Lagebeobachtung: Türkisches Reiseverbot für den Staatssekretär und die Folgen
Die Weigerung der Türkei, dem Parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Ralf Brauksiepe einen Besuch bei deutschen Soldaten auf der türkischen Basis Incirlik zu erlauben, schlägt jetzt recht hohe Wellen. Und weil damit das ohnehin schwierige Verhältnis Deutschlands zum NATO-Mitglied Türkei weiter kompliziert wird, die Lage als Merkposten:
Am (gestrigen) Mittwoch hatte zuerst Spiegel Online berichtet, dass die Türkei dem CDU-Politiker die geplante Reise untersagt habe. Offensichtlicher Grund: Die Armenien-Resolution des Bundestages Anfang Juni.
Die Reaktionen aus dem Bundestag sind zwar nicht offiziell, aber um so heftiger – und das sowohl aus Koalition als auch aus der Opposition. Der außen- und sicherheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Florian Hahn, äußerte sich sehr schnell via Twitter und dann noch mal ausführlicher:
Die Ausladung des Staatssekretärs kann nur als Reaktion auf die Armenien-Resolution gewertet werden. Das ist ein unverantwortlicher Umgang mit einem NATO-Partner bar jeder politischen Vernunft. Deutschland hat sich in der Vergangenheit als verlässlicher Verbündeter erwiesen wie erst zuletzt mit dem Einsatz der ‚Patriot‘-Raketenabwehrsysteme in der Türkei zum Schutz gegen Raketenangriffe aus Syrien. Die Absage ist aber mehr noch als eine kalkulierte Provokation: Sie berührt deutsche sicherheitspolitische Interessen. Wir müssen daher über alternative Standorte der Aufklärungstornados wie dem Luftwaffenstützpunkt im jordanischen Amman nachdenken, um uns in unserer Handlungsfähigkeit nicht einschränken zu lassen.
Zwar nicht von Abzug der deutschen Tornados, wohl aber von einem Stopp geplanter Bauvorhaben der Bundeswehr auf dem türkischen Flugplatz spricht der Grünen-Abgeordnete Tobias Lindner (der auch im Haushaltsauschuss sitzt):
Wenn es dabei bleibt, darf die BReg nicht Millionen an Steuergeldern in den Ausbau des Stützpunkts investieren! https://t.co/3lIaZFe0Mj
— Dr. Tobias Lindner (@tobiaslindner) June 22, 2016
Interessant ist die parteiübergreifende Zielrichtung: Der politische Streit droht auf die militärischen Arbeitsbeziehungen der beiden NATO-Länder überzugreifen.
Dabei, so versichert die Türkei, gehe es doch nur um die Politiker-Besuche:
Die türkische Regierung halte es nicht für angemessen, dass Politiker den Stützpunkt im Süden des Landes besuchten, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag in Ankara. Militärischen und technischen Delegationen stünden solche Visiten dagegen frei.
berichtet Reuters. Davon war allerdings beim Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Incirlik im Januar nicht die Rede – im Gegenteil, sie traf sich dort sogar mit dem türkischen Verteidigungsminister.
Nun ist die militärische Zusammenarbeit mit der Türkei gleich auf zwei Feldern für Deutschland aktuell von Bedeutung: In Incirlik starten Tornado-Kampfjets zu Aufklärungsflügen im Kampf gegen die ISIS-Terrormilizen in Syrien und im Irak, außerdem ein Tankflugzeug zur Unterstützung der Jets anderer Verbündeter. Und in der Ägäis führt die Deutsche Marine den NATO-Verband, der die Überwachung der Schleuser in den Gewässern zwischen der Türkei und Griechenland sicherstellen soll. In beiden Fällen stellt sich die Frage, wie viel Druck die Türkei aufbauen – und Deutschland aushalten kann und will.
(Foto oben: Archivbild 8. Januar 2016: Techniker bereiten im Rahmen des Einsatzes Counter DAESH den ersten Einsatzflug zweier Recce Tornados auf der Air Base in Incirlik vor – Bundeswehr/Falk Bärwald; Foto unten: von der Leyen und der türkische Verteidigungsminister Ismet Yilmaz am 21. Januar 2016 in Incirlik)
Militärischen und technischen Delegationen stünden solche Visiten dagegen frei.
Herr Lindner zeigt Kante, was zu begrüßen ist. Dennoch, unsere Kapazitäten und die damit verbundenen „Devisen“ für den Stationierungsort von einer werdenden Diktatur in eine Foltermonarchie zu verlegen, halte ich für – mit Verlaub – einen Schnellschuß.
Wir können uns damit abfinden, dass wir uns mit der Türkei in keiner natürlichen Allianz mehr befinden. Die Kooperationen sind rein militärischer wie wirtschaftlicher Natur. Mit der Reaktion hat Herr Linder das getan, was die Türkei wollte und sie aufgewertet.
Im März hat die Bundeswehr wohl am Manöver EFES 2016 an der seite der USA und Saudi Arabien in der Türkei mitgeübt.
Die spinnen, die Janitscharen.
Die sind sauer mit den US und deren Strategie in Syrien, und nun lassen sie ihren Unmut an uns aus – und dann noch mit solchen haarstäubenden Argumenten.
Man erinnere sich an das ganze Theater bei der Sationierung der deutschen Patriot in der Türkei.
Irgendwann reicht es. Der Bundestag darf also aus Sicht der Türkei noch nicht einmal in personam eines ParlSts das deutsche Parlamentsarmeekontingent in der Türkei besuchen ?
OK, let`s bring the boys home – oder verlegt sie nach Zypern.
Vielleicht noch ein gaaaanz vorsichtiger Hinweis meinerseits: Im TUR Militär ist der Rückhalt Erdogans nicht gerade stark ausgeprägt. Ob das letztlich was zu bedeuten hat – ich weiß es nicht.
Quelle: Vertraulich
Hans Schommer
@Hans Schommer
Da würden mich aber mal die Gründe interessieren, also was das TUR Militär an Erdogan auszusetzen hat? Denn von der Gemütslage des Militärs habe ich in der aktuellen Debatte leider noch gar nichts vernommen.
Mal genau genommen, was wollen wir da eigentlich mit den Tornados. Sind doch eh überflüssig. Dass Erdogan zu dieser von nur 280 Abgeordneten getroffen Armenienresolution verschnupft reagieren wird, war doch zu erwarten.
@QuiGon: Weil das eine Black Box ist. Aber die beschäftight der Sultan gerade mit einer PKK, deren erprobte Kämpfer gegen DAESH vorgehen. Daesh verwendet der Sultan als Rammbock gegen die Kurden.
Der sogenannte antiterrorkampf der Türkei ist eine Chimäre. Abgesehen von der Tatsache, dass der Sultan die Verhandlungen abgebrochen hat obwohl diese zuvor einen 10-Punkte Plan mit praktischem Wert zum Frieden eingebracht hatte.
Das Wirtschaftswunder der AKP ist mit Schulden finanziert, auf Sand gebaut. Warten wir bis er versinkt. Realitätswahrnehmung Fehlanzeige. Meinung: Ich bin generell ein Freund von Schlankungskur und Changemanagement. Wir leben in einer Zeit des „Overstrech“, gute Gelegenheit zu sortieren.
Dass ich Herrn Lindner einmal zustimmen muss, hätte ich nicht für möglich gehalten.
Ich kann nur empfehlen, den Ausbau der Basis bis auf weiteres auszusetzen !
Dass der „Irre vom Bosporus“ (nicht meine Wortwahl, war, glaube ich, mal bei der BILD zu lesen) zurückschlagen wurde, war ja so sicher wie das Amen in der Kirche bzw. der Adhān von der Moschee. Mit Ralfi und dessen Delegation hat er sich nun Leute rausgepickt, die nicht ganz oben in der Hierarchie sind, deren Ablehnung aber trotzdem weh tut. Fortsetzung folgt, in einem halben Jahr ist das vergessen.
Wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich lässt, hat Syrien folgende Nachbarn: Türkei, Irak, Jordanien, Israel, Libanon und wenn man mal von dem bisschen Wasser dazwischen absieht Zypern und Griechenland. Die Kämpfe finden zum größten Teil im Norden und Westen statt, was bedeutet dass die deutschen Tornados einmal über das ganze Land fliegen müssten um in die Einsatzgebiete zu kommen. Die Türkei ist mit ihrem Stützpunkt hier einfach unersetzlich, das wissen die Türken und arbeiten mit diesem Wissen.
Klar ist es unverschämt aber als Israel Joschka Fischer (damals Außenminister) am Flughafen hat stehen lassen gab es auch keinen Aufschrei.
Das Gebaren der tuerkischen Regierung hat mit dem einer befreundeten, verbuendeten und auf gemeinsame Interessen und Ziele verpflichteten Politik wenig gemeinsam.
Die TUR Politik ist auf kurzfristige Prestigegewinne nach innen ausgerichtet und durch einen Mangel an Empathie und Gespuer fuer andere Standpunkte und Kulturen gekennzeichnet.
Das war frueher anders und hat sicherlich mit der herrschenden Partei und deren Nomenklatura zu tun, die mittlerweile in verschiedener Hinsicht bedient und belohnt warden will.
Derzeit rudert die TUR Regierung zurueck und sucht die Wiederannaeherung an RUS, ISR ( mit Einschraenkungen im Verhaeltnis zur Hamas). Die TUR hat erkannt, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen ihrer auf Nationalstolz (Chauvinismus?) und +tit for that+ Politik massive Einbussen zur Folge haben. Auf wirtschaftliche Einbussen wird in der TUR reagiert.
Die Politik Erdogans in der TUR ist ja zudem nicht unumstritten. Den von ihm anvisierten Einheitsstaat islamischer Praegung gibt es (noch) nicht. Jede politische Handlung – mag sie noch so toericht, ja duemmlich sein- wird hier durch eine gleichgeschaltete Presse und Politik als Erfolg verkauft, wenn sie international unwidersprochen bleibt.
Aus meiner Beobachtung heraus werden allerdings rote Linien und hard points in der TUR verstanden. Die Gesellschaft versteht kulturellen Respekt an sich, verweigert aber politische Toleranz gegenueber vermeintlich Schwaecheren.
Schweigen, stille Konzilianz und gestelztes Diplomatendeutsch werden als gesellschaftliche Schwaeche interpretiert, um so mehr als Erdogan in seiner polterhaften Rhetorik das genaue Gegenteil setzt und Inhalte durch Lautstaerke u.a.m. ersetzt.
Die immer noch waehrende Abberufung des TUR Botschafters, die Einreiseverweigerung des STS, die Option, das Volk in einer Abstimmung ueber den Beitritt zur EU bzw. die Verhandlungen hierzu sind gezielte Stiche und deuten auf die vorgebliche Schwaeche der Europaer und der Deutschen hin, die das tuerkische Volk nur verletzen und unterwerfen wollen.
Auch wenn die DEU Kr in Incirlik der Anti- IS Koaltion zugeordnet sind und nicht primaer dem Schutz der TUR dienen, so kann man sie aus der TUR abziehen, bevor die TUR zu weiteren Gaengeleien greift und vielleicht die Ausreise bei Kontingentwechsel behindert..
Man muss nicht zur wilhelminischen Kanonenpolitik zurueckkehren, aber die oeffentliche Markierung durch die BReg von + bis -hierher- und- nicht-weiter- + wuerde in DEU und in der TUR gleichermassen als berechtigtes und richtiges Signal erfasst. Man muss dies auch nicht dem EU Parlamentspraesidenten Schulz ueberlassen.
Menschen mit dem Naturell eines Strassenkoeters begegnet man am besten mit Entschlossenheit.
Bei Anzeichen von Furcht, beissen sie zu.
@Eric Hagen: Excellent + 1*
Hunde die bellen beissen nicht! Sie quälen die ängstlichen mit Drohung … kulturelle Persöhnlichkeitsmerkmale.
@Hans Schommer:
Dabei arbeitet Erdogan doch aktiv an einer Entspannung der Beziehung zur alten Armee-Elite. Zudem ist die aktuelle Militärführung auch nicht mehr so streng kemalistisch aufgestellt wie vor 20 Jahren.
http://www.nzz.ch/international/europa/vom-feind-zum-freund-erdogan-flirtet-wieder-mit-den-generaelen-ld.15410
Die Liste der besten Alternativen zu Incirlik (SCNR):
Turaif, Saudi-Arabien
Ercan, Nord-Zypern
Ramat David, Israel
Erbil, Autonome Region Kurdistan
Jerewan, Armenien
Nord-Zypern statt Türkei. Der war gut.
@eric hagen
gefällt mir gut, Ihr Kommentar ;-)
Die Führung der türkischen Streitkräfte steht bzw. stand vor diversen Säuberungsaktionen Erdogan zwar distanziert gegenüber, aber in der Armenierfrage vertreten Kemalisten im Grunde die gleiche Position. Strategisch betrachtet man Versuche, die Türkei für den von ihr verübten Völkermord verantwortlich zu machen, als Ansatzpunkt für mögliche spätere politischen Druck gegen die Türkei und lehnt dies aus sehr rationalen Gründen des nationalen Interesses ab. Man hat einfach keinen Bedarf, auch in einigen Jahrzehnten unter Verweis auf eine historische Schuld etc. zu irgendwelchen Konzessionen genötigt zu werden.
Sowohl die islamischen als auch die kemalistischen Kräften sind zur Durchsetzung dieses nationalen Interesses durchaus bereit, einigen Druck aufzubauen, auch über die eigene Bevölkerung im europäischen Ausland, deren Vertreter in der Regel enge organisatorische Anbindung und Betreuung durch türkische Behörden erfahren.
Die sicherheitspolitische Relevanz, die das in einigen Jahren oder Jahrzehnten für Europa noch bekommen könnte, kann man vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen erahnen.
Durch Maßnahmen u.a. bzgl. möglicher Visumsfreiheit sorgt unsere eigene, im Gegensatz zur türkischen Regierung kurzfristig denkende Regierung gerade dafür, dass diese sicherheitspolitische Relevanz noch größere Dimensionen annehmen wird.
@Hizmet: Können die Kemalisten begründen, worauf die Befürchtung basiert. Zur Zeit des Geschehens (Genozid) gab es den Straftatsbestand juristisch noch nicht. Folgerichtig kann es zu keinem real – politischen Druck führen.
Ein kleines Update: Das AA will heute noch mal über die DEU BO in Ankara mit den Türken reden. Nach der klaren Aussage von AM Cavusoglu („nicht angemessen“) allerdings scheint das nicht mehr sehr aussichtsreich.
Die Diplomaten hatten gehofft, die Causa Besuch Brauksiepe + Abgeordnete hinter den Kulissen zu lösen. Bisher war das Besuchs-Verbot ja nur mündlich bei Gesprächen TUR Außenamt mit der DEU BO und nicht formal in einer Verbalnote mitgeteilt worden.
Das BMVg sagt, der Sts wolle weiter reisen. Well see, wie es weiter geht.
SPD-Mann Rainer Arnold fordert übrigens, dass sich die Nato in den Streit einschalten soll: „Es wird Zeit, dass die Nato von der Türkei die Einhaltung der Gepflogenheiten im Bündnis deutlich einfordert“, sagte er mir schon am Mittwochabend. Aus Brüssel gibt es dazu bisher keinen Kommentar.
@AoR
Die türkische Seite würde in einer internen Diskussion wohl u.a. darauf verweisen, dass in der internationalen Wahrnehmung sehr präsent gehaltene historische Altlasten den außen- und sicherheitspolitischen Spielraum etwa Deutschlands nicht gerade erweitern, um es vorsichtig zu formulieren. Das gleiche gilt aber auch etwa für die VR China und die Tibetfrage. Sicherheitspolitisch geht es hier um „Soft Power“, und solche Themen auf die Agenda gelangen zu lassen indem man sie anerkennt, verringert den eigenen Spielraum und macht verwundbar. Aus türkischer Sicht stellt das einen Angriff auf eigene Sicherheitsinteressen dar, gegen den man sich mit den eigenen Fähigkeiten konsequenterweise wehrt.
Umgekehrt kann es auch Sicht von Staaten wie Deutschland, die gewisse sicherheitspolitische Erwartungen gegenüber der Türkei haben (weil man z.B. die eigenen Grenzen nicht schützen kann oder will), ggf. sicherheitspolitisch sinnvoll sein, solche Druckmittel gegenüber der Türkei aufzubauen. Man muss dann aber auch in der Lage sein, den resultierenden politischen Konflikt auszutragen. Die Türkei dürfte hier langfristig am längeren Hebel sitzen, denn noch eine Migrantenwelle oder die möglichen Folgen türkischer Nachlässigkeit bei der Kontrolle gewisser aus Syrien/Irak nach Mitteleuropa reisender Personen würde jede realistisch denkbare Regierungskoalition in Deutschland wohl sehr schwierig machen.
Man darf also davon ausgehen, dass die Türkei demnächst daran erinnern wird, wer die besseren Karten hat, und damit meine ich nicht Kleinigkeiten wie die Verweigerung eines Politikerbesuchs.
@Hizmet
„…Durch Maßnahmen u.a. bzgl. möglicher Visumsfreiheit sorgt unsere eigene, im Gegensatz zur türkischen Regierung kurzfristig denkende Regierung gerade dafür, dass diese sicherheitspolitische Relevanz noch größere Dimensionen annehmen wird.“
Bis auf diesen letzten Satz stimme ich Ihnen zu.
Ohne ins Grundsaetzliche abgleiten zu wollen, erkenne ich ein deutsches nationales Interesse ganz allgemein in – Ruhe, Stabilitaet und Frieden in Europa- als staatstragendes, uebergeordnetes Ziel.
Das ist fuer mich ein sehr langfristiges, ueberdauerndes Stratagem.
Wir koennen darueber streiten, ob die jeweilige BReg immer so gluecklich in der Wahl iher politischen Entscheidungen und Mittel gewesen ist. („Scheckbuchdiplomatie“)
Die gegenwaertige TUR verabschiedet sich jedoch gerade von der kemalistischen Maxime+ peace at home- peace abroad+. Wie von mir versucht darzustellen, laesst sich die TUR auf sehr kurzfristig ausgelegte Abenteuer und Manoever ein, die langfristig weder durchzuhalten sind, noch den gewuenschten Erfolg erbracht haben werden.
Ich erkenne- besser: vermute- langfristige Plaene
– zum internen Umbau der TUR zu einer islamischen Republik,
– die dauerhafte Etablierung einer staatstragenden politischen (Einheits-) partei,
– Positionierung als regionale Mittelmacht unter gleichzeitiger Beanspruchung
sunnitischer Fuehrungsmacht nach dem erwarteneten Bedeutungsverlust Saudi-
Arabiens ab Mitte 21.JH,
– Verhinderung eines kurdischen Staates.
Spekulativ: Austritt aus der Nato, weil Buendnispflichten diesen Plaenen u.U. gegenueberstehen. Wie aktuell mit der Frage weiterer EU-Beitrittsverhandlungen ja/ nein und Incirlik umgegangen wird, wird Hinweise auf diese Frage geben.
Sollte ich mit meinen Vermutungen irgendwie richtig liegen, wird es zu politischen Handlungen und Manoevern kommen, die bestenfalls kuehn, schlimmstenfalls als Hochrisikospiel zu betrachten sein werden.
Und hier setzt meine Kritk an: Erdogan ist ein Hazardeur. Er schnallt sich sein Volk unter,(„Gleichschaltung“) verspricht ihm einen Platz an der Sonne und schiebt es in Richtungen, wo keiner seiner kemalistischen Vorgaenger es jemals gewagt haetten, sich vorzutasten.
Er fuehrt einen mit grosser Haerte vorgetragenen Krieg gegen einen beachtlichen Anteil einer ethnischen Minderheit, die aber tuerkische Buerger sind. er marschiert wie durch eine Drehtuer in den IRK ein, fordert konstant ein militaerisches Vorgehen in SYR, wo er knallhart eigene Interssen verfolgt- und in keinem dieser willkuerlich aufgelisteten Aktionsfelder hat die TUR einen langfristig tragenden Plan.
Die TUR SK sind in iher Fuehrung entweder mundtot, versetzt, verhaftet, in den Ruhestand gejagt oder auf opportun gesetzt. Erdogan umgarnt den aktiven Restbestand, indem er dem Militaer Strafreiheit fuer evtl. begangene verbrechen im Kamof gegen die Kurden zugesichert hat, gleichzeitig beschneidet er jedoch Befugnisse und Privilegien der Generalitaet, die er wiederum wie ein mittelalterliches Lehen an Polizei und Innenministerium vergibt..
Erdogan hat eine Brandfackel in der Hand.
Das Feuerlegen ist oftmals eine kurzfristige Angelegenheit, meistens auch von irrationalen Motiven getriggert.
Das moechte ich der DEU BReg aber nun beileibe nicht unterstellen.
Daher kann ich Ihren letzten Satz nicht teilen.
Hihi,
Arnold’s Idee, die NATO als Vermittler einzuschalten ist imho nicht die cleverste, wenn man bedenkt welche Haltung die BuReg in Sachen NATO-Einsatz gegen den IS eingenommen hat.
Zur Zeit läuft eine weitere SDF/kurdische Offensive zur Einnahme von Manbidsch mit massiver Luftunterstützung der US/Coalition – könnte mir vorstellen, dass unsere Tornados auch mit drin hängen – je mehr präzise Aufklärung aus der Luft desto besser.
Man sollte es nun nicht unbedingt auf eine weitere Eskalation ankommen lassen, nicht dass Erdogan noch unsere Tornados groundet. Ziemlicher KuddelMuddel.
@Eric Hagen
Auf türkischer Seite ist man m.E. deutlich realpolitischer eingestellt als auf deutscher Seite. Solche Realpolitik als das „Naturell eines Strassenkoeters“ abtun zu können sollte stellt eine Form von Hybris dar, die auf deutscher Seite kaum durch reale Stärke gedeckt ist. Man ist sich der Tatsache sehr bewusst, dass schon die Erwähnung nationaler Interessen in Deutschland als unanständig gilt, und dass die Gesellschaft in kollektives Wehklagen verfällt, wenn auf einem Tag der offenen Tür der Bundeswehr mal ein Junge eine (ungeladene) Waffe in die Hand nimmt. Erzeugt das bei Ihnen Gefühlte von Respekt? Falls nicht, können Sie vielleicht nachvollziehen, wie traditionellere Gesellschaften über Deutschland und die Deutschen denken. Unter solchen Bedingungen Konzessionen zu erwirken würde umso entschlosseneres Handeln erfordern, zu dem die Bundesregierung auch angesichts der türkischen Möglichkeiten (politisch9 zu reagieren kaum bereit sein dürfte.
@ Hizmet
Die TUR betreibt keine Realpolitik- sonst haette sie es sich nicht mit ISR, RUS vmtl. auch sogar mit DEU und v.a. den USA nicht so leichtfertig verscherzt.
Erdogan versucht sich an Machtpolitik, doch beherrscht er sie nicht wirklich, was es umso riskanter sein laesst.
Ich zweifle ueberdies ganz entschieden an der Kompetenz und Integritaet Vieler in seinem Beraterstab.
Dass Sie mich in die Naehe von Hybris stellen, ist zwar frech, aber gar nicht so schlecht gemeint: Aus Hybris erwaechst etwas Neues.Und wenn das in diesem Zusammenhang bemuehte Bild des Strassenkoeters eine zu ueberwindene Phase darstellt- umso besser fuer die Meisten und fuer diese geschundene Region NMO.
Ansonsten bin ich ja mit Ihrer Kurzbeschreibung deutscher Befindlichkeiten und eingebildeter Erblasten jdurchaus mit Ihnen..
@Hizmet
Und sie glauben wir vergessen und vergeben die Beleidigungen und Übergriffe der Türkei so einfach?
Wie traditionellere Gesellschaften über uns denken, könnte ich je nach dieser Geselschaft als Kompliment betrachte.
Wer aus der Geschichte nicht lernt und sie ignoriert, ist dazu verurteilt sie zu wiederholen.
@eric hagen
Ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, das die Arabischen Staaten die Türkei als Führungsmacht „freiwillig“ anerkennen werden.
@ThoDan
„Ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, das die Arabischen Staaten die Türkei als Führungsmacht “freiwillig” anerkennen werden.“ Das haben Sie sehr fein formuliert ;-)
Volle Zustimmung.
Florian Hahn hat recht, wenn er den Abzug fordert. forderte er den Abzug fordert. Der Türkei noch 60Mio in den Rachen zu werfen halte ich unter den gegebenen Umständen für falsch.
Meine bescheidenen Meinung nach sollte die langfristige Konsequenz aus den Erfahrungen mit der „Zuverlässigkeit“ der Türkei als „Partner“ sein, daß Deutschland die Anschaffung und den Betrieb von min. zwei Flugzeugträgern anstrebt.
Nun ja, man sollte Beziehungen zwischen Staaten nicht mit Beziehungen zwischen Regierungen verwechseln. Die Türkei hat gegenwärtig einen Präsidenten, der imho unter einem gewaltigen Dunning-Kruger-Syndrom leidet. Aber solche Präsidenten oder Regierungschefs gibt es auch in anderen Ländern. Deswegen müssen ja die Beziehungen zu diesen Ländern nicht dauerhaft leiden.
Also mal ruhig durchatmen und eben nicht auf das Spiel von Erdokhan eingehen.
Mir gefällt es natürlich auch ganz und gar nicht, dass Herr E. keine BT-Abgeordnete unsere Jungs&Mädels besuchen lassen will, aber wollen wir uns deswegen auf eine diplomatische Kneipenschlägerei mit ihm einlassen ? Man muß sich ja nicht unbedingt auf dieses Niveau begeben als deutscher Staat, bzw. BT. Wie wäre denn Folgendes: man sagt den Besuch mit höflich geäußertem Unverständnis ab, meldet den beamteten Sts (Einsatz) begleitet durch InspLw an und wartet auf die Reaktion. Falls Ankara das ablehnt, dann ziehen wir ab – falls Ankara zustimmt, dann kann man ja den Sts plus InspM anschließend zur Besuchsberichtserstattung in den BT einladen – nach der Sommerpause natürlich.
Ich glaube @Hizmet geht der Vergleich „Hund“ etwas gegen den Strich. Sowas macht man in der Region (Tiervergleiche) nicht.
Dennoch, die Türkei hat die Stamina nicht, noch lange durchzuhalten. In ihrer geografischen Lage ist es normal, dass sie laviert. Leider fehlt Ankara die Feinfühligkeit:
– Den Westen hat sie verprellt, indem An-Nusra wie auch Daesh Unterstützung erfuhren.
– Russland hat sie verprellt, indem sie einen russischen Soldaten ermordet hat, neben der Unterstützung der Feinde Russlands.
– Mit den Kurden hat Sie es sich verscherzt mit Kobani und dem Verhandlungsabbruch.
– Mit den Shiiten verschärzt sie es sich indem sie auf konfessionellen Führungsanspruch setzt.
– Und die „Araber“, welche die Geld im Ausland Bunkern oder die von deren Schlägertrupps unterdrückt werden? Nein da macht die Türkei alles richtig.
Aber „Sunnitische Achse nach Mekka ohne Kurden und Aleviten“ geht halt nicht. Und da kommt das Problem zu Tage: Die Arbeit des geopolitischen Analytikers, eine Jobbeschreibung die so lautet, globale Zustände und Entwicklungen zu erkennen, sie zu Prognostizieren und aufzuzeigen, wie man all dies zu seinem Nutzen auswerten bzw. motivieren kann.
Der Abbruch der Verhandlungen mit den Kurden, gepaart mit der Unterstützung für Dschihadisten nahm des Sultans ENDE vorweg. Israel, was immer wieder kolpotiert wird, kann der Türkei weitestgehend egal sein, wenn sie im Gegenzug die arabische Straße bekommt, welche wiederum von Diktatoren der übelsten Sorte beherrscht wird.
Der point of no return war der Verhandlungsabbruch mit der PKK und blinde Unterstützung für syrische Dschihadisten. Der Plan ein Präsidialsystem ohne föderale Checks and Balances bricht der AKP nun das Genick. Die AKP will alles dominieren, über sich den blauen Himmel und nichts anderes sehen.
Der Arbeitsmarkt sendet Ende des Sommers Schockwellen durch das Volkswirtschaftliche Totalmodell der Türkei (hat schon begonnen), am Geldmarkt kommt das üble Erwachen. Man hat über seine Verhältnisse gebrüllt, alle verprellt. (@Klabautermann: In etwa nach der Sommerpause ;) )
Wenn @Eric Hagen Hubris zeigt, googlen sie „Manie“ in Bezug auf die AKP.
P.S: Die Israelis lachen sich in den Verhandlungen zur Wiederannäherungen … lassen wir das. Aber Gaza verwalten bald Deutsche und Türken… (Kam das in der BPK schon auf?) /SCNR
Edt: Sagen wir August … Und mit Brexit wirds happig bei den Devisen. /Sorry
Meiner bescheidenen Meinung nach ist der „Sultan“ vom Größenwahn befallen – im Schema seiner Vorgehensweise fast deckungsgleich mit dem eingedeutschten Österreicher. Und das bereitet Sorgen – auch den säkular orientierten Menschen in TUR.
Hans Schommer
@AoR
Das Gespenst von TUR als „failing state“ geht um.
@Thomas Melber: Wie meinen, gibt es schon Analysen/Leitmedien in benannte Richtung? Weil ich denke, da greifen dann gewisse Sicherungmechanismen ala Militärputsch…
(Mein Ernst)
@Hizmet
Habe mir Ihre obigen Kommentare nochmal sorgfaeltig angesehen.
Mir faellt auf, dass Sie in geschliffener Sprache nahzu identisch die aktuelle tuerkische Lesart und Sprachregelung widergeben, wie sie international und in den Medien zu erkennen ist.
Sie sind entweder zu gut geschult, oder so tief mit der aktuellen Politik vertraut, dass Sie nicht wahrnehmen, was uns derzeit grundsaetzlich trennt.
Sie sprechen von *Angriff* auf Sicherheitsinteressen, wenn historische Altlasten auf die Agenda gelangten und dies wuerde den „Spielraum“ einengen.
Nun, das ist die Ausrichtung einer Weltensicht, die nur -stark/ schwach anerkennen will. Wenn die TUR Staerke aus der Leugnung historischer Tasachen generiert, so beweist sie nur mangelnde Selbstreflexion und zeigt, was sie von Ausgleich mit benachbarten Voelkern haelt.
In diesem Zusammenhang muessen die deutsch-franzoesischen, -polnischen und israelischen und sogar russischen Aussoehnungsprozesse ja als Kette einer verfehlten, weil schwachen Politik interpretiert werden, nicht wahr?
Was sind die “ rationalen Gruende in einem nationalen Sicherheitsinteresse“ wenn man eine historische Missetat leugnet? Angst vor Reparationen? Weil der Islam eine zutiefst humanistische Religion sei und solche Verbrechen nicht von „guten“ Muslimen begangen sein konnten? Oder will man den Kurden keine Blaupause liefern, wie man gegen Kriegsverbrechen international vorgehen kann?
Siehe kuerzliches Dekret, dass mutmassliche Kriegsverbrechen nicht strafverfolgt werden. Ist das auch ein Zeichen von Schwaeche, wenn man einem ethisch weniger gefestigten Soldaten Straffreiheit gewaehrt, sollte er Frauen und Kinder getoetet haben? Was fuer ein Menschenbild ist das? Erdogan zu beleidigen bringt Knast und Kurden unrechtmaessig getoetet zu haben wird durchgewunken?
Ihre angedeuteten Wirk- und Hebelargumente in Bezug auf Durchlaessigkeit der Grenzen/ Destabilisierung einer „befreundeten“ Nation durch implizierte Regierungsfaehigkeit beschreibt exakt das Mass an Misstrauen und Ungemach, das in DEU und in Europa der TUR derzeit entgegen gebracht wird. Sollte diese Art von Destabilisierungsversuch tatsächlich tuerkische Realpolitik in Ihrem dargestellten Sinne sein/ werden, dann wissen wir ja, wie sehr sich die TUR europaeischen Grundwerten verpflichtet fuehlt.
Die „Kleinigkeit eines verweigerten Politikerbesuchs“ belegt wie stumpf die tuerkische Wahrnehmung mittlerweise geworden ist. Immer vorausgesetzt, Sie stehen tatsaechlich der tuerkischen Politik nahe. Ansonsten ist bloss Ihr Politikverstaendnis.
Eine solche Haltung zeigt aber, wie bedenkenlos (gedankenlos?) Aussenpolitik in der TUR betrieben wird.
Die heutige TUR ist nicht mehr der saekulare, gemaessigte Partner vergangener Jahrzehnte. Das muessen wir uns nur eingestehen und ganz praezise die Lage neu bewerten.
Die Region ist ja in Bewegung und Erdogan wird nicht jede Veraenderung verhindern koennen. Schon mal dran gedacht, wie eine UN- Resolution zur Bildung eines kurdischen Staates ausgehen koennte und wieviele Staaten sich mit * dieser* TUR solidarisieren?
Eine solchermassen realistische, weil selbstkritische Analyse wird es auf absehbare Zeit in Ankara nicht geben. Nun denn.
Ich freue mich jedenfalls ueber weitere Beitraege von Ihnen und hoffe, sie finden eine kritische und selbstbewusste Resonanz-ganz in Ihrem Sinne, versteht sich.
@AoR
So weit sind wir natürlich (noch) nicht, aber:
– offenen Bürgerkrieg mit der Gefahr einer Sezession (Kurden)
– hohe terroristische Bedrohung
– absehbare wirtschaftliche Krise
mit der immer noch gegebenen Möglichkeit eines Militärputsches und ggf. eines religiös motivierten Gegenputsches.
@Eric Hagen
Ich hoffe doch, gleichermaßen gut geschult und mit der aktuellen Politik vertraut zu sein ;-)
Ansonsten wollte ich hier auch nicht als Apologet der türkischen Regierung auftreten sondern nur versuchen zu erklären, was diese möglicherweise antreibt, und warum sie handelt wie sie handelt.
Der Umgang mit historischem Geschehen wie dem Armenierthema hat ja stets auch eine politische Dimension. Das Tibeterthema kommt doch z.B. gegenüber China nicht aus Menschenfreundlichkeit auf die Tagesordnung, sondern weil man Verhandlungsmasse gegenüber China braucht. Im Fall der Türkei liegt es nahe, wenn die türkische Regierung annimmt, dass in ihrem Fall hinter der Behandlung von Armenierthemen die gleichen Motive vorhanden sind. Sonst würde man z.B. ja auch über das zeitlich nicht weit davorliegende amerikanische Vorgehen gegen die Indianer oder das britische Vorgehen gegen diverse Kolonialvölker sprechen, die von den jeweiligen Regierungen ebenfalls nicht als Genozide behandelt werden.
Deutschland hat Kriege gegen seine Nachbarn verloren und musste als Verlierer Konzessionen eingehen. Die deutsche Politik bei der Anerkennung diverser Verbrechen war m.E. nicht verfehlt, sondern die logische Konsequenz aus der Niederlage und der Schwäche des Landes nach dem Krieg. Die Türkei hat den Krieg, um den es geht, aber nicht verloren. Warum sollte die Regierung sich wie ein Verlierer verhalten und freiwillig zustimmen, wenn politische Druckmittel gegen das Land aufgebaut werden? Das wäre doch irrational.
Man muss die türkische Regierung ja nicht mögen, aber in den vergangenen Jahren ist das Land insgesamt stärker geworden und hat sich auch wirtschaftlich positiv entwickelt, was man von vielen europäischen Staaten nicht sagen kann, deren Regierungen weit weniger für ihr Land getan haben. Das ist nicht gerade die beste Position, um anderen moralische Vorhaltungen zu machen.
Die Türkei ist in einer Position zunehmender Stärke, und deshalb braucht man das Land. Auch die Bundesregierung braucht die Kooperation der Türkei, wenn sie politisch überleben will (das hatte ich oben beschrieben), und dürfte sich künftig entsprechend verhalten. Manche türkischen Beobachter vermuten insgeheim ja sogar, dass das eigentliche Motiv dafür, dass Armenierthema gerade jetzt hochzubringen, nicht nur der Verbesserung der Verhandlungsposition der deutschen Regierung diente (was fehlschlug), sondern auch der Beruhigung deutscher Wähler, die es nicht mögen würden wenn sie merken würden wie abhängig Deutschland von der Türkei ist….
Mit Aspekten wie „säkular“ oder „gemäßigt“ hat das nichts zu tun. Auch Deutschland war bislang realpolitisch genug um z.B. die Saudis als „gemäßigt“ einzustufen.
Eine UN- Resolution zur Bildung eines kurdischen Staates wird es davon abgesehen nicht geben. Die USA brauchen die türkische Kooperation in der Region und würden sie nicht derart gefährden. Die Türken nehmen für ihre Unterstützung der Amerikaner und Europas im Übrigen eine Menge Opfer in Kauf, wie die Terrorwelle des IS zeigt. Ich frage mich, ob europäische Staaten bei so einer Welle von Anschlägen weiter zu ihren Verbündeten stehen würden…
Wie gesagt, ich versuche nur zu erklären wie die türkische Regierung das Thema sieht und verstehe mich nicht als deren Anwalt. An meinem Pseudonym erkennt man ja dass ich keinesfalls rückhaltloser Fan der dieser Regierung bin, aber deren realpolitische Motive finde ich nachvollziehbar.
@Hizmet
Ich gebe Amerikanern doch hin und wieder einen Hint auf den Genozid an den Indianern, wenn es der Diskussion angemessen erscheint.
Die Türkei hat den WWI nicht verloren, wo waren die Grenzen des kranken Mannes vorher nochmal gewesen?
Warum sollte ich eine Regierung bevorzugen die Mord und Völkermord an Menschen verurteilt?
Warum ist eine „erfolgreiche“ Wirtschaftspolitik ein ethischer Schutzschild gegen Kritik?
Die USA brauchen die Türkei, hm fragen sie mal die Armenier wie sehr das byzantinische Reich sie gebraucht hat?
Welche Opfer bringt die Türkei im Krieg gegen DAESH?
Ausser dem ökonomischen Embargo, der Unterstützung der Kurden und Yazidi(?) ist mir da nichts bekannt?
Also meines Wissens nach ist die türkische Wirtschaft „platt“. Man kann mich gerne eines besseren belehren.
Hans Schommer
@Hizmet
„Die Türkei ist in einer Position zunehmender Stärke, und deshalb braucht man das Land.“
Diese elementare Fehleinschätzung ist der Grund für die irrationale Politik Erdogans. Die Türkei wird Erdogans Hybris bald bereuen.
„… sondern auch der Beruhigung deutscher Wähler, die es nicht mögen würden wenn sie merken würden wie abhängig Deutschland von der Türkei ist …“
Eine weitere Fehleinschätzung, die leider von unserer aktuellen Bundesregierung geteilt wird. Das unwürdige Verhalten der Bundeskanzlerin, das hieraus folgt, hat die deutsche Bevölkerung aber sehr wohl wahrgenommen.
„Die Türken nehmen für ihre Unterstützung der Amerikaner und Europas im Übrigen eine Menge Opfer in Kauf, wie die Terrorwelle des IS zeigt.“
Eine abwegige Interpretation! Der Terror ist hausgemacht und gehört zu den Gründen, warum die Türkei Erdogans Hybris schon bald bereuen wird.
Meine Argumentation gilt nicht ad personam, sondern den „realpolitischen“ (eigentlich: irrationalen) Motiven des Erdogan-Regimes, dessen Motive Sie nach eigenem Bekunden nachvollziehbar finden.
@ThoDan
„Warum sollte ich eine Regierung bevorzugen die Mord und Völkermord an Menschen verurteilt?“
Wenn Sie mich fragen: Ich finde es gut, jeglichen Völkermord zu verurteilen und vermute, dass wir hier einer Meinung sind.
„Welche Opfer bringt die Türkei im Krieg gegen DAESH?“
Wikipedia ist nicht die beste Quelle, gibt aber m.E. einen guten allgemeinen Eindruck:
https://en.wikipedia.org/wiki/Turkey%E2%80%93ISIL_conflict
Neben den gefallenen Angehörigen der Sicherheitskräfte werden bislang 210 getötete und 795 verletzte Zivilisten verzeichnet. Welche vergleichbaren Opfer bringen andere europäische Staaten in diesem Kampf?
Die Notwendigkeit des Einsatzes deutscher Ressourcen hat uns die USA mit ihrer Haltung zu Herrn Assad eingebrockt. Meine Meinung: entweder die USA bringt ihren Freund zur Vernunft, oder wir ziehen uns ohne weitere Übergangszeit vom Einsatz zurück.
Zur Erinnerung : die USA haben in der Vergangenheit erheblichen Druck aufgebaut das die Türckei in die EU aufgenommen wird.
@Hizmet
„Deutschland hat Kriege gegen seine Nachbarn verloren und musste als Verlierer Konzessionen eingehen. Die deutsche Politik bei der Anerkennung diverser Verbrechen war m.E. nicht verfehlt, sondern die logische Konsequenz aus der Niederlage und der Schwäche des Landes nach dem Krieg. Die Türkei hat den Krieg, um den es geht, aber nicht verloren. Warum sollte die Regierung sich wie ein Verlierer verhalten und freiwillig zustimmen, wenn politische Druckmittel gegen das Land aufgebaut werden? Das wäre doch irrational.“
Die Anerkennung des Holocaust war menschliche Konsequenz aus dem Handeln, die wohl jede Regierung so gehandhabt hätte (außer das 3. Reich hätte vollständig gewonnen). Auch wenn der Sieger die Geschichte schreibt (und das war die Türkei nicht).
Logische Konsequenz aus der Niederlage und Schwäche DEU nach dem Krieg waren Westbindung und NATO-Beitritt.
„Die Türkei ist in einer Position zunehmender Stärke, und deshalb braucht man das Land. Auch die Bundesregierung braucht die Kooperation der Türkei, wenn sie politisch überleben will“
Man braucht die Türkei v.a. weil sie am Hebel der Flüchtlinge sitzt und diese beliebig schicken kann, viele, wenige oder auch ausgewählte (Alte, Schwache, Kranke…). Ohne die Flüchtlinge wäre die Türkei weniger relevant, dazu die Frontstellung mit RUS, beständige Unfreundlichkeiten ggü. Europa, der Konflikt mit Griechenland, Verstimmungen mit den USA, die Sorge der arabischen Staaten vor Großmachtträumen. Nicht zuletzt der Kurdenkonflikt, mit dem die Türkei keineswegs europäische Interessen schützt, ebensowenig durch das Anbandeln mit dem IS gegen die Kurden. Dass die Türkei dessen Folgen tragen muss, sollte man nicht als sharen burding mit den Europäern gegen den Terror deuten.
Weiterhin speist sich die TUR Bedeutung mMn ausschließlich durch die strategische Lage in einer Konfliktregion, und als NATO-Partner mit ausgebauten und erprobten Stützpunkten die für die Verbündeten erste Wahl sind. Wohlgemerkt, nicht alternativlos. Aus dieser Sichtweise auch das US Werben für den EU-Beitritt, das heute nicht mehr vorhanden sein dürfte…
@Hizmet
Ich nehme Ihnen Ihre Haltung und Ihre Absicht nunmehr ab.- -)
Dennoch sind einge Ihre Argumente aus meiner Sicht zu kurzgreifend:
In der Armenienresolution des BT geht es nicht um Niederlage oder Rechtsnachfolge des Osmanischen Reiches. Es geht zunaechst einmal um DEU und dem internen Eingestaendnis, dass das Dt. Reich damals von den Vorgaengen gewusst und dazu geschwiegen hatte, aus ganz praktischen Gruenden.
Mglw. wurde das in DEU nicht genuegend kommuniziert und auf den rein tuerkischen Aspekt, dadurch herausgefordert zu werden, verengt.
In der TUR wurde sich hingegen nicht einmal die Muehe gemacht, diesen Punkt zu ziehen, sondern sah instinktiv das Druckmittel, das Sie ja durchaus realistisch als Drohkulisse beschrieben haben.
Ich habe in dieser Sache noch keine einzige offizielle Stimme erkannt, die zur Maessigung und Nuechternheit mahnt.
Ja, die TUR ist derzeit geostrategisch noch interessant und in Teilen unverzichtbar.
Das wird abnehmen, wenn
– es wieder russisch- westliche Annaeherung geben wird, was ich hoffe und keineswegs als unrealistisch sehe,
– zukuenftige militaerische Strategie und Operationen weniger in Kategorien von Landinbesitznahme und mehr in multidimensionale power projection denken,
– die territoriale Umgliederung in der unmittelbaren Nachbarschaft Fakten schaffen wird und die TUR- bleibt sie weiterhin auf ihrem sturen Kurs, von tradtionellen und gelegentlichen Verbuendeten entfremdet. Als regionale Ordnungsmacht- die die TUR derzeit noch nicht ist- wird sie auch fuer die USA verzichtbar. Wir erleben diese tendenzielle Reduzierung momentan in Saudi-Arabien.
Wirtschaftlich gab es in der Tat einen Aufschwung unter Erdogan, den er aber aufbraucht durch hohe Staatsverschuldung, Steuermindereinnahmen weil ganze Sektoren unter den Folgen seiner emotionalsierten Politik leiden.
Ueberhaupt nicht zustimmen kann ich Ihnen jedoch, wenn Sie die terroristische Bedrohung durch IS und PKK als Folge eines Einsatzes fuer Verbuendete sehen und nicht von der TUR leichtfertig hingenommen wurde (IS) bzw. durch die Aufkuendigung des Dialoges mit den Kurden und der PKK schlechterdings so betrieben wurde.
Die TUR wird vom IS angegriffen, weil Istanbul ein wichtiges Ziel in deren Ideologie darstellt und weil v.a. der faule Kuhhandel einer verdeckten Unterstuetzung des IS durch den tuerkischen ND aufgeflogen und nicht mehr zu halten war.
Sie haben einfach die Kontrolle verloren. Folge: Saeuberungen bei Militaer, Polizei, Justiz. Verhaftungen von Journalisten.
Es ist die Regierung, die ihrem Volk die Opferrolle aufzwingt und wiederum leichtfertig das Bild von „Verbuendeten“ der „gesunden Volksmeinung“ zur Abstimmung mit den Fuessen ueberlaesst. Diese Opferrolle lassen sich die Tuerken zudem vergolden.
Die TUR Regierung braucht immer eine konspiratives Narrativ. Egal ob die schattenhafte Gulen- Bewegung, die EU, DEU oder die Kurden: das Buendeln der Kr nach aussen, schafft Freiraeume nach innen. Ist ja nix Neues. Es sind die dunklen Maechte, die Boeses wollen.
Zu guter letzt : Die oeffentliche Meinung wird in der TUR derzeit auf wachsende Entfremdung und Abkoppelung vom Westen eingestimmt. Parallel hat der brain drain begonnen. Wer es sich leisten kann, richtet sich in Europa eine Ausweichexistenz ein. Im Bildungsbuergertum und Mittelstand schwindet die Zuversicht, dass Erdogan das Land tatsaechlich gut und verantwortbar fuehrt.
Das Wahlvolk der AKP ist mehrheitlich laendlich, von mittlerem bis niedrigen Bildungsstand- aber definitiv nicht ausschliesslich- und der brain drain hilft auf dem Weg zur unipolaren Gesellschaft, die man mit verbesserten Lebensverhaeltnissen, protziger Infrastruktur und religioeser Disziplin bei Laune haelt.
Kommt das uns Deutschen bekannt vor?
Also, alles ganz im Sinne der herrschenden Elite. Rest siehe weiter oben.
@ Hizmet | 23. Juni 2016 – 15:39
Auf türkischer Seite ist man m.E. deutlich realpolitischer eingestellt als auf deutscher Seite
Was nicht schwer wäre, wenn es denn so wäre. Ist es aber nicht.
Ich danke Ihnen aber für Ihre Debattenbeiträge, die, intellektuell interessant, Einblick geben in die Sachlage. Aber um es (leider) klar zu sagen: Erdogan ist nicht gleichzusetzen mit Türkei und wird hier zumindest von niemandem mit der Türkei gleichgesetzt. Die PKK -wieviel Protagonisten unter diesem Label gibts noch? 5?- wird hier nicht zum legitimen Kurdenvertreter.
Erdogan ist kein Rationalplayer mehr. Damit lohnen Verhandlungen nicht. Die Armee löst das Problem doch noch oder die Zeit.
Sobald Mossul/Raqqa gefallen ist möge die LuWa / Heer die Koffer packen. Man soll gehen wenn es am schönsten ist. Die Region verbleibt dankend und in guter Erinnerung an gemeinsamen Kampf gegen das Böse und die Errettung der etlichen Flüchtlinge. #Heldentum
@Hizmet: Die USA waren auch gegen eine Anerkennung des Staates Palästina, und dieses Mal sehen ich kein Veto im Bezug auf Rojava wie auch die KRG …
@Sachlicher: Gut erkannt, der einzige Kurdenvertreter auf dem Territorium der Türkei war die HDP deren Regionalpolitiker gerade „gehetzjagt“ werden. Die Parlamentarier, die Geschichte ist bekannt.
@Eric Hagen
Die armenische Seite verhält sich in dieser Frage sehr realistisch, und ein ernsthafter Konflikt zwischen der Türkei und Armenien aufgrund historischer Altlasten ist ebensowenig wahrscheinlich wie einer zwischen Deutschland und Polen. Man kann der Türkei realpolitisch betrachtet also keinesfalls mangelnde Vergangenheitsbewältigung unterstellen.
@Sachlicher
“ Erdogan ist nicht gleichzusetzen mit Türkei und wird hier zumindest von niemandem mit der Türkei gleichgesetzt.“
In einer Demokratie darf man die mit deutlicher Mehrheit gewählte Regierung m.E. mit dem Willen der Mehrheit des Volkes gleichsetzen. Man würde umgekehrt ja auch nicht behaupten, dass die Bundeskanzlerin getrennt vom Willen der Deutschen zu betrachten sei, nur weil einige lautstarke radikale Populisten sich gegen die große Koalition stellen, auf der ihre Kanzlerschaft beruht.
Ich habe übrigens auch für unsere Kanzlerin gestimmt und vertraue darauf, dass populistische Gesten bzgl. des Armenierthemas nur verbergen sollen, dass sie die politischen Realitäten bzgl. der Türkei durchaus versteht und ihre Politik entsprechend ausrichtet.
@AoR
„Die USA waren auch gegen eine Anerkennung des Staates Palästina…“
Sie sagen es: Die USA stehen zu ihren Verbündeten, und die Türkei hat immer als Verbündeter der USA und Europas gehandelt.
@Sachlicher
Recep Tayyip Erdoğan ist der Präsident der Republik Türkei und repräsentiert somit den Staat. Er ist natürlich nicht DIE Türkei so wenig wie Gaug und Merkel Deutschland sind.
Doch am Ende haftet die Bevölkerung, der Staat für die Taten/ das Handeln ihrer pol Führer.
@ Hizmet | 23. Juni 2016 – 21:08/Zimdarsen | 23. Juni 2016 – 21:34
Danke für Ihre Anmerkungen und Darstellungen.
Eigentlich liefert Erdogan mit diesem Straßenköter-Verhalten (herrliche Definition, danke eric hagen) hervorragende Vorlagen, um einige alte Zöpfe abzuschneiden.
Zuerst würde mir da DİTİB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) einfallen. In den Anfangstagen der Gastarbeiterzeit war es vielleicht sogar sinnvoll, die Türkei mit der Versorgung ihrer Staatsbürger in religiösen Angelegenheiten zu beauftragen. In der inzwischen dritten Generation sollte man das vielleicht mal von der Türkei entkoppeln, um den politischen Missbrauch von Moscheen für Sultan Erdogans Interessen zu vermeiden.
Bisher haben wir aus Rücksicht auf allerlei türkische Befindlichkeiten Extrawürste und Sonderpositionen zugelassen, bei denen wir bei anderen Migrantengruppen nie auf die Idee gekommen wären (z.B. Mennoniten, die nach 20 Jahren kaum noch negativ auffallen). In vielen Fällen hat sich türkischer Regierungseinfluss als Integrationshemmnis herausgestellt.
Eigentlich liefert Erdogan gerade doch prima Vorlagen, damit sich allerlei türkischstämmige Migranten, Verbände und Moscheen von Sultan Erdogans Mittelalterdenke verabschieden können und guten Gewissens ihre Identität nicht mehr in Ankara suchen.
@Alf Igel
Es scheint ja auch manchen deutschstämmigen Männern schwerzufallen, ihre Identität in einer Gesellschaft wiederzufinden, die es kaum verkraftet, wenn ein junger Mann auf einem Tag der offenen Tür der Bundeswehr mal eine ungeladene Waffe in die Hand nimmt. Warum sollte es türkischstämmigen Männern in Deutschland dann leichter fallen, sich mit so etwas zu identifizieren? Deutschland und seine Kultur verfügen über großartige Stärken, die dazu in der Lage wären integrierend zu wirken, aber leider macht man so wenig daraus. Es werden einem preussische Tugenden versprochen, aber statt dessen bekommt man Conchita Wurst. Nein danke.