Diplomatenschach: Syriens Chemiewaffen unter internationale Kontrolle?
Am Abend dieses 9. September (zumindest in Europa; in den USA noch lange nicht – da kommt auch noch was) ist das diplomatische Durcheinander um Syrien perfekt. Die Frage ist jetzt: Wird es tatsächlich dazu kommen, dass Syrien seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle stellt – und damit einen Militärschlag der USA vermeidet? Die Antwort darauf ist noch ziemlich offen, allen Aussagen der Beteiligten zum Trotz.
Wie es dazu kommen konnte? Es sieht nach einer etwas merkwürdigen Mischung von Rhetorik, Chuzpe und schneller Reaktion aus. Sozusagen nach Diplomatenschach.
Zunächst hatte US-Außenminister John Kerry bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem britischen Kollegen William Hague in London nicht nur von einem unglaublich kleinen Angriff auf Syrien gesprochen (siehe Video oben), sondern auch scheinbar einen Weg eröffnet, wie Syrien den Militärschlag der USA noch abwenden könnte. Aus dem Transkript der Pressekonferenz:
Is there anything at this point that his government could do or offer that would stop an attack?
Sure. He could turn over every single bit of his chemical weapons to the international community in the next week. Turn it over, all of it, without delay, and allow a full and total accounting for that. But he isn’t about to do it, and it can’t be done, obviously.
Die Wortwahl zeigte schon: das war nicht Ernst gemeint. Allerdings lief diese Aussage Minuten später weltweit über die Agenturen – mit der Aussage: USA stellen Syrien ein Ultimatum. Das State Department versuchte zwar, das Ganze als rhetorische Bemerkung wieder einzufangen. Doch es war zu spät: Die Russen nahmen die Vorlage auf.
We are calling on the Syrian authorities not only agree on putting chemical weapons storages under international control, but also for its further destruction and then joining the Organization for the Prohibition of Chemical Weapons. We have passed our offer to [Syrian Foreign Minister] Walid al-Muallem and hope to receive a fast and positive answer.
sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow (hier zitiert nach Russia Today) am Nachmittag. Und da passte es doch, dass der syrische Außenminister gerade zu Besuch in Moskau war – und dem russischen Vorschlag zustimmte.
Da bleiben natürlich noch sehr viele der alles entscheidenden Detailfragen offen: Wer soll eine solche Übergabe kontrollieren, geht das überhaupt mitten in einem Bürgerkrieg? Und wie lange dürfte so etwas dauern? (Wenn man sich die Bemühungen um die Kontrolle und Vernichtung chemischer Waffen in anderen Ländern ansieht, ziemlich lange.) Ist das nur ein Schachzug, die USA nicht zum Militärschlag kommen zu lassen?
Und jetzt? Wer weiß das schon. Der russische Vorschlag platzte in die sorgfältige Orchestrierung einer Medienoffensive des Weißen Hauses, mit zahlreichen geplanten Interviews von US-Präsident Barack Obama. Aber der Tag in Washington ist ja noch etwas länger.
Nachtrag: Eines der mehreren Interviews von Obama heute hier bei CNN – der Präsident sieht einen möglichen Durchbruch.
@P. Rombach | 10. September 2013 – 18:23
Zitat: „Leider haben wir wohl unsere politische Tätigkeit in der Außenpolitik eingestellt.“
Gab es denn seit 1945 jemals eine eigenständige Außenpolitik, die nicht zuvor mit den USA „abgestimmt“ war? Jeder Versuch war doch schnell beendet. Beispiel Libyen und Westerwelle, Atomwaffen in Deutschland und Westerwelle. Ich glaube diesbezüglich sind der Bundesrepublick noch immer unsichtbar die Hände gebunden.
Laut Welt sollen es nun die Polen gewesen sein, die den Vorschlag einbrachten.
Das wäre natürlich lustig wenn ausgerechnet die Polen es heute besser hinbekommt mit dem „Erbfeind“ Russland zu verhandeln als Deutschland, daß mal als Honest Broker gefragt war, diese Rolle aber zugunsten moralischer Vollkommenheit und zugehörigkeit zum „Westen“ aufgegeben hat.
Irgendwie haben sich die Rollen im Vergleich zu 2003 vollkommen vertauscht.
Wobei sollen die Polen ein ehrlicher Makler gewesen sein? Syrien? Das halte ich für eine Medien-Ente.
Aha Kerry hörte von den Polen. Wieso hat er denn dann diesen Vorschlag nicht gemacht.
Die U.S. Regierung versucht jetzt die Geschichte umzudrehen.
Was man gestern noch als Kerry’s Fehler bezeichnet hat und versucht hatte schnell als „reine Rhetorik “ abzutun ist heute ein lang geplanter aussenpolitischer Erfolg des Herrn Kerry.
Die Aussagen sind hier gegenübergestellt.
Administration Changes Russian Proposal’s Origin Story
Nicht verwirren lassen. Kerry zu glauben verstösst gegen die „internationale Norm“ und kann mit „unglaublich kleiner“ Bombardierung geahnt werden.
@Stefan: Sehen Sie, ich war damals schon von beiden Seiten informiert. Ehrlich, das ND und ADN fehlten mir schon wegen des ganz klar erkennbaren Duktus. Um so besser, daß ich dank Ihrer Hilfe diese Lücke nun schließen konnte.
Aber mal ernsthaft – tatsächlich objektive Berichterstattung ist aus Moskau in solchen Fragen nicht zu erwarten. Das ist ganz klar Hofberichterstattung, bzw. da diktiert Putin ganz klar die Texte. Und die für DEU vielleicht sogar selbst. In Sachen Unabhängigkeit darf man der Washington Post sicher (noch) eher vertrauen als den russischen, die am staatlichen Gängelband hängen.
@Stefan: Sie kennen sicherlich den alten DDR-Witz „Willst Du einem Polen eine Freude machen, schicke ihm ein Paket mit einem Fleischwolf“? Sie sollten sich mal besser http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2245642/ anhören. Vielleicht ist Ihnen auch nicht der „Lubliner Juli“ bewusst? Nachdem ich des Öfteren beruflich in Swidnik bin und auch sehr gute Freunde in Polen habe, fehlt mir absolut jegliches Verständnis gegenüber unsubsstantiierten und pauschalen Vorurteilen wie „Polen ein ehrlicher Makler… Das halte ich für eine Medien-Ente“, etc!
@Iltis
Klar, der Präsident eines recht großen Landes hat nichts besseres zu tun als Texte für RT zu schreiben. Gehts noch?
Personalisierung ist nichts weiter als ein klassisches Stilmittel der Propaganda, wobei Putin sich dafür auch einmalig gut eignet ;)
@iltis | 10. September 2013 – 19:58
Man muß beide Seiten hören und sich ein eigenes Bild machen. Propaganda pur gibt es auf beiden Seiten. Die USA haben dafür ganz offiziell Personal. Die andere Seite sicher auch. Aber trotz Propaganda von wem auch immer. Ich würde mich immer gegen Krieg entscheiden. Es gibt keine humanitären Kriege.
Ich hätte besser [joke on] und [/joke off ] davor bzw dahinter gesetzt. Schon klar.
Daß Krieg eine dumme Sache ist, da einigen wir uns wohl alle schnell.
Aber ja, man kann Tyrannen und Verbrechern zulange freie Hand lassen, da wäre ein Krieg die humanere Sache. Aber das Thema bietet sich nicht zum Generalisieren an.
Das Blöde ist nur, wer bestimmt eigentlich, wer ein „Tyrann“ oder ein „Verbrecher“ ist?
@Vtg-Amtmann | 10. September 2013 – 20:31
Ich habe nicht nur Freunde, sondern einen ganzen Sack voll Verwandschaft in Polen und bin den Polen zugetan. Vermutlich haben Sie mich falsch verstanden. Es war meinerseits eine Medienkritik an der „Welt „und nicht an den Polen.
Ehricher Makler ist nur die Überseztzung von JCR’s Honest Broker
http://augengeradeaus.net/2013/09/diplomatenschach-syriens-chemiewaffen-unter-internationale-kontrolle/comment-page-2/#comment-77223
@ KeLaBe
„Die Dschihadisten und Extrem-Islamisten sind die stärkste Waffe Assads. Denn sie binden den Amerikanern, Briten und Franzosen die Hände bei einer tatkräftigeren Unterstützung der Opposition“
Letzteres ist falsch.
Die Takfiris sind ja erst ab Ende 2012 mit den Waffenlieferungen der Golfstaaten nach Syrien gekommen. Bis dahin hätte nichts die Hände der West-Staaten gebunden (wie Sie das ausdrücken), und es wurde trotzdem nichts getan. Und danach wurde gar nichts getan um die Takfiris zu schwächen und die anderen Gruppen zu stärken. Nicht nur was Waffenlieferungen angeht, auch hinsichtlich humanitärer und zivilgesellschaftlicher Unterstützung. Angst oder auch nur Sorge sieht anders aus.
Die Takfiris sind lediglich die bequeme Ausrede für Westler die Hände in den Schoss zu legen und nichts zu machen. Hat ja die Volker Wieker vor dem Verteidugnsausschuss wieder anschaulich demonstriert, als er nach Merkels G20-Patzer der Regierung mal schnell im Wahlkampf beisprang.
Selbe Leier wie seit dem Abzugsschwenk zu Afghanistan: „Alles fanatische und/oder gewissenlose Halsabschneider, das ist kompliziert, da kann man nichts machen.“
@Stefan: Soweit bin auch noch gerade der englischen Sprache mächtig. Es geht nicht um „honest brocker“, sondern um Ihre Subsumtion! Und da sollte man gerade bei Radovan Sikorsky sehr vorsichtig sein.
@Vtg-Amtmann | 10. September 2013 – 21:14
Wer ist das? Radovan Sikorsky kenne ich nicht. Ich kenne nur Radczinskys in Polen und sehr gute Hubschrauber von Sikorsky. ;-)
Human Rights Watch hat mittlerweile auch einen Bericht zur Gasmassaker in Damakus vorgelegt, und sieht starke Belege für die Täterschaft des Regimes. (Anmerkung: Das PDF ist ausführlicher als der Homepage-Text.)
@J.R. | 10. September 2013 – 21:28
So hat in dieser Propagandaschlacht halt jede Seite ihre Bataillone. Die eine Seite hat Internationale Experten des UN-Menschenrechtsrates und „zahlreiche Zeugen“ und die andere Seite hat Human Rights Watch die starke Belege sieht (!).
http://augengeradeaus.net/2013/09/diplomatenschach-syriens-chemiewaffen-unter-internationale-kontrolle/comment-page-1/#comment-77212
Ob wir jemals die Wahrheit erfahren werden.
Ja, zwischen überführten Mördern und Forensikern sind solche Meinungsverschiedenheiten üblich.
@ Stefan:
Die Positionen von UNHCR und Human Rights Watch zu Syrien sind ziemlich deckungsgleich.
Die „andere Meinung“ muss man da wirklich schon bei Ria Novosti suchen. ;)
UNHRC natürlich, nicht UNHCR.
@Stefan: Fast OT: Radovan S. ist einer der leitenden Braumeister der polnischen Spitzenbrauerei Żywiec S.A. Dieses Bier ist aber mindestens so gut wie „Vaters ehemaliger Betrieb (VEB)“ Harzbrauerei Reich. Natürlich meinte ich Radosław Tomasz Sikorski. Freud’scher bzw. serbokroatischer Verschreiber meinerseits; Entschuldigung bitte.
Aber bei Ihren renitenten „rian.ru/ etc.pp-Links“, welche den Syrien- Threads so allmählich wenig förderlich erscheinen, kann das passieren.
Dennoch erstaune ich immer wieder, welche Vokabeln zum Ostvokabular gezählt haben. Das soll ja angeblich von „Schmudel Ede“ kommen. Aber die meisten „Sofa-Sozialisten“ und „Nach-Wende-Pazifisten“ im Osten haben diesen in seinem Intellekt genauso wenig verstanden und zielsicher eingeordnet, wie im Westen die Doppelgänger des Ruhrpott-Proleten namens „Ekels Alfred“, den „Löwenthaljargon“ verstanden haben.
Und das eint uns.
Die Zeiten der beiden „deutsch-deutschen Sandmännchen“ und von „Buddelflink“ sind ebenso längst vorbei, wie der im Westen liebevoll genannte „Karl-Eduard von Klick“ (Klick vom Geräusch des Aus -oder Umschaltens, oder im „halben Telefonanschluß“ kurz vorher, zu Zeiten der Tagesschau im Westfernsehen.
Da sollte man sich auch nach 20 Jahren im gleichen Dienstzimmer seines Oberoffiziers der chemischen Dienste und mindestens weiteren 23 Jahren außerhalb dieses Dienstzimmers langsam dran gewöhnen?!
P.S. Übrigens ich war nicht bei der ABC-Schutztruppe und mein Kommentar ist auch nicht böse odr gar persönlich gemeint. Aber wer unbedingt originär russische Medien zum Syrienkonflikt lesen will, findet diese ob seiner „neutrale Meinungsbildung“ auch selber im Web.
Nachtrag: @Stefan & @ all: Statt Sandmänchen und Buddelflink haben wir jetzt Merkel, Steinbrück & Co.! Bin mal gespannt, ob ich auf meinem Wahlzettel ein Kreuz beim Augsburger Puppentheater machen kann?
@ Vtg-Amtmann | 10. September 2013 – 22:53
Sudel-Ede nicht Schmudel-Ede, soviel Korrektheit muss bitte sein. Und Buddelflinks Freundin im Märchenwald hieß/heißt Gertrud, nicht Sandmännchen. (Quelle: de.rianovosti, sollten Sie öfter mal Recherche betreiben dort…)
@Stefan
Naja der zwei plus vier Vertrag war zumindest ein Beispiel. Aber nun?