Noch viel Nachbesserungsbedarf beim „modernsten Schützenpanzer der westlichen Welt“

Informationslehrübung (ILÜ) Landoperationen 2016

Der neue Schützenpanzer der Bundeswehr, der Puma, ist einer der Stars auf der diesjährigen Informationslehrübung Landoperationen. Auf dem Truppenübungsplatz Bergen  unterstützt das neue System zumindest optisch eindrucksvoll (Foto oben) die Truppe bei der ILÜ 2016, auch wenn das Ministerium in seinem jüngsten Rüstungsbericht vom September darauf hinwies, dass es bei diesem Schützenpanzer doch noch erhebliche Probleme gibt:

Mit Stand 01.09.2016 sind 87 Fahrzeuge ausgeliefert; gemäß aktuellem Vertrag hätten es zu diesem Zeitpunkt 151 Fahrzeuge sein müssen. Aktuelle Verzögerungen beim Serienzulauf begründen sich vor allem durch Qualitätsmängel bei Baugruppen, die bei der Inbetriebnahme und Endmontage auffallen. Dadurch verschiebt sich der vertraglich vereinbarte Termin für das Ende der Auslieferung um insgesamt sieben Monate. Das Ende der Auslieferung ist weiterhin im Jahr 2020 geplant.

Wenn wie erhofft in vier Jahren der letzte der insgesamt 350 Pumas ausgeliefert wird, liegt er damit dann fast fünf Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan und gut 1,2 Milliarden Euro über den veranschlagten Kosten – allerdings machen Leistungsveränderungen und -anpassungen davon rund 950 Millionen Euro aus.

Diese groben Zahlen (im doppelten Sinne) sind schon ernüchternd; noch ein wenig ernüchternder ist allerdings der Blick in die Details des Rüstungsberichts. So ist zum Beispiel keineswegs selbstverständlich, dass der Puma bei einer Übung wie in Bergen scharf schießen darf: Die Software wie die Hardware der Waffensteuerung des Schützenpanzers entspricht bislang nicht den Sicherheitsanforderungen. Vorerst darf das System deshalb nur auf Schießplätzen mit einem erweiterten Sicherheitsbereich scharfe Schüsse abgeben. Hauptproblem bisher: Schwierigkeiten der Industrie bei der Softwareentwicklung.

Und das ist bei weitem nicht die einzige Nachbesserung dieses komplexen Waffensystems, die noch aussteht – eine Auswahl:

  • Für den Kommandanten, genauer im Bereich der waffenführenden Beobachtungsmittel sollen die bisherigen Schwarz-Weiß-Kameras und Röhrenmonitore (!) durch moderne Farbkameras und -bildschirme ersetzt werden, die nach hinten gerichtete Kamera bekommt einen Infrarotscheinwerfer. Der Zeitplan für diese Sichtmittelverbesserung hat sich mittlerweile um drei Jahre verzögert – und vorerst werden auch die neu ausgelieferten Pumas mit den Schwarz-Weiß-Geräten ausgestattet, damit der Schützenpanzer einsatzfähig ist. Das wird dann dazu führen, dass rund 200 bereits ausgelieferte Pumas mit der neuen Technik nachgerüstet werden müssen; insgesamt soll das rund 152 Millionen Euro kosten.
  • Deutlich mehr, nämlich rund 410 Millionen Euro, werden voraussichtlich die neuen elektronischen Beobachtungseinrichtungen für den Schützentrupp und den Kraftfahrer kosten. Der Vertrag dafür soll erst 2018 abgeschlossen werden; auch hier werden die dann schon ausgelieferten Schützenpanzer nachgerüstet.
  • Der Schützentrupp soll eine eigene Möglichkeit bekommen, aus dem Panzer zu schießen – diese Turmunabhängige Sekundär-Waffen-Anlage fehlt jedoch vorerst. Ein Angebot der Industrie dafür wird noch in diesem Jahr erwartet; der Vertrag dazu soll im Frühjahr 2017 abgeschlossen werden.
  • Statt des bislang vorgesehenen Maschinengewehrs MG4 mit dem Kaliber 5,56mm soll ein leistungstärkeres Maschinengewehr mit dem Kaliber 7,62mm genutzt werden. Noch im Oktober ist die Entscheidung geplant, ob eine Waffe von Rheinmetall oder von Heckler&Koch genutzt werden soll, der Vertrag darüber wird voraussichtlich 2018 abgeschlossen. Allerdings wird das neue MG frühestens ab 2020 eingerüstet.
  • Bereits fest eingeplant ist die Ausstattung der Schützenpanzer mit neuen digitalen Funkgeräten – wenn auch vorerst nur für 23 Fahrzeuge, die der Bataillonsführung dienen. Allerdings ist es, wie so oft bei solchen Systemen, nicht mit dem schlichten Einbau des Funkgeräts getan: Um einen zusätzlichen Datenkanal zwischen Turm und Wanne zu schaffen, soll ein zusätzlicher Schleifring eingebaut werden.
  • Vorerst fehlt noch ein zusätzliches Funkgerät für die Integration des Systems Infanterist der Zukunft – Erweitertes System (IdZ-Es), im Klartext: Zur Kommunikation zwischen dem Schützenpanzer und dem abgesessenen Schützentrupp.

Eines der wichtigsten Probleme ist allerdings das nach wie vor fehlende Waffensystem, mit dem der Schützenpanzer auch gegnerische Kampfpanzer, Bunker und Ziele in und hinter Deckung bekämpfen kann. Die Bordkanone reicht dafür nicht aus, deshalb soll das Mehrrollenfähige Leichte Lenkflugkörper-System (MELLS) in den Puma eingerüstet werden. Doch bei der Integration gab es Probleme mit dem Anbausatz des Waffensystems am Schützenpanzer – und erst Anfang kommenden Jahres soll die Musterintegration abgeschlossen sein. Allein für das MELLS listet das Ministerium einen Verzögerung von inzwischen insgesamt 57 Monaten auf. Was die Ein- und Nachrüstung für die (auch bereits ausgelieferten) Pumas kosten wird, ist bislang noch offen.

Mit gutem Grund hatten deshalb Rüstungsplaner und Heer die Nutzungsdauer des seit den 1970-er Jahren genutzten Schützenpanzers Marder verlängert: 200 der alten Kampfmaschinen sollen bis mindestens 2025 im Dienst bleiben. Denn noch ist nicht klar, wann der Puma, laut Verteidigungsministerium der modernste Schützenpanzer der westlichen Welt, seine volle Einsatzfähigkeit erreicht haben wird. Nach den offiziellen Erwartungen wird die Einsatzreife des Systems in 2024 erreicht.

Das führt auch noch zu einer interessanten Entwicklung: Für den Materialerhalt der länger genutzten Marder möchte das Verteidigungsministerium von der Industrie Schadenersatz – wenn auch bislang nur rund neun Millionen Euro, die für Ersatzteile und Instandsetzung der alten Schützenpanzer errechnet wurden. Schließlich sei die Industrie für die Lieferverzögerungen verantwortlich. Diese Forderung hat die Herstellerfirma bislang abgelehnt, und das Bundesamt für Ausrüstung, IT und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) prüft jetzt, wie es als Auftraggeber mit diesem Anspruch umgeht. Nun sind neun Millionen angesichts der Kosten schon für die diversen Nachrüstungen nicht viel, aber da könnte ja noch mehr nachkommen. Denn weitere Verzugskosten über die angesetzten 100.000 Euro pro weiter genutztem Marder pro Jahr hinaus, zum Beispiel höhere Personalkosten, Schulungskosten und möglicherweise geringere Verkaufserlöse für die alten Schützenpanzer, wurden da noch gar nicht eingerechnet. Und das BAAINBw würde möglicherweise einen Präzendenzfall für andere Rüstungsprojekte schaffen.

(Foto: Schützenpanzer Puma bei der Informationslehrübung (ILÜ) Landoperationen 2016 am 12.10.2016 in Bergen – Bundeswehr/Philipp Neumann)