Korvetten, Drohnen, Raketen: Alles muss rein (m. Korrektur)

(Korrektur beim Posten Bekleidungswesen)

Im Bundestag haben am (heutigen) Montag die letzten zwei Sitzungswochen vor der Sommerpause begonnen – und wegen der Bundestagswahl im September damit auch voraussichtlich die letzten Sitzungswochen, in denen noch planmäßig Entscheidungen in der zu Ende gehenden Legislaturperiode getroffen werden können. Das hat für die Rüstungsprojekte der Bundeswehr einen echten Endspurt-Charakter: Was nicht in der Sitzung des Bundestags-Haushaltsausschusses am kommenden Mittwoch (oder, als letzte Reserve, eine Woche später am 28. Juni) von den Parlamentariern gebilligt wird, dürfte faktisch in diesem Jahr nicht mehr beschlossen werden.

Und das Parlamentsgremium hat für den Mittwoch eine sehr lange Liste so genannter 25-Millionen-Euro-Vorlagen auf der Tagesordnung. Beschaffungsprojekte mit einem Finanzvolumen von insgesamt rund 15 Milliarden Euro haben sich angesammelt, so hat es der Grünen-Haushälter Tobias Lindner, als Oppositionspolitiker naturgemäß mit einem besonders sorgfältigen Blick auf die Zahlen, ausgerechnet. Dass die Abgeordneten so viel auf den letzten Metern vor der Wahl entscheiden sollen, hängt mit dem Hickhack um die geplanten fünf neuen Korvetten für die Deutsche Marine zusammen – und mit den koalitionsinternen Streitigkeiten als Folge dieser Beschaffung, die zunächst gescheitert schien.

Aber die Korvetten sollen nun, nachdem die auch gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Beschaffung dieser Kriegsschiffe beigelegt scheinen, endgültig die parlamentarische Billigung bekommen. Ebenso das politisch umstrittene Projekt, erstmals für die Bundeswehr Drohnen mit Bewaffnungsmöglichkeit  aus Israel zu leasen. Und noch einiges andere. Eine Übersicht:

• Korvetten: Das Projekt, angeschoben aus dem Bundestag von den Abgeordneten Johannes Kahrs (SPD) und Eckart Rehberg (CDU) sah nach einem schnellen Selbstläufer aus: Um die langwierigen Ausschreibungsprozesse und die Entwicklung eines neuen Kriegsschiffs zu umgehen, sollten, so die Vorstellung, zu den bereits vorhanden fünf Korvetten K130 der Deutschen Marine fünf weitere bestellt werden, quasi als Nachbauten. Da dieser Auftrag an ein Werftenkonsortium unter Führung der Lürssen-Werft gehen sollte, fühlten sich die German Naval Yards (GNYK) in Kiel ausgeschlossen und monierten nicht nur das Vergabeverfahren, sondern klagten auch dagegen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.

Dieses Problem scheint jetzt durch die Einbeziehung von GNY in das Werftenkonsortium beigelegt: Parallel zum laufenden Nachprüfungsverfahren beim OL Düsseldorf haben sich die Industrieparteien vorläufig geeignet, die GNYK in die ARGE [Arbeitsgemeinschaft] K130 aufzunehmen. Dieses Vorhaben wird zunächst noch einer kartellrechtlichen Prüfung unterzogen. (…) Für den Fall, dass die kartellrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestätigt wird, hat sich die GNYK bereit erklärt, den Nachprüfungsantrag zurückzunehmen, heißt es in der Vorlage für den Haushaltsausschuss.

Allerdings ist das Projekt inzwischen doch deutlich teurer als die 1,5 Milliarden Euro, die Kahrs und Rehberg bei ihren ersten Vorstößen (die dann sehr schnell die Zustimmung von Marine und Verteidigungsministerium fanden) genannt hatten: Der Vertrag über die Konstruktion, den Bau und die Lieferung von fünf weiteren Korvetten soll ein Volumen von 1,989 Milliarden Euro umfassen. Zusätzlich sind weitere 470 Millionen Euro vorgesehen, die die Funktionalität des Gesamtsystems der Boote 6 bis 10 sicherstellen und mit Beistellungen der Bundeswehr geleistet werden sollen. Die neuen Kriegsschiffe sollen in den Jahren 2022 bis 2025 ausgeliefert werden.

Interessant wird noch, ob und in welcher Form die am Wochenende bekannt gewordene Kritik des Bundesrechnungshofs an diesem Projekt im Haushaltsausschuss eine Rolle spielen wird. In den Vorlagen von Bundesfinanz- und Verteidigungsministerium ist diese Kritik noch nicht aufgenommen: Es liegen bislang keine Bemerkungen des Bundesrechnungshofs vor, heißt es in dem Papier aus dem Verteidigungsministerium.

• Drohnen: Die Bundeswehr soll ihre ersten bewaffnungsfähigen unbemannten Flugsysteme bekommen (der Begriff Kampfdrohnen ist zwar politisch griffig, angesichts der unbemannten Motorsegler mit vergleichsweise leichter Bewaffnung aber irreführend). Die Bundeswehr hatte sich bereits im Januar vergangenen Jahres entschieden, Drohnen des Typs Heron TP von der israelischen Firma Israel Aircraft Industries (IAI) zu leasen; und damit gegen eine Beschaffung von Predator-Drohnen des US-Herstellers General Atomics. Bestandteil des Pakets ist außerdem nicht nur die Ausbildung der Piloten, sondern vor allem die Stationierung der Fluggeräte in Israel – damit wird das Problem einer luftfahrtrechtlichen Zulassung in Deutschland und Europa umgangen.

Für die zunächst geplanten fünf Systeme sind 1,024 Milliarden Euro veranschlagt, einschließlich Stationierung und Ausbildung. Bei der Bundeswehr firmiert das Projekt als SAATEG MALE Überbrückungslösung – aufgedröselt: SAATEG steht für System zur abbildenden Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes; MALE für Medium Altitude Long Endurance – also Drohnen mittlerer Größe, die als so genannte Überbrückungslösung bis zur Entwicklung einer europäischen Drohne genutzt werden sollen.

Wie bei den Korvetten wurde auch diese Beschaffung von dem unterlegenen Unternehmen angegangen: General Atomics hatte zunächst das Vergabeverfahren gerügt und dann dagegen ebenfalls vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf geklagt. Die juristische Auseinandersetzung ist noch nicht abgeschlossen: Das US-Unternehmen war zwar vor Gericht unterlegen, reichte aber in der vergangenen Woche eine Anhörungsrüge gegen das Urteil ein. Nach Ansicht des Verteidigungsministeriums ist aber mit diesem Schritt ein Vertragsabschluss ebenso wie die parlamentarische Behandlung möglich.

Bei den Drohnen gibt es allerdings, im Unterschied zu praktisch allen anderen Rüstungsprojekten, ein interessantes und politisch heikles Detail: Wie die Bewaffnung der dann deutschen Fluggeräte mit dem Eisernen Kreuz am Rumpf aussehen wird, bleibt geheim – auf Wunsch der liefernden Israelis. Damit beschafft die Bundeswehr erstmals ein Waffensystem, bei dem es keine öffentliche Auskunft über die Waffen gibt. Ob das angesichts der politischen Debatte über bewaffnete Drohnen sinnvoll oder auch nur durchhaltbar ist, bleibt abzuwarten.

Die weiteren Projekte auf der langen Liste sind seit längerem bekannt und keine große Überraschung, vor allem, wenn man die Planung vom März anschaut:

• unbewaffnete Drohnen: Das Leasing der bereits in Afghanistan und in Mali eingesetzten unbemannten Systeme des (ebenfalls israelischen) Typs Heron 1 wird verlängert, insbesondere für den Einsatz in Mali bis 2019. Dafür sind 35,55 Millionen Euro vorgesehen. Von den Nahbereichs-Aufklärungsdrohnen des Typs LUNA NG, das Nachfolgesystem der schon lange genutzten LUNA werden für 74,30 Millionen Euro neue Fluggeräte angeschafft, die Systeme sollen so bis 2025 (Korrektur) eingesetzt werden können.

• Munition: Die Bundeswehr unternimmt schon länger fällige Schritte, die Munitionsvorräte wieder aufzustocken. So sollen für das Artillerie-Raketensystem MARS (Foto oben) für 95,70 Millionen Euro Lenkraketen bestellt werden. Deutschland ist damit größter Einzelkunde für die Raketenbestellung der U.S. Army beim Hersteller Lockheed Martin; rein rechnerisch macht die Summe der deutschen Beschaffung fast ein Viertel des 472 Millionen US-Dollar schweren Pakets aus. Die Bundeswehr wird dabei vor allem die Guided Multiple Launch Rocket System-Flugkörper mit dem Unitary-Gefechtskopf bestellen.

Für weitere 45 Millionen Euro werden Patronen 120mmx570 DM 11 für den Kampfpanzer Leopard 2 bestellt.

• Digitalfunk: Zur Ausstattung der Bundeswehr mit neuen digitalen Funkgeräten im Truppeneinsatz soll der Auftakt für das System MoTaKo (mobile taktische Kommunikation) beschlossen werden. Zunächst geht es dabei nur um die Einrüstung dieser neuen Systeme in 50 Führungsfahrzeuge der Typen Schützenpanzer Puma und Transportpanzer Boxer. Zunächst sind dafür 81 Millionen Euro vorgesehen.

• Schützenpanzer Puma: Für den Schützenpanzer sind mehrere Projekte vorgesehen, die die Nutzungsmöglichkeiten des modernsten Schützenpanzers der westlichen Welt (Verteidigungsministerium) verbessern sollen oder schlicht Versäumtes nachholen:

Die Serienintegration der Sichtmittelverbesserung Turm steht mit 26,25 Millionen Euro auf der Liste. Die Integration der Turmunabhängigen Sekundärwaffenanlage soll knapp 93 Millionen Euro kosten. (Die Beschaffung des Waffensystems selbst, des Mehrrollenfähigen Leichten Lenkflugkörpersystem ,MELLS, der Firma Eurospike, an der die deutschen Unternehmen Diehl und Rheinmetall sowie die israelischen Firma Rafael beteiligt sind, hatte der Haushaltsausschuss bereits im März gebilligt.) Die Peripherie des Abstandswirksamen Schutzsystems für den Puma ist mit 56,6 Millionen Euro, die Beschaffung von Ausbildungsanlagen für den Turm des Schützenpanzers mit 83,70 Millionen Euro vorgesehen.

• Neue Tankflugzeuge: Mitte Februar hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Vereinbarung für den gemeinsamen Betrieb neuer Tankflugzeuge mit anderen europäischen Nationen unterzeichnet; Deutschland will dem von den Niederlanden und Luxemburg gestarteten Projekt formell bis zum Sommer beitreten. Dem Haushaltsausschuß liegt dazu eine Vorlage mit einem Volumen von 1,4 Milliarden Euro vor.

• Transportflugzeug A400M: Bei den so genannten Einsatzsichernden Maßnahmen geht es um die Bestellung von zehn dringend benötigten Ersatztriebwerken. Das Vorhaben muss noch vor der Sommerpause durch den Ausschuss, weil laut BMVg das Bestellfenster dafür am 30. Juni endet. Vorgesehen sind 303,80 Millionen Euro.

• Kampfhubschrauber Tiger: Das Vorhaben Serialisierung Ausrüstungspakete Afghanistan Stabilization German Army Rapid Deployment (ASGARD) für den Kampfhubschrauber trägt zwar Afghanistan im Namen – aber es geht, für 102,5 Millionen Euro, um Ausrüstungspakete wie Sandfilter und andere Ausstattungsmerkmale für den Einsatz in heißen und staubigen Gebieten – zum Beispiel aktuell in Mali.

• Infanterist der Zukunft: Die Beschaffung weiterer Ausstattungssätze dieser High-Tech-Ausstattung für Infanteristen hatte sich verzögert, weil es Probleme mit der Zulassung der Verschlüsselung beim Funkgerät gab. Für das Projekt sind jetzt 369 Millionen Euro vorgesehen.

• Bildverstärkerbrille leicht: Die Beschaffung dieser in der Truppe dringend benötigten Nachtsichtbrillen ist weit hinter dem Zeitplan: Auch in diesem Fall hatte das Vorgehen eines bei der Auswahl unterlegenen Lieferanten den Beschaffungsvertrag verzögert. Dafür sind nun 39,04 Millionen Euro vorgesehen.

• Neue U-Boote: Dabei geht es (noch) nicht um eine Beschaffung, sondern um die Umsetzung der mit Norwegen vereinbarten Kooperation zum Bau neuer U-Boote auf deutschen Werften und damit verbunden die Entwicklung und Beschaffung von zwei neuen U-Booten für die Deutsche Marine. Dem Haushaltsausschuss soll der Plan für ein Memorandum of Understanding für den deutschen Anteil mit einer Kostenobergrenze von 1,85 Milliarden Euro vorgelegt werden. Der Bauvertrag soll dagegen erst 2019 dem Parlament zur Billigung vorliegen.

• Aufklärungssensor Flugfunk: Der Punkt tauchte etwas überraschend auf der Liste auf, zumal er mit 4,9 Millionen Euro weit unter der Schwelle von 25 Millionen liegt, für die eine Befassung des Haushaltsausschusses erforderlich ist. Der Grund dafür ist, dass diese Ausgaben zunächst nicht eingeplant waren und dafür andere Mittel umgewidmet werden. Es geht um einen Sensor zur Überwachung des Flugfunks im Einsatz – und weil das bisherige System von 1993 erst nach 2020 durch ein neues ersetzt werden soll, muss der alte Sensor am Leben erhalten werden. Vor allem im Hinblick auf den Einsatz der Luftwaffe im Baltic Air Policing in Estland.

Und die übrigen Tagesordnungspunkte für den Endspurt als kursorische Übersicht:

• Umrüstung aller GTK Boxer-Varianten 1. Los auf aktuellen Konstruktionsstand – 112,4 Millionen Euro

• Lkw-Familie UTF mil ZLK 5t und 15 t – 224,30 Millionen Euro

• Mehrbedarf im Betrieb des Bekleidungswesens – 252,7 Millionen Euro (KORREKTUR; nicht 845,5 Millionen)

• Anteil der Bundeswehr am Satellit Heinrich Hertz – 148 Millionen Euro

• Folgelösung Heeresinstandsetzungslogistik (HIL) – 5,388 Milliarden (!) Euro

• Folgeprojekt Herkules/Zusätzliche Leistungsanteile – 518,52 Millionen Euro

• Geschützter Mobilkran, 38 Fahrzeuge – 86,8 Millionen Euro

• Bundeswehr Fuhrpark Service – Beteiligung an Gesellschaften – 70,08 Millionen Euro

• Logistik ZEBEL (Zentrales Bundeseigenes Lager) – 122,60 Millionen Euro.

Was fehlt und vor der Wahl, damit vermutlich auch in diesem Jahr, nicht mehr kommt, war bereits vorher absehbar: Für das Großprojekt Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS) gibt es ebensowenig eine entscheidungsreife Vorlage wie für das Aufklärungssystem Signalerfassende luftgestützte weiträumige Überwachung und Aufklärung (SLWÜA), die Nachfolge des gescheiterten EuroHawk-Systems. Auch zum geplanten Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS180) war in dieser Legislaturperiode keine Entscheidung zu erwarten. Geplant, aber von der Liste verschwunden ist ein Nachfolger des Leichten SAR-Hubschraubers.

Und ehe jemand fragt: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich zwar sehr öffentlichkeitswirksam dafür stark gemacht, dass die Bundeswehr Abschied vom Sturmgewehr G36 nimmt. Der Auftrag ist zwar bereits ausgeschrieben, die Entscheidung über eine neue Standardwaffe der Bundeswehr wird aber weit nach der Bundestagswahl fallen.

(Falls mir bei der Vielzahl der Daten und Zahlen was durcheinandergeraten sein sollte, bitte ich um Nachsicht und einen Hinweis.)

(Foto: Mittleres Artillerieraketensystem MARS bei der Informations- und Lehrübung 2016)