Die NATO und Russland: Krieg der Worte, Krieg der Bilder

NATO_DigiGlobe_rel20140410-10

Die Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland nimmt, wenn auch glücklicherweise nur auf der PR-Ebene, an Schärfe zu – wie auch schon in der heutigen Lagebeobachtung Ukraine festgestellt: Die Allianz veröffentlichte Satellitenfotos (siehe oben), die eine russische Truppenkonzentration an der Grenze der Ukraine belegen sollen; die Russen behaupten dagegen, es seien alte Aufnahmen. Der russische Präsident Wladimir Putin wiederum brachte unverhohlen die Gaslieferungen nach Europa als Druckmittel ins Spiel. Was derweil in der Ukraine selbst passiert, scheint auf diesen Schlagabtausch wenig Einfluss zu haben.

Die Satellitenfotos der zivilen Firma Digital Globe hatte NATO-Oberbefehlshaber Philip Breedlove bereits gestern der Nachrichtenagentur Associated Press übergeben, bevor sie heute vom militärischen NATO-Hauptquartier SHAPE veröffentlicht wurden.  Die Bilder zeigten den hohen Bereitschaftsgrad und die massive Präsenz russischer Truppen an der ukrainischen Grenze, argumentierte die NATO. AP nutzte den Zeitvorsprung, um einen  Fachmann zu befragen:

A defense analyst at the Center for Strategic and International Studies, a Washington-based think tank, reviewed the satellite images and said the forces depicted in them don’t appear to be involved in training exercises.
They appear to be „in combat readiness,“ Anthony Cordesman said. But he said it’s unclear from the images how much of a buildup of Russian forces there has been in the border area.

Die NATO selbst hat an der Aussagekraft keinen Zweifel:

This is a capable force, ready to go,” said Brigadier Gary Deakin, who runs Nato’s crisis operations and management centre at the alliance’s military headquarters near Mons, Belgium. “It has the resources to move quickly into Ukraine if it was ordered to do so. It is poised at the moment, and it could move very fast.”

Entscheidend ist für die Bedeutung dieser Aufnahmen natürlich, wann sie angefertigt wurden. Nach Angaben von Digital Globe wurden sie zwischen Ende März und Anfang April gemacht, das jüngste Bild (oben verwendet) trägt den Zeitstempel 2. April.

Dagegen behauptet der russische Generalstab, dass es sich um alte Aufnahmen aus dem vergangenen Jahr handelt, die während eines Manövers gemacht wurden:

Die von der NATO präsentierten Satellitenaufnahmen russischer Truppen, die angeblich an der Grenze zur Ukraine konzentriert werden, sind im August 2013 gemacht worden. Das teilte ein ranghoher Vertreter des russischen Generalstabes am Donnerstag in Moskau mit.

Das wiederum weist die NATO scharf zurück, wie mir SHAPE auf meine Anfrage mitteilte:

This is deliberate misinformation on the part of the Russians.  All the images we released were date-stamped by the provider, DigitalGlobe.  All are from late March and early April 2014.  None of the images were altered by us at SHAPE.  (…)  We have seen the Russians use misinformation, disinformation and propaganda throughout the crisis with Ukraine.  We are hopeful that the western media will hold them to account.  It is unlikely that Russian media will.

Die harschen Töne gegenüber Russland sind auch auf der politischen Ebene zu hören, vor allem vom NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen:

(Direktlink: http://youtu.be/vAooIJ_FPmY)

Russland zog auf seiner Seite die Schrauben an. In einem offenen Brief an die europäischen Regierungen, deren Länder Gas aus Russland beziehen (also auch Deutschland), deutete Putin mehr oder weniger direkt an, dass die russischen Gaslieferungen an die Ukraine wegen deren Zahlungsrückstand gedrosselt oder eingestellt werden könnten – und davon möglicherweise auch die Länder westlich der Ukraine betroffen wären. Aus dem Brief, der in einer englischen Version von der serbischen Nachrichtenagentur Tanjug veröffentlicht wurde (da Serbien auch diesen Brief erhalten hatte):

In such conditions, in accordance with Articles 5.15, 5.8 and 5.3 of the contract, Gazprom is compelled to switch over to advance payment for gas deliveries, and in the event of further violation of the conditions of payment, will completely or partially cease gas deliveries. In other words, only the volume of natural gas will be delivered to Ukraine as was paid for one month in advance of delivery.
Undoubtedly, this is an extreme measure. We fully realize that this increases the risk of siphoning off natural gas passing through Ukraine’s territory and heading to European consumers. We also realize that this may make it difficult for Ukraine to accumulate sufficient gas reserves for use in the autumn and winter period.

Einen Ausweg aus dem Dilemma, heißt es in Putins Brief, gebe es nur, wenn es zu einer konzertierte Aktion der Europäer komme – die vor allem die Zahlungsfähigkeit der Ukraine wiederherstelle.

Das alles lässt Spielraum für Gespräche und Verhandlungen. Aber der Info-War, der Krieg um die Wahrnehmung, ist in vollem Gange.

Noch einige weitere der Satellitenfotos, die die NATO veröffentlichte (Ein Klick macht sie etwas größer):

NATO_DigiGlobe_rel20140410-01 NATO_DigiGlobe_rel20140410-02 NATO_DigiGlobe_rel20140410-03 NATO_DigiGlobe_rel20140410-04 NATO_DigiGlobe_rel20140410-05 NATO_DigiGlobe_rel20140410-06 NATO_DigiGlobe_rel20140410-07 NATO_DigiGlobe_rel20140410-08 NATO_DigiGlobe_rel20140410-09

Ein Leser wies mich darauf hin, dass solche Satellitenfotos bereits seit Anfang April im Internet kursieren. Allerdings ist mir derzeit nicht klar, ob es sich um die gleiche Quelle oder um andere Aufnahmen handelt – zumindest wurden die früheren Bilder nicht von DigiGlobe verbreitet.

(Nachtrag – ich kann’s mir nicht verkneifen und hab‘ da noch was für die Verschwörungstheoretiker: Diese Firma stellt sich ja in den Dienst der NATO, muss also böse sein. Die selbe Firma unterstützt allerdings das lobenswerte Projekt Open Street Map. Da passt doch was nicht. Halt, jetzt ist alles klar: Open Street Map, die open source Karte ohne die Konzerne, wird klammheimlich von denen unterwandert… Aber hier lesen ja doch keine Verschwörungstheoretiker mit.)

(Alle Fotos: © Digital Globe via SHAPE/NATO)