„Es ist Zeit für die Bundeswehr, wieder zu wachsen“ (Neufassung)

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Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges soll die Bundeswehr nicht weiter verkleinert werden, sondern zusätzliche Soldaten bekommen. Die Zeit des Schrumpfens sei vorbei, es ist Zeit für die Bundeswehr, wieder zu wachsen, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am (heutigen) Dienstag in Berlin. Planerisch sind für die Jahre bis 2023 insgesamt rund 14.300 neue militärische Dienstposten vorgesehen – allerdings soll ein Teil davon aus dem bestehenden Personal gewonnen werden, vor allem durch Umorganisation. Tatsächlich soll die Personalstärke der Truppe in den nächsten fünf Jahren um rund 7.000 Soldatinnen und Soldaten steigen. Und auch das nur unter der Voraussetzung, dass bis zum Jahresende die bislang angepeilte Zahl von 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten tatsächlich erreicht wird. Derzeit sind es fast 3.000 weniger.

Das Statement von der Leyens dazu:

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Im Detail liegt dem neuen Personalkonzept, von der Ministerin als Trendwende bezeichnet, eine komplexe Berechnung zu Grunde:

• Die derzeitige – theoretische – Personalstruktur der Bundeswehr beträgt 185.000 Soldaten, davon – wiederum theoretisch – 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten und 12.500 Freiwillig Wehrdienst Leistenden (FWDL). Von den FWDL haben 5.000 als so genannte FWDL fix einen zugeordneten Dienstposten, 7.500 nicht (FWDL flex). Hinzu kommen 2.500 eingeplante Reservisten. Und eine Planung von 56.000 zivilen Beschäftigten.

• Der prognostizierte Mehrbedarf aufgrund der zunehmenden Zahl von Auslandseinsätzen und der stärkeren NATO-Verpflichtungen vor allem an der Ostflanke des Bündnisses beträgt nach Angaben aus dem Ministerium 14.300 militärische Stellen und 4.400 zivile Stellen bis 2023.

• Die genannten zusätzlichen militärischen Stellen ab 2017 bis 2023 setzen voraus, dass die derzeit geltende Planungszahl für die Berufs- und Zeitsoldaten, also 170.000, bis Ende 2016 erreicht wird, die zusätzlichen Stellen kommen oben drauf.

• Aber: 5.000 militärische Dienstposten sollen aus dem Bestandspersonal gewonnen werden, also aus den Soldaten, die jetzt schon da sind. Dafür sollen 1.500 Stellen durch Binnenoptimierung erreicht werden – zum Beispiel mit Soldaten, die als ausscheidende Zeitsoldaten den ihnen zustehenden Berufsförderungsdienst nach dem Ausscheiden wahrnehmen, nicht vorher. Außerdem werden von den FWDL-flex-Stellen 3.500 auf feste Dienstposten gesetzt, also zu FWDL fix.

• 7.000 zusätzliche militärische Dienststellen werden durch neu eingestellte Soldatinnen und Soldaten besetzt – und durch bereits dienende Soldaten, die ihre Dienstzeit freiwillig verlängern. Dafür soll es die Möglichkeit geben, die so genannte besondere Altersgrenze zu überschreiten, also über das für den jeweiligen Dienstgrad übliche Pensionsalter hinaus in der Bundeswehr zu bleiben. An eine gesetzliche Änderung ist nicht gedacht, da diese Altersgrenze ohnehin per Gesetz in den kommenden Jahren weiter angehoben wird.

• Rund 2.300 der als nötig erachteten militärischen Stellen können nach derzeitiger Planung nicht besetzt werden.

Das heißt unter dem Strich: Tatsächlich wird die Bundeswehr maximal um die 7.000 militärischen Dienstposten wachsen – also nach derzeitiger Planung nicht größer werden als 192.000. Und auch das nur unter der Voraussetzung, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. (Für die zivilen Dienstposten sieht es etwas einfacher aus: Da dürften, so heißt es im Ministerium, alle benötigten 4.400 Stellen schlicht durch Neueinstellungen besetzt werden können.)

Die geplant 14.300 neuen Stellen (faktisch werden es ja wohl weniger werden) sollen unter anderem folgenden Bereichen zugute kommen:

• Dem neu aufzustellenden Bereich Cyber- und Informationsraum

• Dem Sanitätsdienst, der allein für die Sanitätsversorgung in laufenden Einsätzen 500 zusätzliche Stellen erhalten soll

• Einer verbesserten maritimen Komponente in Zusammenarbeit mit den Niederlanden – dafür soll das Seebataillon eine zusätzliche Boardingkompanie erhalten

• Zusätzliches Personal soll das Mehrbesatzungskonzept der Marine, d.h. mehrere Mannschaften für ein Schiff oder Boot, verstärken

• Die Luftwaffe bekommt Personal für einen zweiten Lufttransportstützpunkt (bislang hat sie nur die Möglichkeit, einen zu betreiben)

• Ebenfalls für die Luftwaffe werden, allerdings erst am 2021, zusätzliche Soldaten für die FlaRak-Truppe eingeplant

• Im Hinblick auf die stärkere Nutzung von Drohnen wird es zusätzliches Personal wie Piloten, Payload-Operators, aber auch Luftbildauswerter geben (der bevorstehende Einsatz in Mali hat die Lücken sehr augenfällig gemacht)

• Das Heer bekommt eine zusätzliche Pionierbrückenkompanie

• Die Spezialkräfte von Heer und Marine werden verstärkt, unter anderem erhält das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw rund 160 zusätzliche Unterstützungskräfte, die eine Verbesserung der Autarkie bei Einsätzen erreichen sollen – zum Beispiel Koordination für Feuerunterstützung und Close Air Support und Kommunikation. (Bei den Kommandosoldaten des KSK, über Jahre immer ein Besetzungsproblem, sind die Kompanien derzeit zu 85 Prozent besetzt, was aber weniger an Interessenten als an den Auswahlkriterien liegt.)

Insgesamt sollen die zusätzlichen Stellen allen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen zugute kommen; da wird man die Details noch abwarten müssen.

Mit dem atmenden Personalkörper, den die Ministerin ankündigte, soll künftig auch die bislang fixe Personalobergrenze der Vergangenheit angehören: Ein Personalboard, analog zum bereits bestehenden Rüstungsboard, soll ab 2017 jährlich einen Personalbedarf für die nächsten fünf Jahre festlegen. Ob und wie viel davon dann genehmigt wird, ist vor allem eine Frage des Haushalts – also des Finanzministers und dann des Bundestages.

Allerdings, so heißt es aus dem Ministerium, seien die zusätzlichen Kosten vorerst überschaubar: Für 2017, also das erste Jahr der Personalplanung neuer Art, gehen die Ministerialen von 90 Millionen Euro Mehrkosten aus. Selbst 2020 würden die jetzt absehbaren zusätzlichen Personalkosten nur drei Prozent der gesamten Personalkosten ausmachen.

Da ist, bislang, aber noch nicht die schon absehbare Besoldungssteigerung drin. Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst, vor kurzem ausgehandelt, wird für die Bundeswehr Mehrkosten von 288 Millionen Euro in diesem Jahr bedeuten – die allerdings 2016 im – gesonderten – Einzelplan 60 enthalten sind und nicht aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden müssen. Im kommenden Jahr sieht das anderes aus: Gut 670 Millionen Euro kostet die Besoldungserhöhung, und die kommt dann voll aus dem Verteidigungsetat.

Nachtrag: Die Planungen, wo neues Personal eingesetzt werden soll, hat der Deutsche Bundeswehrverband in einer übersichtlichen Grafik veröffentlicht. Da steht keine Quellenangabe dabei; ich würde mal vermuten, dass das keine Eigenarbeit des Verbandes war…

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(Klick macht größer; danke für den Leserhinweis.)