Bundeswehr-Beschaffung: Kampf gegen den gordischen Knoten

Verteidigungsministerium Ursula von der Leyen hat am (heutigen) Montag das Gutachten eines Konsortiums aus Wirtschaftsberatern, Juristen und Technikspezialisten entgegen genommen, die umfassende Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte. Folgerungen daraus zu ziehen, dürfte für die Ministerin und für das Ministerium eine Mischung aus Durchschlagen eines gordischen Knotens und dem verstärkten Bemühen um die Einführung des gesunden Menschenverstandes in die Beschaffungen des Wehrressorts bedeuten. (Nebenbei: Nicht das erste Mal, dass der/die Inhaber/in der Kommandogewalt mit diesem Anspruch antritt…)

Eine Zusammenfassung (genannt Exzerpt) dieses insgesamt mehr als 1.000 Seiten starken Gutachtens, das Statement der Ministerin dazu und einige Slides, die die Folgen skizzieren sollen, habe ich hier als Material eingestellt. Das alles richtig zu bewerten, dürfte ein wenig dauern (und die aktuellen Medien sind voll von dem Thema), deshalb hier nur stichwortartig einiges zu dem Gutachten und den Folgerungen, die aus dem Verteidigungsministerium zu hören sind:

• Das den Kennern, aber auch inzwischen der Öffentlichkeit weitgehend bekannte Problem Rüstungsgüter kommen zu spät, teurer als geplant und mit Mängeln ist spätestens mit der Studie auch offizielle Linie des Verteidigungsministeriums. Dafür werden im Wesentlichen drei Stränge verantwortlich gemacht: Handwerkliche Fehler im Ministerium, handwerkliche Fehler in der Industrie (dieser Punkt war aber nicht so sehr der Auftrag des Gutachtens) und die politische Einflussnahme auf die Rüstungsbeschaffung.

• Als Hauptproblem sieht das BMVg offensichtlich die in den vergangenen Jahren (und Jahrzehnten) gemachten handwerklichen Fehler im eigenen Hause – also im Ministerium selbst und den nachgeordneten Behörden wie dem Bundesamt für Ausrüstung, IT und Nutzung (BAAINBw). Verträge seien nach Schema F abgeschlossen worden und hätten dem Besteller, also dem Bund, von vorherein Nachteile beschert. Die Ministerin soll, so ist zu hören, ein wenig entgeistert gewesen sein über die Vertragsgestaltung beim Kampfhubschrauber Tiger (Foto oben): nur sechs Prozent des gesamten Investitionsvolumens seien überhaupt als Vertragsstrafe infrage gekommen, und die sollen lange ausgeschöpft sein. Außerdem habe der Bund bereits vor der Lieferung des ersten Hubschraubers schon 80 Prozent der gesamten Bestell-Summe gezahlt – wenig Handhabe, um bei Lieferverzögerungen oder Mängeln gegen den Hersteller vorzugehen.

• Für den Bund nachteilige Verträge seien aufgrund wenig professionellen Vertragsmanagements abgeschlossen worden – aber auch, um die Kosten scheinbar niedrig zu halten. So trete der Bund regelmäßig als Selbstversicherer auf, das bedeutet, für eventuelle Fertigungsschäden gab es keinen Versicherungsschutz. Zum Beispiel, als bei den neuen Fregatten vom Typ 125 die Brandschutzfarbe zu früh aufgetragen und wieder entfernt werden musste.

• Korrektur zum vorhergehenden: Eigentlich gab/gibt es offensichtlich gar kein Vertragsmanagement, wie die Zeitabläufe und Rechtspositionen des Ministeriums bei bestimmten unter den Tausenden von Verträgen aussehen, ist nicht ohne Weiteres feststellbar.

• Risiken bei Projekten werden ignoriert und Informationen darüber versickern auf der Meldekette. Was oben ankommt, ist in der Regel deutlich positiver als das, was von unten gemeldet wird.

• Die politische Einflussnahme auf Rüstungs/Beschaffungsentscheidungen wirkt sich auf verschiedenen Wegen aus: Teilweise wurden die Kosten für ein Projekt künstlich heruntergerechnet, damit es zum einen zu Haushaltsvorgaben passt, zum anderen besser oder überhaupt durch die zuständigen Parlamentsauschüsse kommt. Auch bei der Vergabe wurde nach politischen Kriterien entschieden: Als Musterbeispiel gilt der neue Schützenpanzer Puma, für den der Auftrag dafür nicht im Wettbewerb an eines der beiden deutschen Landsystem-Häuser Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann vergeben wurde. Sondern an ein Konsortium aus beiden*. Ähnliche politische Überlegungen beeinflussten den Kauf des Eurofighters – der Bedarf sei, so heißt es aus dem Ministerium, eben nicht anhand des militärischen Bedarfs, sondern anhand des gewünschten Workshares für die deutsche Fertigung berechnet worden.

Nun ist vieles von dem oben genannten bekannt und in vielen Details auch hier auf Augen geradeaus! im Detail debattiert worden. Interessant ist nun, welche Folgerungen daraus gezogen werden.

• ein neues, professionelleres Vertragsmanagement soll dafür sorgen, dass zum Einen von vornherein Verträge so abgeschlossen werden, dass der Bund nicht gleich mit einem Nachteil antritt. Dafür sollen Experten zusammengefasst werden, die ohnehin bereits im Ministerium oder einer nachgeordneten Behörde arbeiten – an neue Strukturen oder eine Veränderung der bisherigen Organisationsformen ist aber offensichtlich nicht gedacht. Die besten müssen drin im Vertragsmanagement sein, sie sollen dafür sorgen, dass die Bundeswehr/das Ministerium künftig auf Augenhöhe mit der Industrie agieren und dass die Vertragswerke künftig gestaltet und nicht nur verwaltet werden.

• Ein neuer Lenkungsausschuss mit den Staatssekretären Karin Suder und Gerd Hoofe und Generalinspekteur Volker Wieker wird geschaffen, dem die Inspekteure der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche regelmäßig Bericht zu ihrem Material erstatten sollen.

• Für das fliegende Gerät wird es zwei neue Task Forces geben, die notfalls auch für die Einzelfallklärung bei jedem problembehafteten Flieger sorgen sollen. Die Leitung der Task Force Starrflügler hat Luftwaffeninspekteur Karl Müllner, die der Task Force Drehflügler der künftige Marineinspekteur Andreas Krause.

• Die Kriterien für die Rüstungsbeschaffung sollen künftig nur noch auf bestimmten Gebieten auch die nationale Industrie zwingend berücksichtigen. Das gilt für den ganzen Führungs-/Computer/Software-Bereich, also Verschlüsselung, Sensorik und netzwerkzentrierte Operationsführung, aber auch für Schutztechnologien. Bei Bereichen wie Handfeuerwaffen, gepanzerten Fahrzeugen und U-Booten sind deutsche Unternehmen zwar Weltmarktführer – was aber aus Sicht des Verteidigungsministeriums nicht zwingend bedeutet, dass die Bundeswehr auch immer dort kaufen muss. Wenn es ein nationales Interesse gebe, diese Technologien mit ihrer Spitzenstellung in Deutschland zu erhalten, seien dafür gegebenenfalls auch andere gefordert – ein deutlicher Hinweis an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, da nötigenfalls zu sagen, wie er den Fortbestand dieser Industriezweige sichern will. (Eine Matrix zu den BMVg-Überlegungen findet sich auf der letzten Folie, die im Material-Thread eingestellt ist).

• Zu den einzelnen Rüstungsprojekten an dieser Stelle keine detaillierte Betrachtung, nur zu einem Punkt: Nachdem die Ministerin am Vortag in einem Interview ein neues Drohnen-Beschaffungsprojekt ins Gespräch gebracht hatte, sind heute aus dem Ministerium deutlich zurückhaltendere Worte zu hören. Grundsätzlich bleibt es dabei, dass der eingemottete EuroHawk wieder in Betrieb genommen werden soll, damit das Aufklärungssystem ISIS zu Ende geprüft werden kann. Parallel ist eine Studie geplant, die untersucht, ob und wie das Nachfolgemodell Triton von der Bundeswehr genutzt werden könnte. Dabei soll es auch um eine Revision des Bundeswehr-eigenen Regelwerks für die Zulassung von Fluggerät gehen. (Aus Politik und von Experten sind ja gerade wg. der Zulassung da schon skeptische Stimmen zu hören.)

Über weitere Details wird hier, in der Politik und in der Öffentlichkeit in den nächsten Tagen sicher noch debattiert werden – für heute muss das als grobe Übersicht reichen. Vor allem das Thema ‚wo kaufe ich ein‘ wird bestimmt noch sehr spannend.

*In einer ersten Fassung hatte ich falsche Zahlenangaben zum Puma eingestellt; ich muss noch mal prüfen, wo dieser Irrtum herkam und bitte um Entschuldigung.

(Foto: Zwei Kampfhubschrauber Tiger starten nach Betankung und Aufmunitionierung vom vorgeschobenen Versorgungspunkt – Bundeswehr/Vennemann via Flickr unter CC-BY-NC-ND-Lizenz mit Freigabe für redaktionelle Verwendung)