Erst mal doch ‚Familienministerin in Uniform‘?

Aus verteidigungspolitischer Sicht, um das direkt zu sagen, ist das erste größere Interview der neuen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen außerhalb der Bundeswehrmedien eine Enttäuschung. Auf den drei Seiten plus Titel, die die Bild am Sonntag heute dem Gespräch mit der Ressortchefin widmet, geht es fast gar nicht um die Frage, wofür deutsche Streitkräfte da sind, wie es mit Einsätzen in absehbarer Zukunft aussehen könnte oder wie es mit den (problematischen) Rüstungsprojekten aussieht. Den Schwerpunkt bildet ein zwar auch enorm wichtiges Thema, nämlich die Attraktivität der Bundeswehr und, eigentlich als Folgerung daraus, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in einer Armee – doch selbst die Kollegen der BamS stellen in einem Kommentar zum Interview die Frage, ob sich von der Leyen hauptsächlich als Familienministerin in Uniform verstehe.

Nun mag dieser Schwerpunkt am Erkenntnisinteresse der Kollegen gelegen haben; er passt natürlich gut zu den BamS-typischen Fragen nach dem privaten Umfeld Was sagt eigentlich Ihr Mann zu Ihrem neuen Job? und Persönlichem Hat sich Ihr Adjutant schon daran gewöhnt, Ihre Handtasche tragen zu müssen? (Zur Info für Kenner, und das steht nicht in der BamS: Adjutant Oberstleutnant Heico Hübner transportiert die Handtasche der Ministerin stilecht in einem taktischen Rucksack der Marke Eberlestock). Aber erfahrungsgemäß haben eine so versierte Politikerin und ihr langjähriger Pressesprecher bei solchen – nachträglich autorisierten – Interviewtexten schon im Griff, wo die Kernaussage eines Interviews liegt. Von der Leyen, so die Botschaft, wollte genau dieses Zeichen setzen: Die Bundeswehr soll einer der attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands werden.

Welche einzelnen Punkte sich die Ministerin dazu vorstellt:

• Verlässlichere Karriereplanung: Die Soldaten müssen wissen, was mit ihnen in drei oder fünf Jahren ist.

Mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten

• Mehr Berufschancen für Zeitsoldaten nach ihrem Ausscheiden bei der Bundeswehr (das gab’s doch schon mal – hat nicht der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Forderung aufgestellt, jeder Soldat müsse die Bundeswehr mit einer höheren beruflichen Qualifikation verlassen als er bei Eintritt in die Truppe hatte?)

• Abstimmung von Dienst- und Familienzeiten

• Überprüfung der automatischen Versetzung alle zwei bis drei Jahre: Wenn jemand eine steile Karriere macht, dann geht das auch in großen Wirtschaftskonzernen nicht ohne häufige Positions- und Ortswechsel. Aber die Frage ist, ob dies für die große Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten immer sinnvoll ist.

(Was weder die Ministerin noch die Interviewer in dem Zusammenhang ansprechen: Das Problem bei Versetzungen und anschließendem Pendeln ist nicht zuletzt die Stationierungsplanung. Dazu kein Wort, was ja viele in der Bundeswehr erhofft hatten – der Sack, vom Vorgänger Thomas de Maizière geschnürt, scheint tatsächlich zu zu sein.)

• Mehr Möglichkeiten für Teilzeitarbeit (allerdings nicht konkretisiert)

Lebensarbeitszeitkonten mit der Nutzung von Freizeitausgleich für die Betreuung von Kleinkindern oder betreuungsbedürftigen Eltern, zeitliche Unterbrechungen müssen ohne Laufbahnnachteile möglich werden.

• Tagesmütter als flexible Kinderbetreuung auch in den Kasernen (Das gehört zu den ersten Punkten, die ich angehen will) und, nach Möglichkeit, ein Verzicht auf Lehrgänge während der Schulferien.

Vieles davon entspricht dem, was die Truppe und/oder der Bundeswehrverband und/oder der Wehrbeauftragte schon lange fordern. Die Schwierigkeiten werden nicht in den großen Absichten stecken – sondern in der mühsamen Kleinarbeit der Umsetzung. Wie oben schon angeführt: Weniger Pendeln, weniger Versetzungen, mehr familienfreundliche Arbeitszeiten könnten auch bedeuten, manche Stationierungsplanung, die zu einer verstreuten kleineren Bundeswehr gehört, noch mal zu überdenken – davon ist allerdings bislang nicht die Rede.

Und jenseits der Familienpolitik in Flecktarn? Da bleibt die Ministerin relativ vage. Dass sie sich zu Aufklärungsdrohnen bekennt, wie eine Agentur eine Interviewaussage zusammenfasste, wäre nur im gegenteiligen Fall eine Überraschung (oder muss sich die Verteidigungsministerin auch dazu bekennen, dass die Soldaten Gewehre haben?)

Auf die Frage nach den umstrittenen Kampfdrohnen gibt von der Leyen im Wesentlichen die entsprechende Passage des Koalitionsvertrags wieder, ergänzt um die spannende Aussage Um den Rückhalt für die Einsätze unserer Soldaten zu sichern, sollten wir möglichst im Parlament genaue Regeln festlegen, wie und wann bewaffnete Drohnen überhaupt zum Einsatz kommen dürfen. Dass der Bundestag über die Beschaffung von bewaffneten unbemannten Systemen entscheiden soll, dürfte relativ unstrittig sein – aber genaue Regeln festlegen? Das wird dann ein methodisches Problem: Soll das Parlament für jedes Waffensystem (vorab) entscheiden, wann es zum Einsatz kommen darf? Ein bisschen übertrieben gesagt: Vom G36 bis zur Panzerhaubitze, oder welche Bombe unter einen Tornado gehängt werden darf? Da bin ich sehr gespannt, wie sich das in der Praxis auswirkt.

Bei den Rüstungsprojekten hat sich von der Leyen keine konkreten Aussagen entlocken lassen – vielleicht verständlich so kurz nach Amtsantritt. Ja, eine bessere Fehlerkultur wollte auch schon ihr Vorgänger; ja, die Projektbeteiligten müssen Fehler frühzeitig melden können, ohne dass sie dafür abgestraft werden. Aber im Detail? Ob das Aufklärungssystem ISIS, als Nutzlast für den gefloppten EuroHawk geplant, tatsächlich in eine alternative Plattform eingerüstet wird – dazu werden in den nächsten Wochen Vorschläge kommen. Zum anstehenden Vertragspaket für NH90 und Tiger einschließlich der Marinehubschrauber gab’s gar nichts.

Die einzige Aussage des Interviews zu den Einsätzen der Bundeswehr ist eine Negativ-Aussage: Entscheidungsdruck für die Auswahl eines Nachfolgesystems für die geleasten Heron-Drohnen in Afghanistan gebe es nicht, denn der Vertrag für die Aufklärungsdrohne ist gerade verlängert und der einzige Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan läuft im Dezember aus. Das ist so richtig wie nichtssagend – als wäre damit für absehbare Zeit auch jeder Kampfeinsatz ausgeschlossen. Dazu gab’s dann aber leider weder eine Frage noch eine Antwort.

Unterm Strich: Jetzt warte ich gespannt auf ein Interview mit von der Leyen zu verteidigungspolitischen Fragen. Und schaue mal sehr genau auf die Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar: Aber ein Kongress oder eine Tagung muss am Wochenende nicht sein. Das kann man auch am Freitag machen, sagte sie in dem Interview. Schauen wir mal, wann die Rede der neuen deutschen Verteidigungsministerin bei der von Freitag bis Sonntag laufenden Konferenz terminiert ist.

Nachtrag: Das Interview im Wortlaut wurde am 13. Januar auf der Webseite der Bundesregierung veröffentlicht.

(Foto: Bundeswehr/Herholt via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)