Verteidigungsministerin erklärt Flüchtlingshilfe zur Daueraufgabe der Bundeswehr

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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat die Flüchtlingshilfe zu einer Daueraufgabe der Bundeswehr erklärt. Zur Unterstützung anderer Behörden im Inland sind nach Angaben ihres Ministeriums derzeit rund 6.000 Soldaten eingesetzt, mehr als doppelt so viele wie derzeit in Auslandseinsätzen unterwegs sind. Die Truppe soll sich auch mit angepassten Strukturen und Entscheidungswegen darauf einstellen: Die Flüchtlingshilfe wird zu einer wichtigen zusätzlichen Aufgabe für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, erklärte die Ministerin.

Die Pläne hatte von der Leyen zuvor schon in Medien angekündigt. Zur Dokumentation aus  der  Mitteilung des Wehrressorts dazu vom (heutigen) Mittwoch:

Bundeswehr baut Flüchtlingshilfe aus

Ministerium stellt Weichen für dauerhafte Entlastung lokaler und ehrenamtlicher Strukturen

Konzept „Helfende Hände“ wird für Dauereinsatz weiterentwickelt

Das Bundesministerium der Verteidigung hat per Weisung an die Truppe angeordnet, die Strukturen der Flüchtlingsunterstützung künftig so auszurichten, dass insbesondere bei Daueraufgaben (z.B. Unterstützung bei Betrieb von Unterkünften, Wartezentren, Drehkreuzen, Versorgung und Registrierung von Flüchtlingen) die Hilfe für die stark belasteten ehrenamtlichen und lokalen Kräfte durch Personal der Bundeswehr für diese planbarer und verlässlicher wird.

Derzeit werden Soldatinnen und Soldaten in bundesweit 83 Dauerprojekten eingesetzt. Bisher sah das Konzept vor, dass Kräfte in der Regel auf Antrag kurzfristig zugewiesen werden. Nun ist die langfristige Verpflichtung von Bundeswehrpersonal zur Unterstützung lokaler und ehrenamtlicher Strukturen möglich.

Bereits jetzt sind bundesweit mehr als 6.000 Angehörige der Bundeswehr, zum Teil im Schichtbetrieb, durchgängig in der Flüchtlingshilfe gebunden. Zum Vergleich: In sämtlichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr befinden sich aktuell 2.900 Soldatinnen und Soldaten.
Dazu kommen täglich mehrere Hundert „Helfende Hände“, die weiterhin sieben Tage die Woche rund um die Uhr für zeitlich begrenzte Projekte auf Abruf stehen und in allen 16 Bundesländern mit anpacken (z.B. Aufbaukommandos, Unterstützung bei der Verteilung von Gütern, Transport von Menschen und Material).

Professionalisierung von Führungspersonal für die Flüchtlingshilfe

Um etwa das zum Teil seit Wochen im Dauereinsatz befindliche Leitungspersonal der lokalen Hilfsorganisationen zu entlasten, bereitet die Bundeswehr nun gezielt eigene Führungskräfte auf den Einsatz in der Flüchtlingshilfe vor. Ab Mitte November bietet das Zentrum Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz wöchentlich zwei auf die Flüchtlingshilfe zugeschnittene Lehrgänge für Führungspersonal der Streitkräfte an. So können pro Woche bis zu 40 Lehrgangsteilnehmer vom Feldwebel bis zum Stabsoffizier für Amtshilfe-Einsätze der Bundeswehr ausgebildet werden. Der neue Lehrplan reicht von rechtlichen Grundlagen der Flüchtlingshilfe über die Vermittlung interkultureller Kompetenzen sowie der Zusammenarbeit mit zivilen Organisationen, wie THW und dem Rotem Kreuz, Landes- und Kommunalbehörden bis zum Umgang mit eigenen Belastungen. Damit können bis Jahresende bis zu 200 Bundeswehrführungskräfte das notwendige „Rüstzeug“ erhalten, um stark gefordertes lokales wie ehrenamtliches Leitungspersonal dauerhaft professionell zu unterstützen.

Prüfung von Haus-in-Haus Modell für mehr Privatsphäre in winterfesten Hallen

Die Bundeswehr arbeitet eng mit dem UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) zusammen. Der UNHCR hat 1.500 sogenannte „Refugee Housing Units“ (RHU) angeboten. Hierbei handelt es sich um kleine Modulbauhäuser für etwa 5 Personen, die ursprünglich für den Einsatz in warmen Klimazonen konstruiert wurden. In geschlossenen Räumen (z.B. Hangars, Sport- und Industriehallen) als Haus-in- Haus-Lösung aufgestellt, können sie Flüchtlingen, besonders Familien, Frauen und Kindern, ein höheres Maß an Privatsphäre bieten, als das bisher in vielen größeren Hallenunterkünften der Fall ist. Derzeit wird in dem von der Bundeswehr betriebenen Wartezentrum im bayerischen Erding geprüft, ob die Modulbauhäuser für den geplanten Zweck geeignet sind und ob sie den rechtlichen Anforderungen (z.B. Brandschutz) entsprechen.

Falls mir die Weisung mal so komplett zufliegen sollte… vielleicht noch mehr Details.

Nachtrag 5. Oktober: Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, fordert mehr Personal für die Truppe, wenn Sie als strategische Reserve im Inland eingesetzt werde:

„Einmal mehr holt die Truppe die Kastanien aus dem Feuer: Nach dem Ebola-Einsatz und der Seenotrettung im Mittelmeer ist die Flüchtlingshilfe die nächste Tätigkeit außerhalb unseres originären Aufgabengebietes. Wie üblich packen die Soldaten und die zivilen Beschäftigten mit Herz und Leidenschaft an. Aber wenn wir derzeit als eine Art ,strategische Reserve der Kanzlerin’ im Inland eingesetzt werden, erwarten wir auch, dass die entsprechenden organisatorischen Folgerungen für die Bundeswehr gezogen werden.“
Die Verteidigungsministerin sei schließlich nicht nur Vorstandsmitglied der CDU, sagte Wüstner, sie sei auch die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt: „Damit hat sie eine ganz besondere Verantwortung. Wir müssen verlangen, dass sie eine rote Linie definiert: Die Unterstützungsleistungen müssen dort enden, wo sie Ausbildung und Übung für die leider zunehmenden Einsätze gefährden! Dabei weisen wir energisch darauf hin, dass in einer Einsatzarmee beinahe jeder Ausbildungs- und Übungsabschnitt als ständige Einsatzvorbereitung auf den Einsatz ausgerichtet ist. Leider kommt es schon jetzt zu Abstrichen in der Ausbildung – und das, obwohl die Einsatzverpflichtungen zunehmen.“
Konkret fordert der BundeswehrVerband die Einleitung der personellen Aufstockung der Bundeswehr und der sofortigen Ersatzbeschaffung von für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellter Ausstattung. Wüstner: „Bei allem Verständnis: Es reicht nicht, einfach ein Kontingentsystem für die Amtshilfe zu schaffen. Auch für diesen sicherlich länger andauernden Einsatz brauchen wir mehr Personal und Material. Es ist schizophren, wenn wir einerseits den Feldlageraufbau im gefährlichen Irak an zivile Firmen vergeben müssen, und andererseits als eine Art ,THW in Flecktarn’ im Inland mit Pionieren Amtshilfe beim Aufbau und Betrieb von Flüchtlingseinrichtungen leisten. Wir benötigen die Möglichkeit, die Personalstärke zu erhöhen, wenn wir angesichts der neuen Aufgaben bestehen wollen, die sich aus den weltweiten Krisen und Konflikten ergeben. Notwendig ist auch, ausscheidenden Zeitsoldaten den schnelleren Übergang in den öffentlichen Dienst zu ermöglichen und so beispielsweise den enormen Personalbedarf von BAMF, Polizei oder anderen zu decken.“
Insgesamt, so Wüstner, sei zu allererst unverändert die Politik gefordert: „Wir brauchen ein Konzept für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in Deutschland. Dazu ist zunächst dringend ein Lagebild notwendig. Der Flüchtlingsstrom muss geordnet und gesteuert werden. Die einzelnen Handlungsfelder wie beispielsweise Arbeitsmarkt, Bildung, Sicherheit oder Wohnraum müssen in ihren gegenseitigen Abhängigkeiten beschrieben, Ziele und Finanzierung auf der Zeitachse definiert werden. Wer in diesem Zusammenhang von ,Haftanstalten’ oder ,Internierungslagern’ polemisiert, der verkennt die Erwartungen unserer Bevölkerung an eine ernsthafte Debatte.“
Der Umgang mit dieser Krise und vor allem den Ursachen müsse zwingend ebenso Thema auf den kommenden Parteitagen sein wie die Definition nationaler Interessen und Ziele deutscher Sicherheitspolitik für den laufenden Weißbuchprozess. Wüstner: „Die Politik als Ganzes ist gefordert, wenn es um die Beschreibung von Auftrag, Aufgaben und Rahmen für die künftige Bundeswehr als eines von vielen Instrumenten deutscher Sicherheitspolitik geht. Dabei darf auch die nationale Krisen- und Risikovorsorge nicht weiter sträflichst vernachlässigt werden.“

(Hinweis: Hier weiterhin eingeschränkter Betrieb.)

(Archivbild 1. Oktober: von der Leyen in der Erstaufnahmestelle in Neubrandenburg – Bundeswehr/photothek/Thomas Trutschel)