Reserve hat (zwangsweise) Ruh: Zu viele Dienst-Tage, zu wenig Stellen (m. Korrektur)

20151006_Reservisten_Schießausbildung

Die Bundeswehr muss fertig ausgebildete Soldaten nach Hause schicken, weil Stellen fehlen: Das klingt angesichts einer Truppe, die in ihrer Stärke noch deutlich unter den angepeilten Zahlen liegt, wie ein schlechter Scherz, ist jedoch für etliche Reservisten der Bundeswehr Realität. Aus vielen Bereichen beklagen sich nicht mehr aktive, aber als Reserve eingeplante Soldaten, die demnächst eine Wehrübung beginnen sollten, über kurzfristige Absagen – oder werden eher als geplant nach Hause geschickt.

(Inzwischen, ich weiß, heißt es nicht mehr Reservisten und Wehrübung, sondern Reservistendienst Leistende, Dienstleistungstage und so weiter – ich bitte um Verständnis, wenn ich hier die zwar nicht mehr korrekten, aber für viele Leser besser verständlichen Begriffe wähle.)

Was in der Truppe kursiert und zum Teil auch in Diskussionsforen im Internet zu lesen ist, fasste die besonders betroffene Streitkräftebasis Mitte August in einem Rundschreiben zusammen: Die eingeplanten Tage, an denen Reservistinnen und Reservisten für praktischen Dienst in der Truppe zur Verfügung stehen, reichten bei weitem nicht aus. Hauptgrund dafür seien die Abstellungen im Rahmen der Flüchtlingshilfe – bei denen die Reservisten entweder direkt zur Unterstützung eingesetzt wurden oder aktive Soldaten, die wiederum in der Flüchtlingshilfe gebraucht wurden, auf deren normalen Arbeitsplätzen vertraten.

Auch zusätzliche vom Verteidigungsministerium genehmigten Reservisten-Diensttage, warnte das Kommando SKB, reichten nicht aus, alle derzeit laufenden, bereits angeforderten oder noch anzufordernden Übungen für Reservisten auch stattfinden zu lassen. Deshalb müsse restriktiv geprüft werden, ob Übungen ggf. gekürzt, storniert oder gar nicht angefordert werden sollten.

Mit anderen Worten: Etliche Reservisten, die sich auf eine Wehrübung eingestellt hatten – sei es als militärische Übung, sei es in einem Auslandseinsatz oder vor allem auf die Arbeit in einer inländischen Bundeswehrbehörde – können Uniform und Stiefel wieder einmotten. Eine Reservisten-Übung, die von Anfang September bis zum Jahresende dauern sollte, sei ihm keine zehn Tage zuvor auf zwei Wochen gekürzt worden, beklagte sich ein Soldat in einem Internetforum. Anderen Reservisten sei die Übung gleich ganz gestrichen worden.

Das Verteidigungsministerium bestätigte, dass es grundsätzlich Engpässe bei den Stellen und Diensttagen für Reservisten gebe. 2.500 Reservistenstellen sind in der Bundeswehr eingeplant – also rechnerisch 2.500 Soldaten das ganze Jahr über, oder insgesamt 10.000 Soldaten für je ein Vierteljahr, alles rechnerisch. Diese Stellen wurden in den vergangenen Jahren so genutzt, dass der Bedarf der Truppe gedeckt wurde und mit der Zahl der freiwiligen Reservistendienst Leistenden mehr oder weniger im Einklang war.

Das änderte sich in diesem Jahr deutlich. Offiziell will das Verteidigungsministerium zu den Gründen nichts sagen – aber der  bereits erwähnte Einsatz in der Flüchtlingshilfe, zu dem die Bundeswehr zeitweise mehr als 8.000 Soldaten abstellte, führte zu einem deutlich höheren Bedarf an der Arbeit von Reservisten.

 

Reservisten aus Mainz fahren FlŸchtlingskinder zum Schwimmunterricht. Eine gemeinsame Aktion des UniversitŠtssportclubs (USC) Mainz und der Reservisten-Kreisgruppe Mainz. Fotograf (zwingend zu nennen): Reservistenverband/Michael Sauer.

Hinzu kamen kaum vermeidbare Planungsprobleme – wenn zum Beispiel für Übungen weniger Reservisten gefunden werden konnten als zunächst angenommen, die übrig bleibenden Reservisten-Tage aber anderen Einheiten nicht mehr zugeteilt werden konnten. Um diese Planungsprobleme besser in den Griff zu bekommen, genehmigte der zuständige Staatssekretär Gerd Hoofe am 10. August eine Überplanung von zehn Prozent: Ähnlich wie bei Ferienfliegern oder Hotels durften mehr Personen eingeplant werden, in der Annahme, dass ein Teil von ihnen am Ende doch nicht kommen würde. Angesichts der Nachfrage habe das Ministerium Maßnahmen ergriffen, die den gemeldeten zusätzlichen Bedarf umfassend decken, heißt das im Verwaltungsdeutsch.

Allerdings löst offensichtlich auch diese Überplanung das Grundproblem nicht: Die Bundeswehr konnte, zumindest in diesem Jahr und vielleicht auch längerfristig, nicht so viele Reservisten einsetzen wie nötig, geplant und von den Reservisten selbst gewollt.

Den betroffenen Einheiten, Dienststellen und Ämtern bleibt da nur, intern umzuschichten – und auf bereits eingeplante Reservisten-Dienstleistungen zu verzichten. Das ärgert natürlich beide Seiten: Der Dienststelle fehlt jemand auf einem Dienstposten, weil der nicht mit einem Reservisten gefüllt werden kann. Und der Reservist hat – möglicherweise nicht ganz einfach im Arbeitsleben – seine Wehrübung beim Arbeitgeber durchgesetzt. Oder sie, auch das muss gesagt werden, als Einkommensquelle mit dem Einkommen seines militärischen Dienstgrades schon eingeplant.

Auf Dauer wird sich übrigens an der Einplanung von Reservisten in der Bundeswehr nichts ändern. Auch die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Mai angekündigte Trendwende Personal sieht keine Erhöhung der 2.500 Stellen vor. Korrektur (und danke für den Leserhinweis): Eine leichte Erhöhung der Stellen für Reservisten scheint absehbar; vor dem Reservistenverband hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Mai eine Anhebung auf 3.000 in Aussicht gestellt.

(Foto oben: Reservisten der 5. Kompanie des Aufklärungslehrbataillons ‚Lüneburg‘ werden  im Oktober nach dem neuen Schießausbildungskonzept der Bundeswehr ausgebildet – Reservistenverband/Detlef Struckhof;  Foto unten: Reservisten aus Mainz fahren im September 2015 FlüŸchtlingskinder zum Schwimmunterricht, eine gemeinsame Aktion des UniversitäŠtssportclubs  Mainz und der Reservisten-Kreisgruppe Mainz – Reservistenverband/Michael Sauer)