Attraktivitätsgesetz für die Truppe: Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Rente

Die Attraktivität des Dienstes ist für die Bundeswehr, pardon, eine Überlebensfrage. Denn seit der Aussetzung der Wehrpflicht ist die Truppe darauf angewiesen, jedes Jahr rund 20.000 neue Freiwillige einzustellen, um ihre Stärke von geplant dauerhaft 185.000 Soldatinnen und Soldaten halten zu können. Das geht zum einen nur mit modernem, funktionierendem Material (das ist eine andere Baustelle), aber auch nur mit attraktiven Arbeitsbedingungen. Für Letzteres hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Juni ein Attraktivitätsprogramm mit so praktischen Dingen wie besseren Unterkünften begonnen, zugleich aber auch ein Gesetz für Verbesserungen zum Beispiel beim Einkommen und der Arbeitszeit der Soldaten angekündigt.

Dieses Gesetz, im feinsten Beamtendeutsch Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr – Bundeswehr-Attraktivitätssteierungsgesetz/BwAttraktStG genannt, ist in dieser Woche zwischen den beteiligten Ressorts endgültig abgestimmt worden und soll in der kommenden Woche vom Bundeskabinett gebilligt werden, ehe es ins Parlament geht. Die Federführung hatte das Bundesinnenministerium, weil es um Regelungen für den öffentlichen Dienst geht – und das BMI mit seinem Ressortchef (und früheren Verteidigungsminister) Thomas de Maizière tunlichst vermeiden wollte, dass Bestimmungen ins Gesetz geschrieben werden, die möglicherweise bei anderen Institutionen wie der Bundespolizei Begehrlichkeiten wecken könnten.

Eine Folge der BMI-Federführung ist offensichtlich, dass sich in dem Gesetz das eigentlich von der Verteidigungsministerin versprochene dauerhafte Wahlrecht zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung für dauerhaft pendelnde Soldaten nicht wiederfindet. Nicht so überraschend, wenn man weiß, dass de Maizière schon zu seiner Zeit als Verteidigungsminister kein Freund einer solchen Dauer-Regelung war (obwohl sie sich im Koalitionsvertrag findet). Als praktischer Kompromiss soll nun dieses Wahlrecht, derzeit per Erlass als Übergangsregelung für die Dauer der Bundeswehrreform zugestanden, einfach mal weiter verlängert werden.

Aber was steht nun in dem BwAttraktStG tatsächlich drin? Die ganzen Details eines solchen Artikelgesetzes können nur Profis in der Verwaltung und aus Verbänden durchschauen; ein paar Kernpunkte der geplanten Neuregelung:

Erstmals seit Bestehen der Bundeswehr, so heißt es in der Gesetzesbegründung, wird die Dienstzeit, also die Arbeitszeit von Soldatinnen und Soldaten, gesetzlich geregelt. Ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit soll ab Januar 2016 wie bei Bundesbeamten  41 Stunden betragen – damit wird auch die EU-Arbeitszeitrichtlinie für die Truppe umgesetzt. Allerdings gilt diese Wochenarbeitszeit von vornherein nicht in Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen oder im NATO- oder EU-Dienst (zudem grundsätzlich nicht für Führungskräfte ab Brigadegeneral aufwärts). Und, das ist für die Marine entscheidend, diese Wochen-Grenze gilt auch nicht bei mehrtägigen Seefahrten. Außerdem kann die Arbeitszeit bei Soldaten im Bereitschaftsdienst entsprechend den dienstlichen Bedürfnissen angemessen verlängert werden.

Für die Begründung der Ausnahmeregelungen von der EU-Richtlinie haben die Autoren des Gesetzes das ganz große Fass aufgemacht: Die Schutzgüter, um derentwillen der militärische Auftrag auszuführen ist, haben ein deutlich höheres Gewicht als diejenigen, um derentwillen Sicherheits- und Rettungsdienste tätig werden. Bei den Schutzgütern militärischer Tätigkeiten handelt es sich nicht vorwiegend um Individualrechtsgüter, sondern um zentrale Rechtsgüter der staatlichen Gemeinschaft, namentlich ihre Existenz, ihren Fortbestand und ihre Funktionsfähigkeit, beziehungsweise um zentrale Rechtsgüter der internationalen Gemeinschaft (insbesondere Weltfrieden und internationale Sicherheit). [Das ist übrigens, mal als persönliche Anmerkung, eine der wenigen Stellen im Gesetzentwurf, an denen der Dienst der Soldaten deutlich vom Dienst der Beamten abgegrenzt wird.]

Zahlreiche Zulagen, die zum Teil seit mehr als 20 Jahren unverändert geblieben waren, werden erhöht. Faustregel: wenn die Zulagen zuletzt 1990 angepasst wurden, beträgt die Steigerung 40 Prozent; bei letzter Anpassung 1998 sind es 22 Prozent und bei letzter Anpassung 2003 zwanzig Prozent. Das ganze ist ein kompliziertes Paragrafenwerk, das bestimmt später mal in eine Tabelle übersetzt wird – hier erst mal nur so viel: Erhöht werden die Zulagen unter anderem für Sprengstoffentschärfer, die Bordzulage, für Munitionsräumung, das fliegende Personal (nicht nur der Bundeswehr, sondern auch anderer Einrichtungen des Bundes – siehe die Vorbemerkung zum BMI oben); und für Minentaucher. Eine eigenständige Zulage gibt es für die ständige Arbeit in einer verbunkerten Anlage (30 Euro monatlich).

Für die Spezialkräfte wird nicht nur eine Zulage von 900 Euro gezahlt – die Zulage, wenn auch geringer, gibt es künftig als Neuregelung auch für ausgebildete Kommandosoldaten und Kampfschwimmer, die in anderen Verwendungen tätig, jedoch zur Erhaltung der erworbenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse verpflichtet sind. Diese Neuregelung folgt einem ebenfalls neuen Grundsatz: Für Inübunghaltung mit Einsatzverpflichtung gibt es etwa 70 Prozent, für Inübunghaltung ohne Einsatzverpflichtung rund 50 Prozent der entsprechenden Zulage.

Außerdem wird der Wehrsold erhöht – auch da warten wir mal auf die Tabellen.

Nach dem neuen Gesetz sollen Soldatinnen und Soldaten künftig mehr Anspruch auf Teilzeitarbeit bekommen. So soll sie genehmigt werden, wenn familiäre oder soziale Pflichten der Pflege oder Betreuung von mindestens einem minderjährigen Kind oder eines pflegebedürftigen sonstigen Angehörigen erfüllt werden. Zwingende dienstliche Gründe können das allerdings ausschließen. Andererseits sollen auch Soldatinnen und Soldaten künftig leichter eine Teilzeitstelle genehmigt bekommen, ohne dass sie dies mit familiären Pflichten begründen müssen. Allerdings können per Rechtsverordnung Verwendungen und Truppenteile festgelegt werden, in denen Teilzeitarbeit nicht infrage kommt.

Familiäre Verpflichtungen sind wiederum ausschlaggebend für die Frage, ob eine Familien- der Haushaltshilfe künftig von der Bundeswehr bezahlt wird, weil ein Soldatin oder ein Soldat in den Einsatz geht (oder in eine Verpflichtung mit Einsatzcharakter, zum Beispiel in die NATO Response Force oder eine EU Battle Group, einschließlich der Vorbereitungszeiten). Diese Kostenerstattung soll allerdings eine Ausnahme bleiben und keine Regelleistung für den Wegfall üblicher familiärer Mithilfe bei beruflich bedingter Abwesenheit werden, sondern nur bei der  Bewältigung außergewöhnlicher Umstände helfen.

Der Stichtag für Entschädigungen nach dem Einsatzversorgungsgesetz wird vorverlegt. Bislang galt der 1. Dezember 2002, an dem das Gesetz in Kraft trat – damit waren Schädigungen aus den Auslandseinsätzen zum Beispiel in Bosnien oder den Anfangsjahren des Kosovo-Einsatzes ausgeschlossen. Der neue Stichtag ist der 1. Juli 1992, so dass Soldaten auch für bleibende Gesundheitsschäden aus den Einsätzen in Kambodscha, in Somalia und auf dem Balkan eine besondere Entschädigung erhalten können.

Für ausgeschiedene Zeit- und Berufssoldaten wird die Regelung für die Anrechnung ihrer Arbeitseinkünfte außerhalb der Bundeswehr auf ihr Ruhegehalt zwischen der Versetzung in den Ruhestand und der Altersgrenze für (Bundespolizei)Beamte abgeschafft. Im Klartext: Wer jünger in den Ruhestand geht, weil er als Soldat eher pensioniert wird als ein gleichrangiger Polizeibeamter, darf in den Jahren nach seiner Pensionierung arbeiten, ohne dass es seine Pension schmälert. Die Details werden kundige Berater dann bestimmt ausrechnen, mich überfordern sie.

Ganz kompliziert wird es auch bei der Änderung des Rentenrechts im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch. Knapp gesagt: Für Soldaten auf Zeit, die in der Rentenversicherung nachversichert werden, gibt es Zuschläge an Entgeltpunkten. Auch da dürfte es kundige Berater geben, unterm Strich ist das Ziel, dass die Rente dieser Soldaten höher ausfällt. Das gleiche gilt auch für die Berücksichtigung von beitragspflichtigen Einnahmen über der Beitragsbemessungsgrenze – da warte ich auf die Kollegen meiner Branche, die mal erklären könnten, was das bedeutet, auch systematisch.

Ein Personalbindungszuschlag, sozusagen eine Prämie für die Verpflichtung in Mangel-Verwendungen bei der Bundeswehr, kann für Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten gezahlt werden, wenn es in ihrem Bereich dauerhaft zu wenig Soldaten gibt. Für bis zu vier Jahren, als Einmalprämie oder monatlich. Dabei dürften vor allem Bereiche wie die Informationstechnik im Mittelpunkt stehen, bei denen sich die Bundeswehr schwer tut, genügend Spezialisten zu finden – und zu halten.

Und was kostet das Ganze? Das haben die Beamten natürlich auch ausgerechnet: Im kommenden Jahr rund 120 Millionen Euro, im Jahr 2016 dann knapp 300 Millionen Euro, 2017 sind es 273 Millionen und 2018 schließlich 252 Millionen Euro. Der größte Posten dabei sind übrigens die Zahlungen an die Rentenkasse für die Nachversicherung der ausgeschiedenen Zeitsoldaten: Die machen ab 2016 jedes Jahr 90 Millionen Euro aus. Die Erhöhung der Stellen- und Erschwerniszulagen ist da mit gut 14 Millionen Euro pro Jahr schon deutlich günstiger. (Dass die Folgen des Gesetzes aus dem laufenden Verteidigungshaushalt finanziert werden müssen, haben die Kollegen verschiedener Medien schon thematisiert, z.b. bei SpOn).

Wie es bei einem solchen Artikelgesetz eben ist, wurden da auch mal paar andere Dinge mit reingepackt: Neuregelungen zur Dienstkleidung des Zolls oder die Höhergruppierung des Präsidenten des Bundeszentralamtes für Steuern, der demnächst nach B8 besoldet wird (was dann ein bisschen merkwürdig wirkt, wenn der folgende Absatz die Stellenzulage für Kompaniefeldwebel behandelt).

So weit die wesentlichen Neuregelungen, die mir in dem Gesetzentwurf aufgefallen sind – und bei denen es vor allem darauf ankommen wird, wie die Truppe die geplanten Verbesserungen beurteilt: Attraktivität ist ja nichts, was man verordnen könnte.

Bestimmt habe ich Details übersehen – ich hoffe, nicht zu schwerwiegende. Aber in der nächsten Woche beginnt ja ohnehin nach dem Kabinettsbeschluss die Debatte über den Entwurf, und es gilt auch hier das so genannte Strucksche Gesetz: Kein Gesetz geht so in den Bundestag wie es wieder rauskommt.

(Foto: Soldaten als Pendler am Bahnhof – Bundeswehr/Stollberg via Flickr unter CC-BY-NC-ND-Lizenz mit Freigabe für redaktionelle Verwendung)