Zeitreise: Besuch beim Heer

TORGELOW  16jul2015 - Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht im Rahmen ihrer Sommerreise das Panzergrenadierbataillon in Torgelow/Viereck (Mecklenburg-Vorpommern)

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat im Rahmen ihrer Sommerreise am (heutigen) Donnerstag das Panzergrenadierbataillon 411 in Torgelow/Viereck in Mecklenburg-Vorpommern besucht, und erst mal die harte Nachricht: Das Bundeswehr-Bataillon, sagte die Ministerin, werde in den kommenden Jahren einer polnischen Brigade unterstellt. Im Gegenzug wird eine Panzereinheit aus dem Nachbarland der deutschen Panzerbrigade 41 unterstellt – eine Verzahnung der Armeen beider Seiten, wie sie von der Leyen bereits beim Festakt zu 60 Jahren deutscher NATO-Mitgliedschaft Ende Juni angekündigt hatte:

Wenn wir aber relveanter werden wollen, dann müssen wir aber auch tatsächlich handeln. Und wir müssen verbindlich handeln. Das ist einer der Gründe, lieber Jens, du hast es angesprochen, warum wir inzwischen mit den Polen verabredet haben, dass wir Panzertruppe, deutsche Panzertruppe einem polnischen Kommando unterstellen und polnische Panzertruppe einem deutschen Kommando unterstellen.

Nun machen also die Panzergrenadiere aus Viereck den ersten Schritt nach Osten. Die Unterstellung soll in den nächsten fünf Jahren schrittweise passieren, von beiden Seiten. Mehr dazu von der Ministerin im O-Ton in Torgelow:

vdL_Torgelow_16jul2015     

(Die Fragen sind ohne Mikrofon und deshalb leider nicht verständlich)

So weit die Nachricht. Aber neben dieser politischen Botschaft von der Leyens gab es beim Besuch der Panzergrenadiere auch etwas ganz anderes zu beobachten (in einer der letzten Fragen im O-Ton, nach der Ausrüstung, ist es bereits angesprochen):

Ich maße mir nicht an, das Deutsche Heer wirklich zu kennen. Deswegen kann ich auch nicht wirklich beurteilen, ob die Heeressoldaten der Ministerin bei dem Besuch heute nicht eine ganz besonders subtile Form des Protests geliefert haben. Denn was die Panzergrenadiere vorführten, war das Heer von 1995. Und 1995 auch nur deshalb, weil da die Einführung des Sturmgewehrs G36 als Standardwaffe begann: Vom Schützenpanzer Marder über die geschilderten Verfahren von Orientierung und Kommunikation bis zur Ausstattung hätte das alles auch in den 1970-er Jahren passieren können.

Dem Sprecher, der die Vorführung der Schützenpanzer und eines Schützentrupps erläuterte, war das zwar nicht anzumerken. Seinem Text aber um so mehr. Da fährt der Marder mit seiner nicht-stabilisierten Bordkanone vor, in dessen inneren der Führer des Schützentrupps auf einer Karte 1:50.000 den Weg mitplottet, weil es kein GPS in diesem Schützenpanzer gibt. Zwar gibt es zwei Funkkreise, einer ist aber nur zum Hören. Für die Funkkette zum Lageabgleich sollten fünf bis zehn Minuten eingeplant werden, das ist aber für die ganzheitliche Beurteilung der Lage unerlässlich.  Und wenn der Schützentrupp absitzt, braucht dessen Führer eine Weile, bis er Zeit fürs Gefecht hat – er muss nämlich erst seine Kopfhörer, mit denen er als einziger aus dem Schützentrupp an die Bordverständigungsanlage des Marders angeschlossen ist, gegen den Gefechtshelm tauschen.

Marder_Absitzen1 Marder_Absitzen2 Marder_Absitzen3

Dafür braucht er anschließend eine ziemlich laute Stimme, um den Kontakt mit den einzelnen Schützen zu halten – Funk hat nämlich außer ihm keiner.

Nachtrag: Dank eines Hörfunkkollegen gibt’s jetzt hier auch ein Audio, um die dynamische Vorführung nachzuhören:

PzGren411_16jul2015     

 

Damit es nicht missverstanden wird: Das hat nichts mit Ausbildungsstand, Können oder gar Motivation der Panzergrenadiere zu tun. Sondern ist nur der – soll man sagen: erschreckende? – Ausrüstungsstand einer Kampftruppeneinheit, bei der weder GPS, Funkkommunikation wie beim Infanteristen der Zukunft noch elektronische Karten und Führungssysteme zum Alltag gehören.

Nun ist das nicht wirklich überraschend, wenn man sich an die Mühen des Heeres erinnert, den deutschen Gefechtsverband für die neue NATO-Speerspitze mit modernem Gerät auszustatten. Und an die Aussage des (heute ausscheidenden) Heeresinspekteurs Bruno Kasdorf, er könne maximal zwei Verbände mit dem nötigen modern Gerät bereitstellen. Im ganzen Heer.

Die Zeitreise in die 1970-er (na gut, wegen des G36 in die 1990-er) endete nicht mit der Vorführung. Beim Besichtigen der ausgestellten Handwaffen der Truppe fanden sich altbewährte Dinge wie die Maschinenpistole MP2 in der Version A1 (Foto ganz oben), eingeführt in die Bundeswehr 1959. Und der Soldat, der sie erläuterte, trug eine auch schon etwas ältere Splitterschutzweste. Beides gehört weiterhin zur Standardausrüstung der Truppe.

Die Ministerin, darauf angesprochen, wandte sich sehr schnell dem bekannten Problem der Nachtsichtbrillen und -geräte zu. Die Maschinenpistole von 1959 hat sie vermutlich nicht gesehen. Da war das Heer dann einfach zu subtil.

(Der offizielle Bericht auf der Bundeswehr-Webseite hier, das Bundeswehr-Video hier)

Und, Nachtrag: mein Fotoalbum vom heutigen Tag der Sommerreise hier.