Nachtrag zum G36: ‚Ergänzende Stellungnahme‘ von Heckler&Koch

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Nach den Aussagen des Verteidigungsministeriums am (gestrigen) Montag zum Sturmgewehr G36 und dem Trefferverhalten in heißgeschossenen Zustand hat die Herstellerfirma Heckler&Koch am Dienstag eine ergänzende Stellungnahme vorgelegt (die erste Stellungnahme des Unternehmens findet sich in dem Eintrag vom Montag).

Der Übersichtlichkeit halber dokumentiere ich die zweite Mitteilung hier gesondert:

Ergänzende Stellungnahme von Heckler & Koch zum Pressestatement der Ministerin zum Sturmgewehr G 36 vom 30. März 2015

31.03.2015

Zu den aktuellen Negativmeldungen zu dem Gewehr G36, insbesondere zum aktuellen Pressestatement der Bundesministerin der Verteidigung, trifft Heckler & Koch folgende Feststellungen:

Seit mehr als 50 Jahren sind wir zuverlässiger Partner der Deutschen Bundeswehr. Das G36 wird seit nahezu 20 Jahren genutzt und hat sich in mehr als 35 Staaten weltweit bei vielen Einsätzen bewährt. Wir sind erschüttert über die in den vergangenen Tagen vom Bundesministerium der Verteidigung getätigten Aussagen zum Gewehr G36. Insbesondere bedauern wir außerordentlich, dass das Ministerium vor der letzten öffentlichen Stellungnahme mit weitreichenden Folgen für unsere technische Reputation nicht im Vorfeld das Gespräch mit Heckler & Koch gesucht hat.

Folgende Punkte möchte Heckler & Koch klarstellen:

1) Alle G36-Gewehre der Deutschen Bundeswehr erfüllen die mit der Bundeswehr vereinbarten sog. „Technischen Lieferbedingungen“, welche die zu erfüllenden technischen Leistungsmerkmale des Gewehrs G36 als Bestandteil des Liefervertrages abschließend normieren und dokumentieren.

2) Dies wurde durch Abnahme jedes einzelnen der insgesamt 178.000 von den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr genutzten Gewehre G36 durch die Güteprüfstelle der Deutschen Bundeswehr rechtskräftig bestätigt. Insofern sind jegliche Erwägungen bzgl. einer Mängelgewährleistung sachlich und juristisch verfehlt.

3) Aus den Pressemeldungen lässt sich ableiten, dass die Bundeswehr inzwischen offensichtlich unter bewusstem Ausschluss von Heckler & Koch in den vergangenen 6 Monaten eigene neue Prüfkriterien definiert haben muss, welche Heckler & Koch bis heute nicht zugänglich gemacht worden sind.

4) Bis heute hat keine Stelle innerhalb der Bundeswehr Heckler & Koch zu diesen aktuellen Vorgängen kontaktiert oder gar informiert, obwohl das Unternehmen zu jedem Zeitpunkt den offenen Dialog angeboten hat.

5) In den letzten Jahren wurde immer wieder von einzelnen Kreisen innerhalb der Bundeswehr behauptet, es gäbe aus dem Einsatz abgeleitete neue Nutzungsszenarien. Sollte dies zutreffend sein, so sind diese Szenarien nach Kenntnis von Heckler & Koch niemals verbindlich in technische Anforderungsparameter übersetzt worden. Vielmehr deuten im Moment viele Indizien darauf hin, dass die für unser Produkt relevanten Parameter fortlaufend willkürlich geändert wurden, um die Diskussion rund um das Gewehr G36 fortführen zu können.

6) Tatsache ist, es existiert auf NATO-Ebene kein normiertes Prüfverfahren oder gar ein Bewertungskriterium bzgl. der Treffleistung von Handwaffen

a) in heißgeschossenem Zustand
b) bei extrem hohen Umwelttemperaturen
c) bei extremen Unterschieden der Außentemperatur oder sonstiger Klimaschwankungen
d) bei Sonnenbestrahlung

7) Nach Kenntnis von Heckler & Koch waren diese NATO-weit nicht definierten Kriterien bisher auch auf nationaler Ebene in der Bundeswehr nicht bekannt. Einzige Ausnahme bildet der im Frühjahr 2012 in der Bundeswehr erstmals normierte sog. „Einsatznahe Beschusszyklus“ (EBZ), im Rahmen dessen das Gewehr G36 nachweislich und unstreitig eine für ein Sturmgewehr übliche Treffleistung erbringt.

8) Wir halten fest, dass Heckler & Koch bei der Klärung der Vorwürfe gegen das Gewehr G36 und den weiteren Untersuchungen von Seiten der Bundeswehr bestenfalls lückenhaft, stets verspätet und in der Regel nicht eingebunden wurde.

Die fortlaufende Infragestellung der technischen Eignung des Gewehrs G36 steht im krassen Widerspruch zur weltweiten Einsatzrealität über einen Zeitraum von mittlerweile fast 20 Jahren.

In der größeren Debatte rund um die Ausrüstung der Bundeswehr erscheint das systematische Vorgehen gegen Heckler & Koch vor diesem Hintergrund nicht erklärbar und wir behalten uns vor, umgehend Untersuchungen von unserer Seite aus einzuleiten.

(Foto: Panzergrenadier mit einem G36 auf dem Truppenübungsplatz Bergen 2010 – ©Thomas Imo/photothek.de)