von der Leyens Botschaft: Es hätte auffallen müssen

Zusammen mit Generalinspekteur Volker Wieker ist Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen an diesem Mittwoch nach Illkirch in Frankreich gereist. Zum Jägerbataillon 291 der Deutsch-Französischen Brigade. Das ist die Einheit, in der der Oberleutnant Franco A. vor seiner Festnahme diente, das Bataillon, von dem aus er nach Deutschland pendelte und sein Doppelleben als angeblicher syrischer Flüchtling und Asylbewerber führte.

Die Ministerin hat zwar im Fall Franco A. nicht allzu viel zu melden: Herrin des Verfahrens ist die Bundesanwaltschaft, die gegen den 28-jährigen Soldaten wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt. Die Ministerin, ihre Generale, ja selbst die einfachen Soldaten des Bataillons dürfen zu diesem Fall auch auch nur zur Person des Oberleutnants gar nichts sagen und tun das auch nicht.

Dennoch ist die Leclerc-Kaserne in Illkirch für von der Leyen ein wichtiger Ort, um vor vielen mit- und angereisten Journalisten den Punkt zu machen, der ihr in diesen Tagen wichtig ist. Im Fall des Franco A., davon ist die Ministerin ebenso wie der Generalinspekteur überzeugt, hätte doch schon vor Jahren etwas auffallen müssen. Schon Anfang 2014 hätte nach seiner Masterarbeit an der französischen Militäruniversität Saint-Cyr klar sein müssen, welche Haltung er nicht nur vertritt, sondern auch bereit ist umzusetzen. Und wenn schon seinen direkten Vorgesetzen nicht auffiel – warum hat hat dann nicht spätestens der damalige wie heute Chef des Streitkräfteamtes der Bundeswehr was gesagt, als der Fall auf seinen Tisch kam?

Es hätte auffallen müssen: Das ist die Botschaft, die die Ministerin in diesen Tagen setzen will. Und das ist auch der Punkt, an dem sich für von der Leyen die beiden großen Problemstränge der Bundeswehr in jüngster Zeit treffen: Ob es schikanöse Ausbildungspraktiken und Aufnahmerituale, zudem auch sexuelle Demütigungen und andere Herabwürdigungen sind – oder ein Offizier, dessen offensichtlich rechtsextremistische Tendenzen nur durch Zufall nach acht Jahren auffliegen: Es hätte auffallen müssen, davon ist die Ministerin fest überzeugt.

Bruchstellen in der Meldekette hatte von der Leyen schon nach den Vorfällen am Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf beklagt – nicht zuletzt deshalb, weil manche dieser Vorfälle erst Jahre später über die untere Disziplinarebene hinaus bekannt wurden. Inzwischen hat das für sie offensichtlich als Problem die nächste Größenordnung erreicht, die mit Einzelmaßnahmen wie einer Ansprechstelle im Ministerium (die seit ihrer Einrichtung im Februar mehr als 100 Meldungen verzeichnete) allein nicht zu bewältigen ist.

Wie kann es sein, das beschäftigt offensichtlich von der Leyen ebenso wie den Generalinspekteur, dass die Entscheidung eines Disziplinarvorgesetzten nicht nur abschließend ist, sondern ein Problem nach oben abschottet, erst recht, wenn der Rechtsberater als Wehrdisziplinaranwalt da mitzieht? Wäre da nicht auch eine Art Supervision nötig? Hätte das im Fall Franco A. eine – aus heutiger Sicht – Fehlentscheidung verhindert?

Das passt nicht in die derzeitige Systematik der Wehrdisziplinarordnung, das weiss auch die Ministerin. Ebenso wie sie Personalentscheidungen als Folge der Enttarnung des Oberleutnants-als-syrischer-Flüchtling auch auf Nachfrage nicht konkret ausschließen will, ebenso gibt es zumindest Überlegungen, diese Regelungen zu verändern.

In Illkirch will von der Leyen aber auch noch ein anderes Zeichen setzen. Nach wie vor ist unklar, ob und in welcher Form Franco A. Iin eine Gruppe Gleichgesinnter eingebunden war, ob es in diesem Bataillon andere gab, die wie er am rechten Rand die Grenze zum Extremismus schon überschritten haben. Die konkreten Ermittlungen sind Sache des Generalbundesanwalts – aber in der Kaserne nach Hinweisen auf rechtsextremistische Haltung setzen, das kann auch die Verteidigungsministerin. Und verhement darauf verweisen, dass die Wehrmacht der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges kein Beispiel fürs Traditionsverständnis eines heutigen deutschen Soldaten sein kann.

So berechtigt das Anliegen ist – in Illkirch führt das zu einer kuriosen Situation. Denn was die internen Ermittler des Heeres im Freitzeitraum der Unteroffiziere, dem so genannten Bunker, gefunden haben, könnte war als Glorifizierung der Wehrmacht verstanden werden. Aber es bleibt hinter den Traditionsräumen, die früher in anderen Bundeswehrkasernen gefunden wurden, es bleibt selbst hinter heute umstrittenen Kasernenfunden mit Erinnerungen an Soldaten des 3. Reiches weit zurück.

Was der Besucher (und die Medien) da in einem französischen Plattenbau der 1980er Jahre zu sehen bekommt, ist die nicht ungewöhnliche und auch nicht unbedingt gut zu heißende Glorifizierung des heroischen Kämpfers. Und ja, die Zeichnungen sehen mit dem typischen Helm, der typischen Bewaffnung aus wie Soldaten der Wehrmacht.

Am Ende ist es, wie schon bei dem umstrittenen Wahlspruch Treue um Treue anderer Einheiten des Deutschen Heeres, sehr von der Interpretation des Betrachters abhängig: Feiert sich hier der kleine Kampfverband mit seinen Heroen, oder wird, bewusst und aus rechtsextremistischer Haltung heraus, der NS-Kämpfer glorifiziert?

Die Soldaten des Jägerbataillons 291 dürfen zwar nicht mit den Journalisten reden (natürlich nur wegen der laufenden Ermittlungen, was sonst), aber können auch so klar machen, dass sie sich zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt fühlen. Denn rechtsextremistisch, das fühlen sie sich auch mit diesen Bildern nicht.

Das Audio vom Statement der Ministerin und des Generalinspekteurs gibt es hier zum Nachhören, dort zeige ich auch die fraglichen Bilder.

(Foto: von der Leyen mit Oberstleutnant Marc-Ulrich Cropp, dem Kommandeur des Jägerbataillons 291)

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