Vor dem NATO-Gipfel: Vorbereiten auf die ‚Speerspitze‘

Vor dem am (morgigen) Donnerstag in Wales beginnenen NATO-Gipfel ist in Berlin einiges zur deutschen Positionierung für diesen Gipfel in Zeiten der Ukraine-Krise zu hören. Vermutlich wird in fast allen Medien was dazu zu lesen sein; aus meiner Sicht ein paar wichtige Punkte:

Zentrales Vorhaben des Treffens wird der Readiness Action Plan (zu dem hier aus niederländischen Quellen schon einiges zu lesen war): Die deutliche Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Truppen des Bündnisses.

Innerhalb der bestehenden NATO Response Force (NRF) – und aus den dafür bereitgestellten Kräften – soll eine Very High Readiness Joint Task Force gebildet werden, die innerhalb weniger Tage für einen Einsatz bereit steht – das ist das, was in manchen Berichten über Aussagen des scheidenden NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen als Speerspitze bezeichnet wird. Eine Ausplanung soll erst nach dem Beschluss auf dem Gipfel erfolgen, die Zahl von rund 4.000 Soldaten dürfte sich aber bestätigen. Und zwar aus allen Teilstreitkräften.

Das dürfte natürlich auch die Bundeswehr betreffen – die ja für die nächste Rotation der NRF 2015 das Panzergrenadierbataillon 371, die Marienberger Jäger, gemeldet hat. Eine logische Konsequenz aus der Umsetzung der gepanten Very High Readiness Joint Task Force müsste dann sein, dass Teile des Bataillons dafür zur Verfügung stehen. Sagen wir mal so: Als Chef Zwote dieses Bataillons würde ich mir schon mal über die Urlaubspläne Gedanken machen.

Zusätzlich zu dieser schnellen Eingreiftruppe soll in den östlichen NATO-Mitgliedsländern eine Infrastruktur wie Kasernen und Materialdepots für den schnellen Einsatz von Truppen aufgebaut werden – und zwar mit dauerhafter Stationierung von entsprechendem Personal, vor allem Logistiker. Aus deutscher Sicht gibt das kein Problem mit der NATO-Russland-Grundakte, in der das Bündnis auf die dauerhafte Stationierung von substanziellen Kampftruppen in den neuen Mitgliedsstaaten verzichtet hat: Es sind ja schließlich keine Kampftruppen.(Dazu noch eine interessante Zahl, die in Berlin zu hören ist: als substanzielle Kampftruppen werden wohl mindestens drei Brigaden gesehen. Bis zu der Schwelle ist noch viel Luft.)

Offen ist vorerst, ob und in welchem Umfang sich die Bundeswehr an den permanenten Logistik-Stützpunkten beteiligen wird – das heißt aber auch: die dauerhafte Stationierung von deutschen Unterstützungstruppen im Baltikum oder in Polen ist nicht ausgeschlossen.

Die NATO-Russland-Grundakte von 1997, übrigens, ist aus deutscher Sicht weiterhin ein gültiges und bindendes Dokument – auch wenn manche NATO-Mitglieder argumentieren, Russland habe durch sein Verhalten in der Ukraine dieses Vertragswerk faktisch aufgekündigt. Berlin will aber, so hatte es Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Vergangenheit auch mehrfach betont, vertragstreu bleiben und an dem Regelwerk festhalten. Und eine Mehrheit der NATO-Mitglieder, so scheint die deutsche Hoffnung, hat angeblich eine ähnliche Position.

Mit dem Beschluss des Readiness Action Plans will die NATO, so auch die deutsche Sicht, auf die Entwicklung einer hybriden Kriegsführung reagieren, wie sie beim russischen Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine beobachtet wird. Also kein großflächiger Angriff mit Panzerkeil, sondern allmähliches Einsickern von Truppen.

Die bereits seit April laufenden Maßnahmen zur Unterstützung der östlichen NATO-Mitglieder sollen übrigens festgeschrieben und wohl auch verstetigt werden – zahlreiche Übungen in Estland, Lettland, Litauen, Polen, aber auch im Süden. Außerdem verstärktes Air Policing über dem Baltikum und Polen und zusätzliche AWACS-Flüge.

Auf der Tagesordnung des Gipfels stand übrigens mal Afghanistan ganz oben. Jetzt, so scheint es, wird trotz des geplanten Treffens der ISAF-Truppensteller – auch von außerhalb der NATO – auf dem Gipfel in Wales eher beiläufig zur Kenntnis genommen, dass es bislang weder einen neuen afghanischen Präsidenten noch eine Unterzeichnung der geplanten Abkommen Afghanistans mit den USA und den anderen Nationen gibt. Dass möglicherweise die derzeitige ISAF-Mission zum Jahresende ausläuft und die geplante Nachfolgemission Resolute Support dann nicht starten kann – das scheint derzeit für das Bündnis gegenüber der Bestimmung seines Verhältnisses zu Russland und entsprechenden Maßnahmen das absolut nachrangige Problem.

(Foto: A Russian SU-27 Flanker aircraft banks away with a RAF Typhoon in the background. RAF Typhoons were scrambled on Tuesday 17 June 2014 to intercept multiple Russian aircraft as part of NATO’s ongoing mission to police Baltic airspace – Royal Air Force/Crown Copyright 2014)