigungsministeriums, warum es so ist wie es ist, klingt interessant:

Das BMVg hat die ergänzende Wirkung der Simulatorausbildung bei unverkennbaren Unterschieden zur Ausbildung im realen Flug betont. (…). Eine höhere Ausbildungszeit im Simulator sei erst angezeigt, wenn der Anteil der realen Flugstunden gesteigert werden könne. Reale Flüge seien jedoch durch die geringe Verfügbarkeit der Eurofighter begrenzt.

Hm, ein echtes Catch-22: Mehr Simulator-Stunden, wenn es mehr echte Flüge gibt, also wenn zu wenig echte Flüge, gehen wir halt seltener in den Simulator, pah! (Ich habe die Luftwaffe gebeten, mir Laien das doch noch mal zu erklären.)

Nachtrag: Die Erläuterung aus dem Kommando Luftwaffe dazu:

Am Beginn eines jeden Jahres wird ein Plan zur Auslastung der Simulatoren basierend auf einer Prognose der Personalverfügbarkeit entworfen. Dieser unterliegt – wie jeder Plan – in der Umsetzung dann ungeplanten und kurzfristigen Änderungen, wie z.B. höher priorisierte Aufgaben, die Abstellung von Personal für Auslandseinsätze, personelle Veränderungen beim fliegenden Personal oder technisch bedingte Umrüstungen der Simulatoren. Sollte eine Abwägung notwendig sein, priorisiert die Luftwaffe in der täglichen Einsatzplanung in der Aus- und Weiterbildung ihrer Besatzungen dann grundsätzlich Realflugstunden höher als Simulatorflugstunden.
In der Summe führten diese Faktoren im zugrundeliegenden Betrachtungszeitraum des Bundesrechnungshofes zu einer Auslastung der Simulatoren von 50-60%. Das aufgezeigte bzw. erkannte Verbesserungspotenzial wird bei den Planungsabläufen bereits in Teilen umgesetzt.

Ein Grundsatzproblem des Projektmanagements in der Bundeswehr hat der Rechnungshof bei den Führungs- und Waffeneinsatzsystemen der Fregatten entdeckt. Und die Beschreibung der erkannten Problematik ist so, nun ja, grundsätzlich, dass man sie in ganzer Länge würdigen muss:

Im Jahr 2003 beschloss das BMVg, die Einsatzsysteme auf den zwölfF regatten der Klassen 122 und 123 zu modernisieren. Die Bundeswehr schloss hierzu im September 2005 einen Vertrag. Demnach sollte der Auftragnehmer die Hardware des Einsatzsystems austauschen und eine neue Software entwickeln und implementieren. Er sollte die Arbeiten im Jahr 2011 abschließen.
Um die komplexen funktionalen Anforderungen an die Einsatzsysteme zu beschreiben, erstellte die Bundeswehr zunächst eine „Compliance-List“. Diese übersandte sie dem Auftragnehmer. Der Auftragnehmer markierte in der „Compliance-List“, welche Anforderungen er erfüllen kann und welche nicht. Die so veränderte „Compliance-List“ wurde Bestandteil des Vertrages zwischen der Bundeswehr und dem Auftragnehmer. Der Vertrag enthielt keine detaillierte Beschreibung, wie die einzelnen Anforderungen zu verstehen sind.
Im Jahr 2008 änderten die Bundeswehr und der Auftragnehmer den Vertrag. Statt zwölf Schiffe sollte der Auftragnehmer nur noch die vier Fregatten der Klasse 123 modernisieren. Außerdem vereinbarten die Vertragspartner zusätzliche Maßnahmen zur Qualitätssicherung, z.B. verbesserte Analysen der Programmcodes.
Im Jahr 2010 stellte die Bundeswehr dem Auftragnehmer das erste Schiff für die Arbeiten bereit. Dieser modernisierte das Einsatzsystem und stellte es zur Abnahme vor. Die Bundeswehr prüfte das neue Einsatzsystem anhand der vorab entwickelten Szenarien. Im Juli 2011 nahm die Bundeswehr das Einsatzsystem auf dem ersten Schiff ab. Damit begann die Gewährleistungsfrist und die Beweislast für alle später festgestellten Mängel ging auf den Bund über. Die Bundeswehr bezahlte alle für das erste Schiff vereinbarten Leistungen.
Anschließend testete die Bundeswehr das neue Einsatzsystem auf dem ersten Schiff unter einsatznahen Bedingungen. Dabei verwendete sie auch andere als die vom Auftragnehmer entwickelten Szenarien. Diese Einsatzprüfung scheiterte, u. a. wegen sicherheitsrelevanter Fehler in der Software. Daraufhin setzte die Bundeswehr die Modernisierung der Einsatzsysteme auf den drei weiteren Fregatten aus. Der Auftragnehmer bemühte sich zunächst erfolglos, die Mängel abzustellen.
Weitere Einsatzprüfungen in den Jahren 2012 und 2014 scheiterten. Im Jahr 2013 prüfte die Bundeswehr, ob sie die Modernisierung abbrechen soll. Sie hielt eine Rückabwicklung des Projektes jedoch für aussichtslos. Schadenersatzansprüche gegen den Auftragnehmer könne sie nicht geltend machen, weil die Anforderungen an die Software nur unzureichend beschrieben seien und Interpretationsspielräume bei der Umsetzung zuließen. Die Bundeswehr führte das Projekt daher weiter.
Eine vierte Einsatzprüfung im Mai 2016 war erfolgreich. Noch verbliebene Mängel – sogenannte Restpunkte – sollten bis zum Jahr 2018 abgestellt werden.
Der Vertrag aus dem Jahr 2005 sah 69 Mio. Euro für die Modernisierung der Einsatzsysteme auf zwölf Schiffen vor. Nach der Vertragsänderung im Jahr 2008 sollte die Modernisierung der Einsatzsysteme auf vier Schiffen 96 Mio. Euro kosten. Nach der Einsatzprüfung im Jahr 2016 rechnete das BMVg mit Gesamtkosten für die Modernisierung der Einsatzsysteme auf vier Schiffen von 120 Mio. Euro.
Nach der erfolgreichen Einsatzprüfung im Mai 2016 nahm die Bundeswehr die Modernisierung der Einsatzsysteme auf den drei weiteren Fregatten der Klasse 123 wieder auf. Die im Jahr 2009 beschaffte Hardware war inzwischen veraltet und eine Ersatzteilversorgung nicht mehr sichergestellt. Die Bundeswehr
entschied daher, diese nur noch auf dem zweiten Schiff einzurüsten und für die Schiffe drei und vier neue Hardware zu beschaffen. Die Kosten hierfür schätzte sie auf 6,5 Mio. Euro.

Ich hoffe, der Bundesrechnungshof verzeiht mir dieses Großzitat – das ist so genial lakonisch geschildert, ich könnte es nicht besser. Was das Verteidigungsministerium und vor allem die Marine dazu gesagt hat, steht in den Bemerkungen des Rechnungshofes – kurzgefasst: Ein Teil der Probleme ist mit der Agenda Rüstung in Angriff genommen. Und die Abnahme durch eine militärische Fahrmannschaft geht halt erst später.

(Randbemerkung: Die vom Bundesrechnungshof genannten Summen in diesen zwei Bemerkungen zur Bundeswehr sind doch deutlich niedriger als die Summen, die die Prüfbehörde beim Thema Zahnspangen anprangert. Dass in den Nachrichten Millionen-Mismanagement bei der Truppe einen höheren Stellenwert hat als Milliarden-Probleme bei den Krankenkassen, will ich jetzt mal nur erwähnen, nicht bewerten…)

(Archivbild: Eurofighter in der Sonderlackierung „60 Jahre Luftwaffe“ auf der ILA 2016 – Foto mit freundlicher Genehmigung von Horatiu Goanta)