Mißhandlungen in Pfullendorf: Neuer Skandal erschüttert die Bundeswehr

Die Bundeswehr muss sich erneut mit sadistischen Ritualen in der Truppe befassen: An einer Elite-Ausbildungseinrichtung, dem Ausbildungszentrum Spezielle Operationen im baden-württembergischen Pfullendorf, wurden Soldaten misshandelt. Das Ausmaß dieses Skandals ist auch nach eigenen Angaben der Bundeswehr nicht absehbar. Sieben Mannschaftssoldaten wurden aus dem Dienst entfernt, weitere personelle Konsequenzen sind offensichtlich geplant. Zudem wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Über die Vorfälle hatte zuerst Spiegel Online berichtet, nachdem Generalinspekteur Volker Wieker am (heutigen) Freitag die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuss informiert hatte. Das Deutsche Heer veröffentlichte dazu eine umfangreiche Stellungnahme; die Aussagen sind weitgehend mit dem Schreiben des Generalinspekteurs identisch:

Anteile der sanitätsdienstlichen „Combat First Responder“-Ausbildung im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf waren hinsichtlich des Gebotes zur Achtung der Würde des Menschen, der sexuellen Selbstbestimmung und des Schamgefühls unangemessen. Es gab darüber hinaus Hinweise auf Mobbing. Die unverzüglich eingeleiteten Ermittlungen bestätigten in weiten Teilen die Angaben.

Diese Vorgänge wiegen insofern umso schwerer, als bereits früher Hinweise auf Missstände und frauenfeindliches Klima in einer anderen Teileinheit des Ausbildungszentrums Spezielle Operationen in Pfullendorf in Rede standen.
Außerdem wurde bekannt, dass es im Ausbildungszentrum wiederholt im Zuge sogenannter „Aufnahmerituale“ zu Misshandlungen von Soldaten gekommen ist. Dies geschah zwischen Mannschaftsdienstgraden. Vorgesetzte waren nach derzeitigem Stand der Ermittlungen an den Geschehnissen nicht beteiligt.
Den eindeutig identifizierten Tätern wurde durch den Disziplinarvorgesetzten sofort die Ausübung des Dienstes einschließlich des Tragens der Uniform untersagt. Gleichzeitig wurde in allen Fällen die fristlose Entlassung aus der Bundeswehr eingeleitet. Das ist möglich, weil es sich bei den Betroffenen um Soldaten mit einer Dienstzeit unter vier Jahren handelt.
Am 24.01.2017 erfolgte die Abgabe an die Staatsanwaltschaft Hechingen durch die truppendienstlichen Vorgesetzten wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung, gefährlichen Körperverletzung, Gewaltdarstellung und Nötigung.

Details der Vorwürfe führte Wieker nicht aus. Der Bericht von Spiegel Online wartet allerdings mit weitergehenden Einzelheiten auf:

Begonnen hatten die Ermittlungen, als sich im Oktober 2016 ein weiblicher Leutnant an den Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels und direkt an die Ministerin wandte. Die Frau beschrieb, dass sie bei der Ausbildung der Kampfsanitäter in Pfullendorf unfassbare Szenen erlebt habe: So hätten sich Rekruten bei der Ausbildung vor den Kameraden nackt ausziehen müssen. Die Ausbilder filmten dabei mit.
Ebenso berichtete sie, dass die Ausbilder medizinisch völlig unsinnige und offenbar sexuell motivierte Übungen wie das Einführen von Tamponade in den After mit männlichen und weiblichen Rekruten durchexerziert hätten.

Die Häufung der bisher bekannt gewordenen Ereignisse zeigt gravierende Defizite in der Führung, urteilte Generalinspekteur Wieker. Deshalb seien weitere Versetzungen, Änderungen der Ausbildungsorganisation und -inhalte sowie intensive Dienstaufsicht angeordnet worden. Die Ermittlungen dauerten noch an: Das bedeutet auch, weitere Konsequenzen sind nicht auszuschließen, erklärte der General.

Wie erst Wieker die Vorfälle nimmt, zeigt sich nicht nur daran, dass er ankündigte, den Standort Pfullendorf in den nächsten Tagen zu inspizieren. Der oberste Soldat der Bundeswehr sieht darüber hinaus das Geschehen in Pfullendorf offensichtlich nicht als isoliertes Ereignis: Außerdem werden die Ministerin und ich in der kommenden Woche mit allen Inspekteuren ein Gespräch führen zur herausragenden Bedeutung der Inneren Führung in sämtlichen Bereichen der Bundeswehr, schrieb er den Abgeordneten.

Das Ausbildungszentrum, die ehemalige Fernspähschule der Bundeswehr, bildet vor allem Sanitäter im Kampfeinsatz aus, so genannte Combat First Responder; außerdem grundsätzlich Spezialkräfte der Teilstreitkräfte. Die Aufgaben laut Bundeswehr:

• Ausbildung von NATO – Streitkräften in der Führung und im Einsatz von Spezialkräften sowie Ausbildung in Speziallehrgängen in den Bereichen Sanitätsdienst, Schießlehre / – technik, urbane Vorgehensweisen, Überleben und Verhalten in Gefangenschaft.
• Ausbildung von nationalen Spezialkräften und Spezialisierten Kräften in den Bereichen Sanitätsdienst, Überleben und Verhalten bei Gefangennahme sowie in der Führung und im Einsatz.
• Ausbildung der Spezialisierten Kräfte des Heeres mit erweiterter Grundbefähigung im Rahmen eines ca. 6 monatigen modulbasierten Ausbildungsgangs.
• Ausbildung des Feldwebelnachwuchses der Fallschirmjägertruppe sowie des Kommando Spezialkräfte in einem vereinheitlichten Ausbildungsgang – dem Kommandoanwärtermodell.

(Grafik: Wappen des Ausbildungszentrums Spezielle Operationen via Wikimedia Commons)