Gefechte um Kundus gehen in den dritten Tag
Die Gefechte um die nordafghanische Provinzhauptstadt Kundus gingen am (heutigen) Mittwoch in den dritten Tag, und es zeichnet sich eines ab: Die vergleichsweise kleine Zahl von Taliban – sie wird von westlichen Militärs auf rund 500 geschätzt – hat die Stadt offensichtlich nicht nur kurzfristig unter Kontrolle bringen können. Die afghanischen Sicherheitskräfte waren bislang, trotz Luftunterstützung durch die USA, nicht in der Lage, die Aufständischen aus der Stadt hinauszudrängen. Nach den – etwas unübersichtlichen – Berichten wurden zudem Verstärkungen der Regierungstruppen auf dem Marsch nach Kundus zumindest vorübergehend gestoppt.
Als eine Momentaufnahme aus der Übersicht von Reuters am Morgen:
Around 5,000 Afghan troops massed at Kunduz airport early on Wednesday after fighting there raged late into the night, an Afghan security official said, and Taliban fighters were driven back with the help a second U.S. air strike.
However, the morale of Afghan troops was flagging after two days of continuous fighting there, a district official said.„We still have enough forces to take on the Taliban but sadly there is no will or resolve to fight,“ said Mohammad Zahir Niazi, chief of Chardara, a district in Kunduz.
Laut AFP sind Spezialkräfte verschiedener NATO-Länder in Kundus eingetroffen. (Allerdings ist nicht so ganz klar, ob damit möglicherweise ein 40 Mann starkes Beratungsteam der Mission Resolute Support gemeint ist, darunter elf Deutsche, die sich am Dienstag auf dem Flughafen mit afghanischen Sicherheitskräften zu einem Abstimmungsgespräch getroffen hatten, am gleichen Tag aber auch wieder ausflogen):
NATO special forces have reached Kunduz to bolster Afghan troops after the Taliban seized the strategic northern city, the military coalition said Wednesday.
„Coalition special forces are on the ground in Kunduz advising their Afghan counterparts,“ a NATO spokesman said.
The forces are comprised of US, British and German troops, a Western military source told AFP on condition of anonymity, without specifying the number.
(Nachtrag dazu: Der Pressestelle des Einsatzführungskommandos war am Mittwochmorgen nichts von deutschen Soldaten in Kundus bekannt.)
Derweil geht in Deutschland die Debatte über Schlussfolgerungen aus der erfolgreichen Taliban-Aktion weiter. Während in der Politik eine Verlängerung der internationalen Präsenz in Afghanistan diskutiert wird, geht der ehemalige Befehlshaber des NATO Joint Forces Command Brunssum, der deutsche General a.D. Egon Ramms, einen Schritt weiter – und fordert mehr Engagement der internationalen Truppen über die reine Beratung hinaus:
[Die Bundeswehrsoldaten] sollten zumindest mit den afghanischen Truppenteilen raus aus den Lagern gehen und eine entsprechende Unterstützung sicherstellen, beispielsweise im Bereich Artillerie-Unterstützung, beispielsweise im Bereich, wie jetzt die Amerikaner das machen in Kundus, mit Luftunterstützung.
sagte Ramms im Deutschlandfunk.
Nachtrag: Es scheint nicht gut auszusehen für die afghanischen Sicherheitskräfte, wie das Wall Street Journal berichtet:
The Taliban seized control of one of the Afghan government’s remaining strongholds in the northern city of Kunduz, an Afghan security official said Wednesday, after 60 soldiers surrendered to the militants.
The strategic Bala Hisar hill overlooks the city and is one of two positions that had remained in the hands of the Afghan military following the group’s offensive on Kunduz on Monday.
Afghan officials said they expect the Taliban to capture the second position, the city’s airport, with troops preparing for a likely evacuation.
Weiter nach Entwicklung.
Was machen eigentlich die übrigen Nationen? GB, FRA, NLD hatten mWn auch größere Kontingente vor Ort, selbst Korea ist in AFG vertreten. Schauen die alle nur zu oder läuft bei denen auch eine Debatte wie bei uns?
Ein Freikämpfen von Kundus auch unter Beteiligung von NATO SF macht doch nur Sinn, wenn die Zentralregierung in Kabul anschließend die ANP/ANA-Staionierung in der Stadt/Region massiv erhöht. Das hat der gegenwärtige Gouv schon vor fast einem Jahr gefordert (er wollte eine Brigade und bekam gerade mal ein Btl.). Solange also Kabul nicht die internen pissing-contets sein läßt (Innenminister vs VtgMinister)und ganz klar und eindeutig sich in Nordafghansitan „committed“ halte ich solche Diskussionen (Verlängerung/Aufstockung der NATO Operation) für völligen Blödsinn. Solange Kabul nicht wirklich mitspielt in Sachen Stabilisierung Nordafghanistan/Resolute Support sollte man den Ball ganz flach halten….denn sonst entsteht wieder eine never-ending-story wie im Kosovo oder bei UNIFIL: die second-tier-lead-nations müssen endlos Geld und Personal nachschieben, weil die de-/zentralen „Eliten“ immer wieder an der De-Stabilisierungsschraube drehen, gut beraten durch DIE lead-nation, deren Commander natürlich gerne Obama eine Nase drehen würde, denn nur eternal war abroad sichert den eternal profit für die Streitkräfte.
Der Hinweis von Gen a.D. Ramms ist natürlich wohlfeil, das wäre ja „assist“ i.e.S ..
Genau das wollte man ja international und national nicht – da sehr gefährlich.
Das wenig überraschende Ergebnis hat man jetzt.
Spezialkräfte der NATO aus den USA, GB und DEU sind zur Beratung vor Ort.
@Zimdarsen
Andere Quelle als oben verlinkte AFP-Meldung? Das ist nämlich bislang die einzige.
Ramms Ratschläge sind nicht mal wohlfeil, er weiss sehr wohl, dass diese ART Kräfte nicht mehr da sind. Zumindest keine, die den MN Beratern verfügbar wären.
Und ANSF sind ja auch nicht mit LW oder KpfH ausgestattet – das braucht eine COIN Armee nicht, hat 2013 ein US General zu einem AFG General gesagt … die Antwort war eine Frage: „Warum habt ihr es dann dabei?“
ANSF ist als INF Armee gar nicht so schlecht ausgestattet – aber eben nur INF. Nur wird neues Gerät bis zum Zusammenbrechen genutzt, Wartung findet nur begrenzt statt und was sich zu Geld machen lässt, wird verschachert. Dazu kommt, dass die ganzen Ausbildungen in Mörserei und Bedienung ART Geschütze nahezu jedes Jahr als quasi neue Idee der neuen Kontingente neu erfunden wurde – aber bei ANSF nie umgesetzt wurde, zumindest nicht effektiv.
Weiterhin wird, zumindest im Norden, das 209 Corps von den verschiedenen Potentaten in Kabul mal nach Osten (Faryab) mal nach Westen (Warduj) geschickt, um sich für seine Interessen am jeweils anderen Ende den Rücken frei zu halten. Und alles das, hat nichts mit Taliban zu tun … die Nutzen die AFG Methoden für sich nur maximal aus.
Die ganzen Schlauschwätzer in ihren bequemen Sesseln vor dem PC, die hier eine massive Rückkehr nach Kundus vorschlagen um zu zeigen, wo der Bartel den Most herholt waren sicher noch nie im Einsatz – und auch nie in Kunduz.
Das würde nur zu weiteren Verlusten ohne Nachhaltigkeit führen. Der Blick zurück und das Gelaber von „der Verlust soll nicht umsonst sein“ ging mir in allen drei Einsätzen dort auf den S… enkel. Die Russen haben uns diesen Ausgang schon 2002 prognostiziert. Mal in Dokumenten der RUS (damals Sowjetunion) Regierung nachlesen, was zum Ende deren AFG Krieg diskutiert wurde. Datum ändern – und es trifft auch auf uns zu.
Ich weiß nicht ob das hier schon mal erwähnt wurde, aber die SZ zitiert in ihrer heutigen Print-Ausgabe Insider damit, dass angeblich die aufgrund des Opferfestes stark reduzierte Anzahl an Sicherheitskräften (die hatten offenbar alle Urlaub…) den Überraschungsangriff der Taliban erst möglich gemacht habe.
@T.W.
auch zu finden unter:
Zeit online, die Welt, ntv uem
Ein Sprecher von Resolute Support bestätigt internationale Unterstützung:
https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/us-troops-dispatched-to-kunduz-to-help-afghan-forces/2015/09/30/ea7768f2-66e5-11e5-9223-70cb36460919_story.html
Diese umfasst angeblich die Commando Kandaks und konventionelle Kräfte.
Wenn man den Aussagen des EinsFüKdo folgt, dann sind wir wohl nicht beteiligt oder man weiß es in Potsdam nicht.
Es macht kaum Sinn eine Provinzhauptstadt für den Moment zu retten wenn die Hauptprobleme, d.h. komplett fehlgeschlagenes Nationbuilding, inkompetente, unmotivierte und dabei noch nichteinmal besonders zahlreiche Sicherheitskräfte sowie ein geradezu lächerlich hohes Maß an Korruption in Regierung und Militär/ Polizei nicht ebenfalls angegangen werden (wobei ich stark bezweifel, daß hier überhaupt noch Möglichkeiten bestehen). Kundus mag vlt. mit ausländischer Hilfe zurückerobert werden, aber sobald die NATO Truppen wieder weg sind, geht der ganze Spaß von vorn los.
De niederländische Verteidigungsministerin hat im Parlament die Anwesenheit niederländischer Spezialkrfte in Kunduz bestätigt:
http://www.volkskrant.nl/buitenland/-ruim-tachtig-doden-bij-strijd-om-kunduz~a4153123/
Bei uns liegen wohl Worte (nicht wegschauen!) und Taten (keine Deutschen in Kunduz) besonders weit auseinander.
Zusammengefasst ist dass dann wohl alles andere als eine „symbolische“ oder gar hastige Aktion der INS:
Angriffsbeginn während des Opferfestes (Tet lässt grüßen…), fast schon handstreichartige Einnahme der Stadt und Teile des Flugplatzes, danach koordinierte (Hinterhalt) und/oder vorbereitete (IED) Aktionen gegen den geplanten Gegenangriff – wohlwissentlich dass die Regierungstruppen nach anhaltendem Kampf wenig bis keine Moral (mehr) haben werden.
Daher sehe ich es ebenfalls etwas ketzerisch: Selbst wenn man KDZ wieder freikämpfen würde, wem nützt es? 1. dürfte das Vertrauen in den Westen angesichts von fast 24 Stunden ohne nennenswerte Hilfe nachhaltig erschüttert sein, was auch die Anwesenheit von SpezKr „zur Beratung“ nicht mehr kitten wird; 2. musste man Kräfte aus anderen Regionen abziehen, die jetzt ihrerseits gefährdet sind bzw. was Nachbarregionen wie Sar-e Pol etc. gefährdet. Und 3. bleibt die Tatsache, dass man gegen einen Feind kämpft, der zur Not nach Norden oder Osten ausweichen wird, wie er es schon immer getan hat.
@diba hat das Szenar schon gut umschrieben. Die Bundesregierung hätte mit einem schnellen Eingreifen in KDZ wenigstens noch das Gesicht im offensichtlich längst beschlossenen Auslaufen des AFG-Einsatzes wahren können, hat diese „Chance“ trotz lead nation-Status aber kläglich verpatzt. Da die tatsächliche Motivation, den Afghanen zu helfen, trotz diverser Zusagen daher offensichtlich bei nahezu Null liegt, bliebe konsequenterweise nur der zügige Abzug, bevor man sprichwörtlich unter Feuer auf die letzte Trall springen muss, um noch aus Mazar-e-Sharif herauszukommen. Ich habe das Gefühl, dass historische Beispiel wie Khe Sanh oder auch die berühmten Bilder aus Saigon unseren Politikern abhanden gekommen sind…
Entweder man bereinigt die Lage in KDZ bis zum Winter oder wir werden im Winter beginnen müssen aus MeS abzuziehen. Sollte nämlich KDZ in der Hand des Gegners (wer auch immer das ist) bleiben, dann wird nach der üblichen Winterpause im April/Mai 2016 MeS dran sein.
Option:
a) Mini-surge
oder
b) Frontverkürzung nach Hause
Jeder nur 1 Kreuz.
Wobei „Jeder nur ein Kreuz“ schon recht zynisch klingt…
Nachtrag: Falls jemand mein Khe-Sanh-Beispiel nicht zur Hand haben sollte, hier ein Bild der Operation Charlie vom 01. Juli 1968:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/bf/The_final_evacuation_of_Khe_Sanh_base_complex%2C_July_1st_1968.png
Was dieses Bild in Farbe im Jahre 2016 und im Anbetracht der Gefahr durch IS bewirken würde, mag sich jeder selber ausmalen…
a) oder b)
1 Kreuz.
Die Wahrheit ist hässlich.
@Zimdarsen
Alle genannten Berichte über deutsche Spezialkräfte in Kundus gehen auf diese eine AFP-Meldung zurück; eine zweite Quelle gibt es eben – bislang – nicht.
Der Druck bleibt an vielen Stellen groß – auch am ehem. OP North:
https://twitter.com/gebauerspon/status/649151893982347264
Die Initiative liegt offenbar weiterhin nicht bei den ANDSF.
@ CRM-Moderator
Keine Angst, ich bin da auf Ihrer Seite. Allerdings wird die Wahrheit heuer allzu oft ausgeblendet, weil unbequem o. Ä. …
@T.W.
War mir so nicht ersichtlich und man erkennt mal wieder die Qualität ihrer Arbeit.
@Voodoo und @CRM-M….und natürlich @diba
Ich sage nur: Falludscha. Die Stadt hatte Einwohnerzahlen wie Kunduz: ca. 300.000.
Die US&Co haben bei der Operation Phantom Fury zwischen 10.000 und 15.000 US/UK Soldaten plus ca 2000 irakische eingesetzt. inkl. Art. CAS und AC/DC-Beschallung.
Fazit:
„Die Operation Phantom Fury zerstörte fast die ganze Stadt Falludscha. 65 % der Häuser wurden zerbombt und der verbliebene Wohnraum stark beschädigt. Die Hälfte der 120 Moscheen der Stadt wurde durch die Offensive zerstört oder beschädigt. Von den 350.000 Menschen, die vor der Offensive in der Stadt lebten, waren 25.000–30.000 in der Stadt geblieben oder kurz nach den Kämpfen zurückgekehrt. Zurückkehrende Bürger mussten sich die Fingerabdrücke abnehmen und die Iris scannen lassen, womit Personalausweise erstellt wurden[4]. Die Versorgung der Stadtbevölkerung mit Strom, Benzin und Trinkwasser war schlechter als vor dem Einmarsch. Das General Hospital als einzig verbliebenes Krankenhaus konnte die medizinische Versorgung nicht abdecken. Der überwiegende Teil der Einwohner lebte in einem Flüchtlingscamp außerhalb der Stadt.“ Quelle: Wiki
Ich denke mal, diese Form von „Mini-Surge“ sollte man in Kundus nicht wiederholen.
Ergo: mein Kreuz ist bei „Frontverkürzung nach Hause“.
@CRM-Moderator
Mache mein Kreuz erst nach Nennung der SiPo-Verballhornung zur jeweiligen Logik. Wäre gleichzeitig Sprechvorlage für die arme S … von Sprecher in BPK.
Meines ist bei b)… Und ich denke da übertragen an das, was Bismarck dereinst wohl über den Balkan sagte.
Dann sind wir uns wohl alle einig.
:o)
@KPK:
Da fällt einem leider nur von Clausewitz ein:
„Nichts ist schwerer, als der Rückzug aus einer unhaltbaren Position.“
a) sowohl bei realistischer wie bei zynischer Betrachtung!
DLF meldet das die NATO Kräfte in der Nacht am Flughafen in Kämpfe verwickelt waren. Deswegen auch der CAS. Wie gewohnt keine Nennung von einzelnen Nationen.
Nehmen wir mal an, dass das tatsächlich ein Überraschungsangriff war, den man überhaupt nicht hat kommen sehen. Dann ist Tag drei eigentlich der Tag, an dem man als Regierung seine Kräfte mobilisiert vor Ort hat und mit Operationen beginnen kann. Scheint irgendwie nicht der Fall zu sein.
Woran liegt das bloß?
Wenn Aufständische drei Tage nach Alarmierung der Regierungstruppen immer noch offensiv agieren können, deutet das auf eine strukturelle Schwäche der Regierungstruppen hin. An fehlender Ausrüstung kann es eigentlich nicht liegen, also stimmt was in den Köpfen nicht. Würde ich in Masar-e Scharif sitzen, würde ich mir sorgen machen.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/taliban-in-kunduz-das-ist-keine-guerilla-truppe-mehr-a-1055427.html
Da muß man nicht mehr viel dazu sagen. Es wird Zeit die Koffer zu packen.
@klabautermann | 30. September 2015 – 13:48
Ja, der Beitrag auf Spiegel online ist sehr erhellend. Sollte diese Beschreibung richtig sein, zeigt er, was Afghanistan droht, sollten die Taliban weiterhin Erfolg haben. Und die Taliban sind nur die Vorhut. Dahinter kommen noch ganz andere Gruppierungen.
Als internationale Staatengemeinschaft jetzt die Segel zu streichen ist natürlich ein sehr mutiger und entschlossener Ansatz. Die Botschaft nicht nur an das afghanische Volk wäre dann klar: Viele große Worte, aber wenn es richtig eng wird, geben wir Fersengeld.
@ Patrick Horstmann
Dürften wir denn überhaupt noch tätig werden? Selbst die Amerikaner achten peinlich genau darauf, selbst CAS als Schutz ihrer eigenen Soldaten zu deklarieren.
Die ISAF-Nationen wurden von der gewählten Regierung Afghanistans rausgeworfen. Selbst für Resolute Support musste man ganz viel Bitte Bitte machen.
Es ist Aufgabe der afghanischen Regierung, ihre Sicherheitsprobleme zu lösen. Sollte diese Regierung ganz laut um Hilfe rufen, sich für ihre Unverschämtheiten der Vergangenheit entschuldigen und umfängliche Handlungsfreiheiten internationaler Truppen zusichern, könnte man ja drüber nachdenken. Aber so?
Warum das Blut unserer Soldaten riskieren, wenn die Menschen, für deren Freiheit wir kämpfen würden, uns nur verachten?
Meine Bereitschaft, Schutzgeld ans Regierungsumfeld zahlen zu müssen, um für die Freiheit von Menschen zu kämpfen, die uns ablehnen, hält sich sehr in Grenzen. Es ist schon Zumutung genug, auch das Recht und Freiheit von Deutschen zu verteidigen, die das mit „Soldaten sind Mörder“-Schildern danken. Da muss man nicht noch sei Leben in der Fremde für Menschen riskieren, die uns nicht wollen.
@Patrick Horstmann:
Es ist nicht unser Land.
Wir haben viel versucht.
Hat jemals ein Land
-so lange
-von so vielen Ländern
-so viel materielle und immaterielle Unterstützung
bekommen?
Die Botschaft an das afghanische Volk wäre: Wir haben sehr lange versucht Euch zu helfen. Aber wir können es nicht ohne Euch. Jetzt müsst ihr es alleine versuchen.
Und JA! DAS wäre ein mutiger Ansatz.
Feige ist es, sich die Realitäten nicht einzugestehen.
Es gibt auch andere Ländere auf der Welt, denen geholfen werden muss.
@ASDF
Gut auf den Punkt gebracht.
@Patrick Horstmann
Gibt es denn das: „das afghanische Volk“ ?? Das ist doch die unglaubliche Fehleinschätzung auf der diese US-amerikanischen „nation building“ Konzepte aufbauen. Es gibt kein afghanisches Volk und somit auch keine afghanische Nation. Ich empfehle nochmals eine Lektüre dieser Studie:
http://www.strategicstudiesinstitute.army.mil/pdffiles/PUB1269.pdf
Es ist an der Zeit, dass diese bislang „Strategic Lesson Unlearned“ zumindest als Lesson Identified von der Politik anerkannt wird…….und mit den Konsequenzen dieses double-fuck-up (falscher Ansatz und falsche Umsetzung) muß die Politik dann eben umgehen: Flüchtlinge. Und dann sollten wir den Volkern der Erde ehrlich sagen: Sorry, die „uneingeschränkte Solidarität“ galt den USA ( und damit uns selbst), euch Afghanen, Syriern, Libyern etc. galt die eigentlich nie, aber wir tragen die Konsequenzen unseres „Irrtums“. Es sei denn, man will zum zweiten Mal „Fersengeld“ geben und sich hinter der Zugbrücke der Festung Europa verschanzen……das Dumme ist bloß, dass Europa keinen sehr breiten Festungsgraben um sich hat und auch keine Festungsmauern und auch keine Zugbrücken……
@klabautermann: Die Zugbrücke wäre schon vorhanden. Nur ist es dann unklug, einen Fährdienst einzurichten/ zu dulden. Das wäre jedoch eine ganz andere Diskussion, von der ich fürchte, daß sie gerade erst beginnt.
Mein Kreuz ist beim nach Hause gehen.
Ich glaube nicht, dass man das, aufs Beispiel reduziert, als „Fersengeld geben“ abtun kann; die Herausforderungen sind größer. Die zurückliegenden Irrtümer auch.
Sehr guter thread übrigens, ich danke allen.
@ASDF: Stimmt. Mein Kreuz also bei b)
Amerikanische Veteranen nennen die Art Forderungen, wie sie gerade in Berlin erhoben werden, schlicht und ergreifend CRS-Syndrom.
Can’t remember shit.
Der Fatalismus der hier vorwiegend herrscht, erschreckt mich ein wenig. Es gibt nicht ein entweder oder: Entweder es läuft so, wie die internationale Staatengemeinschaft es sich vorstellt oder wir gehen eben raus und üben auf dem Truppenübungsplatz weiter die Panzerkompanie im Angriff und überprüfen nachher den Schuhputz.
Ich bin ganz der Ansicht von @ASDF, es war wohl der falsche Ansatz mit Geldkoffern in der Hand die korrupten Strukturen in Afghanistan zu befördern. Und ja @Klabautermann, die SSI-Studie auf die sie hinweisen zeigt, was falsch gemacht wurde. Aber man könnte ja versuchen es besser zu machen.
Wenn das in der Nordafghanistan schief geht, werden wir nicht nur einen Talibanstaat erleben, sondern einen weitere Operationsbasis für IS. Dann werden wir uns in nicht ganz ferner Zeit die Augen reiben. Die im Entstehen befindliche afghanische Mittelschicht, die Afghanen – egal welcher Ethnie – auf eine Entwicklung ihres Landes gesetz haben, sind entweder mit einer Kugel im Kopf geendet oder befinden sich als Flüchtlinge in Europa. Dann können wir uns wahlweise darüber aufregen, dass sie unsere Sporthallen belegen und das nächste Badmintonturnier ausfällt oder wir können die die alte Kinderkleidung vom Dachboden holen, zwei Tafeln Schokolade drauflegen und aktive Flüchtlingshilfe leisten.
(Bitte die Polemik am Ende nachzusehen.)
Und noch eine Bemerkung zu dem SpOn Artikel der oben verlinkt war:
– dieser hier http://www.spiegel.de/politik/ausland/taliban-in-kunduz-das-ist-keine-guerilla-truppe-mehr-a-1055427.html –
Da lässt sich schon noch einiges zu sagen. Dass die Taliban plötzlich zu einer „Armee“ morphen ist weniger überraschend, als es vielleicht scheinen mag, etwa. Vielmehr gehören derlei „Phasenübergänge“ zu jeder Aufstandsbewegung seit Mao hinzu (zit. nach TX Hammes‘ „Sling and Stone“).
Dort steht auch, dass diese Phase typischerweise nahe dem erfolgreichen Ende einer Kampagne angenommen wird – einerseits um die Verwaltung übernehmen zu können, andererseits, weil das wegschmelzen unter gegnerischem Druck schwieriger wird.
https://de.wikipedia.org/wiki/Guerilla#Typische_Eskalationsstadien
@klabautermann | 30. September 2015 – 14:51
Ohne jetzt zu sehr OT in diesem Thread werden zu wollen und in dem Bewußtsein, dass Beispiele immer hinken: Es gibt auch (halbwegs) geglückte Beispiel, Bosnien-Herzegowina wäre da zu nennen. Drei Ethnien, drei unterschiedliche Religionen, ein langer militärischer Einsatz, viel Diplomatie, viel westliche Hilfe (ich habe selbst ein Rückführungsprojekt für bosnische Flüchlinge kennen gelernt) – aber es hat im Grundsatz funktioniert. Läuft nicht alles rund dort, aber es sterben keine Menschen im Krieg mehr.
Inzwischen gibt es einen ersten Hinweis, das nach Kundus auch Pul-i-Khumri, die Provinzhauptstadt der Nachbarprovinz Baghlan, im Fokus der Aufständischen ist:
Lieber Herr Horstmann,
wo waren Sie die letzten fünf Jahre?! Die von Ihnen eingeforderten Maßnahmen würden nicht weniger als massive Bodenoperationen inkl. Luftunterstützung, kurzum also eine große Anzahl westlicher Soldaten erfordern. Nicht nur, dass diese westliche Truppenpräsenz von Kabul kaum mehr akzeptiert werden würde, auch in den USA, UK und vor allem in DEU würde ein erneuter Kurswechsel (bzw. erneute Zinksärge) die Wähler auf die Straße treiben. In DEU würde das Parlament ohnehin kaum einer großen Offensive nebst anschließender Präsenz in der Tiefe des Raumes zustimmen, ganz zu schweigen von dem, was bei uns bei wöchentlich in der Presse abgebildeten Zinksärgen passieren würde!
Was Sie hier lesen können, ist eben kein Fatalismus, sondern eine realistische Lagebeurteilung: Die Chance, den Norden AFG zu befrieden / zu ändern, hat man bereits vor 2009 verbockt, als man sich gem. Befehl in KDZ im Feldlager eingeschlossen hat (Hallo, Herr Jung – Sie erinnern sich sicher?!) – jetzt kann man dort nur noch zusammenfegen und abfliegen, denn die (dt.) Politik hat AFG ohnehin abschrieben; zumal kein Berufspolitiker freiwillig o.a. Szenario herbeiführen wird, welches die Wiederwahl kosten könnte.
Ihr Balkan-Beispiel hinkt so gewaltig, dass wir das am Besten gleich wieder vergessen – (süd-)europäische Mentalität und Konfliktbewältigung können Sie einfach nicht mit dem vergleichen, was in AFG an der Tagesordnung ist. Das wage ich zu behaupten, weil ich beide Einsatzgebiete kennenlernen durfte.
Ein sehr schönes Fundstück eines Kollegen aus Afghanistan:
Erschienen am 14. August 1988. (Sorry für den Typo 1998!)
*Hust* 1988 *hust* ;-)
@ Patrick Horstmann
Ganz nebenbei: Mit welchen Kräften wollten sie einen solchen Einsatz in Afghanistan stemmen? Wir müssen uns gerade verdammt fix auf einen symmetrischen europäischen Großkonflikt vorbereiten, sowie die Möglichkeit der Niederschlagung/Befriedung auf Aufständen im Inneren in der Hinterhand haben.
Mit aktuellem Verteidigungshaushalt bleibt da nichts mehr übrig. Die Bundeswehr ist zuerst für den Schutz unseres Landes da. Erst sehr viel später kommt Nation-Building in Ländern, deren Völker zwar gern unser Geld nehmen, aber von unseren Werten nichts halten und schon gar nichts davon wissen wollen.
Der New York Times Artikel von 1988, also noch während der russischen Präsenz in Afghanistan, ist gut.
Zynisch könnte man nun sagen: Da war unsere Ausbildungsmission ja richtig erfolgreich! Bei den Sowjets ist die Stadt wenige Tage nach Abzug gefallen. Bei ISAF hat sich Kundus immerhin zwei Jahre gehalten …
Sollte sich die Meldung mit Bezug auf Pul-E Khomri bewahrheiten, braucht man sich über die Lage in und um Kunduz keine Sorgen mehr machen.
Dann dürften die Afghanischen Sicherheitskräfte dort auf verlorenen Posten stehen.
Pul E Khomri bzw das Dreieck der Fernstraßen ist schon von großer Bedeutung, auch gerade für die Versorgung von Truppen im weiter nördlich gelegenen Kunduz.
Selbst ohne eine Einnahme der Stadt, der Weg nach Kunduz ist lang und öfters mal eng und kanalisiert.
Das hört sich jetzt vielleicht alles sehr dramatisch an, aber für die ANSF steht aus meiner Sicht viel auf dem Spiel.
@Voodoo | 30. September 2015 – 15:51
Zu meinem Balkanvergleich nur ganz kurz: Südosteuropäische vs. afghanische Konfliktbewältigung hin oder her. Nachdem was in Srebrenica und an anderen Orten in Bosnien-Herzegowina passiert ist, hätte man Anfang der 1990er Jahre auch nie geglaubt, dass da mal ein halbwegs funktionierendes Staatswesen entstehen kann.
Was internationale Unterstützung angeht bin ich ganz bei Ihnen, wenn es um die (erneute) Verlegung von Kampftruppen angeht. Das wäre weder politisch durchsetzbar noch militärisch zielführend. Aber auch hier gibt es kein entweder oder. Man kann zum Beispiel Fähigheitslücken der ANDSF gezielt und – mittelfristig – dauerhaft auffüllen: CAS (und nicht nur als Force Protection), Intelligence und Aufklärung, MedEvac und nachfolgende Sanitätsversorgung, daneben natürlich Ausbildung, notfalls auch Führungsunterstützung „vorne“. Sie selbst weisen darauf hin, was passiert, wenn man sich in seinen Feldlagern einigelt.
Das Problem lag doch in der Verganheit darin, dass die internationale Staatengemeinschaft durch selbstgesetzte, meist innenpolitisch motivierte Abzugsszenarien Aufständische geradezu auffordert hat ein Nation Building (in welcher Form auch immer) zu verhindern. Nicht umsonst gibt es den Spruch: Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit.
@Voodoo
Viel husten kann auch Ihre Grippe sein.
1988/UdSSR – 2015/RSM; Unterschied ist, heute kämpfen die AFG Enkel-ach ja, und die RUS haben 100.000 Rotarmisten verloren.
Wie waren die britischen Erfahrungen der Briten doch gleich noch mal, 1839/42-1878/80-1919; alles zusammen „The Great Name“. Also die Historie nicht belächeln, mit *hust*! Die AK47/74 macht heute gleiche Löcher wie damals.
Lehren der Geschichte zu ignorieren heißt, sie wiederholen zu müssen!
@KPK
Voodoo hat zu Recht gehustet, weil ich mich vertippt hatte und 1998 statt 1988 geschrieben hatte ;-)