Neues Luftverteidigungssystem: Entscheidung für MEADS – mit Rückfalloption

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Die Entscheidung für das erste große Rüstungsprojekt unter der Ägide von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist gefallen: Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll die Bundeswehr ein neues Luftverteidigungssystem bekommen, das auf Basis der bisherigen Entwicklung für das  Medium Extended Air Defense System (MEADS) fertig entwickelt und beschafft werden soll. Die Streitkräfte soll das neue System, Nachfolger des bislang genutzten Pariot-Flugabwehrsystems, rund vier Milliarden Euro kosten. Angesichts der Risiken bei der noch nicht markverfügbaren Technik will das Ministerium mit so genannten quality gates, sozusagen Meilensteinen in der Entwicklung, eine Rückfalloption offen halten: Falls die MEADS-Entwicklung nicht läuft wie geplant, soll auch später ein Umschwenken auf das jetzt unterlegene Konkurrenzprodukt, eine Weiterentwicklung des Patriot-Systems der US-Firma Raytheon, möglich sein.

Den Planungen für das neue Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) liegt die Überlegung zugrunde, mit Lenkflugkörpern einen Bereich von etwa 70 mal 70 Kilometern – zum Beispiel eine Großstadt, einen Flughafen, oder auch ein Feldlager im Auslandseinsatz – gegen möglichst viele Bedrohungen aus der Luft abzusichern. Das neue Verteidigungssystem soll ebenso gegen Flugzeuge und Hubschrauber wie gegen Marschflugkörper und Raketen bis hin zu Mittelstreckenraketen einsetzbar sein. Dafür wird eine 360-Grad-Abdeckung der zugehörigen Radarüberwachung verlangt; außerdem die Einbindung verschiedener Flugkörper zur Abwehr, da gegen vergleichsweise langsame Flugzeuge und Hubschrauber ein einfacherer und damit günstigerer Flugkörper genutzt werden soll.

Ausschlaggebend für die Entscheidung für eine Weiterentwicklung von MEADS, bei dem die deutsche und die italienische Tochter der Firma MBDA sowie die US-Firma Lockheed Martin federführend waren, war offensichtlich die nationale deutsche Hoheit über die Technologie des Systems. Unter anderem befürchtete das Ministerium, dass bei einer Entscheidung für ein weiterentwickeltes Patriot-System die Systemsoftware keine Exportfreigabe in den USA erhalten würde – zudem gehört diese Computertechnologie zu den Schlüsseltechnologien, die in Deutschland erhalten werden sollen. Damit ist die Entscheidung für MEADS auch eine Entscheidung für deutsche – oder langfristig europäische – Souveränität bei dieser Fähigkeit.

In einer Gegenüberstellung der beiden möglichen TLVS-Angebote MEADS und Patriot neuer Generation kommt das Verteidigungsministerium zu dem Ergebnis, dass zwar beide Systeme die Forderungen an ein solches System ungefahr gleich erfüllen (92,7 Prozent MEADS gegenüber 90,8 Prozent Patriot) und der Preis für Entwicklung und Beschaffung mit rund vier Milliarden Euro ungefähr gleich hoch liegen werde. Auch gemessen an den Forderungen der NATO seien die Fähigkeiten beider Systeme nahezu gleich.

Allerdings ermögliche MEADS eine bessere Aufklärung anfliegender Ziele, da verschiedene Frequenzen – X-Band, C-Band und VHF – genutzt werden könnten, während Patriot nur auf das C-Band beschränkt sei – damit mache das europäische System es einem Gegner schwerer, seine Signatur zu verwischen. Auch die verlangte 360-Grad-Überwachung werde von MEADS besser erfüllt als von Patriot.

In der Kostenberechnung für den Betrieb rechnete das Ministerium mit Lebenszykluskosten von zehn Millarden Euro bei MEADS für die gesamte Nutzungsdauer von 30 Jahren, bei Patriot dagegen mit 13 Milliarden. Außerdem benötige MEADS weniger Personal und mache damit eine durchhaltefähige Stationierung leichter.

Zwar bescheinigten die Planer im Verteidigungsministerium dem MEADS-Programm ein höheres Entwicklungsrisiko: Die technologische Komplexität etlicher Teile, die zudem bislang auf dem Markt nicht verfügbar seien, könne ebenso ein Problem werden wie die geringe Erfahrung von MBDA als Systemhaus. Dagegen sei das Entwicklungsrisiko bei Patriot geringer, weil ein bestehendes System weiterentwickelt werde. Dennoch habe MEADS Vorteile, weil die absehbare Leistungsfähigkeit der Sensoren bei bodengebundenen Luftverteidigungssystemen bisher unerreicht sei. Zudem ließen sich die Sensoren und die zur Verfügung stehenden Abwehrwaffen flexibler verknüpfen.

Die Rückfalloption auf den Patriot-Systemvorschlag soll allerdings auch nach der Entscheidung für MEADS erhalten bleiben. Wenn, wie es im Planerdeutsch heißt, ’signifikante Risiken‘ eintreten, soll das Projekt auch wieder abgebrochen werden können – und der Alternativvorschlag zum Zuge kommen. Im Vertrag über Entwicklung und Beschaffung sollen klare Abbruchkriterien in Bezug auf Leistungen, den Zeitrahmen und die Kosten festgelegt werden, dazu auch Strafzahlungen – also die Punkte, die in früheren Verträgen für Rüstungsprojekte oft fehlten oder nur schwammig definiert waren.

Die genaue Zahl der Überwachungsradare, mobilen Operationszentralen und der Startgeräte für MEADS ist bislang nicht definiert. In einer schematischen Übersicht für den Vergleich von MEADS mit Patriot nannten die Planer im Ministerium unter anderem acht Multifunktionsradarae, zwölf Tactical Operations Center sowie 15 Startgeräte für Flugkörper wie den PAC3, der zur Raketenabwehr geeignet ist, und 17 Startgeräte für den so genannten Zweitflugkörper IRIS-T SL der deutschen Firma Diehl. Ebenso wurden in dieser Übersicht für die Vergleichsbetratung 76 PAC3-Flugkörper genannt: Dafür müsste die Luftwaffe die bisherige Zahl dieser Flugkörper, die für das derzeit genutzte Patriot-System vorgehalten werden, glatt verdreifachen. Ob diese Kosten in der genannten Summe von vier Milliarden Euro enthalten sind, ist nicht klar.

Ups, fast vergessen: Zum Zeitablauf: Der endverhandelte Vertrag für MEADS soll im April 2016 vorliegen. Im Juni 2016, also noch rechtzeitig vor der Sommerpause, soll das Parlament die 25-Millionen-Vorlage zur Entscheidung erhalten.

(Grafik: Lockheed Martin)