Afghanistan: Snowden-Leak zu ‚Todesliste der NATO‘
Kurz vor dem Ende des ISAF-Einsatzes berichtet der Spiegel am (heutigen) Samstag vorab von einer NATO-Todesliste in Afghanistan. Das Dokument soll vom NSA-Whistleblower Edward Snowden stammen und belegen, dass die NATO-geführte ISAF-Operation auf teils fragwürdiger Grundlage über gezielte Tötungen von Aufständischen am Hindukusch entschieden habe.
Mehr als diese Vorabmeldung kenne ich bislang nicht; bei der obligatorischen Plausibilitätsprüfung fallen mir zwei Dinge auf: Handelt es sich tatsächlich um eine NATO-Liste oder um eine Liste der US-geführten Operation Enduring Freedom (OEF), auf die Snowden aufgrund seines Zugangs zu US-Material eher Zugriff gehabt haben dürfte? Und wenn der langjährige Provinzgouverneur von Balk, Mohammed Atta Noor (Foto oben, mit dem damaligen deutschen Kommandeur im Norden) auf dieser Liste stand – scheint das für ihn, der in den vergangenen Jahren für die Afghanen wie für die NATO immer öffentlich sichtbar war, keine Auswirkungen gehabt zu haben?
Die Spiegel-Vorabmeldung im Wortlaut:
SPIEGEL enthüllt geheime Todesliste aus Afghanistan
Neue Einblicke in die Geheimoperationen der Nato in Afghanistan: Bevor der Kampfeinsatz am Hindukusch nach 13 Jahren in dieser Woche offiziell endet, erhielt der SPIEGEL erstmals einen umfassenden Einblick in die sogenannte Joint Prioritized Effects List (JPEL), auf deren Basis die westliche Allianz in Geheimoperationen zahlreiche tödliche Einsätze durchführte. Die Liste, die zeitweise mehr als 750 Personen umfasste und bislang nur in Auszügen bekannt war, belegt unter anderem, auf welch dünnen und teils willkürlich anmutenden Grundlagen die Streitkräfte Verdächtige für die gezielten Tötungen nominierten. Viele waren Taliban der mittleren und unteren Ebene, manche gerieten nur auf die Liste, weil sie mit Drogen handelten. Zudem verließen sich die Nato-Kräfte den Unterlagen zufolge, die unter anderem aus dem Bestand von Edward Snowden stammen, bei ihrer Zielerfassung in erheblichem Maße auf technische Aufklärung. So nutzten sie einem britischen Dokument zufolge ein System der Stimmidentifizierung, bei dem es ausreichte, wenn ein Verdächtiger sich in einem überwachten Gespräch einmal namentlich identifizierte. „Predator“-Drohnen und mit Sensoren ausgerüstete britische Eurofighter suchten dafür die Funksignale am Hindukusch nach bekannten Mobiltelefonnummern ab. Innerhalb der folgenden 24 Stunden galt diese Stimmenerkennung demnach als „positive Zielidentifizierung“ und damit als Legitimation für einen Luftschlag – dies führte zu Verwechslungen und zum Tod von Zivilisten.
Der als „Top-Secret“ gekennzeichnete Datensatz offenbart erstmals auch die Kriterien, nach denen die Nato in Afghanistan über Leben oder Tod von Gegnern entschied. Der Tod von unschuldigen Zivilisten wurde bei den gezielten Tötungen explizit in Kauf genommen, wenn die Bedeutung des Ziels dies zu rechtfertigen schien. Selbst hohe Regierungsmitglieder finden sich auf der JPEL-Liste, etwa der mächtige Provinzgouverneur Atta Mohammed Noor.
Jennifer Gibson von der Menschenrechtsorganisation Reprieve sagt angesichts der neuen Erkenntnisse, der Krieg gegen den Terror und gegen die Drogen sei in Afghanistan offenbar „faktisch verschmolzen“: „Das ist aus juristischer Perspektive extrem problematisch.“ Die Organisation will die neuen Fakten nun prüfen und dann über rechtliche Schritte gegen die beteiligten Regierungen entscheiden.
(Archivbild: Mohammed Atta Noor mit dem damaligen deutschen Kommandeur im RC North, Brigadegeneral Frank Leidenberger, im März 2010 –
ISAFmedia via Flickr unter CC-BY-Lizenz)
Habe mir im Laufe der von den Medien geführten Debatte bezüglich gezielter Tötung manchmal die, zugeben reichlich fiktive, Frage gestellt, wie man in der Öffentlichkeit und auf Ministeriumsebene auf folgendes Szenario reagieren würde:
Angehöriger der Bw erkennt seine Begeisterung für das Prinzip des (mitdenkenden und kritisch hinterfragenden) Staatsbürgers in Uniform und führt gezielte Tötung aus.
Ziel war, von mehreren Kämpfern bewachter Taliban-Kommandeur, der sich durch Zwang Dorfbewohner als menschliche Schutzschilde zu Eigen macht und für diverse IED-Angriffe auf deutsche ISAF-Kräfte verantwortlich ist.
Begründung: „Konnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren nicht abzudrücken“
Zum Thema Personal:
Aussage PersFhr MilNW: bei Vakanzen nehm ich lieber einen pzgren oder pz- offz und schul die um….
Soviel zum Thema Personalauswahl. Bedarf schafft Eignung
@ Ein Leser
Verzeihung, aber Ihr Einwand wirkt auf mich:
99% emotionale Ebene/ 1% realistische Betrachtungsweise
Gegenfrage:
Ihrer Auffassung nach müssten Sie es auch reichlich bizarr finden, heute nach dem Aufstehen gefrühstückt zu haben, wo doch vielen Menschen nicht genügend Nahrungsmittel zur Verfügung stehen und diese daher nicht frühstücken konnten. Oder?
@EloKa
Für die symmetrischen Szenarien muß das nicht verkehrt sein.
Meinen Kommentar von vorher hat man auch geklaut, he, he …
„Journalistischer Unsinn. Nun, targeting umfaßt mehrere Optionen – das geht vom normalen key leader engagement (KLE) über polizeiliche Maßnahmen (Festnahme) bis hin zu kinetischen Aktionen. Die Liste alleine besagt erst einmal gar nichts. Und daß Warlords (“Drogenhändler” – welche?) darauf stehen ist wohl nur für den SPIEGEL überraschend.“
Auf ZEIT Online, Nr. 2 – aber schön, wenn das verbreitet wird.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-12/afghanistan-isaf-mission#comments
@Patrick S.
Wollen wir wirklich das:
Wenn die Waffen sprechen, die Gesetze zum Schweigen gezwungen sind?
Ist zwar alte deutsche Tradition, aber die wurde doch irgendwann abgeschafft.
27. Dezember 2014 – 20:28
Welche Moral hat ein Gewissen, das die Leben der Dorfbewohner für weniger wert erachtet ?
Damit wäre Romeo Dallaires Frage beantwortet wieviele Lokale Leben ein westlicher Soldat wert ist.
@EloKa:
Wenn man das Personal aus „artfremden“ Bereichen einer echten Personalauswahl (anspruchsvolles EFV) unterziehen würde, dann wäre das ja nicht wirklich ein Problem. Aber im Bereich FN hat man dies ja bereits vor Jahren gekippt – um die Personal Probleme aufzufangen.
Dort geht man wohl nach dem alten Personaler-Wahlspruch „Lieber ne Krücke als ne Lücke“ vor.
Zudem fehlt es aus meiner Sicht insbesondere in diesem Bereich weiter an einer ordentlichen Grundlagenausbildung (Kriegstheorie, etc).
Nach meinem Eindruck gibt es also durchaus Verbesserungen in den letzten 5 Jahren, aber da ist noch viel Luft nach oben.
@Eule:
Haben wir wirklich aus den letzten 10 Jahren genug gelernt?
Da habe ich auf strategischer, operativer und taktischer Ebene so meine Zweifel.
Die von mir zu Beginn erwähnte PBS-Doku offenbart ja auch einige Defizite des bisherigen Ansatzes (der SPIEGEL-Artikel legt diese ja auch nahe).
Reflektieren wir dies ausreichend?
Vielleicht noch von Interesse aktuelle Überlegungen in den USA:
http://ndupress.ndu.edu/Media/News/NewsArticleView/tabid/7849/Article/8467/jfq-73-targeting-the-jiim-way-a-more-inclusive-approach.aspx
@ ThoDan
Wenn man akzeptiert hätte, dass in Afghanistan Krieg herrscht, hätte dies lediglich zur Folge gehabt, dass deutsche ISAF-Kräfte Handlungssicherheit gehabt hätten.
Ohne dass man Gesetze „in die Tonne geworfen“ hätte.
Mit Gesetzlosigkeit hat das nichts zu tun.
Sehr wichtig:
Sie haben da leider etwas ganz falsch verstanden. Im von mir genannten Beispiel werden die Dorfbewohner verschont! (Ebenso die restlichen Taliban)
Vielleicht hätte ich zum besseren Verständnis SCHARFSCHÜTZE schreiben sollen, da dies, im von mir genannten Szenario, so ziemlich die einzige Möglichkeit einer gezielten Tötung darstellt. Besonders im Bezug auf Verhältnismäßigkeit.
Wenn Sie „gezielte Tötung“ mit „ne Bombe draufwerfen“ gleichsetzen, scheinen Sie die Thematik, mit Verlaub, nicht ganz verstanden zu haben.
@Patrick S.
Dann verstehe ich ihre Aussagen zum Strafrecht im Einsatz nicht bzw. falsch(aber da eine legitime , militärische Handlung kein Verbrechen sein kann IMPOV, das schliesst sich einfach aus)
MKN bedeutet gezielte Tötung nicht gleich Scharfschütze , mkn . deutet es eher darauf hin das jemand am Joystick abdrückt.
@Patrick S:
Sorry, ich hatte den Beitrag durch eine Panne unfertig abgesandt und das nicht rechzeitig gemerkt. Es fehlte folgender Absatz, mit dem er hoffentlich ein paar Prozent weniger emotional klingt:
Wie soll es unter sochen Umständen gelingen, einen Frieden aufzubauen, ohne dass der Frieden im Krieg beginnt, ohne Zivilisierung des Krieges?
Unter den Waffen schweigen die Gesetze. Aber wir wollen einen gut funktionierenden Staat aufbauen, einen Rechtsstaat, der auf Gesetzen beruht. Das steht in Spannung zueinander.
In Afghanistan kann man nicht klassisch einen Krieg führen, gewinnen und sich danach dem Wiederaufbau widmen, sondern das ist der Aufbau einer (an zivilen Normen orientierten) Nation parallel zum Krieg. Dabei entstehen ständig Paradoxa („bizarres“).
Die Verringerung dieser Paradoxa hilft beim Gewinnen.
Ist jetzt besser nachvollziehbar, was ich meine?
( Ich sehe das vor dem Hintergrundproblem, das wir im „war on terror“ im letzten Jahrzehnt viele Hydra-Effekte beobachten: Man tötet einen Gegner und mindestens ein neuer wächst nach. )
@ ThoDan
Dass es für Sie auf den „Joystick“ hindeutet, deutet darauf hin, dass Sie westliche Streitkräfte mit einer bestimmten three-letter agency verwechseln.
Ja, auch der Waffeneinsatz durch Drohnen kann eine gezielte Tötung sein. Genau wie das Überfahren mit einem Radpanzer….
@ Ein Leser
„einen gut funktionierenden Staat aufbauen, einen Rechtsstaat, der auf Gesetzen beruht“ und gleichzeitig zur Niederwerfung bzw. Eindämmung der Taliban nötige Mittel abzulehnen, steht auch in Spannung zueinander.
Dass es, durch politische Naivität und Blauäugigkeit bedingt, zur Entstehung von Paradoxa kommt ist klar. Der Gesamtansatz „zur Demokratie nach westlichem Vorbild führen“ war natürlich hochgradig naiv.
Bestes Beispiel:
Versuch des Aufbaus der ANP in Lichtgeschwindigkeit. Zu einem Zeitpunkt, an dem Polizisten in Afghanistan nichts anderes waren, als schlechter auf den Kampf vorbereitete u. in der Regel schlechter ausgerüstete, potentielle „Ziele“ für Taliban.
Ich war damals zwar gerade mal volljährig geworden, fand es aber dennoch fragwürdig einen Schritt zu unternehmen, der doch eigentlich erst nach dem Ende der Kampfhandlungen erfolgen müsste bzw. kann. Ganz zu schweigen von der Problematik Korruption auf Grund derer man doch eigentlich hätte erkennen müssen, dass der Aufbau v. Polizeikräften sehr behutsam zu erfolgen hat.
Gleichwohl empfinde ich größten Respekt vor den Angehörigen der Bw, der BPOL und der LaPos, die diese Aufgabe dennoch angegangen sind.
OT: Was ist denn der Plural für LaPo? LaPos sieht mekrwürdig aus. LaPoen? Auch blöd.
@Patrick S.
Die erste mir bekannte gezielte Tötung war die von Yamamoto, oder wäre es Heydrich?
Da gab es diese 3 Buchstaben Behörde noch gar nicht, gefolgt von dem Nahen Osten und Vietnam.
Mit Joystick meinte ich nicht nur Drohnen, sondern definitiv auch die Chairforce.
@Patrick S.
Das mit der westlichen Demokratie war nicht nur Blauäugig, das war Hybris.
Genauso ist es Naiv die Taliban besiegen zu wollen und dann den Afghanen zu sagen, welchen Staat und Gesellschaft sie fürderhin zu haben hätten
@ThoDan: Ich bin mir sicher, daß Sie für die erste bekannte gezielte Tötung schon Beispiele in der Geschichte des Römischen Reiches finden werden. Eventuell gibt sogar noch frühere Erwähnungen aus der nahöstlichen und ostasiatischen Geschichte. ;)
Das Konzept ist so alt wie die Menschheit.
@ ThoDan
Gut, nur verstehe ich nicht, warum Sie prinzipiell davon ausgegangen sind, dass ich mich auf diese Optionen bezog?
Beide wären auf Grund der anwesenden Zivilisten (bzw. deren räumlicher Nähe zum Ziel) nicht verhältnismäßig. Somit würde bei Wahl dieser Vorgehensweisen der Zweck nicht mehr die Mittel heiligen und sie wären abzulehnen bzw. gar nicht erst in Betracht zu ziehen.
Gehen Sie von so vielen „dunklen Seelen“ auf Seiten von ISAF aus?
Nachtrag: Wobei von deutscher Seite aus der Versuch die Taliban zu besiegen ja nicht in Erwägung gezogen wurde bzw. man dies nicht aktiv verfolgt hat.
Insofern war die Haltung Berlins die mit Abstand naivste.
@Patrick S.
Weil ich bei gezielter Tötung nicht automatisch an Scharfschütze dachte, auch weil ich die bei dem Szenario benötigten Fertigkeiten eher bei den Präzisionsschützen der Polizei spez der GSG9 verorte
@ memoria
Ausreichend nicht. Aber wie ich schrieb, ein zartes Pflänzchen gesetzt, dass der steten Hege und Pflege bedarf. Das Problem wird nun wahrscheinlich darin liegen, dies nachhaltig zu tun. Das meine ich auf politischer Ebene.
In den Streitkräften werden wir sehen, wie sich dieses Fachgebiet positioniert. Solange Targeting nicht über den Status ein Teilgebiet des FGG 2 zu sein hinauswächst, bleibt es schwer.
Es kommt drauf an die 3er und 5er von dessen Nutzen im Operationsplanungsprozess und deren Verantwortung dafür zu überzeugen. Meine Meinung…
@Patrick S.
„… der Versuch die Taliban zu besiegen ja nicht in Erwägung gezogen wurde …“
Mein Credo:
The essence of winning hearts and minds is winning.
„Winning hearts and minds“ kann man auch in dem man aufzeigt, wer die besseren Karten hat und auf wen man langfristig – besser: dauerhaft (nachhaltig) – setzen kann.
@Thomas Melber
Wie ist in der Hinsicht die Geschichte des Westens und spez. der Amerikaner, allgemein und in der Region?
@ThoDan
In Bezug auf? Ihre Frage ist ein wenig unspezifisch.
@Eule:
Die Meinung teile ich. Das Ganze macht ja nur FGG-übergreifend Sinn. Eigentlich sollte dies ja auch Kernelement der FGG 5 und 3 sein (was auch sonst?). Mir scheint in diesen Bereichen die Ausbildung oftmals auf eine reine Prozessanwendung ausgerichtet zu sein – ohne die dahinter liegende Einstellung (mindset) zu vermitteln.
Mit Blick auf die Politik bin ich da skeptisch (siehe Drohnendebatte) – da waren wir vor einigen Jahren schon weiter.
Aber man soll sich ja gerade zum Jahreswechsel positiv überraschen lassen.
Danke für die sehr interessante Diskussion.
@Thomas Melber
„auf wen man langfristig – besser: dauerhaft (nachhaltig) – setzen kann“ ist gemeint
@Memoria
Ich meine, das targeting sollte im FFG 2 zusammenlaufen. Dort werden schließlich auch die Netzwerkanalysen erstellt (FN, ELOKA, J2X), in Zusammenarbeit mit BND, MAD (ist ja in G2 im Einsatz integriert), CJ9, u.a.
Die 2er-Leiste ist durchaus an der Operationsplanung zu beteiligen, aber natürlich gibt es Kontingentführer, die das MilNW links liegen lassen.
Daß man die Listen dann mit dem POLAD, CULAD, OPINFO (OPKOM) abstimmt versteht sich von selbst, und die meisten Maßnahmen sind ja eh KLE – DEU wirkt ja da nicht kinetisch.
@ThoDan
Eine gute Frage! Die Amerikaner haben sich jedenfalls schon disqualifiziert – sie haben AFG nach den Abzug der Sowjets sich selbst überlassen, und historisch gibt es genügend Beispiele: Korea, Vietnam, Irak.
Wenn man als Afghane auf die TB setzt kann man nichts falsch machen; leider.
Thomas Ruttig verweist auf Augengeradeaus, und ruft noch einige Fragezeichen und Fahrlässigstkeiten im Zusammenhang mit den gezielten Tötungen in Afgjanistan in Erinnerung:
https://thruttig.wordpress.com/2014/12/28/nsa-und-afghanistan-die-todlichen-folgen-der-datensammelei-woz-artikel/
@Thomas Melber
Das kann nicht funktionieren und ist weder auf ministerieller noch auf TSK-Ebene auch nur ansatzweise gewollt. Und das ist auch gut so. 3/5 und 2 sind am Prozess beteiligt. Jedoch Verantwortung und Koordinierung müssen immer bei OPS liegen.
Ihre Begründung hakt auch. Denn die angesprochenen Netzwerkanalysen sind lediglich Teil von Target Development und Battle Damage Assessment. Wie soll denn im FGG 2 Kräfteansatz/Operationsplanung/Durchführung durchgeführt werden?
Das ist alles originär 3 und 5 und muss durch ein vernünftiges CPOE der 2er katalysiert werden.
Sie betrachten Targeting leider zu INTEL-lastig.
FGG 2, 3, 5, ?
weil ich diese Fähigkeiten eher bei SEK oder GSG9 verorte? Zuviel Fernsehen geschaut?
Wenn auf 100m ein mit einem Messer Herumfuchtelnder von scheidig auftretenden Gestalten mit Gesichtsmaske eliminiert wird,die zudem weit ausserhalb dessen Reichweite sind,mag das die breite Öffentlichkeit beeindrucken.Der Scharfschütze,der diesen Namen verdient,macht das auf die 10-15 fache Distanz und muss da noch mit effektiver Gegenwehr rechnen.Weshalb er tunlichst dezenter auftritt.
@Thomas Melber:
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass sie sich hier zwar an der Diskussion beteiligt haben, aber die Diskussion nicht vollständig verfolgt haben. Es geht ja gerade beim Targeting darum aus sehr vielen Daten hilfreiche Informationen zu gewinnen (FGG 2) – und dann zu planen (FGG 5) und zu handeln (FGG 3).
Dabei wird eher deutlich, dass Stabsarbeit heute anders organisiert werden muss (siehe oben JFQ-Aufsatz).
Lesenwerter Artikel zu JPEL und Zugriffen:
http://www.ipsnews.net/2011/11/isaf-data-show-night-raids-killed-over-1500-afghan-civilians/
Besonders interessant die Meinung des US-Diplomaten Hoh:
„Hoh, who was briefed on the list, called the Joint Priority Effects List (JPEL) in 2009, told this writer that a large proportion of the targets on the list were not identifiable individuals at all, but mobile phone numbers.“
1. Der Artikel ist aus 2011.
2. Die Liste für Hoh ist aus 2009.
Da liegen zu heute Entwicklungswelten in dem Bereich.
Außerdem gilt:
Im Operationsraum ISAF existieren verschiedene Listen. Die der ISAF, die von OEF, die der jeweiligen nationalen SpezKräfte.
Gerade wenn US-Artikel zitiert werden, sollte man skeptisch sein, welche da nun gemeint ist.
@ Markus d. ä.
FGG 2 = MilNw
FGG 3 = Operationsführung
FGG 5 = Operationsplanung
Das gibt es so in der Trennschärfe heute aber nicht mehr. Auch in den Kommandos spricht man davon klassisch nicht mehr, da man die Strukturen des BMVg weitgehend übernommen hat.
@ Eule und Memoria:
d’accord, es geht nur FGG übergreifend, zu oft durfte ich semi-professionelle 2er bei gefährlichen Targeting Anwandlungen/Versuchen im Alleingang beobachten …..beängstigend….
Zur Gesamtthematik…..irgendwie kommt mir dass Alles sehr bekannt vor, hatte ich nicht vor ein paar Jahren zu diesem Thema „Tötungslisten“ von einer ‚kleinen‘ Anfrage gehört?
Na da würde mich jetzt aber zumindest mal der Einsatz interessieren, wo sie diese Erfahrungen gemacht haben.
Und vor allem, wie diese Alleingänge denn ausgesehen haben sollen. Hat der Targeteer/semiprofessionelle 2er dann die Kräfte eingesetzt?
@Eule:
Natürlich gibt es versch. Listen und die Berichte über Probleme beim Targeting sind nicht ganz aktuell. Ich wollte nur noch mal das vom SPIEGEL-Artikel auch aufgeworfene Thema (Wie kommt man auf die Liste?) aufgreifen.
Die starke Abstützung auf SIGINT ist ja ein Dauerthema der Nachrichtengewinnung und – beschaffung.
Gerade wenn man keine Präsenz in der Fläche mehr hat.
@Memoria
Klar, die Planung der Operationen erfolgt bei 5 bzw. 3.5, die 2er sollten aber eine Vorschlagsliste generieren (inkl. Priorisierung), insbesondere bei den HVIs. Die 2er machen auch Vorschläge zur Operationsplanung bzw. schlagen diese vor.
Federführend ist natürlich 3 oder 5.
INTEL drives the operations …
@Eule:
„Da liegen zu heute Entwicklungswelten in dem Bereich.“
Das ist gut zu hören. Dann sind wir hoffentlich bei „fixing the Intel“ im Sinne von GenLt Flynn vorangekommen.
Notwendig wäre es. Egal für welche Art von Einsatz.
Denn ohne deutliche Verbesserungen in diesem Bereich, sind die Investitionen in Milliardenhöhe für neue Waffensysteme weitgehend sinnlos (Elefant im Porzellanladen).
@memoria
Das Problem der Präsenz in der Fläche ist richtig. Jede Single source ist schwierig, wenn nicht gar unnütz. Valide und reliable Quellen außerhalb von SIGINT sind eben äußerst schwer und aufwendig zu generieren. Aber wem ich erzähle ich das.
@ Thomasmas Melber:
Den letzten Post hätte ich gern mal genauer ausdifferenziert. Um es mal vorsichtig auszudrücken, finde ich ihn ein wenig verquer mit einem Anflug von Tautologie.
@Eule
Könnten Sie Ihre Frage etwas präzisieren? Bzw., wo gehen Sie nicht konform?
“ Die 2er machen auch Vorschläge zur Operationsplanung bzw. schlagen diese vor.“
Was meint das?
Ich verstehe da die Planungsprozesse ein wenig anders. Und sei es nun den Target Cycle oder COP D oder TTP, you name it.
Des Weiteren fehlt mir ein wenig der Zusammenhang zwischen ihrem letzten Post und meiner Kritik von 11:13. Immerhin relativieren sie durch den Post von 13:27 ja ein wenig die Forderung, dass alles im FGG 2 zusammenlaufen soll ( das war immerhin erst gestern).
Der Hinweis auf Intel-driven operations findet bei mir zwar fast immer Generalbeifall, aber in diesem Post fehlt mir der fachlich fundierte Bezug.
Des Weiteren besteht ein großer Unterschied zwischen INTEL drives the operation und inteldriven operation!
Ersteres überbetont Intel deutlich und kann nicht im Sinne des comprehensive approachs sein.
Die vornehmste Rolle eines guten N2 besteht darin, ein Common Picture of the Operational Environement (CPOE), früher mal Intel Preparation of the Battlespace (IPB), also ganz platt gesagt, ein Lagebild zu erstellen. Und darauf bauen Operationsoptionen auf. Das ist mit INTEL-driven gemeint.
Und das macht er für seinen CTG, CTF oder eben jeden Führer vor Ort. Anhand dessen und den anderen Faktoren (Commanders objektives and Guidance, Logistische Lage!) wird dann ein OPLAN, daraus ein OPGEN und daraus die OPTASKs geschrieben. Und das macht definitiv der Operateur und nicht der INTEL. Zuarbeit mal außen vorgelassen.
In der Praxis hab ich das schon oft genug gemacht. Und dabei kommt es dann darauf an, dass sich gerade der N2 und der N3 ganz eng abstimmen.
Meines bescheidenen Erachtens nach ist das recht simpel.
Commander hat politische Richtlinien, die er erfüllen muss und gibt daraus seine Intents!
N4 stellt Mittel zur Verfügung.
N2 stellt Lagebild
N3 gibt die COAs aus und empfiehlt einen
Commander trifft eine Entscheidung und Attacke hüh!
Dabei wird immer wieder überprüft, ob alle N-Heads die Intents treffen, bzw. ob diese überhaupt erreichbar sind.
Das ist jetzt ein wenig abstrakt und sicherlich auch sehr kurz, aber einfacher in wenigen Zeilen kann ich das nicht darstellen. Und dort finde ich eben kein FGG 2 in einer herausragenden Rolle. Jeder spielt seine, damit das große Theater funktioniert.
Streiche TTP, setze TPP = Taktischer Planungsprozess
@Schiff
Nein.
Als Beteiligter erlaube ich mir einige Bemerkungen:
– Die JPEL ist keine „Todesliste“, sondern enthält auch andere Wirkungsforderungen. Das Beispiel Noor wurde hier ja schon angesprochen.
– Die gezielte Bekämpfung militärischer Ziele ist militärische Normalität. Wer will denn ernsthaft eine ungezielte Bekämpfung solcher Ziele?
– Dass bei ISAF im Rahmen der Ziel- und Wirkungsanalyse bzw. des Targeting-Prozesses Personen im Vordergrund standen und nicht Objekte, hängt mit der Natur der dortigen Aufstandsbewegung zusammen. Der jeweilige Prozess ist aber identisch mit dem, was auch gegen konventionelle Gegner zum Einsatz käme, bei denen Hauptquartiere, Brücken oder andere Objekte auf der Liste stehen würden.
– Unsicherheit ist eine Konstante militärischen Handelns, dass immer vor dem Hintergrund begrenzter Informationen stattfindet. Die gleichen Spiegel-Journalisten, die hier über die “ dünnen und teils willkürlich anmutenden Grundlagen“ jammern, hätten sich ebenso beklagt, wenn man diese Grundlagen durch bestimmte Befragungspraktiken verbessert hätte. Man kann es dieser Klietel mit ihrem Drang zur Sensationalisierung militärischer Banalitäten niemals recht machen.
– Dass der „Tod von unschuldigen Zivilisten ::bei den gezielten Tötungen explizit in Kauf genommen“ wurde, „wenn die Bedeutung des Ziels dies zu rechtfertigen schien“, entspricht der Proportionalitätsanforderung des Humanitären Völkerrechts, welche den nicht nur in dieser Hinsicht äusserst uninformiert wirkenden Spiegel-Journalisten unbekannt zu sein scheint.
Bisher gibt es zu dem Thema noch nicht mal eine SPON-Meldung.
Ist ja im Kern auch alles längst bekannt, auch die Beteiligung von ISAF und die deutsche Zurückhaltung:
http://augengeradeaus.net/2010/08/das-doppelte-leben-des-josef-blotz/
http://augengeradeaus.net/2010/08/targeting-und-gezielte-totungen-in-afghanistan-die-deutsche-position-zum-nachlesen/
Mal schauen, ob es diese Woche noch für ein wenig politische Aufregung reicht.
@ Memoria
Scheint als habe Ihr Kommentar die Damen und Herren bei SPON motiviert.
Ob’s politisch wird, keine Ahnung. Aber die Zielvorgabe „Aufregung“ dürfte beim Verfassen des Artikels vorhanden gewesen sein.
Hier nun der Artikel im Volltext:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-usa-geben-taliban-zum-abschuss-frei-a-1010629.html
Bereits zu Beginn fragt man sich, was die suggestive Fragestellung soll:
„Darf eine Demokratie ihre Feinde gezielt töten, wenn es nicht um die Verhinderung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs geht?“
Gerade Herr Gebauer kennt doch die ROE-Diskussionen von 2007ff sehr gut.
Sehr gut ist die Zusammenfassung von General Ramms:
„Wir Deutschen haben einen Stabilisierungseinsatz geführt und die Amerikaner einen Krieg“
Wobei gem. KdB ja auch eine StabOp ein Einsatz im Sinne von COIN sein könnte…
Hier der Volltext:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-usa-geben-taliban-zum-abschuss-frei-a-1010629.html
Sehr treffend von General Ramms:
„Wir Deutschen haben einen Stabilisierungseinsatz geführt und die Amerikaner einen Krieg“
Schon die Einleitung („Darf eine Demokratie ihre Feinde gezielt töten, wenn es nicht um die Verhinderung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs geht?“) ist abstrus. Als wären wir im Jahr 2006…
[Erster Kommentar war aus nicht nachvollziehbaren Gründen im Spamfilter gelandet. Ich lasse trotzdem mal beide stehen, weil im ersten auch noch weitere Aussagen standen. T.W.]
(ein vorheriger Kommentar ist verschwunden, daher hier ein 2. Versuch.)
„Die Existenz der sogenannten JPEL-Unterlagen (für „Joint Prioritized Effects List“) ist bisher nur in Auszügen beschrieben worden. In den Kriegstagebüchern der US-Armee aus Afghanistan, die WikiLeaks 2010 gemeinsam mit „New York Times“, „Guardian“ und dem SPIEGEL veröffentlichte, tauchen die Einsätze von US-Spezialeinheiten zwar auf, allerdings nicht sehr ausführlich. Die jetzt zugänglichen Dokumente ermöglichen erstmals einen systematischen Blick auf die gezielten Tötungen. Sie schildern die Kriterien, wer warum auf diese Liste geriet.“
Aha, na dann. Eine Liste schildert alle Kriterien? Na dann brauchen wir ja zum Glück keinen Ausschuss und auch keine Untersuchungen mehr, wenn das die Liste schon alles beantwortet. Spart uns Arbeit.
Sorry, aber der Artikel strotzt ja nun wirklich nur so von Halbwahrheiten und willkürlichen Ableitungen. Das Zitat dient dabei als Exemplar. Aus jedem Fakt, den der Schreiberling dort vorbringt, kann man als Fachkundiger auch direkt in die andere Richtung argumentieren. Für mich ist das ganz schlecht zusammengeklatscht und alles andere als stichhaltig.
„Darstellen, Bewerten, Folgern“ wurde hier ersetzt durch „Darstellen und Behaupten, Bewerten und Verzerren, mutwillig einseitig Position beziehen“.
Man mag mich eines besseren belehren, aber ich habe den Eindruck, dass der Verfasser noch nie in diesem Einsatzland war. Und wenn, dann hat er das dortige System der Talibannetzwerke nicht verstanden. Und eben auch nicht, dass eine systematische Trennung zwischen Taliban, Drogenbaron oder Lokal Warlord nicht in der Realität existiert, sondern nur in den Köpfen der Unwissenden. Sonst würde man sich nicht ernsthaft die Frage stellen, warum man nicht nur die Führungsriege ausschaltet. Und das auch nur wenn sie, die Führungsriege, unmittelbar mit dem Raketenwerfer vor dem Tore steht.
Wer eine westliche Armee zerschlagen will, der räumt auch nicht die Admiralität oder Generalität aus dem Weg, sondern Schlüsselfähigkeiten. Genau diese Flexibilität in der Führungsfolge, haben die Taliban hervorragend von ihren Lehrern verschiedenster Couleur gelernt. Und welch Überraschung, das hat auch die Untersuchung der CIA hervorgebracht. Das Geld hätte man sich sparen können. Bräuchte man nur einmal in die Historie zu blIdeen und sich die Frage stellen: Wer hat denen das beigebracht?
Ergo nimmt man bei den Taliban eben nicht nur die Häuptlinge, sondern eben die Facilitator! IED-Experten, Logistik-Multis, usw.
Das ist nicht neu, das ist nicht verwerflich, das ist für einen bewaffneten Konflikt schlichtweg logisch und notwendig. Einen bewaffneten Konflikt gewinnt man durch Wirkungsüberlegenheit. Und das bedeutet nunmal das reduzieren der gegnerischen Fähigkeiten. Und da sind wir in Afganistan neben allen politischen und wirtschaftlichen Ansätzen im Kern nunmal beim Militär! Und dieses hat den Auftrag durch seine Streitkräfte eben diese Wirkungsüberlegenheit herbeizuführen.
Das angeführte Beispiel mit Vater und Sohn ist tragisch. Etwas ähnliches habe ich selber erlebt und bestimmt haben dies auch andere. Das belastet und man fragt sich selbst, ob es im Verhältnis steht. Und bis jetzt, bin ich immer zu einem positiven Prüfergebnis gekommen.
Die Zugriffsoperationen, die aufgrund zu hoher Wahrscheinlichkeit an Zivilopfern abgesagt worden, werden es nie in die Medien schaffen. Aber die wenigen Beispiele, die geeignet sind ein Zerrbild der Realität zu zeigen… Ohne Worte!
Wir stellten uns die Frage schon öfter ob die Bw aus den Opfern, genauer gesagt den gefallenen Soldaten etwas gelernt hat. Ich denke das hat sie.
Bei diesem Artikel Frage ich mich, ob manche Medien daraus lernen oder einfach in ihrer Entwicklung stehen bleiben.
Mich wundert es, dass regelmäßig militärisches Targeting gegen Personennetzwerke mit polizeilicher Strafverfolgung gegen kriminelle Netzwerke auf eine Stufe gestellt und der gleiche Maßstab angelegt wird. Beim militärischen Targeting hat man es mit sehr großen gegnerischen Netzwerken zu tun, in denen zigtausende Personen miteinander in Verbindung stehen. Möglichkeiten zu Ermittlungen vor Ort und die Option einer Festnahme bestehen beim militärischen Targeting oftmals nicht. Die Aufklärung ist mit auf diese Rahmenbedingungen angepassten Mitteln durchzuführen und Entscheidungen zum Wirken gegen Ziele sind auf dieser Grundlage zu treffen. Wenn polizeiliche Mittel alleine geeignet gewesen wären, um die gegnerischen Netzwerke in Afghanistan zu bekämpfen, dann wären dort nie westliche Streitkräfte eingesetzt worden. Wer Streitkräfte einsetzt, der muss die Möglichkeiten und Grenzen des militärischen Targetings akzeptieren und kann von den Soldaten nicht ein polizeiliches Vorgehen verlangen. Wer dieses dennoch tut, der legt die Grundlage für das Scheitern des Einsatzes.
@Nordlicht
Die Herausforderung ist (für die Bw / deutsche Politik) die Unterscheidung zwischen Kombattant und (kriminellem) Zivilist.
Für uns sind es alles Zivilisten, außer man erwischt sie auf frischer Tat (im Gefecht)., und auch da gab es lange Zeit nur defensives Vorgehen.