Wehrbeauftragter: 750 Millionen für marode Kasernen werden „sicherlich nicht reichen“

Mandatsverlängerung

Ein Nachtrag zum (scheidenden) Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus, der in der zurückliegenden Woche seinen letzten Jahresbericht vorgestellt hat: Die 750 Millionen Euro, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für die Sanierung maroder Kasernen angekündigt hat, würden sicherlich nicht reichen, sagte Königshaus in einem Interview der Wochenzeitung Das Parlament des Bundestages, das am 2. Februar erscheint.

Zur Dokumentation das Interview im Wortlaut:

Herr Königshaus, Sie mahnen den maroden Zustand vieler Kasernen an. Nun hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) – sicherlich nicht zufällig – einen Tag vor der Veröffentlichung Ihres Jahresberichts angekündigt, in den nächsten drei Jahren 750 Millionen Euro in die Sanierung der Kasernen zu investieren. Wird das reichen?

Rund 38 Prozent der Liegenschaften sind sanierungsbedürftig und neun Prozent eigentlich unbewohnbar. Und eine Sanierung ist, wenn ein Gebäude so heruntergewirtschaftet ist, dass es unbewohnbar ist, in der Regel genau so teuer wie ein Neubau. Hinzu kommt das Ziel der Ministerin, neue Standards für die Unterkünfte einzuführen, das heißt in der Regel Einzelbelegung der Stuben mit jeweils eigenem Sanitärbereich. Wir haben ein so großes Maßnahmenpaket vor uns, dass die 750 Millionen Euro sicherlich nicht reichen werden.

Sie kritisieren, dass die Evaluierung der Neuausrichtung der Bundeswehr nicht für eine Überprüfung des Standortkonzeptes genutzt worden sei. Wiegen bei der Standortauswahl die Begehrlichkeiten von Kommunen und Bundesländern schwerer als die Bedürfnisse der Truppe?

Natürlich ging es auch darum, die Neuausrichtung und das Stationierungskonzept politisch möglichst geräuschlos umzusetzen. Deshalb hat man versucht, die Länder alle gleich zu behandeln bei der Frage, welche Standorte geschlossen und welche erhalten werden. Das ist aber mit Blick auf eine Abfederung der Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten keine zielführende Herangehensweise. Das habe ich schon bei der Vorstellung des Stationierungskonzeptes gesagt. Man hätte versuchen müssen, innerhalb der Verwendungsbereiche Cluster zu bilden, um die Zahl der Versetzungen von Soldaten quer durch die Republik zu verkleinern und ihnen damit die Pendelei zwischen Dienst- und Wohnort zu ersparen. Dort, wo es möglich ist, sollte zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten nachgesteuert werden.

Die Neuausrichtung der Bundeswehr hat sich an der Maßgabe orientiert, einen großen Auslandseinsatz wie in Afghanistan stemmen zu können. Nun ist sie aber eher in vielen kleinen Einsätzen engagiert. Darauf sei die Struktur nicht ausgelegt, warnen Sie. Muss an der Reform nachgebessert werden?

Bei der Neuausrichtung gilt das Prinzip „Breite vor Tiefe“. Das heißt, man wollte der Bundeswehr ein möglichst breites Fähigkeitsspektrum erhalten, auf alles vorbereitet sein, aber möglichst nicht zu lang andauernde Einsätze durchhalten müssen. Das funktioniert aber nur dann, wenn ich mich international auf Partner als Ablösung stützen kann. Oder aber ich nehme in Kauf, dass die eingesetzte Truppe regelrecht verbraucht wird, weil die Regenerationszeiten der Soldaten zwischen ihren Einsatzzeiten nicht eingehalten werden können. Das erleben wir beispielsweise beim Einsatz der Flugabwehrraketentruppe in der Türkei. Es ist ja der Sinn der Evaluation der Neuausrichtung zu prüfen, an welchen Stellen nachgesteuert werden muss. Dieses Nachsteuern muss jetzt erfolgen.

Ist das Modell „Breite vor Tiefe“ nicht prinzipiell falsch?

Diese Entscheidung war eine politische und dies habe ich als Wehrbeauftragter nicht zu kritisieren. Wenn dies jedoch dazu führt, dass die immer gleichen Glieder aus einer breiten Kette von Fähigkeiten beansprucht werden, dann führt dies letztlich zu deren Bruch. Dies betrifft beispielsweise immer wieder den Sanitätsdienst, den Lufttransport, die Logistik oder wie gesagt aktuell die „Patriot“-Truppe in der Türkei. Wir sind auf dem besten Weg, die Soldaten zu überfordern. Und dies kritisiere ich als Wehrbeauftragter. Um dies zu vermeiden, müssen diese Bereiche entweder personell verstärkt werden oder wir benötigen ein mit unseren Verbündeten abgestimmtes Konzept für Ablösung nach einer bestimmten Einsatzzeit.

185.000 Soldaten soll die Truppe umfassen. Doch dies ist schon jetzt kaum zu halten. Muss die Zahl nach unten korrigiert werden, weil der Nachwuchs fehlt?

Die Bundeswehr benötigt etwa 40.000 Bewerber pro Jahr, um ihren Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs an Soldatinnen und Soldaten decken zu können. Selbst wenn das Ziel von einem Frauenanteil von 15 Prozent erreicht wird, werden 85 Prozent des Truppenkörpers weiterhin von Männern gebildet. Bei einer derzeitigen Alterskohorte von etwa 315.000 jungen Männern pro Jahrgang, müsste sich fast jeder zehnte bei der Bundeswehr bewerben. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, um es vorsichtig auszudrücken. Vor allem weil sich das demographische Problem weiter vergrößert und die Bundeswehr in einem scharfen Wettbewerb mit der freien Wirtschaft steht, die unter dem gleichen Problem leidet. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen wird die Bundeswehr ihren Nachwuchsbedarf nicht decken können, dafür muss sie attraktiver werden.

Was muss vorrangig getan werden?

Zunächst müssen alle Faktoren abgebaut werden, die zu vermeidbaren Überlastungen der Soldaten etwa in den Einsätzen führen. Aber auch im Grundbetrieb müssen Belastungsfaktoren beseitigt werden, die in der Wirtschaft so nicht vorhanden sind. Das fängt bei der Qualität der Liegenschaften an und reicht bis zu einer vernünftigen Personalplanung. Ich plädiere dafür, dass die sogenannten Stehzeiten in einer Funktion und einem Standort zu verlängern. Es kommt bei der Bundeswehr zu häufig zu Versetzungen in kurzen Abständen. Wir haben eine wachsende Zahl von Soldatinnen, die wiederum mit Soldaten verheiratet sind und Kinder haben. Die sind auf eine langfristige und verlässliche Personalplanung angewiesen.

Sie haben den von der Ministerin vorgelegten Gesetzentwurf zur Attraktivitätssteigerung begrüßt.

In seiner Zielsetzung unterstütze ich den Gesetzentwurf. Aber die geplanten Maßnahmen müssen finanziell unterfüttert werden. Das Gesetz macht nur Sinn, wenn es sich dauerhaft und auskömmlich auch im Bundeshaushalt widerspiegelt.

Gleichzeitig mahnen Sie, nicht alle Probleme würden angepackt. Was fehlt?

Vor allem fehlt die Möglichkeit für die Soldaten, zwischen Umzugskostenvergütung und Trennungsgeld wählen zu können. Diese Wahlmöglichkeit ist im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart worden, wird jetzt aber doch nicht umgesetzt. Es ist schon kurios, dass der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) diesen Punkt in die Koalitionsverhandlungen eingebracht hat, dies nun als Innenminister aber ablehnt.

Hat sich die aktuelle, hitzige Debatte über Migranten negativ auf die Stimmung in der Truppe ausgewirkt?

Nein, die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund hat in der Bundeswehr eher gut funktioniert. Wenn Probleme auftauchten, war dies auf konkrete Personen zurückzuführen. Wenn etwa ein Vorgesetzter seine Stellung ausnutzt, um seiner persönliche Abneigung gegen Migranten auszuleben, dann ist er als Vorgesetzter nicht tragbar. Die Bundeswehr ist genau wie die Wirtschaft vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung auf Migranten angewiesen. Klar ist aber auch, dass Migranten deutsche Staatsbürger sein müssen, um in der Bundeswehr dienen zu können.

Im Mai dieses Jahres endet Ihre Amtszeit als Wehrbeauftragter. Haben Sie für Ihren Nachfolger Hans-Peter Bartels einen Ratschlag?

Ja, aber den werde ich ihm auch persönlich mitteilen.

(Archivbild 2011: Königshaus im Bundestag während der Debatte über eine Verlängerund des ISAF-Einsatzes – Bundeswehr/Andrea Bienert)