Zeitreise: Besuch beim Heer
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat im Rahmen ihrer Sommerreise am (heutigen) Donnerstag das Panzergrenadierbataillon 411 in Torgelow/Viereck in Mecklenburg-Vorpommern besucht, und erst mal die harte Nachricht: Das Bundeswehr-Bataillon, sagte die Ministerin, werde in den kommenden Jahren einer polnischen Brigade unterstellt. Im Gegenzug wird eine Panzereinheit aus dem Nachbarland der deutschen Panzerbrigade 41 unterstellt – eine Verzahnung der Armeen beider Seiten, wie sie von der Leyen bereits beim Festakt zu 60 Jahren deutscher NATO-Mitgliedschaft Ende Juni angekündigt hatte:
Wenn wir aber relveanter werden wollen, dann müssen wir aber auch tatsächlich handeln. Und wir müssen verbindlich handeln. Das ist einer der Gründe, lieber Jens, du hast es angesprochen, warum wir inzwischen mit den Polen verabredet haben, dass wir Panzertruppe, deutsche Panzertruppe einem polnischen Kommando unterstellen und polnische Panzertruppe einem deutschen Kommando unterstellen.
Nun machen also die Panzergrenadiere aus Viereck den ersten Schritt nach Osten. Die Unterstellung soll in den nächsten fünf Jahren schrittweise passieren, von beiden Seiten. Mehr dazu von der Ministerin im O-Ton in Torgelow:
(Die Fragen sind ohne Mikrofon und deshalb leider nicht verständlich)
So weit die Nachricht. Aber neben dieser politischen Botschaft von der Leyens gab es beim Besuch der Panzergrenadiere auch etwas ganz anderes zu beobachten (in einer der letzten Fragen im O-Ton, nach der Ausrüstung, ist es bereits angesprochen):
Ich maße mir nicht an, das Deutsche Heer wirklich zu kennen. Deswegen kann ich auch nicht wirklich beurteilen, ob die Heeressoldaten der Ministerin bei dem Besuch heute nicht eine ganz besonders subtile Form des Protests geliefert haben. Denn was die Panzergrenadiere vorführten, war das Heer von 1995. Und 1995 auch nur deshalb, weil da die Einführung des Sturmgewehrs G36 als Standardwaffe begann: Vom Schützenpanzer Marder über die geschilderten Verfahren von Orientierung und Kommunikation bis zur Ausstattung hätte das alles auch in den 1970-er Jahren passieren können.
Dem Sprecher, der die Vorführung der Schützenpanzer und eines Schützentrupps erläuterte, war das zwar nicht anzumerken. Seinem Text aber um so mehr. Da fährt der Marder mit seiner nicht-stabilisierten Bordkanone vor, in dessen inneren der Führer des Schützentrupps auf einer Karte 1:50.000 den Weg mitplottet, weil es kein GPS in diesem Schützenpanzer gibt. Zwar gibt es zwei Funkkreise, einer ist aber nur zum Hören. Für die Funkkette zum Lageabgleich sollten fünf bis zehn Minuten eingeplant werden, das ist aber für die ganzheitliche Beurteilung der Lage unerlässlich. Und wenn der Schützentrupp absitzt, braucht dessen Führer eine Weile, bis er Zeit fürs Gefecht hat – er muss nämlich erst seine Kopfhörer, mit denen er als einziger aus dem Schützentrupp an die Bordverständigungsanlage des Marders angeschlossen ist, gegen den Gefechtshelm tauschen.
Dafür braucht er anschließend eine ziemlich laute Stimme, um den Kontakt mit den einzelnen Schützen zu halten – Funk hat nämlich außer ihm keiner.
Nachtrag: Dank eines Hörfunkkollegen gibt’s jetzt hier auch ein Audio, um die dynamische Vorführung nachzuhören:
Damit es nicht missverstanden wird: Das hat nichts mit Ausbildungsstand, Können oder gar Motivation der Panzergrenadiere zu tun. Sondern ist nur der – soll man sagen: erschreckende? – Ausrüstungsstand einer Kampftruppeneinheit, bei der weder GPS, Funkkommunikation wie beim Infanteristen der Zukunft noch elektronische Karten und Führungssysteme zum Alltag gehören.
Nun ist das nicht wirklich überraschend, wenn man sich an die Mühen des Heeres erinnert, den deutschen Gefechtsverband für die neue NATO-Speerspitze mit modernem Gerät auszustatten. Und an die Aussage des (heute ausscheidenden) Heeresinspekteurs Bruno Kasdorf, er könne maximal zwei Verbände mit dem nötigen modern Gerät bereitstellen. Im ganzen Heer.
Die Zeitreise in die 1970-er (na gut, wegen des G36 in die 1990-er) endete nicht mit der Vorführung. Beim Besichtigen der ausgestellten Handwaffen der Truppe fanden sich altbewährte Dinge wie die Maschinenpistole MP2 in der Version A1 (Foto ganz oben), eingeführt in die Bundeswehr 1959. Und der Soldat, der sie erläuterte, trug eine auch schon etwas ältere Splitterschutzweste. Beides gehört weiterhin zur Standardausrüstung der Truppe.
Die Ministerin, darauf angesprochen, wandte sich sehr schnell dem bekannten Problem der Nachtsichtbrillen und -geräte zu. Die Maschinenpistole von 1959 hat sie vermutlich nicht gesehen. Da war das Heer dann einfach zu subtil.
(Der offizielle Bericht auf der Bundeswehr-Webseite hier, das Bundeswehr-Video hier)
Und, Nachtrag: mein Fotoalbum vom heutigen Tag der Sommerreise hier.
@wetzelsgruen | 18. Juli 2015 – 14:54
Die Frage vermag wohl nur der POL HVO in Strausberg zu beantworten.
Wild guess: Weil die Bde in Zagan mit Leopard 2A4 Panzern ausgestattet ist.
Ob das BMVg beim anstehenden Bericht zur Einsatzbereitschaft an den Bundestag diesmal den Blick nicht nur auf Großgerät legt?
Boxer zählen ist das eine, die erheblichen Defizite im Systemverbund Brigade sollten jedoch Kern der Betrachtung sein
Wie die Lage ist wusste man im BMVg auch vor dem Besuch der Ministerin in Torgelow. Jetzt sollte auch sie es wissen.
Aber ist Einsatzbereitschaft wirklich handlungsleitend?
Oder eher der mediale Effekt?
Da kann man der Ministerin eigentlich nur die Anweisung des Hoteliers aus Falty Towers auf den Sprechzettel schreiben: Dpn’t mention the war…
@ Memoria
Ich bin skeptisch, ob beim kommenden Bericht mal über die persönliche Ausrüstung und Bekleidung eines Soldaten nachgedacht wird. Der momentane Stand mit G36A1, Feldanzug und Koppeltragesystem ist doch „bewährt“. Und jeder Soldat bekommt vom Dienstherrn schließlich exakt das, was er für die Erfüllung seines Auftrags braucht. Und die Entwicklung, dass sich immer mehr Soldaten privat mit Ausrüstung eindecken (die allesamt weitaus schlechter als das dienstlich bereitgestellte ist), hat das außerdem ausschließlich damit zu tun, dass sie zuviele Actionfilme gesehen haben und jetzt ebenfalls so cool rumlaufen wollen.
Schlecht oder völlig unbrauchbar mag die Ausrüstung nicht sein, aber wenn ich mir einige ausländische Armeen anschaue (darunter auch solche, die vor wenigen Jahren noch als halbes Entwicklungsland betrachtet wurden), drohen wir doch in diesem Bereich allmählich den Anschluss zu verlieren. Besonders in den Unterstützungstruppen gibt es eine Menge Soldaten, die Nachtsehgeräten oder GPS-Empfängern eher auf dem Bw-Youtube-Channel begegnen als in der Ausbildung.
Hier in diesem Blog wurde es ja schon mehrfach angesprochen: Vernünftige Bekleidung und Ausstattung für den Gefechtsdienst ist auch querschnittlich durchaus finanzierbar. An Ideen mangelte es ebenfalls nicht. Aber Projekte wie der „Zertifizierte Warenkorb“ oder die „Kampfbekleidung Einsatz/Übung“ sind scheinbar entweder in der Versenkung verschwunden oder werden nicht querschnittlich eingeführt, wenn überhaupt.
Frau von der Leyen hat ,wie Ihre Vorgänger,die Aufgabe die BW medial ruhig zu stellen.
Sie muß den Soldaten klar machen, daß man den Mund hält und dient.
Kühlschränke werden angeschaft, daß jeder sein Essen mit Tuperschüsseln von zu Hause mitbringen kann.
Sie hat mitnichten die Aufgabe etwas zu ändern oder gar zu verbessern.
Der deutsche Politiker versteht nichts vom Militär und deswegen auch nichts von militärischen Problemen. Es gab eine Zeit, da durften Soldaten als Mörder bezeichnet werden und keiner hat sich geäußert.
Der neue Inspekteur des Heeres zur Ausrüstungslage heute und morgen:
„Wir haben für unsere Soldaten im Einsatz immer die beste verfügbare Ausstattung bereitgestellt. Hier hat das Heer während 13 Jahren ISAF-Einsatz Quantensprünge gemacht. Wir stehen damit im internationalen Vergleich ganz vorne; dies aber zu Lasten unserer Ausrüstung in Deutschland. Nicht weil wir nicht wollten, sondern schlicht weil wir aufgrund knapper Haushaltsmittel Prioritäten setzen mussten. Dies holt uns jetzt ein, da wir im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen auch größere Verbände mit modernstem Gerät bereitstellen müssen. Unser langfristiges Ziel ist die Vollausstattung. Dabei geht es nicht nur um Großgerät sondern auch um die Details. Das alles wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein. Bis dahin müssen wir mit dem verfügbaren Gerät auskommen.“
http://tinyurl.com/pk9y3ng
Der letzten 3 Sätze sind der Kern. Alles lang- und mittelfristig…
Hoffnung ersetzt realistische Planung.
„Bis dahin“ ist dann bis ungefähr wann?
Guter Punkt !!!
Wie aber schon @ Schleppi in einem anderen Fred schrieb:
Bis wann sollen Streitkräfte einsetzbar sein ? Mittelfristig ? Langfristig ?
Wohl eher nicht und da sind wir völlig in Übereinstimmung im Gegensatz zur politischen Landschaft …
@Klaus-Peter Kaikowsky
„1. Die diversen Auslandseinsätze seit Somalia 1994 waren richtig, wichtig und – politisch erforderlich. Bw ist Werkzeug DEU Außen- und Sicherheitspolitik, darum waren/sind/bleiben wir dabei.“
Es mag durchaus richtige Auslandseinsätze gegeben haben. Der Großteil der Gelder dürfte jedoch in Afghanistan verbrannt worden sein, wo man bei ehrlicher Betrachtung keinen Nutzen erkennen kann.
Es lohnt aber aus meiner Sicht auch nicht, über den Nutzen der einzelnen Einsätze zu diskutieren. Fakt ist, daß auch der Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Geld, das in Auslandseinsätze geht, fehlt halt bei der Beschaffung. Dafür braucht man nicht mal Kürzungen anzuführen.
„2. Es wurden finanzielle Mittel falsch verwendet, keine Frage,“
Wie auch? Immerhin reden wir über den Staatshaushalt.
„3. Ohne die Einsätze wäre eine Modernisierung zwar in ruhigerem Fahrwasser verlaufen, aber auch wenig dynamisch.“
Vermutlich wäre die Beschaffung immer noch auf das alte Feindbild im Osten und große Panzerschlachten ausgelegt. Wobei das derzeit ja wieder in Mode ist.
„Politik neigt stets in allen Systemen (außer Nordkorea) dazu, zuerst beim Militär zu kürzen. Daher müssen Gesellschaften und mit ihnen die Streitkräfte solche Fehlleistungen bei neuen Auseinandersetzungen stets mit Blut bezahlen.“
Diese Aussage kann ich nicht nachvollziehen.
– Nordkorea liegt bei den Rüstungsausgaben (absolut und prozentual) weit hinter den NATO-Staaten.
– Das Militär wurde in Griechenland (bisher) von den Austeritätsmaßnahmen ausgenommen. Wobei ich den Kauf deutscher und französischer Technik in den letzten Jahren explizit nicht einschließe, da das einen leichten Beigeschmack von Erpressung hatte.
– Selbst in Deutschland wurde (abgesehen vom Schuldendienst) in allen Bereichen mehr gekürzt, als bei der Bundeswehr.
“ Beschaffungen sein, die dem Druck im Einsatz geschuldet sind. Beleg dafür mögen Dingo, Mungo und letztlich auch der Boxer sein.“
Anders herum hätte man anführen können, daß es eigentlich in der Sorgfallspflicht des Bundes gelegen hätte, diese Technik erst zu beschaffen, und dann die Soldaten damit in den Einsatz zu schicken. Daß das vorhandene Material dafür nur bedingt geeignet war, war ja keine Überraschung.
„4. Deutschland ist nicht San Marino, oder irgendein Phantasiestaat. Wir können uns nicht wegducken, bei Gefahren auf diesem Planeten, wie auch Griechenland zeigt.
Wir sind zu groß und ökonomisch potent, um klein zu sein.“
Betrachten wir die Auslandseinsätze der Chinesen, Russen und Inder der letzten 20 Jahre, ergibt sich einiges an Diskussionspotential. Bei vielen deutschen Einsätzen entsteht der Eindruck, daß es nicht darum geht, eine vorhandene Pflicht zu erfüllen, sondern dabei zu sein, um auch politisch wieder als Schwergewicht agieren zu können.